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Full text of "Bonner Jahrbücher"

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V 


•  • 


JAHRBÜCHER 


DES 


VEREINS  VON  ALTERTHUMSFREUNDEN 


IM 


KHEINLANDE. 


HEFT  LXII. 


MIT  7  TArBliN. 


AUSGEGEBEN  AM  5.  JUNI  1878. 

BONN. 

GEDRÜCKT  AUF  KOSTEN  DES  VEREINS. 

BOXN,  BEI  A.  lARCDS. 

1878. 


Inhaltsverzeichniss. 


I.  Geschichte  und  Denkmäler. 

s«ito 

1.  Kleine  röm..  Villa  bei  Stahl     Von  E.  aus'm  Weerth.     Hierzu  Taf.  I.        1 

2.  Römische  Alterthämer  in  Heidelberg: 

I.  Zwei  röm.  Töpferöfen  und  Häusersoaterrains.   Von  Hofrath  Stark.        7 

n.  Inschriften.    Von  C.  Christ 18 

8.  Ueber  die  röm.  Befestigangen  im  Odenwald.    Yen  Pfarrer  Seeger.   .      38 
4.  Ueber  die  Limes-Frage  nnd  die  römischen  Alterthümer  aus  Obemburg. 

Von  C.  Christ 42 

6.  Datirbare  Inschriften  ans  dem  Odenwald  und  Mainthal.     Von  dem- 
selben       61 

6.  Ansgrabungen  bei  Bonn  vor  dem  Cölner  Thor  1876.  • 

D.  eine  gemalte  röm.  Wand.   Von  Dr.  F.  Hettner.    Hierzu  Taf.  III— VI  64 

7.  Ein  Nachbild  der  Venus  von  Milo.    Von  Dr.  Flasoh.    Hierzu  Taf.  II.  74 

8.  Erklärung  zweier  altchristlicher  Grabsohriften  ans  Aachen.    Von  Ca- 
nonicus  Kessel.    Hierzu  Taf.  VII  Fig.  1 86 

9.  Der  Ring  des  Dootor  Ypocras.    Von  C.  Binz 119 

II.  Litte ratur. 

1.  Giancarlo  Conestabile,  di  un  anello  Etrusco  u.  s.  w.    Angez.  von 

Dr.  Dätschke 122 

2.  Ad.  Michaelis,    Die   Bildnisse   des  Thukydides.    Angez.    von   dem- 
selben  124 

8.  H.  Brun,  Die  Sculpturen  von  Olympia.    Angez.  von  demselben    .  .     126 

4.  L.  ürlichs,   Bemerkungen    aber  den  olympischen  Tempel   und   seine 
Bildwerke.    Angez.  von  demselben 126 

5.  R.  Eeknle,  Griechische  Thonfigaren  aus  Tanagra.     Angez.  von  dem- 
selben  128 

6.  H.  Heydemann,    Die  Enöchelspielerin  im  Palazzo  Colonna  in  Rom. 
Angez.  von  demselben 129 

6a.  L.  Hölzermann,  Localforsobungen,  die  Kriege  der  Römer  und  Franken 

a.  s.  w.    Angez.  vop  Prof.  J.  Schneider '  .   .    .  .     lÜO 

7.  AI.  Ecker,  üeber  prähistorische  Kunst  u.  s.  w.   Angez.  von  Schaaff- 
hausen .*    140 


■<*> 


*"* 


IT  InhaltaTeneichniBS. 

Seite 
8.  A.   Conze    und   0.  Hirsobfeld,    Arohiologisch-epigraphische  Mit- 

theiluogen  aus  Oesterreich.    Angez.  von  Conze 160 

III.  MiBoellen. 

1.  Bacharaeh:   üeber  die  Wernerskirohe.     Von  F.  Sohaeider.     Hierzu 
Taf.  VII  Fig.  2 155 

2.  Bonn:  Ueber  die  Torqaes.    Von  Dr.  Mohnike 158 

8.  Ueber  Schalensteine.     Von  Schaaffhansen 171 

4.  Bonn:  Funde.    Von  van  Vleuten 171 

5.  Cöln:  Fund  von  rSm.  Gläsern.    Von  Wolff 172 

6.  Fomich:  Stiftungs-Urkunde  der  Kapelle.    Von  Dr.  G.  Terwelp  .  .   .  172 

7.  HohenBeelbaohkopf :  Ein  Steinring.    Von  Schaaff hausen 177 

8.  Kessenicb:  Funde  am  Rheinweg.    Von  £.  aus'm  Weerth 178 

9.  Kim:  Gräberfund.    Von  Dr.  med.  Butry 178 

10.  Königswinter:  Münze  von  Antonin.    Von  J.  Freudenberg 178 

11.  Niedermendig:  Das  sog.  Höhtges-Kreuz  von  demselben 179 

12.  Oberbilk:  Terra-sigUlata-Sohalen.    Von  Wolff 184 

18.  Raversbeuren:  Stempel.    Von  E.  aus'm  Weerth 185 

14.  Sponheimer  Wald:  Hügelgräber.    Von  Sohaaffhausen 185 

16.  Trier:  Fundbericht.    Von  H. 185 

16.  Ueberlingen:  Pfahlbauten 186 

17.  Wangen:  Sohienerberg.    Von  F.  Haug 187 


^^'  ■  ',:  .- 


*"■  \-  *■* 


^T.    Oescliicltte  und  DeiLkmäler. 


I.  Kleine  römische  Villa  bei  Siahl  im  Kreise  Bitburg. 

Hiezu  Tat.  I. 


Im  Zusammenhange  meiner  Ausgrabungen  des  römischen  Sommcr- 
palastes  bei  Fliessem')  und  der  damit  verbundenen  topographischen 
Umschau  im  Kreise  Bitburg,  winden  nicht  allein  die  in  diesen  Jahr- 
büchern bereits  bekannt  gemachten  kleinen  Tempel  bei  Nattenheira 
and  Neidenbach*},  sondern  weitere  römische  Bau- Anlagen.  zuStahi, 
Brecht»),  in  den  Gfirten  westlich  und  ausserhalb  der  römischen 
Umfassungsmauer  des  Castrums  Bedense*),   im   Bitburger  Ge- 


1)  Die  Wahmehmung,  dass  dio  von  unBerem  am  die  Rheinische  Alter* 
thnmelcnnde  bo  hoofaverdienten  Archi(ect«Q  Chr.  W.  Schmidt  in  Trier  in  der 
IV.  Lieferaag  seiner:  »Baudenkmäler  von  Trier  und  Umgebung,  Trier  1843« 
herausgegebene  >JagdvilIa  r.u  Fliesscmt  nicht  vollitändig  aufgedeckt  sein  könne, 
veranlasst«  meine  weitere  vor\'o]lBtandigendo  Äuagrabung  dieaes  GehÄudca,  Die 
YeröfTentlicbang  des  Resultates  wird  demnächst  gcsoheheii,  vgl.  Jahrb.  LYII.  S.  2S8. 

2)  Jahrb.  LVII,  S.  66  u.  LFX,  8.  87. 

3)  lieber  die  höchst  merkwürdige  römische  Bau- Anlage  za  Brecht  wird 
Toransaiohtlioh  das  nächste  Jahrbuch  einen  Bericht  bringen. 

4)  Unser  verehrtce  VereinsmitgUcd  Herr  P.  Wallonborn  jun.  machte 
dartTif  anfmerksam,  daaa  sich  ausserhatb  und  nahe  der  westlichen  Umrassungs* 
niBuer  des  Castrnms  die  Fundamente  römischer  Gebäude  befänden,  von  welchen 
dann  auch  1875  unter  Leitung  dos  genannten  Herrn  einzelne  Theile  aufgedeckt 
wurden,  welche  nach  ihrer  Beschaffenheit  auf  wohlhabender  Leute  Wohnungen 
flchlieasen  Ueesen  und  jedenfalls  den  Beweis  lieferten,  dass  man  Eur  Zeit  ihrer 
Erbauung,  gleichsam  unter  den  Mauern  der  Festung  eines  sichern  Friedens  sich 
erfreute.    Die  Thatsaehe  ist  deeshalb  nicht  ohne  Bedeutung. 

1 


2  Kldoe  römiaehe  YiBm  bd  StaU  jk  KrÖM  KUmrg. 

meindewaldBethard*),  m Badern*),  Oberweis*),  and  Badesheim*) 
festgestellt  und  an  den  ersten  Tier  Ortai  ancli  Aosgrabangen,  znm  Theil 
auf  Kosten  unseres  Vereins  vorgenommen.  Diejenigen  in  der  Feldflur  des 
Dorfes  Stahl,  am  rechten   Ufer  der  Nims,  etwa  20  Minuten  von 


1)  Im  Bitbarger  Gemeiodewald  Bethard  lien  aoser  Y«rein  bereits  ror  einer 
Reihe  von  Jahren  dardi  Herrn  Baumeister  Wolf  Nadigrabaogen  halten,  welche 
drei  wahrscheinlich  rasammengebörende  Gebinde  zom  T(»scbein  brachten.  Die 
YoIIendung  der  Aasgrabung  and  damit  maammenhftngend  der  Berieht  über  die- 
selbe massten  bis  dahin  ans  peraönlicben  Gründen  hinansgecchoben  werden. 

2)  Zwischen  Badem  ond  Pickliesaem  worden  im  Frölgahr  1875  mächtige 
Steinblöoke  aasgegraben,  som  Theil  mit  BelieiVernernngen.  Besondere  Be- 
achtung verdienen  einige  im  Hanse  des  Hrn.  Falter  inPieklienem  eingemauerte 
römische  Steine,  welche  ror  Tiden  Jahren  aof  dessen  Ziegelei  gefunden  wurden. 
Vor  80  Jahren  sollen  daselbst  noch  üeberreste  von  Ibaem,  einer  Holsbrücke 
und  einer  Wasserleitung  in  Bleiröhren  bestanden  haben.  —  Viele  kleine  Funde, 
ein  Messer  mit  goldenen  Nieten,  Mausen,  Eugelsteine  Ton  c  15"  Durchmesser, 
kamen  angeblich  in  das  Museum  su  Trier.  Ein  im  Keller  des  Herrn  Palxer 
eingemauertei  c.  26  cm.  breites  Insehriftenfiragment  lautet: 

lOPR 

VSC 

(pro)S  E-F(ecit) 

Die  Hklfle  dos  Steines  links  Tom  Beaehaaer  fehlt,  reehta  folgt  eine  Belief- 
venienmg  in  Form  eines  Amasonen-Sohildea. 

3)  Nach  Mittheilungen  des  Hm.  Thilmany,  früherem  Landrath  des  Kreises 
fiitburg,  wurden  schon  vor  drei  Jahraehntcn  wiederholt  römische  Alterthümer  in 
Oberweis  gefunden,  i.  B.  ein  kleiner  Hund  ron  Bronse  mit  einem  Ring  in  der 
Naso  auf  einem  Acker;  eine  gallische  Goldmünse  mit  der  bekannten  Darstellung 
einei  Pferdes,  um  welches  Storno  gestellt  sind  am  KoabSsch,  einer  Anhöhe  zwi- 
schen Brecht  und  Ilernesdorf.  Letztere  kam  in  das  Trierer  Moseum;  ob  auch 
der  kleine  Hund  ist  mir  unbekannt  Aber  auf  demselben  Felde  wurden  nach  gef. 
Miitheilung  unsoret  thitigen  Vereinsmitgliedes  des  Herrn  Pfairers  Orth  in  Wis- 
fnannsdorf  in  diesem  Horbste  Spuren  eines  röm.  Geb&udes  entdeckt  Der  Di* 
r«oior  de«  Proviniialmuseums  in  Trier  Herr  Dr.  Hettner,  dem  wir  diese  Mit- 
tboilung  sofort  mit  der  Bitte  lugehn  lieesen,  eine  Aa^r^bung  in  Oberweis  seitens 
dai  Trioror  Provtmial*Mutoums  vwanlasaen  m  wollen,  hat  diesem  Vorschlage 
ontsproohen  und  dürft«  Ober  das  interessante  Resultat  wohl  demnichst  den  Jahr- 
bttohom  ein«  Mttthoilung  lugehon  lassen.    Siehe  die  Miscelle:  Oberweis. 

4)  Im  Boiirk  von  Bfldosheim,  der  2.  Station  (Ansava)  an  der  Römerstrasse 
roa  Trier  nach  Cöln  sind  uns  die  Spuren  mehrerer  römischer  Geb&ude  unlängst 
anffOMlgt  worden,  die  voraussichtlich  demnächst  aur  Ausgrabung  gelangen.  Man 
vkI>  f^f  die  Aufkftlilung  der  Alterthümer  in  diesen  Bexirken.  Barsch'  und 
Nohnniaor's  MittheiluBgen,  Holt  I,  S.  88  und  UI,  8.  66  dieser  Jahrbücher. 


Kleine  römiaohe  VilU  bei  Stahl  im  Kreise  Bitbnrg. 


8 


Bitburg  entfernt,  führten  zur  Aufdeckung  dea  Grundrisses  einer  kleinen 
röraisehen  Villa. 

Wie  bei  den  meisten  Rheinischen  Römer- Villen  ist  der  Bauplatz 
im  aufsteigenden  Terrain  gewählt.  Südlich  sich  seukend,  gewährt  er 
den  freien  Blick  herab  in  das  liebliche  Wiesenthal  der  Forellen-reichen 
Nims;  nördlich  steigend,  erreicht  er  die  von  Bitburg  nach  Neuerburg 
führende  Staatsstrasse,  deren  theilweise  Identität  mit  einer  Römerstrasse 
aufgefundene  Gräber  bestimmen'). 

Nach  meiner  vorläufigen  Vermuthung  dürfte  es  eine  von  Bitburg^ 
ober  Brecht,  Oberweis  und  Bollendorf  nach  Ar  Ion  führende  Traverse 
der  beiden  grossen  ältesten  Militärstrassen,  derjenigen  von  Rhcims 
nach  Trier  und  derjenigen  von  Trier  nach  Co  In  sein. 

Auch  die  Gestalt  des  Grundrisses  des  Landhauses  zu  Stahl, 
ein  gebrochenes  Viereck  mit  dem  Eingange  an  der  Nordseite,  ent- 
spricht der  bisher  beobachteten  Regel. 

Wir  treten  durch  ein  —  eigenthümlicher  Weise  weder  in  der 
Mittel-Linie  des  Baues  noch  des  Atriums  liegendes  —  Vestibulum  in 
crstere«»,  ein  grosses  9,64  m.  im  Gevierte  messendes  Viereck,  das  mit 
mächtigen  Kalksteinplalten  belegt  war.  Ob  dieses  Atrium  einen  offenen 
oder  ganz  eingedeckten  Hof  bildete,  ob  es  nur  eine  rund  herum  an 
die  Wände  angelehnte  theilweise  üeberdachung  besass  und  im  Mittel« 
räum  ofi'en  war,  liess  sich  nicht  mehr  entscheiden,  da  weder  Reste  von 
Säulen-  noch  von  Pfeiler-Stellungen  zum  Tragen  der  Bedachung  auf- 
gefunden wurden.  Freilich  hat  sich  die  Raubsucht  bei  den  meisten 
römischen  Bauten,  die  nicht  plötzlich  sondern  allmählig  verschüttet 
wurden,  so  fiilhzeitig  auf  die  behauenen  Steine  geworfen,  dass  aus 
deren  Mangel  kein  Schluss  zulässig  ist.  Wie  sehr  eine  solche  Steingewin- 
nung aber  auch  in  unserer  Villa  ihr  zerstörendes  Wesen  trieb,  gewahrt 
man  aus  dem  Zustande  der  Kellertreppe  an  der  Westseite  des  Atriums, 
welche  bis  auf  eine  sämmtlichcr  Steinatufen  beraubt  war.  Durch  seine 


1)  Zwei  dioeer  Gr&bcr,  kleine  viereckigo  Kaslengr&ber  aus  vier  grossen, 
■enkrecbt  ins  Erdreich  gestellten  Steinplatten  gebildet,  deckte  ich  persönlich  auf. 
Der  Inhalt  an  gewöhnlichen  Aschen-Urnen,  kleinen  Terra-aigillata-Tellern  ohne 
Stempel  war  ohne  Belang,  lieber  ein  drittes  inhaltreicheres  Grab  berichtete 
H«rr  Peter  Wallenborn  jun.  in  Bitbarg  im  Mai  1875  folgendes:  »In  einem 
Orabe  nnforn  der  Villa  von  Stahl  fand  man  beim  Ansräumen  eine  niedrige  kleine 
Terra-sigillata-Sohale,  10  cm.  breit  und  4  cm.  hoch,  mit  verziertem  Rand;  ein 
L&mpchen  von  grauem  Thon  mit  dem  Stempel  Comunis;  einen  15  cm.  hohen 
gr»uen  kloinen  Henkelkmg  and  eine  Kupfermünze  des  Kaisers  Hadrian. 


Tu» 


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VBicnimir.  Ite  Enärarcnr  äes  ^*Tt"i^  söbs  aat  iaäit  unnMXk  za 
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Eöriäfiais.    \iiffigr  aus  cienuK  nEncc^fs  VaaÖBci«  aa 

Ecäex  Tier  WiAäex  äs  Eaüsmam»  lk^>  s.  im«  ihn  iFTiii  Waai- 

D&s  ijgaragä  xie-  «an.  £a&Br.  4c  ^iirTiii  dma  TiiTrair 
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4«TTxt»ä2L.awekiimäASr«i«^n«  weäerBiMiiiK^  »i  frin« 
Läiva  K^itn-.  Ke  DicüxU  «ieser  T¥&vifci  iijii  ■  recteieftKt  die 
AiMhce*«  cdisf  säe  zxii  ii£«  «^«siädea  TlAiai  geadtkuBOL  tber^ 
iMopt  pir  ml.'i:«  am.  V«r«eklss?  Sestixs:.  ^«Mien  nr  Bit  VoriaagcD 

I^  5ork\s«ädke  Ecke  4<5  Hmsss  u^  äe  kiÖMi  Bäobk  des 
IUa$bAde$  »«t  «»e  L»*«»  «^*  ilioäa^  ««4er  «er Vcrachnft  VitraTs 
«•t${>r.ai: :  ^F«r  i*  FJw«'  wa«  «inw«.  4«  X«nMa  a»i  Xordüsten 
»t^««aJecif«  i>rt  5«  «IW».  »ömi  «ßewar»«  EÄfcrikrlichlTOBiSid- 
wt»««  <ftMt^»i  vtits»«*':  "««wit  «&f  vVnibcU»t  dies Tcrtadot, » doch 
w«  5M»>i<>a»  wtl  d»  Z«:  «a  R»Äea  v«racsww»  die  n»  Mitag  bis 
«um  Ab«a  K4*.  »^^  «M  4«  RM<-ABUf«mder  tb*ig«  IwnKts  befind- 
IkViiVilk«  a^em»jiiÄa«*\  NxraÄsdwt  RioKaVestdit  das  üeiae 

l>  IV««  l>«v»*to*»  «*w«t  »J«^  »A«  jrft»i««  tb  Herr  Ksp.-BaÜi 
$^vrr«rl)k  4w  AuÄMÄtw  A»  «>«M»1«»  «vcwlka.   »»i   4eMhaIb  ia  letiMw 


Kleine  römiache  Villa  bei  Stahl  im  Kreise  Biiburg. 


6 


Bad,  einem  Apodyteriuin,  Tcpidarium  und  Frigidarium.  Das  wanrn- 
Wannenbad  und  das  Schwitzbad:  Caldariiim  und  Lacoiiicum  fehlen.  Als 
Anklcidezimmer  betrachteu  wir  deu  mit  wohlcriialtenem  Rstrich  versehe- 
nen Raum  östlich  des  Einganges,  aus  welchem  >s'ir  durch  einen  kleineu  Cor- 
ridor  in  das  im  EclcpAvillon  befindliche  Tepidarium,  wie  direct  durch  die 
südlich  belegene  Thrtre  zum  Kri^iidariuni  gelangen.  Das  Tei)idarium  liat 
weder  eine  Wanne  noch  Verrichtungen  zur  Erwärmung.  Aber  die 
ausserordentlich  kleine  Kauiiiausdehiiuiig,  die  Ticferlcgung  des  l'uss- 
bodens  um  eine  Stufe,  die  sorgfältig  in  allen  Käumen  rümisdier  (ic- 
luiiide,  iu  welchen  eine  Wasserverschüttung  stattfand»  wahrzunehmende 
Ausfüllung  der  Winkel,  welche  Wände  und  l'ussbÖden  gegeneinander 
bilden  durch  einen  V«  Itundstab  im  Verputz,  um  das  Ansetzen  von 
Niederschlägen  zu  verhüten,  rcsp.  die  Reinigung  zu  erleichtern,  lassen 
keinen  Zweifel  darüber  bestehen,  das.s  hier  cinestheils  schnellem  Ver- 
luste der  Wärme  vorgebeugt  werden  sollte,  andcrntheils  Wasserver- 
schilttungen  stattfanden.  Das  nüthige  warme  Wasser  für  das  lauwarme 
Bad,  d.  h.  hier  für  die  lauwarmen  Uebcrgiessungen  —  welches  vielleicht  in 
Kesseln  (Vitru  v  V,  II)  auf  den»  noch  zu  erwähnenden  ileerdc  im  Atrium 
bereitet  wurde  —  ist  wahrscheinlich  hcrbeigi?tragcn  worden.  Unter  dem 
FussbodeD,  der  wie  die  Wände  aus  hydrauUschom  Mörtel  von  scharfem 
Sand,  Ziegelbrocken  und  Kalk,  aus  opus  signinum  besteht,  läuft  durch  die 
nordöstliche  Ecke  ein  kleiuer  Canal,  der  wul  das  verschtittete  Wasser 
herausleitete.  Besondere  Beachtung  verdient  eine  in  der  nordwestlichen 
Ecke  befindliche  Wandnische,  sie  diente  dazu,  eines  jener  Kohlenbecken 
aufzunehmen,  die  häufig  anstatt  der  Fussboden-  und  Wand-Heizung  be- 
stimmt waren  die  Tcpidarien  zu  erwärmen.  Südlich  vor  dem  Tcpida- 
rium liegt  da-s  Frigidarium,  ein  Raum  von  vierfacliem  Umfang  mit  einer 
grossen  Wanne  am  östlichen  Ende  zum  Vollbad,  in  welche  drei  —  wie 
immer  sehr  steile  —  Stufen  hinabführen.  Der  V*  Rundstab  fehlt  auch 
hier  in  der  aus  opus  signinum  hergestellten  Badewanne  nicht.  Ein 
Bleirohr  unter  dem  Fussboden  des  zum  Tepidarium  fiilirendcn  Corri- 
dors,  durch  letzteres  laufend,  führte  das  Wasser  bei  a  herein.  Senkrecht 
darunter  floss  es  an  der  durch  einen  kleinen  Ring  bezeichneten  Stelle 
nach  geschehenem  Gebrauch  wieder  ab.  Der  Mangel  aller  Vorrichtungen 
zur  Erwärmung  des  Fussbodens  und  der  Wände  lässt  die  Bestimmung 
als  Frigidarium  ausser  Zweifel.    Südlich  vor  dem  Frigidarium  liegt  ein 


Stald  and  Ravenabearea  ist  demnach  irrig^.     In  Weingarten  udiI  Nennig  ist  die 
Situirung  südweBtliob;  in  FlieBsem  nordwestlich}   in  Mandersoheid  Büdöetlicb. 


6  Klüe  räMMcfe  Tib  hä  Sau  ia  KicM  Bebos. 

gros8es  Zimmer,  welcfaes  vir  nach  der  AasbdiBg  dec  södücfastai  Theiles 
desselben  and  n^ch  der  FngbodpnhpiTcng  Ifd'^icfc  dieses  TheOes  durch 
Hypocansten  für  das  Schlaigemach  imd  joMsi  Thcd  &r  den  Betten- 
Baum  halten.  Die  dorch  eine  kleine  Umsiaimu$  abgegrenzte  Hjpo- 
caosis  dieses  Raames  befindet  ach  im  Atrimn,  an  dessen  östikher  Wand. 
Neben  derselben  Tennerkoi  vir  noch  einen  mit  ZL^elpIatten  bekgtoi 
Heerd,  welcher  —  wie  schon  ai^edeotet  —  nefleidit  zur  Erwärmung 
des  Badewassers  dioite. 

Die  drei  grossem  Bäume  der  nordwestlichen  Haas-Ecke  oübrigen 
Ar  den  eigentlichen  HanshalL  Da  £(±raanL  dessen  Thöre  gegenüber 
dem  Eelleraufgang  li^t,  darf  nach  mannigfach  darin  geiimdenai  Ge- 
schirr-Bestoi  als  Küche,  einer  der  danebenli^enden  Gelasse  als  Auf- 
enthaltsort der  Dienerschaft  aagesdien  werden. 

Der  ganze  Bau  ist  aas  anrege]mää^igen  Kalksteinen  errichtet 
und  walr  mit  flachen  rothoi  Ziegeln  dngedeckt,  weldie  wie  gewöhn- 
lich über  den  Fugen  aufli^ende  Randziegd  zusammenhielten.  Der 
durchgängig  an  Aussenwänden  römischer  Gründe  Torfindliche  Ver- 
putz mit  rother  Abfarbung  zeigte  hier  noch  einen  starken  Torspringen- 
den  Sockel,  dessen  Profilschnitt  bei  b  im  Plan  beigegeben  ist 

Ob  Ställe,  überhaupt  Wirthschaftsgebäude  zur  Seite  lagen,  liess 
sich  ebenso  wenig  feststellen,  wie  der  Bering  eines  anschliessenden  Hofes 
oder  Gartens. 

Unter  den  kleineren  mir  zugekommenen  Funden  sind  einige 
Kupfermünzen  *),  das  kleine  4  cm.  mes^nde  im  Feuer  v^goldete  Bein 
einer  Bronze-Statuette,  eine  schön  geformte  Palmette  mit  Kettchen 
von  einem  Bronzc-Geräth,  zwei  Siegelringe  von  Bronze,  der  eine  mit 
zerstörter  Gemme,  der  andere  mit  gravirter  runder  Siegelplatte  einen 
Eroten  darstellend,  der  auf  einem  Seepferde  reitet,  endlich  eine  kleine 
Lampe  von  gn\ueui  Thon  mit  dem  vielfach  und  an  verschiedenen  Orten 
vorkommenden  Stempel  Cl^MVXlS ').  Unter  den  Gefässschcrbcn  kam 
der  Stompol  0*  ClllN-  vor»). 


1)  1.  lUdrian,  QroMon.  Wahnoheinlich  griechiBch,  mit  unleserlichem  Re- 
VOM.  —  a.  H Ailr i«  n,  Mitt«lon.  R.  Pont  max.  u.  s.  w.  drei  Fcldseichcn.  —  3.  Marc- 
Aurol,  (Irttasorr..  U.  ooncordi«,  Pont  max.  tr.  p.  XJII  u.  ■.  w.  —  4.  Julia 
Doinna.  MUlolora.  Kov.  uulcswlioh.  —  B.  Gallienus.  Kkinerz.  B.  Abondantia. 
-^  (i.  7,  und  H  aind  aU)n«8ohli»seu  und  anleaerlich. 

a)  Hohürmanu*!  8.  04.  Votk'I.  S.  60,  Anmerk.  1. 

»)  Htfhttrmaun«  141B,  Kröhner  787. 


Kleine  römiache  Villa  bei  Stabl  im  Kreise  Bitburg.  7 

Dem  Ucrrn  Regierungs-Baurath  Seyffarth,  dem  hier  wiederum 
die  sorgfältige  Aufnahme  vcrdaiikt  wird,  dem  Herrn  Peter  Wallen- 
born  juD.  in  Ditburg,  welcher  in  meiner  Abwesenheit  der  Mühe  der 
Leitung  der  Ausgrabung  sich  freundlich  unterzog,  sage  ich  im  Namen 
des  Vereins  gebührenden  Dank.  Auch  des  Eifers  des  Matthias 
Thomas,  Sohn  des  Besitzers  des  Villen-Terrains  sei  noch  freundlich 
gedacht.  £.  aus'm  Wecrth. 


2.  Römiscbe  Alterthümer  in  Heidelberg. 

Im  Frühjahre  des  vorigou  Jahres  wurden  in  Heidelberg  unerwartet 
eine  Ileihe  römischer  Alterthümer  aufgedeckt,  und  davon  im  vorigen 
Hefte  der  Jahrbilchcr  bereits  die  Meilensteine  tiutgetheilt.  Unser  aus- 
wärtiger Secretär  llcrr  Ilofrath  Trof.  Stark  in  Heidelberg  wird  über 
den  ganzen  Hergang  der  htaltgehabten  Ausgrabungen,  über  das  Toim)- 
graphiscbe  und  speciell  Archäologische  im  Zusammenhang  unter  Vor- 
lage eines  Situationsplanes  und  mit  beigegebenen  Abbildungen  berichten. 
Inzwischen  stehen  wir  nicht  an  weitere  Einzelraittheilungen  vorangehen 
zu  la.sscn,  indem  wir  ^^unächst  Starks  Bericht  über  zwei  römische 
Topferüfcn  und  Häusersouterrains  und  dann  C.  Christ's  Zu- 
aendangen  über  das  Inschriftliche  abdrucken. 

I. 

Zwei  römische  Töpferöfen  und  Häusersouterrains  bei 

Heidelberg. 

Bei  den  umfassenden  Erdarbeiten,  welche  im  Laufe  der  letzten 
Jahre  auf  den  dem  Neckar  benachbarten,  nun  von  den  grossartigen 
Bauten  des  akademischen  Krankenhauses  wie  der  Irrenanstalt  besetzten 
Ländereien  der  alten  Bergheiraer  Gemarkung,  jetzt  des  in  den  Stadt- 
bereich gezogenen  westlichen  Baiiviertels  vorgenommen  wurden,  sind 
wiederholt  römische  Fundstätten,  Gräber,  Brandstätten,  angebliche  Ab- 
zngskanäle,  auch  einzelne  Mauerzüge  durchschnitten  worden,  dabei 
römische  Geschirre  aller  Art,  Bronzegegenstände,  Fibeln,  Armschmuck, 
selten  Münzen,  gefunden.  Soweit  es  noch  möglich  war,  bei  den  man- 
gelhaften und  spät  erfolgenden  Kundgebungen  darüber,  ist  Wissenschaft- 


lömiscbe  Altorthämer  iu  Heidelberg. 

lieh  Notiz  genomineii  und  die  besten  der  schliesslich  abgelieferten 
Gegeustände  sind  in  die  archäologische  Sammlung  der  Universität  in 
eJDcr  besonderen  Abtheiluag  eingereiht  worden. 

Im  Dezember  (1870)  brach  bei  den  Erdabfuhren  auf  dem  für 
Gartenanlagen  bestimmten  Terrain  westlich  von  dem  Krankenhause, 
anmittelbar  neben  der  neu  augelegten,  senkrecht  auf  den  Neckar  zu- 
fuhrenden Thibautstrasse  das  Pferd  von  einem  Wagengespann  in  ein 
Loch,  in  eine  sich  öffnende  Höhlung  ein.  Die  tlberaus  nasse  Witterung 
verhinderte  die  Enäarbeiteii  an  jener  Stelle  länger  und  erst  jetzt  sind 
sie  iu  vollem  Umfang  in  Angiifi'  genommen,  das  Abtragen  der  oberen 
Erdschichte  um  mehrere  Fuss,  zumeist  für  Herstellung  breiter  Fahr- 
wege. Die  Chaussirung  der  Thibautstrasse  Hess  eine  ältere  Strassen- 
anlage  entschieden  altrömischen  Ursprunges  durchschneiden.  Weiter- 
hin hart  am  Neckar  war  eiuc  jetzt  bis  auf  das  neue  Strasscnuiveau 
abgetragene  Maueranlage  in  einem  nach  Norden  offenen  Viereck  bloss- 
gelegt;  unter  dem  dort  aufgehäuften  Baumaterial  liegen  römische 
grosse  Ziegel  herum ;  wir  sind  aber  über  den  ursprünglichen  Bestand 
bei  dem  Aufdecken  gänzlich  ununterrichtel  gebliobea. 

Durch  die  Freundlichkeit  des  jetzigen  Verwalten  des  akademischen 
Krankenhauses,  Revisor  Bau  in  er,  ward  dci- Unterzeichnete  am  7.  April 
von  jener  üefl'uung  in  ein  Gewölbe  und  dort  zu  Tage  kommenden 
Scherben  verständigt  und  es  ward  sofort  zur  Untersuchung  mit  Hülfe 
der  mit  Erdarbeiten  beschäftigten  Arbeiter  mit  Erlaubniss  der  bau- 
Icitendcn  Behörde  geschritten.  Das  archäologische  Institut  übernahm 
die  Kosten  der  Ausgrabung,  nachdem  der  Umfang  der  unter  der  Erde 
befindlichen  Gewölbanlagcn  ungefähr  festgestellt  war  und  da  keine 
andere  Kasse  dazu  die  Mittel  bot.  Am  9.  April  gelang  es  in  der 
That,  mit  energischer  Anstrengung  der  Arbeitskräfte  die  Ausgrabung 
einem  glücklichen  Abschlüsse  wesentlich  zuzuführen,  an  welcher  ein 
Icbliafteres  Interesse  der  zunächst  Betheiligten  sich  allmälig  kundgab. 
Die  ganze  bauliche  Anlage  Ist  in  einer  Tiefe  von  circa  zwei  Meter 
unter  dem  allgemeinen  Bodeuriiveau  blossgelegt,  ringsum  zugänglich 
gemacht  und  nach  Südwesten  hin,  soweit  das  dem  Krankenhaus  ge- 
hörige Terrain  reicht,  der  von  Gefässscherben  erfüllte,  nicht  gewachsene, 
sondern  aufgeschüttete  Boden  entfernt  worden.  Sofort  sind  zwei  pho- 
tographische Aufnahmen  der  Lokalität  gemacht  und  genaue  Maasse 
genommen  worden. 

Die  Form  der  Anlage  ist  die  eines  abgestumpften  Kegels 
mit  einem  nach  Südwest  in  convergirenden  Linien  von  dem  Kreisbau 


Bömische  ÄJlerthiimer  in  Heidelberg. 


aus  fortgesetzten,  schrnul  zulaufenden  kleineren  Vorbau.  Die  ganze 
Länge  beträgt  2,90  m.;  der  Kreisduiclimesser  1,79  m.;  die  erhaltene 
Höhe  durchschnittlich  0,70  in.,  ohne  die  einzelnen,  höher  anstehenden, 
aufgestellten  Mauertheilc;  die  äussere  Mauerdicke  0,25  m.,  die  Gewölb- 
dicke durchschnittlich  0,28  m.  Das  Material  besteht  wesentlich  aus 
einem  künstlichen,  tuffsteinartigen,  grauweissen  Material,  an  der  Luft 
gelrockneten  Thousteinen  und  einem  ganz  brenn endruthen  bröckeligen 
Backsteinniantel.  Das  Inneic  ist  mit  Cenieut  überkleidet,  eine  starke 
Ccmentschicht  bildet  den  Boden,  wie  die  Oberfläche  der  Decke.  -  Die- 
selbe ist  durch  die  jahrhuudcrtlange  Feuchtigkeit  nach  der  Gluth  wie 
durchsintert.  Hin  von  ßacksteinen  gewölbter  Bogen  fühi-t  von  Südwest 
in  jenen  kleinen  VotTaum,  dessen  Gewölbe  eingebrochen  ist.  Man 
stösst  sofort  in  der  Mitte  auf  einen  Stirnpfeiler,  an  den  sich  eine,  den 
Kreisbau  in"  zwei  Hälften  thetlcndc  Scheidemauer  ansdiliesst.  So  wer- 
den zwei  Feuerstätten  gebildet,  die  in  interessanter  Weise  gewölbt  sind 
durch  je  sieben  Gewölbrippen,  welche  an  die  Mittelmauer  wie  an  die 
Aussenmaner  sich  anlegen,  zwischen  denen  tiefe  Rillen  mit  regelmässig 
angelegten  runden  Löchern  angebracht  sind.  So  ist  der  obere  Kreis- 
boden regelmässig  durchlöchert,  untl  zwar  auf  jeder  Hälite  in  vier 
Reiben  von  je  7,  6,  5,  4  Löchern.  Ein  bestimmter  Kanal  zum  Abzug 
des  Rauches  hat  sich  nicht  gefunden,  ebensowenig  licssen  sich  senkrecht 
aufsteigende  öder  horizontale  Röhren  vom  Feuerraum  aus  nachweisen. 

Die,  also  siebartig  durchlöcherte,  stark  cementirte  obere  Kreis- 
tiäche  war  umgeben  von  Chamottsteinen,  die,  auf  die  schmale  Kante 
gesetzt,  sich  kegelartig  oder  gewölbartig  zusammenschlössen;  auf  der 
Nordostseitc  sind  sie  am  besten  erhalten.  In  der  Mitte  ist  dann  die 
Abzugsöffnung  für  Rauch  und  Dampf  anzunehmen,  und  dies  ist  also 
der  Raum,  wo  die  zu  brennenden  Gefässe  aufgestellt  waren,  der  eigent- 
liche Brennraura.  An  der  Ostseite  ist  um  jenen  Steinrand  noch  eine 
Lücke  zu  bemerken,  wohl  die  Oeffnung  zum  Einführen  der  Gefässe. 

Auf  diesem  oberen  Boden  fanden  sich  grosse  Gefiissschcrbcn,  eine 
Anzahl  auch  unter  den  zwei  Gewölben,  dabei  einzelne  uniegelmässig 
gebogen,  durch  die  Glühhitze  eingerissen  und  wie  verplatzte  Stein- 
platten, welche  wohl  dazu  dienten,  kleiuere  Gefässe  gegen  die  jähe 
Hitze  zu  schützen,  natürlich  viel  herabgefallene  Ccmcntmasse. 

Wie  wir  bereits  erwähnten,  zieht  nach  Nordost  sich  der  künstlich 
aufgeschöttete  Boden  hin ;  man  kann  noch  genau  die  Abstufung  der  ge- 
wachsenen auf  den  übrigen  Seiten  den  Ofen  bis  zur  Höhe  jener  Rost- 
fläche zum  Brennen  umgebenden  Erde  verfolgen.    Hier  war  der  breite 


10 


Römische  Altertbümer  in  Heidelberg. 


Zugang,  hier  finden  sich  rohe  Scherbeninassen,  ferner,  was  wichtig  ist, 
Klumpen  des  plastischen  Thoncs,  hier  auch  an  einer  Stelle  llolzkohle, 
hier  finden  sich  auch  Thierkiiüchcn.  Hier  würden  weitere  Ausgrabungen 
auf  dem  städtischen  Terrain  wahrscheinlich  uns  die  Töpferawerkstitle 
mit  ihren  Formen  selbst  neben  dein  Ofen  zu  Tage  fördern. 

Unter  den  uiassenhaftcn  Gefässscherben  begegnen  wir  all  denselben 
Formen,  demselben  verschiedenen  Material,  Farbe,  derselben  Glie- 
derung, wie  denselben,  freilich  nur  sparsam  vorhandenen  Zierrathen, 
die  in  jener  Gegend  bei  früheren  Funden  zu  Tage  traten.  Voran 
treten  die  Thoile  grosser  Amphoren  in  blassgclblichem  Thon  mit  zwei 
und  einem  kurzen,  zwei-,  drei-,  viermal  geriefelten  Henkel,  mit  trichter- 
förniigen  Mundstücken  oder  auch  nur  mit  Randwulst.  Die  Oeffnnng 
beträgt  im  Lichten  mehrfach  u,  12  ni.,  die  Dicke  der  Gcfässwand  ist  über 
0,01  ni.,  dann  folgen  die  bekannten  sogenannten  Aschenkrüge,  bauchig, 
dünn,  mit  engstem  Hülse,  von  inattgelber  oder  weisser  Färbung.  Sehr 
gross  ist  die  Zahl  der  nJedern  bauchigen  Gefdsse  mit  weiter  üeffnung, 
mannigfacher  Umrandung  theils  von  starkem  grauem,  grobem  Material, 
theils  von  sehr  dünnem  hellgeblichcm  Thon,  vielfach  rostroth  gefärbt. 
Töpfcrschalen  von  braun rothor  Färbung  mit  P'irniss  oder  silbergrau 
und  schwärzlich  schliessen  sich  daran  an.  Endlich  fehlt  es  an  ganz 
flachen,  rund  gedrehten  Platten  nicht.  Von  den  feineren  Töpferwaaren 
der  Terra  sigillata  mit  dem  fein  glänzenden  tiefen  Roth  und  der  glän- 
zend schwarzen  Färbung  fanden  sich  im  Verlauf  der  Ausgrabungen 
zwar  nicht  sehr  viele,  aber  doch  hinreichende  Bnicbstücke,  zeugend 
auch  für  die  verschiedenen  Gefässformen :  Schalen,  Tassen,  Becher, 
Teller,  bis  jetzt  aber  noch  ohne  Stempel,  die  häufig  sonst  eingedrückt 
sind.  Ein  schönes  Beispiel  einer  Reliefoniamentirung  mit  abgetheilten 
Feldern  und  Tbierjagd  ward  niuthwilüg  durch  einen  Knaben  nach  dem 
Funde  zersplittert.  Merkwürdig  ist  eine  kleine  zweizinkige  Gabel  von 
Thon,  die  dabei  gefunden  ward,  also  eine  Zange  zum  Festhalten  eines 
Gefässes. 

Von  Metall  ist  fast  nichts  gefunden,  nur  ein  eiserner,  durch  Hitze 
und  Feuchtigkeit  sehr  verrosteter  Nagel,  kleine  Bronzeplättchen  uud 
ein  kleiner  Ring. 

Ganz  in  der  Nähe  des  Ortes  war  in  diesem  Winter  eine  Bronze- 
münze gefunden,  was  wir  durch  einen  Arbeiter  zufallig  erfuhren,  mit 
bekränztem  Kaiserkopf  und  einer  ganz  undeutlichen,  stehenden  Figur 
auf  dem  Revers,  sehr  in  seiner  Oberfläche  durch  Oxydation  angefressen. 
Die  Münze  ist  uns  jetzt  übergeben  worden.    Der  Kopf  zeigt  sich   un- 


KömiBohe  Allertbümer  in  Heidelberg. 


II 


bärtig  und  sein  Profil  entspricht  am  meisten  dem  des  Doiuitian.  Auch 
von  der  Umschrift  sind  nur  wenig  Duchütaben  lesbar;  deutlich:  ...MIT 
und  weiter  COSXII.  Herr  Prof.  Zangenmeister  stellt  sie  sehr 
wahrscheinlich  der  Mittelbrüuze  bei  Cohen  Med.  Rom.  I.  p.  -133  u.  380 
gleich.    Sie  gehört  dem  Jahre  87  n.  Chr.  an. 

Das  Interesse,  welches  sich  an  diese  Ausgrabung  knüpft,  ist  ein 
doppeltes,  ein  allgemein  antiquarisches  und  ein  lokal-archäo- 
logisches. Wir  erhalten  hier  ein  sehr  anschauliches,  selten  gut  er- 
haltenes Beispiel  einer  einfacheren  Art  römischer  Topferöfen,  wie  solche 
drüben  in  Rheiuzabern,  hier  freilich  durth  vielfache  moderne  FäLschun- 
gcn  verdächtig,  dann  am  Oberrhein  zu  Heiligenberg,  zu  Ittersweiler, 
ferner  zu  Westerndorf  in  Obeibayern,  weiter  am  Wienerwald,  ebenso  in 
Chatelet  in  der  Auvergne  und  in  Northainptoushirc  in  England  nach- 
gewiesen sind  (vergl.RichDictionnaire  des  nntiquites  Rom.  s.v.  fornax, 
Brongniart  Traite  des  arts  cevamiques  I.  p.  424  fl'.,  voii  Ilefner  in 
Oberbayer.  Archiv  Bd.  XXII,  Birch  History  of  aucient  pottery  U.  p. 
303 ff.).  Hr.  Dr.  Franz  Keller,  Rektor  der  künigl.  Gewerbeschule  in 
Speier,  hat  im  letzten  Jahre  seine  interessanten  Studien  über  die  rothe 
rumische  Töpferwaare  mit  besonderer  Rücksicht  auf  ihre  Glasur  (Hei- 
delberg, K.  Groos  1876)  veröffentlicht  und  dabei  die  also  hier  nachge- 
wiesene Einrichtung  und  andere  komplizirtere,  mit  Doppelräudern  und 
aufrechtstehenden  Röhren  gut  uulerschieden. 

Das  lokale  Interesse  wird  aber  jetzt  durch  den  Nachweis  geweckt, 
dass  wir  nicht  blos  am  rechten  Neckarufer  bei  Neuenheim  eine  römi- 
sche militärische  Niederlassung,  auch  so  wichtig  durch  seine  religiösen 
Anlagen  wie  das  treffliche  in  Karlsruhe  jetzt  befindliche  Mithräum  nun 
kennen,  dass  vielmehr  auch  am  linken  Ufer,  an  der  Stätte  des  ver- 
schwundenen Bergheim,  sich  neben  Grübern  technische  Anlagen  fanden, 
zu  welchen  das  Thouniatcrial  mehrere  Stunden  weit,  von  der  Gegend 
von  Wiesloch  wohl,  herbeigeschafft  wurde.  Wir  erfahren  jetzt  zufällig, 
dASS  zwei  ganz  ähnliche  bauliche  Anlagen  —  nur  viel  schlechter  er- 
halten —  bei  der  Fundamentirung  des  Irrenhauses  längst  zu  Tage  ge- 
treten waren,  aber  nicht  weiter  untersucht  worden  sind. 

In  den  vorstehenden  in  den  Beilagen  Nr.  91,  92  (18.  19.  April) 
der  Karlsruher  Zeitung  zuerst  abgedruckten  Berichten  über  die  Auf- 
findung eines  römischen  Töpferofens  bei  Heidelberg  war  darauf  hinge- 
wiesen worden,  dass  man  mit  Sicherheit  südöstlich  von  jener  Fund- 
stätte bei  Entfernung  der  von  antiken  Bruchstücken  erfüllton  Erdmasson 
auf  weitere  analoge  römische  .Anlagen  stosseu  werde.    Diese  Annahme 


12  Römuche  Alterthümer  in  Ueidelberg. 

hat  sich  in  erfreulichster  Weise  bestätigt,  ja  ist  noch  im  weiteren 
Verlaufe  übertroffen  worden  durch  die  Funde  selbst.  Der  Sfadtrath 
von  Heidelberg,  in  dessen  Geschäftsbereich  das  angrenzende  Territo- 
rium, als  zur  neu  angelegten  Thibautstrasse  gehörig,  fällt,  hat  in 
rascher  und  richtiger  ErAissung*  der  Bedeutung  des  gemachten  Fundes, 
in  umsichtigem  und  wohlwollendem  Entgegenkommen  gegen  wissen- 
schaftliche Interessen  sofort  die  energische  Verfolgung  von  Ausgra- 
bungen auf  diesem  relativ  schmalen  Streifen  des  Bodens  angeordnet. 
Unter  der  Leitung  des  Stadtbaumeisters  Schaber  werden  die  Erd- 
arbeiten sorgfältig  überwacht,  am  Abend  auch  Wachen  aufgestellt,  die 
iuteressanten  Funde  abgeliefert,  die  Aufnahmen  sofort  gemacht  und  es 
ist  die  Absicht  der  archäologischen  Sammlung  der  Universität  freund- 
lichst Alles  schliesslich  zu  überlassen.  Es  gebuhlt  der  Stadtbehörde 
der  aufrichtigste  Dank  von  Seiten  des  gebildeten  Publikums,  dass  Gross 
und  Klein  sich  lebhaft  für  diese  Ausgrabungen  interessirt,  sowie  von 
Seiten  der  archäologischen  Wissenschaft. 

Am  20.  April  verweilte  im  Auftrag  der  Grossh.  Regierung  der 
Konservator  der  badischen  Alterthümer,  Geh.  Hofrath  Wag- 
ner, hier  und  nahm  genaue  Einsicht  von  dem  bis  dahin  Gefundenen, 
sowie  eingehendste  Rücksprache  mit  den  dabei  betheiligten  Behörden 
und  Sachverständigen.  Eine  besondere  kleine  Geldbewilligung  ist  für 
die  Förderung  der  Angelegenheit  inzwischen  bereits  vom  Grossh.  Mi- 
nisterium des  Innern  gemacht  worden  und  umfassende  Anordnungen 
im  Interesse  der  Funde  sind  getroffen  worden.  Auch  von  Mannheim 
und  Speier  hat  man  diese  merkwürdige  Stätte  mehrfach  in  Augen- 
schein genommen.  So  steht  zu  hoffen,  dass  unter  thätigcm  Hitwirken 
der  verschiedenen  Faktoren  die  jetzt  so  günstig  wie  in  Jahrhunderten 
nicht  gebotene  Gelegenheit,  das  brachliegende  Terrain  in  dieser  Ge- 
gend wissenschaftlich  zu  durchsuchen,  auch  benutzt  werde  und  ihre 
reichen  Früchte  bringe. 

Nur  wenige  Schritte  südwestlich  von  dem  jetzt  in  Trümmern  lie- 
genden ersten  Töpfer  ofen  ward  ein  zweiter  aufgedeckt,  im  Wesent- 
lichen von  ganz  gleicher  Einrichtung,  gleichem  Material,  etwas  kleiner 
in  den  Verhältnissen,  aber  im  oberen  Theile  noch  besser  erhalten.  Die 
Gesammtlänge  beträgt  2,8  M.,  der  Querdurchschnitt  1,60  M.,  die  Höhe 
des  Rostes  über  der  Basis  0,7  M.,  der  obere,  den  Brennraum  um- 
gebende Mauermantel  erhebt  sich  bis  0,65  M.  und  erweitert  sich  sicht- 
lich noch  etwas  nach  oben  zu,  um  dann  natürlich  wieder  im  steilen 
Kegel  zu  schliessen.    Die  Gesammtlage  des  Ofens  ist  von  Osten  nach 


RöoiiATfae  Altertbümer  in  Heidolborg. 


18 


Westen  und  bildet  derselbe  einen  stumpfen  Winkel  mit  dem  ersteren. 
Die  Eingänge  zur  Feuerstätte  liegen  sich  möglichst  nahe,  nur  ist  der 
Eingangsbogen  bei  dem  neuen  Ofen  ein  steiler  Spitzbogen,  dort  war 
er  fast  hufeisenförmig  gerundet,  seine  Masse  sind  0.40  M. :  0,00  M. 
Die  innere  Theilung  in  der  Läogenaxe  durch  eine  Mauer,  die  Art  der 
Wölbung  sind  gleich,  die  Zahl  der  Ocffnungen  im  Rost  ist  kleiner,  die 
auf  beiden  Seiten  wesentlich  in  drei  Reihen,  jedoch  nicht  in  strenger 
Regelmässigkeit  geordnet  sind;  es  zieht  sich  die  letzte  Löcherreihe 
haxt  am  Rande  hin.  Dieser  Ofen  ist  jetzt  uitifricdigt  und  mit  einem 
vorläufigen  Schutzdache  versehen.  Eine  Versetzung  in  Sammlungs- 
räume ist  vielfach  besprocheu,  doch  kaum  thunlich.  Auch  von  diesem 
sind  Photographien  verkäuflich.  Soeben  ist  unter  Theilnahme  der 
Grossh.  Regierung  an  den  Herstellungskosten  ein  Schirmdach  be* 
schlössen  worden. 

Die  Erwartung,  dass  auch  nach  Süden  hin  ein  dritter  Töpferofen 
sich  finden  werde,  der  vom  gleichen  Mittelpunkt  aus  besorgt  wurde, 
hat  sich  im  weiteren  Verlauf  der  Ausgrabungen  nicht  erfüllt.  Inzwi- 
schen sind  aber  in  nächster  Nähe  zwei  anders  geartete  Baulichkeiten 
aufgedeckt  worden,  die  unter  sich  die  grösste  Aehnlichkeit  haben, 
offenbar  zwei  Souterrains  römischer  Häuser,  deren  steinerner 
Oberbau  hinein  und  zusammengestürzt  ist.  Die  eine  liegt  etwa  5  Meter 
rein  westlich  vom  zweiten  Ofen,  die  andere  ein  paar  Meter  nördlich. 
Kaum  ein  Meter  unter  der  jetzigen  Erdoberfläche  tritt  uns  jetzt  nach 
der  gänzlichen  Ausräumung  ein  viereckiger  ummauerter,  aber  in  der 
Erde  steckender  Raum  entgegen  mit  längerem  engerem  Zugang  von 
Norden  heraus,  welcher  noch  deutlich  in  einer  Erweiterung  unmittelbar 
beim  Eintritt  den  Platz  für  die  einst  eingefügten  Thürgewnnde  be- 
zeichnet. Der  Raum  ist  nicht  ganz  rechteckig  und  quadratisch,  in  der 
Grösse  von  2,78  M.  :  3,3.  M.;  die  erhaltene  Mauerhöhe  beträgt  1,68  M. 
Auf  der  Westseite  befindet  sich  eine  breite,  schräg  nach  aussen  an- 
laufende, sich  erweiternde  Lichtciffnung,  auf  der  Nordscite  in  gleicher 
Höhe  zwei  zum  Theil  noch  überwölbte  kleine  Nischen  (loculi),  um 
Dinge  darin  abzustellen,  nach  Osten  hin  eine  ähnliche  kleinere,  aber 
rechteckige  flache  Nische,  Je  mehr  man  sich  mit  der  Technik  des 
trefflich  erhaltenen  Mauerwerkes  bekannt  macht,  um  so  mehr  über- 
rascht Einen  die  Sorgfalt  und  Zierlichkeit  der  Konstruktion.  Sie  be- 
steht aus  13  regelmässigen  Schichten  von  kleinen,  unseren  Backsteinen 
an  Grösse  etwa  gleichen  Bruchsteinen  (rother  und  heller  Sandstein), 
die  mit  Cement  trefflich  verbunden  sind  und  einen  durchgängigen  fei- 


14  Römisohe  Alterthfimer  in  Heidelberg. 

neu  GementTerputz  hatten,  welcher  in  künstlicher  Weise  durch  Ein- 
ritzung  quadrirt  ist;  alle  diese  künstlichen  Fugen  waren  mit  dem 
ücfen,  wohlbekannten  antiken  Roth  gefärbt.  Schon  diese  feine  Technik, 
wie  die  Sauberkeit  der  ganzen  Architektur  bei  so  kleinen,  bescheidenen 
Verhältnissen  ist  gegen  die  Annahme  etwa  eines  Bauemhansplatzcs 
aus  dem  Mittelalter  entscheidend,  abgesehen  von  der  Masse  antiker 
Scherben  im  Innern.  In  der  Mitte  dieses  Raumes  sti«is  man  auf  eine 
grosse  runde  Sandsteinplatte  von  1  M.  Durchmesser  mit  ganz  engem 
rundem  Loch  in  der  Mitte;  als  sie  abgehoben  wurde,  öffnete  sich  ein 
cylindrischer,  nach  oben  sich  mehr  verjüngender  Raum,  rings  um- 
mauert, aber  nicht  cementirt,  der  etwa  2  M.  tief  ausgeräumt  ist.  An- 
tike Scherben  und  Thierknochen,  besonders  von  Schafen,  Zi^en,  aber 
auch  Wildschweinen  fanden  sich  darin.  Man  kam  auf  Kiesboden,  auf 
dem  auch  die  Mauern  aufstehen.  Der  Gedanke  an  einen  Brunnen  oder 
eine  Zisterne  musste  bei  dieser  Beschaffenheit  bald  aufg^eben  werden, 
ebensowenig  hat  es  einen  Sinn,  eine  Senkgrube  mit  verwesenden 
Stoffen  in  der  Mitte  des  Hauses  anzunehmen.  Immer  wieder  wird  man 
zu  der  Annahme  gedrängt,  hier  unter  diesem  schweren  deckenden 
Stein  einen  Vorrathsraum  für  Gegenstände,  die  länger  aufgehoben 
werden,  zu  denken,  im  römischen  Sinn  an  eine  cella  vinaria,  condi- 
torium,  thesaurus,  deien  uns  einzelne  mit  einem  grossen  Steine  zu- 
gedeckt (sazum  ingens  quo  operitur  Liv.  39,  50)  ausdrücklich  be- 
zeugt werden. 

Der  Süden  zeigt  sehr  viele  solcher  Räume,  oft  in  den  lebendigen 
Felsen  eingehauen,  oder  ausgemauert  oder  eingesenkt,  aus  riesengrossen 
Thongefässen  bestehend.  Einer  anderen  Vermuthung,  die  uns  ausge- 
sprochen wurde,  es  sei  eine  Vorrichtung,  um  den  Stecken  fttr  die 
Töpferschdbe  möglichst  fest  zu  stellen,  ist  gerade  von  erfahrenen 
Töpfom  widersprochen  worden. 

Das  zweite  aufgedeckte  Souterrain  ist  noch  um  einen  halben 
Meter  länger,  auch  etwas  tiefer  als  das  erste,  hat  fünf  solcher  ge- 
wölbten Mauernischen,  von  denen  der  gewölbte  Bogen  der  einen  noch 
ganz  erhalten  ist  Der  Eingang  ist  hier  ebenfalls  ganz  von  Norden, 
die  Lichtöffnung  liegt  dagegen  nach  Süden,  die  Nischen  je  zwei  auf 
der  Ost-  und  Westseite  und  eine  auf  der  Nordseite  neben  dem  Ein- 
gang. Ein  solcher  tiefer  Rundraum  in  Mitten  hat  sich  hier  nicht  ge- 
funden, trotz  tieferer  Nachsuchungen.  Vollkommen  übereinstimmend 
ist  hier  die  Masse  der  den  Raum  füllenden  Mauersteine  und  römischen 
Ziegel  des  Oberbaues;  Reste  verkohlten  Holzes  sind  hier  wie  bei  dem 


Römiscbe  Altorthümer  in  Heidelberg.  16 

andern  gefunden.  Besonderes  Interesse  erweckt  aber  eine  grosse  Thon» 
platte,  zum  Fussboden  gehörig,  in  Rauten  durch  Vertiefungen  gerieselt 
mit  Resten  der  blaugrauen  und  rothgelben  Färbung.  Zu  einem  mo- 
saikartigen Fußboden  (opus  alexandrinum)  müssen  wir  noch  zwei  Rund- 
steine, auf  der  Rückseite  mit  Cementmasse  verbunden,  rechnen,  deren 
Oberfläche  radformig  mit  zwölf  Strahlen  gegliedert  ist,  auch  hier  wech- 
selt die  Bemalung,  und  zwar  zwischen  Roth  und  Gelb. 

Soeben  i^t  nördlich,  aber  unmittelbar  neben  jener  schräg  durch 
das  Terrain  streichenden,  in  konvexer  Profilirting  mit  dem  Steinpflaster 
und  Eiesschicht  etwa  25  F.  breit  gebildeten  römischen  Strasse,  welche 
in  ziemlicher  Breite  hier  abgetragen  wird,  eine  weitere  viereckige,  noch 
grössere  Hausstätte  gefunden,  die  in  den  nächsten  Tagen  der  Aus- 
grabung harrt. 

Deutlich  verfolgt  man  weithin  an  dem  Rande  der  tieferen  neuen 
Strassenanlage  die  Grenze  der  römischen  Bauten  in  den  Erdmassen, 
einzelne  Aschenmassen,  dann  Scherbenmassen  treten  dabei  immer  neu 
zu  Tage,  ja  in 'neuester  Zeit  ein  starker  Cementguss-Boden  auf 
kleineren  Sandstein-Massen  als  Unterlage. 

Unter  der  Masse  der  zu  Tage  getretenen  Thonfabrikate  nehmen 
vor  Allem  diejenigen  ein  Interesse  in  Anspruch,  welche  zugleich  durch 
Inschriften  uns  antike  Persönlichkeiten  des  Fabrikanten  oder  des  Be- 
sitzers oder  der  leitenden  Autorität  vergegenwärtigen.  Es  ist  eine  be- 
merkenswerthe  Thatsache,  dass  noch  kein  einziger  Ziegel  mit  Legions- 
stempel zu  Tage  getreten  ist,  wie  solche  jenseit  des  Neckar  in  Neuen- 
hdm  massenweise  sich  zeigen.  Unter  den  Gefässinschriften  unterscheiden 
sich  die  zierlichen,  festgeformten  Stempelinschriften  und  jene  Inschriften 
ans  freier,  oft  recht  ungeschickter  Hand  quer  über  dem  Bauch  grosser  Ge- 
fässe  angebracht,  eingeritzt,  jene  gehören  durchaus  den  feinen  Gefässen  des 
glänzenden  rothen  Thones,  diese  grauweissen,  sehr  starken  (0,3—0,5  M. 
dicken),  nngefimissten  grossen  Bauchgefässen  für  Wein,  Wasser  u.  dgl. 
So  lernen  wir  einen  MEBBICVS  zweimal  kennen  i),  so  einen  ALIBLETVS 
(ob  Alibiccus?),  so  einen  PLACIDVS,  endlich  trägt  eine  trefflich  geformte, 
im  Feuer  gebräunte,  in  zwei  Theile  gesprungen^  grosse  flache  Schale 
die  Inschrift  lANVARIVS  F  (Januarius  fecit).  Natürlich  haben  diese 
Fabrikanten  nicht  überwiegend  hier  gewohnt,  sondern  es  befanden  sich 


1)  Zu  Mcddlons  (BB)  s.  Bocker,  Inschr.-IJeberrcBte  der  keltischen  Sprache 
in  Beiträge  von  Kahn  u.  Schleicher  III,  2  ff.  Berlin  1868,  in  diesen  Jahrbüchern 
LIV,  S.  812. 


16  Römisohe  Alterthamer  in  Heidelbwg. 

in  und  bei  der  Töpferei  auch  Geschirre  anderer  Fabrikanten,  dieselben 
Namen  kommen  oft  weithin  vor  am  Rhein.  Von  der  andern  Gattung 
der  Inschriften  besitzen  wir  jetzt  eine  ziemlich  umfangreiche  und  zwei 
Fragmente;  jene  befindet  sich  auf  einem  Bruchstack  eines  weiten  be- 
trächtlich grossen  breit  gedrückten  Gefässes  aus  mattgeblich  grauen 
gebrannten  Thonc  von  0,02  m.  Dicke;  die  Buchstaben  sind  0,03—0,05  m. 
hoch.    Erhalten  ist  folgendes: 

aCENVI 
VBRNAICI 

Die  Ergänzung  des  ersten  Namens  zu  Ingenui  hat  nicht  die  ge- 
ringste Schwierigkeit,  um  so  mehr  die  des  zweiten  Namens.  Meine 
Herrn  (Kollegen  Prof.  Zangenmeister  und  Wachsmuth,  welche 
überhaupt  far  die  ganzen  Ausgrabungen  sich  lebhaftest  interessirten 
und  bemühten,  lesen  Gubematoris;  ich  kann  mich  nicht  damit  einver- 
standen erklären,  da  der  obere  Querstrich  zum  T  mir  nicht  erkennbar 
ist,  man  wird  an  ein  ubciifaici  vielleicht  (g)uben]ai  ofCficina)  gewiesen. 
Indem  ich  auf  ein  näheres  Eingehen  auf  alle  Möglichkeiten  des  Namens, 
um  die  sich  auch  Herr  C.  Christ  eifrigst  bemüht  hat,  dessen  Thätig- 
keit  in  dieser  ganzen  Angelegenheit  dankbar  zu  gedenken  ich  gern  die 
Gelegenheit  ergreife,  und  auf  die  Beantwortung  der  weitem  Frage  ver- 
zichte, ob  hier  der  Verfertiger  oder  der  Besitzer,  wie  dies  Zangen- 
meister aus  dem  Beispiel  bei  Bruzza,  Inscript.  Vercell.  p.  192  wo 
solche  Grafitinschrift  neben  dem  Stempel  erscheint,  sehr  wahrscheinlich 
macht,  zu  verstehen  sei,  bemerke  nur,  dass  andere  solche  Grafiti  im 
Verlaufe  der  weiteren  Ausgrabungen  zu  Tage  traten,  wovon  in  einem 
spätem  Bericht  zu  handeln  ist.  Das  zweite  erhaltene  Fragment  eines 
bauchigen  Gefässes  mit  Hcnkelansatz  und  Halstheil,  das  aber  etwas 
anders  röthlicher  gefärbt  ist,  im  Bruch  dunkeler  und  eine  Dicke  von 
0,025  hat,  zeigt  den  Buchstaben  M  also  M.  Ein  drittes  Fragment  in 
Dreieckform  mit  besonders  tief  eingeschnittenen  Buchstaben  hat  Vi, 
möglicherweise  das  Ende  auch  von  Ingenui. 

Zu  diesen  schriftlichen  Zeugnissen  auf  Thon  kommen  nun  auch 
mehr  und  mehr  einzelne  Münzfunde  hinzu.  Neben  dem  zweiten  Ofen 
ward  eine  trefflich  erhaltene  Bronzemünze  des  Kaisers  Hadrian 
(Mittelgrösse)  gefunden,  mit  der  Umschrift  IIADRIANVS  AVG  und 
auf  dem  Revers  COS  III  sowie  S.  C.  Eine  Salus  (Göttin  des  Heils) 
sitzt  auf  einem  Thron  und  reicht  die  Schale  der  von  einem  run- 
den Altar  sich  erhebenden  Schlange.   Die  Münze,  in  die  Jahre  zwischen 


Römisol^e  Alterth&mer  in  Heidelberg.  17 

120—127  n.  Chr.  fallend,  entspricht  ganz  der  von  CJohen  in  seinem 
grossen  Münzwerk  der  Münzen  der  Kaiserzeit  II.  p.  191  n.  731  be- 
schriebenen. Gleichzeitig  wurden  mir  auch  die  bereits  früher  von  der 
Stadt- Baubehörde  gefundenen  und  aufbewahrten  Münzen  mitgetheilt, 
die  bei  den  römischen  Hausfluren  gnnz  in  der  Nähe  am  Neckar  ge- 
funden wurden;  zwei  sind  römisch,  eine  ist  eine  frühmittelalterliche 
Silberbracteate.  Unter  jenen  ist  eine  Bronzemünze  des  Trajan  aus 
seinem  vierten  Konsalat  mit  einer  ein  Votivschild  vor  sich  haltenden 
Viktoria  leicht  bestimmbar,  jedoch  ist  aus  dem  zweiten  Konsulat  und 
der  Designation  zum  dritten  des  Kaisers  bisher  nur  eine  mit  solcher 
Darstellung  bekannt  (Cohen  Medailles  imperial  II.  p.  53  n.  325).  So 
eben  wurden  zwei  weitere  Münzen  des  Trajan  gefunden,  von  denen  die 
eine  dieselbe  Dai*stellung  mit  dem  dritten  Konsulat  aufweist,  die  andere 
in  ihrem  Revers  ganz  unkennbar  ist.  So  reihen  sich  in  glücklichster 
Weise  die  Zeiten  der  drei  bezeugten  Kaiser  Domitian,  Trajan,  Hadrian 
eng  an  einander  (81—138  nach  Chr.). 

Waren  bei  unserem  ersten  Berichte  Metallsachen  kaum  zu  ver- 
zeichnen, so  ist  dies  jetzt  reichlicher  möglich.  Wir  haben  jetzt  Gefässrän- 
der,  Instrumente,  kurze,  dolchartige  Schwerter,  ein  kleines  Gefass,  grosse 
Nägel,  einen  römischen  grossen  Schlüssel.  Früher  hat  man  bei  dem  nahen 
Strassenbau  am  Neckar  in  einer  Haasstätte  eines  jener  merkwürdigen 
rhombischen  Eisen  stücke,  4,6  Kilogramm  schwer,  gefunden,  zu 
welchen  bereits  in  früheren  Jahren  ein  Gegenstück,  welches  auf  dem 
weiteren  Gebiete  dieser  Römerstätte  sich  fand,  nachzuweisen  ist^). 
Ivlumpen  verglaster  Schlacke  mit  Kupfertheilcn  traten  in  letzter  Zeit 
zu  Tage.  Von  Gläsern  sind  kleine  Fragmente,  besonders  auch  mit 
bunten,  eingeschmolzenen  Glasfäden  gefunden  worden. 

Vergessen  wir  endlich  auch  nicht  des  interessanten  Fundes  in 
jenem  Haussoutervain,  eines  Gefäses  mit  verkohlten  Erbsen,   welche 


1)  Solche  rhomboidale  Eisenstücke  sind  in  neuster  Zeit  erst  eingehender 
ge^vQrdigt  worden,  besonders  vonFerd.  Keller  im  Anzeiger  f.  Schweizer  Gesch. 
und  Alterthumskunde  1858.  S.  88  ff ,  dann  von  H.  Genthe,  lieber  den  etnisk. 
Tanschhandel  nach  dem  Norden  S.  80,  zuletzt  von  Dr.  Lndw.  Beck,  Beiträge 
Eur  Geschichte  der  Eisenindustrie,  Annalen  nassauisoh.  Alterthumskunde.  XIV,  2. 
Wiesbaden  1677,  S.  817—830.  Taf.  VI,  1  ff.  wo  lang  gezogene  rhombische  Formen, 
(Yogelform)  abgebildet  sind.  Sie  bestehen  aus  gutem  Schmiedeeisen,  wurden 
meist  in  grösserer  Zahl  zusammen  gefunden  und  haben  meist  12  Pfund  =  6 
Kilogpramm  Gewicht,  schwanken  aber  zwischen  10  und  15  Pfund.  Vgl.  Jahrb.  LIX, 
S.  183. 

2 


18  Römiache  Alterthümer  in  Heidelberg. 

die  Untersuchung  des  Hrn.  Prof.  Pfitzer  als  Kichererbse,  diese  acht 
römische  Hülsenfrucht,  erwiesen  hat. 

.So  belebt  sich  immer  mehr  das  todte  Gestein,  der  yergcssene 
Schutt  vergangener  Jahrhunderte  und  es  steigt  ein  römisches  Kultur- 
leben, eine  Stätte  friedlichen  Gewerbefleisses  neben  der  römischen  Mi- 
litärstation am  militärisch  wichtigen  Eingang  der  engen  Gebii^schlucht 
des  Neckarthaies  in  den  verschiedenartigen  Thätigkeiten  aus  dem  2. 
Jahrhundert  nach  Chr.  vor  unserem  geistigen  Auge  empor.  Neue  Funde 
kündigen  sich  uns  soeben  an,  die  weiter  locken.  Immer  mehr  gewinnt 
das  einzelne  Interesse  unter  dem  bereits  Gewonnenen  und  die  Hoffnung 
wächst  immer  neu,  über  das  Ganze  der  Anlage  Licht  verbreitet  zu  sehen  *)• 
Heidelberg,  Mai  1877.    Neu  durchgesehen  Anfang  1878. 

Stark. 

n. 

Inschriften. 

Bei  Anlage  der  „Thibautstrasse"  des  neuen  Weges  zwischen  den 
Neubauten  des  akademischen  Krankenhauses  und  der  Irrenanstalt  fand 
man  ausser  den  vorbeschriebenen  Töpfer-Oefen  auch  die  Ueberreste 
mehrerer  kleiner  Wohngebäude  aus  rothem  Sandstein,  welche,  wie 
die  gcsammte  Fundstätte  zu  jener  römischen  Militär-Station  gehören, 
auf  deren  Terrain  später  das  Dorf  Bergheim  entstand.  Im  Mittelalter 
ist  dasselbe  aufgehoben  und  mit  Heidelberg  verbunden  worden. 

Eine  Beschreibung  der  gefundenen  Baulichkeiten  liegt  ausser 
unserer  Absicht  und  wir  beschränken  uns  auf  die  Mittheilung  in- 
schriftlicher Funde. 

Der  hervorragendste  derselben  ist  nun  der  eines  römischen  Votiv- 
altärcheos,  dicht  am  Neckar  innerhalb  eines  der  oben  erwähnten  Sou- 
terrains (am  7.  Mai  1877)  ausgegraben,  dabei  aber  leider  von  den  Arbeitern 
ein  wenig  beschädigt. 

Dieses  Haus- Altärchen  besteht  aus  rothem  Sandstein  der  hiesigen 
Gegend,  hat  eine  Höhe  von  0,80,  bei  einer  Breite  von  0,40  Metern 
und  eine  omamentirte  Krönung,  auf  deren  oberster  Fläche  inmitten 
von  WüKsten  eine  flachrunde  Höhlung  zu  Libationen  angebracht  ist. 
Die  columna  selbst  ist  nicht  mehr  vorhanden.    Sie  war  wohl  eine  frei 

1)  Der  Fortsetzung  dieser  Mittheilungen,  die  demnächst  folgen  wird,  soll 
zngleich  der  8itiiationsplan  der  (ranzon  Kundstätte  und  Abbildungen  einzelner 
wichtiger  Funde  1)eigegoben  worden. 


Röraüolie  Alterthfimer  in  Heidelberg.  19 

daneben  stehende  Bildsäule  des  Juppiters;  (bei  Orelli  1313  wird  z.  B. 
eine  columna  erwähnt).  Die  Inschrift  aber  ist  grösstentheils  noch  er- 
halten, das  Fehlende  leicht  zu  ergänzen  und  hier  mit  Klammem 
eingeschlossen.    Sie  lautet: 

lOM 
ARAM  •  ET   CO 
LVMNAM 

PRO-SE-ET  (suis) 
5  C  •  VEREIVS  •  (clo) 
MENS  •  MILES 

LECVillAVC- 
BCOS-V-S- LL-M 

was  also  zu  lesen  ist:  „Jovi  optimo  maximo  aram  et  columnam  pro 
se  et  suis  Caius  Vereins  Clemens  miles  legionis  VIII  augustae,  be- 
neficiarius  consalaris  votum  solvit  laetus  lubens  merito". 

Wir  haben  es  mithin  mit  einem  von  einem  Soldaten  der  achten 
Legion,  wahrscheinlich  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  unserer 
Zeitrechnung,  gesetzten  Votivstein  zu  thun.  f 

Wenigstens  glauben  wir  dies  aus  dem  Fehlen  späterer  Beinamen 
dieser  Legion  schliessen  zu  dürfen  unter  Verweisung  auf  einen  ähn- 
lichen Votivaltar  eines  Centurio  dieser  Legion,  gefunden  im  Odenwalde 
und  aufbewahrt  zu  Mannheim  (Brambach  G.I.Rh.  1391  und  Hang, 
„die  römischen  Denksteine  zu  Mannheim"  Nr.  22). 

Die  achte  Legion  stand  übrigens  vom  Jahr  70  bis  lange  ins 
dritte  Jahrhundert  in  Ober-Germanien  und  hatte  .ihr  Hauptquartier 
zu  Strassburg. 

In  unserer  ersten  Mittheilung  der  Inschrift  in  der  Augsb.  Allgem. 
Ztg.  Beilage  Nr.  132  v.  J.  ISV?  und  demnach  im  Correspondenzblatt  des 
Gesammtvereins  etc.  1877  no.6  war  die  Vermuthung  ausgesprochen  wor- 
den, man  könne  vielleicht  statt  VEREIVS  lesen:  VERNIVS  (mit  umge- 
drehtem V\)>  wie  z.B.  beiWilmanns  Nr.  2851  ein  Vernus  vorkommt. 
AUein  der  betreffende  Buchstabe  fallt  in  eine  blos  zufällige  Verletzung 
des  Steins  und  war  weder  ein  VA  noch  ein  T,  sondern  ein  bloses  £. 
Der  widmende  Soldat  der  VIU.  Legion,  der  also  Vereins  Clemens 
hiess,  war  Grefreiter,  beneficiarius  des  C!onsularlegaten  (consularis) 
und  genoss  als  solcher  nicht  nur  Befreiung  von  den  hartem  Arbeiten  des 
aktiven  Dienstes,  sondern  fand  auch  in  Folge  dieser  bessern  Stellung  im 


20  RSmitohe  Alterthflmer  in  Heidelberg. 

Ilccrc,  ohne  eigentlich  beamtete  Peraon  zu  sein,  tine  zeitweilige  Ver- 
wendung bei  wichtigen  Aufträgen  und  VerwiiHungsangelegenheiten. 

Der  Stein  befindet  sich  im  Archäologischen  Institut  zu  Heidelberg. 

Min  weiterer  bisher  bei  uns  selbst  aufbewahrter  Inschriftstein  be- 
(Indi^t  Mich  Jetzt  ebenfalls  am  genannten  Orte  *).  Es  ist  ein  0,76  m. 
hohnr,  oben  (),r>5  ni.  breiter  und  0,40  m.  dicker  Neptuns- Altar  mit  fol- 
gender Inschrift: 

IN    HDD 


NEPTVNO 
iEDEM  •  CVM 
SICNO   VAL- 
5  PATERNVS  • 
ARC  •  ET  AELI 
VS  •  MACER  •  EX 
VOTO  •  FEC  • 

Die  letzte  Zeile  ist  mit  kleineren  Buchstaben  geschrieben,  die 
schwierig  zu  erkennen  sind. 

Der  Fundort  des  Neptunsteines  ist  der  Thalweg  des  Neckars 
zwischen  der  jetzigen  Thibautstrasse  und  den  gegenüber  auf  dem 
rechten  Ufer,  unterhalb  Neuenheim  sich  hinziehenden  Gärten. 

Die  Neckartiefe  ist  in  dieser  Gegend  eine  sehr  geringe,  so  dass  der 
Fluss  im  Sommer  mit  leichter  Mühe  durchwatet  werden  kann.  Die 
ganze  dortige  Neckarstrecke  ftthrt  den  Namen  »die  Aul«,  so  genannt 
von  einem  früher  dort  befindlichen,  jetzt  aus  dem  Fluss  entfernten  topf- 
artigem Steine.  (Das  alte  Wort  Aul  (altdeutsch  üla)  mit  der  Bedeutung 
»Topf«  ist  dialektisch  noch  vorhanden  und  ist  dem  latein.  olla  entlehnt.) 
So  heisst  z.  B.  ein  noch  vorhandener  Stein  beim  sog.  Wehrkopf  oberhalb 
der  Bergheimer  Mühle  aus  dem  Wasser  ragend  und  mit  einer  natür- 
lichen kesselartigen  Vertiefung  versehen  »Kesselstein«. 

Noch  weiter  oberhalb  ging  nun  die  jedenfalls  hölzerne  römische 
Brücke  über  den  Neckar,  wie  die  von  uns  schon  vor  vielen  Jahren 
im  Neckar  mit  dem  Neptunsstein  entdeckten  eichenen  Hoste  beweisen, 
deren  Entfernung  von  einander  genau  36  Schritt  beträgt,  so  dass  der 
Strombreite  nach  genau  sechs  solcher  Roste  im  Wasser  vorhanden  ge- 


1)  Vergl.  unsere  Mittheilangen  Augsb.  Allgem.  Zoiig.  Beilage  No.  145.  1877; 
Heidelberger  Zeitung  vom  ersten  Juni  1877,  No.  126;  Heidelberger  Familion- 
bl&tter  No.  46  n.  47. 


Römiache  Alterthfimer  in  Heidelberg.  21 

Wesen  sein  mfissen.  Hierzu  kommt  dann  noch  auf  jeder  Seite  ein  stei- 
nernes Widerlager,  von  dem  aber  nur  noch  auf  Neucnheimer  Seite 
die  Ueberrcste  gefunden,  aber  schon  im  Jahre  1812  bei  Anlage  des 
Neckartaluts  herausgebrochen  worden  sind. 

Es  waren  also  im  Ganzen  6  Strompfeiler,  zwei  steinerne  Wider- 
halte an  den  Ufern  und  daher  7  Oefifnungen.  Der  dem  Neucnheimer 
Ufer  zunächst  gelegene  Flusspfeiler  liegt  im  Winkel  zwischen  dem  Lein- 
pfad und  einer  Traverse  und  ist  in  Folge  dieser  Wasserbauten  jetzt 
verlandet. 

Diese  Pfahlbrticke  vermittelte  nun  den  Verkehr  zwischen  den  auf 
beiden  Ufern  gelegenen  römischen  Niederlassungen  an  einem  Punkte, 
wo  einerseits  die  römische  Landstrassc  von  Spcier  ausmündete,  ander- 
seits diejenige  auf  dem  gegenüberliegenden  rechten  Ufer  nach 
Ladenburg  abbog.  An  der  Stelle  wo  beide  schnurgerade  Strassen 
im  rechten  Winkel  am  Neckar  auf  einander  zu  stossen  kamen, 
war  eben  die  Verbindung  der  beiden  Ufer  und  Strassen  durch 
eine  stehende  Brücke  hergestellt,  die  dadurch  noch  an  Bedeutung 
gewinnt,  dass  bei  ihr  (und  zwar  am  linken  Ufer)  auch  die  Meilen- 
steine aufgestellt  waren*). 

Ganz  genau  wird  die  Lage  des  römischen  Uebergangcs  durch 
eine  Linie  bezeichnet,  welche  man  von  dem  Desinfektionshause  des 
Spitals  hinübergezogen  denkt  bis  zu  dem  unterhalb  Neuenheim  ge- 
legenen Hause  des  Schneidermeisters  Geiz.  Der  dortige  Brückenbogen 
lag  an  einer  etwas  tiefern  Wasserstelle,  dem  sog.  Tflmpfel,  und 
ist  jetzt  wie  gesagt  abgeschnitten  durch  Leinpfad  und  Querdamm. 
Mitten  auf  dieser  Brücke  war  nun  zu  Römerzeiten  der  Neptunsstein 
in  einer  Art  von  Capelle  (aedes)  errichtet,  in  derselben  Art  wie  auf 
späteren  christlichen  Brücken  ein  Nepomuk  stand  um  den  Hinüber- 
gehenden zum  Schutze  zu  dienen.  Bei  der  Zerstörung  der  Brücke 
stürzte  der  Stein  ins  Strombett  und  blieb  dort  dicht  hinter  dem 
mittelsten  Pfeiler,  im  Schiffwege  liegen,  bis  er  in  neuerer  Zeit  mittelst 


1}  In  Folge  dieser  unserer  früheren  Angaben  in  Bezug  auf  die  römische 
Brücke  beantragte  der  Landesconservator  Herr  Oberschnlrath  Wagner  bei  der 
Regierung  die  systematische  Anfräumung  und  Yermessung  der  alten  Brücken- 
roste im  Neckar.  Dies  geschah  denn  auch  im  Herbst  1877  in  umfassendster  Weise 
unter  Leitung  des  Herrn  Ingenieur  H.  Bär,  der  seine  Resultate  in  einer  eigenen 
Schrift  bekannt  gemacht  hat,  welcher  wir  Betrachtungen  über  römischen  Brücken- 
baa  sowie  über  die  Neptunsateine  beigefügt  haben. 


22  Römische  Altcrthöiner  in  Ileidelberg. 

Bagger-Maschine  von  Seiten  der  Wasser-  und  Strassenbau-Inspektion 
herausgehoben  wurde  ')• 

Solche  Neptunsheiligthümer  sind  ziemlich  selten  und  kommen  io 
den  Rheinischen  Gegenden  nur  wenige  da?on  vor.  Ein  Neptunsbild  bei 
dem  römischen  Uebergang  von  Trennfurt  am  Main  nach  Klingenberg 
gefunden,  ist  leider  nicht  mehr  vorhanden.  Wenigstens  waren  alle 
unsere  Nachforschungen  danach  zu  Trennfurt  selbst,  wo  es  in  der  Kirche 
gewesen  sein  sollte,  vergeblich  (vergl.  auch  Steiner  »Maingebiet« 
S.  205).  Auch  zu  Hanau,  gleichfalls  am  Main,  war  ein  solches  Nep- 
tunsheiligthum  (Brambach  No.  1433).  Desgleichen  wurde  schon  im 
Jahre  1480  zu  Ettlingen  bei  Karlsruhe  ein  Neptunbildstein  mit  In- 
schrift von  der  ausgetretenen  Alb  an  das  Ufer  geworfen  und  nach  langer 
Irrfahrt  an  verschiedenen  Orten,  schliesslich  an  einem  ehrenvollen 
Platze  bei  der  Albbrücke  eingemauert  (Brambach  1678).  Ein  ganz 
identischer  Stein  fand  sicH*  auch  zu  Baden-Baden,  von  demselben  Mit- 
gliede  der  Schifferzunft  dem  Neptun  geweiht  (ib.  1668). 

(Aehnliche  Widmungen  von  Neptunsheiligthümern  kommen  auch 
vor  bei  Wilma nns  2325,  2373  und  2375.) 

Sonst  kommt  dieser  AVassergott  im  Rheingebict  nur  noch  in  den 
Niederlanden  und  bei  Oberwinter  vor  (vergl.  diese  Jahrbücher  LllI— IV 
S.  106,  wo  Scha  äff  hausen  ausführlich  über  ein  dort  gefundenes 
Neptunbild  handelt). 

Gehen  wir  nun  zu  unserm  Heidelberger  Neptunssteine  über,  so 
weihen  auf  demselben  zwei  Personen,  Valerius  Patemus,  den  wir,  ver- 
anlasst durch  den  Fundort,  für  den  Brückenbaumeister  (architectus) 
halten  (den  Pionier-  oder  Genietruppen  angehörig)  und  ein  gewisser 
Aelius  Macer,  dem  keine  Charge  beigefügt  ist,  dem  Neptun  eine  Ka- 
pelle mit  einer  Statue.  Die  Widmung  fand  Statt  zu  Ehren  des  kai- 
serlichen Hauses  nach  einem  gethanen  Gelübde  wahrscheinlich  schon 
vor  dem  Jahre  200  unserer  Zeitrechnung. 


1)  Der  Stein  bildet  die  Basis  zu  einer  Neptunsstatue,  die  sich  aber  nicht 
mehr  vorfand.  Allerdings  kam  noch  ein  Bildstein  aus  anderm  Material  in  der- 
selben Gegend  zum  Vorschein,  der  gerade  in  die  oberste  Fläche  der  genannten 
Basis  hineinpasst  und  mit  Recht  jetzt  auch  im  archäologischen  Cabinet  darauf  ge- 
stellt ist.  Leider  ist  aber  nur  der  unterste  Theil  dieses  Bildes  vorhanden,  und 
zwar  scheint  der  darauf  befindliche  nackte  Fuss  eher  einer  weiblichen  Figur 
anzugehören,  vielleicht  aber  auch  einem  Genius,  der  in  dem  Neptunsheiligthum 
aufgestellt  war.  Stark  nimmt  ihn  für  Neptun,  das  anscheinende,  tief  herabhän- 
gende Gowandstück  für  den  Rest  eines  Delphins. 


Bömisohe  Alierthümer  io  Heidelberg.  23 

Die  einzige  Schwierigkeit  bietet  die  Abkürzung  ARC,  die  auch 
auf  andere  Art  erklärt  werden  könnte.  Anlässlich  einer  englischen  In- 
schrift erklärt  Bergk  dieselbe  in  diesen  Jahrbüchern  LVII  S.  29 
durch  AR(moruin)  C(ustos),  eine  Charge,  über  welche  jüngst  Freuden- 
berg (ebenda  S.  76)  gehandelt  hat  (Auch  bei  Wilmanns  II  p.  596 
sind  Verschiedene  Beispiele  derselben  zusammgestellt.)  Da  aber  jene 
Sigle  ARG'  auf  unserer  Inschrift  eine  von  den  folgenden  Worten  deut- 
lich durch  einen  Punkt  getrennte  Gruppe  von  Buchstaben  bildet,  so 
kann  dieselbe  hier  nur  ein  einziges  Wort  ausdrücken,  sonst  müsste  doch 
wohl  AR-  G'  getrennt  sein,  was  aber  durchaus  nicht  der  Fall  ist. 

Auph  bei  jener  englichen  Inschrift  scheint  nun  aber  die  gleiche 
Funktion  eines  architectus  vorzuliegen,  denn  in  dem  dortigen  ARCX. 
ist  X  vielleicht  griechisch  für  GH,  so  dass  also  hier  ARCCH)itectus)  ge- 
schrieben wäre. 

Das  Material  unseres  Steines  ist  rothö(« Sandstein  aus  hiesiger 
Gegend,  der  aber  durch  das  lange  Liegen  im  Wasser  ein  etwas  ver- 
ändertes Aeussere  und  bedeutende  Härte  erlangt  hat.  Auf  seiner  ober- 
sten Fläche  ist  der  Stein  platt,  hat  aber  ringsherum  einen  Rand,  in 
welchem  man  noch  die  Spuren  der  Befestigung  des  ehemals  darauf  ge- 
stellten Neptunsbildes  sieht.  Die  Seiten  des  Altars  enthalten  weder 
irgend  ein  Symbol  des  Neptun  (dessen  gewöhnliches  Abzeichen  der 
Dreizack  ist),  noch  die  sonst  üblichen  Opfergeiilthe;  sie  sind  vielmehr 
ganz  glatt. 

Die  Inschrift  ist  stark  verwittert,  so  dass  sie  nicht  überall  gleich 
deutlich  erscheint  Die  Schriftzüge  sind  indessen  von  gutem  Typus, 
wie  sie  zu  der,  freilich  nicht  mehr  genau  zu  bestimmenden  Zeit  der 
Abfassung  der  Inschrift  noch  allgemein  üblich  waren.  Die  Form 
EDES  für  ^DES,  die  vielleicht  anzunehmen  ist,  wäre  vulgäre  Schrei- 
bung, allein  sie  ist  nicht  sicher,  da  der  Stein  an  dieser  Stelle  etwas 
verletzt  ist 

Die  vielfachen  Schwierigkeiten,  welche  sich  der  Erklärung  der 
Sigle  ARC  und  der  richtigen  Deutung  dieser  Abkürzung  entgegen- 
stellen, veranlassten  uns  schon  bei  unserer  ersten  Mittheilung 
der  Neptunsinschrift  noch  einige  andere  Versuche  sie  zn  erklären 
aufzustellen.  In  dieser  Hinsicht  konnten  wir  aber  (in  der  Augs- 
burger Allg.  Zeitung  Ende  Mai  1877,  Beilage)  kaum  die  Frage  er- 
heben, ob  dieselbe  nicht  ARG.  laute,  was  (faber)  argentarius  bedeuten 
würde  und  oft  in  dieser  Weise  auf  Inschriften  abgekürzt  erscheint, 
wo  es  in  der  Regel  einen  Silberarbeiter  bezeichnet    Es  war  das  ein 


24  Bömisohc  Altcrthümer  in  Heidelberg. 

Privatgeschäft,  zumeist  von  Freigelassenen  ausgeübt,  das  übrigens  auch 
als  collegialisches  Amt  bekannt  war,  s.  Wilmanns  no.  988,  no.  1727 
und  II,  p.  645.  Da  die  Silber-  und  Goldschmiede  auch  zugleich  Handel 
mit  edlem  Metalle  trieben,  so  wurde  argentarius  in  späteren  Zeiten 
indessen  gewöhnlieh  ein  Banquier  genannt 

Da  aber  die  L^ung  ABC.  doch  zu  deutlich  ist,  so  wird  mall  also 
bei  einer  der  anderen  vorgeschlagenen  Erklärungen  bleiben  masseu, 
als  deren  wahrscheinlichste  wir  architectus  unter  Berücksichtigung  des 
Fundorts  und  anderer  Umstände  aufgestellt  hatten.  In  analoger  Weise 
wird  z.  B.  archimimus  bei  Wilmanns  exempla  inscr.  no.  1501  ebenfalls 
abgekürzt  durch  ARG;  architectus  ebenda  1563  durch  AKGITEGT. 
gegeben,  desgl.  728  *).  Dagegen  ist  kein  sicheres  Beispiel  zu  finden, 
worin  ARG  wirklich  Abkürzung  für' architectus  wäre,  wohl  aber  kommt 
dieselbe  für  ein  anderes  Amt  vor,  was  wir  denn  auch  gleich  zu  Anfang 
(Heidelberger  Zeitung  volh  1.  Juni  1877  und  in  der  Beilage  dazu  »Fa- 
milienblätter« No.  47)  ausgesprochen  haben. 

-Es  ist  dies  nun  der  Vorstand  irgend  einer  arca  (avka),  ein  arca- 
rius,  oder  wie  er  vielfach  auch  geschrieben  wird  arkarius,  in  der  Regel 
durch  ARK.  gekürzt,  was  indessen  ebensowenig  ernstlich  gegen  diese 
von  uns  in  zweiter  Linie  vorgeschlagene  Lesung  sprechen  kann,  wie  der 
Umstand,  dass  kein  weiteres  rheinisches  Beispiel  dieser  Art  vorliegt. 

Ganz  in  unserer  Nähe,  zu  Ladenburg,  findet  sich  nämlich  auf 
einem  römischen  Grabstein  ein  ähnliches  Amt  belegt,  d.  h.  dasjenige 
eines  dispcnsator,  worunter  ein  Kriegscassier  oder  Stcuerbeamter  zu 
verstehen  ist.  Wie  die  Dispensatores  überhaupt  keine  Soldaten,  son- 
dern Sclaven  waren  (vgl.  Wilmanns  II  p.  646),  so  war  auch  derjenige, 
welcher  dieses  Amt  zu  Ladenburg  bekleidete,  ein  Sciave  Namens  Eu- 
tyclias,  welcher  dem  Paris,  seinem  verstorbenen  Stellvertreter  (vicarius, 


1)  Wirkliche  Bräckenbauineiiiter  sind  bei  Wilmanns  No-  804  und  2144 
genannt,  der  überhaupt  II  p.  645  noch  mehrere  solcher  Privatingenieure  au£führt, 
die  indessen  allerdings  selten  erwähnt  werden.  Abgebildet  ist  ein  solcher  auf 
einem  Ileidelbcrger  Grabstein  (Brambaoh  1710)  mit  Messwcrkzeugun  in  den  Händen, 
hone  dass  freilich  sein  Stand  inschriftlich  erwähnt  wäre.  Aber  nicht  allein  Archi- 
tockteu  civilen,  sondern  auch  militärischen  Characters  kommen  vielfach  vor,  wie 
J.  Becker  in  diesen  Jahrbüchern  LUI— IV  S.  146  und  in  seinem  Mainzer  Catalog 
No.  72  zeigt.  Man  wird  wohl  auch  in  unsei-m  Falle  an  einen  militärischen 
Architeckt  der  22.  Legion  zu  denken  haben,  die  so  lange  am  Mittelrhein  und  so 
auch  zu  Heidelberg  stationirt  war. 


Römiiche  Alterthümer  in  Heidelberg. 

abgekürzt  durch  VIK.  wie  arcarius  sonst  durch  ARK.)  einen  Grabstein 
setzte.  Derselbe  wurde  merkwürdiger  Weise  ebenfalls  im  Neckar  ge- 
funden. (Vergl.  Brambach  C.  I.  Rh.  no.  1712)  und  zwar  im  Jahre 
1845  beim  Brückenbau,  gegen  Neckarhausen  zu,  aber  nicht  auf  dem 
Unken  Ufer  (wie  die  bisherige  Angabe  lautete),  sondern  beim  rechten, 
auf  Ladenburger  Seite. 

Ganz  in  derselben  Weise  erscheint  nun  z.  B.  auf  einer  vcuctia- 
nischcn  Inschrift  ein  arcarius,  Namens  Philoxenus,  ein  Hausclave  der 
Kaiserlichen  Familie,  der  ebenfalls  seinem  verstorbenen  Sclaven  und 
A.mt"?gehülfen  (vicarius),  Ascanius  genannt,  einen  Denkstein  setzte.  Ue- 
berhaupt  kommt  der  »iservus  arcarius«  häufig  vor,  meistens  als  niederer 
Municipulbeamter,  soz.  B.  bei  Wilmanns  1833,  2762  c  und  d.  Eb^2nda 
no.  1^:30  erscheint  ein  publicus  Tusculanorum  arcarius;  no.  15(52  Volceia- 
norum  ARK.  u.  s.  w. 

Nimmt  man  nun  auch  für  unsern  Neptühsstein  diese  Erklärung 
nn,  dann  ist  wohl  auch  hier  ein  solches  kleineres  Municipalamt  gemeint, 
d.  h.  der  eine  der  beiden  Dedicircndcn  funktionirtc  als  Gemeindecassier 
des  leider  nicht  genannten  vicus  bei  Heidelberg,  welcher,  wie  die  ganze 
Umgegend  überhaupt,   zum  Muuicipalgebiete   von  Ladenburg   gehörte. 

Wäre  das  Amt  eines  arcarius  unter  den  Freigeborenen  nachweis- 
bar, so  würde  es  freilich  am  nächsten  liegen  Valerius  Pateruus,  der 
seinem  Namen  nach  römischer  Bürger  war,  für  einen  Militär  zu  nehmen. 

Die  arcarii  waren  nun  aber  in  der  Re^el  Sclaven'),  haben  Sclaven- 
namcn  und  entbehren  daher  des  Gcschlechtsnamens,  während  unser 
Valerius  Paternus  einen  solchen  fülirt.  Derselbe  war  also  entweder 
ein  Römer  oder  ein  Fremder,  der  durch  ein  Mitglied  der  gens  Valeria, 
das  römische  Bürgerrecht  erhalten  hatte  und  in  Folge  davon  den  Gen- 
tilnamen  desjenigen  annahm,  welcher  ihm  da/u  behülflicli  gewesen  war. 

Die  Vornamen  beider  Dedicanten  fehlen,  eine  gewöhnliche  Er- 
scheinung bei  Nichtrömeni. 

Die  arcarii  dagegen  waren,  wie  gesagt,  und  wie  dies  auch  Wil- 
manns anlüsslicli  einer  Inschrift  aus  Rom,  No.  365  von  denjenigen  des 
kaiserlichen  Hauses  bestätigt,  fast  immer  Sclaven. 

Der  an  dem  genannten  Orte  erwähnte  arcarius,  Namens  Sabiuus 
wird  zwar  Augusti  libertus  genannt,  jene  erstere  Würde  stammt  aber 
aus  der  Zeit  her,  als  er  noch  Sclave  war,  wenn  man  nämlich  annimmt, 


1)  üeLer  Sciavenaamcn  von  Künstlern  und  Ilandwerkem  im  Allgemoincn 
rergl.  WilmanuB  No.  2620.     Diese  Art  Namen  war  vielfach  griecbiflch. 


36  Römische  Alterthumer  in  Heidelberg. 

(lass  er  arcarius  der  Livia  gewesen  war.  Wahrscheinlich  bekleidete 
er  aber  dasselbe  Amt  erst  bei  dem  Collcgium  des  Golambariums  der 
Livia,  in  welches  er  eine  Urne  stiftete,  also  erst  nach  ihrem  Tode.  Im 
letzteren  Falle  war  er  freilich  Freigelassener  der  kaiserlichen  Familie 
zur  gleichen  Zeit,  wo  er  auch  arcarius  des  genannten  Collegs  war,  eine 
Würde,  die  hier  ungefähr  dasselbe  bedeutete,  wie  der  Quaestor  anderer 
GoUegien  >).  Eine  ganze  Rahe  solcher  collegialischen  Qu&storen  gibt 
Wilmanns  II,  p.  643.) 

Der  arcarius  eines  anderen  Collegiums,  P.  Tamudius  Venustas, 
bei  Wilmanns  No.  1488  (nota  21)  scheint  seinem  Namennach  in  der 
That  ein  Freigelassener  gewesen  zu  sein,  wenn  er  auch  nicht  ansdrOck- 
lich  als  solcher  bezeichnet  wird.  Die  Charge  desselben  ist  hier  aber 
durchaus  zweifelhaft,  indem  sie  lautet  DAR.ARCAR,  was  Renier  so 
erklären  möchte:  discens  a rationibus  arcarii  (?);  Wilmanns  dag^en: 
discens  armaturae,  arcarius  (seil,  cotlegii  Yeteranorum).  Indem  aber 
auf  derselben  Inschrift  (nota  12)  der  Ausdruck  ex  armatura  bei  einem 
Veteranen  in  etwas  anderer  Bedeutung  und  fast  ganz  ausgeschrieben 
vorkommt  (wie  auf  zwei  Mainzer  Inschriften,  wo  armatura  leg.  gleich- 
bedeutend  ist  mit  miles  vergl.  J.  Becker  in  diesen  Jahrbüchern 
LIII— LIV,  S.  147  Anmerk.)  so  ist  auch  die  letztere  Erklärung  nicht 
wahrscheinlich. 

Auch  unter  den  niedem  Magistratspersonen  (vgl.  bei  Wilmanng 
II  p.  569  die  officia  publica  civilia  minora)  finden  wir  arcarii.  So  den 
arkarius  provinciae  Africae,  einen  kaiserlichen  Haussciaven  Namens 
Antiochus  Lucconianus,  der,  was  bei  derlei  Sclaven  öfters  vorkommt, 
ausnahmsweise  zwei  Namen  trägt  (vergl.  Wilmanns  II  p.  405). 

Der  arkarius  stationis  Siscianae  (seil,  ferrariarum)  trägt  wieder 
einen  gewöhnlichen  Sciavennamen  Asclepiades.  Desgleichen  ein  weiterer 
niederer  Staatsbeamter,  Quintianus,  der,  ein  vcrna  Augusti,  als  vilicus 
et  arcarius  bezeichnet  wird.  Ebenso  waren  die  weitem,  bei  Wilmanns 
No.  1391  und  1395  erwähnten,  bei  einem  Collegium  thätigen  arkarii, 
Victor  und  Theopompus,  beide  Sclaven. 

Durchgängig  Sclaven  waren  auch  die  dispensatores ,  deren  Wil- 
manns II  p.  570  eine  ganze  Reihe  unter  seinen  niederen  Staatsbeamten 
aufzählt.  (Dass  sie  auch  desshalb  keine  Soldaten  sein  konnten,  be- 
stätigt derselbe  No.  1489  nota  3.) 

1)  Wilmaant  3G5  drückt  sich  wörtlich  so  aus:  «aut  cum  servos  etiamtum 
esset,  arcarius  fuerat  Liviae,  aut  arcarius  coUegii,  quod  mihi  magis  plaeet."  — 


Bömiflcbe  Alteiihümer  in  Heidelberg.  27 

Von  Wichtigkeit  für  uns  wegen  der  Aelinlichkcit  mit  dem  oben 
erwähnten  Ladenburger  Grabstein,  worauf  ein  Sciave  Eutychas  erscheint, 
ist  hierbei  No.  1355  (vergl.  auch  1356),  wo  einem  Sciaven  Entyches 
za  Born  ein  Grabstein  gewidmet  wird  von  einem  Mitsclaven  der  kaiser- 
lichen Familie,  Namens  Daphnus,  der  dispensator  fisci  castrensis  war. 
Ein  Sciave  Eutyches  als  Privat-Dispensator  kommt  ibid.  No.  145  vor. 
In  gleicher  Eigenschaft  ein  Freigelassener  L.  Junius,  Silani  libertus, 
Paris,  No.  1333.  Auch  kaiserliche  Privatschatzmeister  werden  erwähnt, 
wie  Fortunatus,  ib.  2762^  und  Aepolus  Galbianus,  kaiserlicher  Haus- 
sclave,  der  wieder  gegen  die  sonstige  Regel  zwei  Namen  trägt,  ib. 
2702.  Ebenso  ist  dies  der  Fall  bei  einem  Privat-ai'carius,  Namens 
Epaphröditus  Yginianus,  der  gleichfalls  als  kaiserlich  trajanischer  Haus- 
sclave  bezeichnet  wird  ib.  No.  2643,  vergl.  II  p,  405. 

Auch  die  municipalen  arkarii  sind  Sciaven,  so  Apronianus,  arkar. 
rei publicae  Aequicul.  (WilmannsNo.  84);  Albanus,  colonorum  coloniae 
Augustae  Aiexandrianae  Abellinatium  servus  arkarius;  desgleichen 
EttBUS,  coloniae  Beneventi  arkarius  (ib.  2762);  Moutanus,  popnli  Anti- 
natiom  Marsorum  servus  arcarius  (608).  Weiter  Liberalis  colonorum 
coloniae  Sipont.  servus  arckarius  (sict)  qui  et  ante  egit  rationem  ali- 
nientariam  sub  cura  praefectorum;  gewidmet  ist  die  betreffende  Inschrift 
seinem  Mitsclaven  Augurinus,  reipublicae  ^ervus  vcrna  mensor  (ib.  1833). 
Ferner  wird,  wie  schon  oben  gesagt  wurde,  einem  servus  publicus  mit 
dem  Doppelnamen  AntiochusAemilianus  (vergl.  desshalb  WilmannsII,' 
p.  405)  von  seinem  Mitsclaven  Primus,  einem  publicus  Tuscul.  arcarius 
ein  Denkinal  gesetzt  (ib.  No.  1330).  Endlich  trägt  auch  Nymphicus, 
als  arcarius  von  Volceji  ebenfalls  schon  erwähnt,  einen  Sclaven- 
namen. 

Aus  diesen  Beispielen  geht  zur  Genüge  hervor,  dass  sowohl  die 
dispensatores  wie  die  arkarii  fast  immer  Sciaven,  selten  Freigelassene 
waren.  Man  wird  daher  den  Heidelberger  Valerius  Patemus  arc.  auch 
nicht  blos  desshalb  als  Freigelassenen  betrachten  dürfen,  um  dadurch  die 
Lesung  arcarius  zu  erzwingen.  Auch  liegt  hier  natürlich  nicht  ein  ganz 
exceptionellerFall  vor,  den  Hcnzen  (und  nach  ihm  Wilma nns  No.  381, 
385a  u.  2644)  bei  einigen  kaiserlichen  Haussclaven  beschrieben  hat, 
dass  nämlich  die  bekannten  Beinamen  Patemus  und  Maternus  in  ge- 
wissen Fällen  als  Beiwort  eines  Amtes ,  wie  z.  B.  Epelys,  dispensator 
maternus  verwandt  sind,  um  bei  Sciaven  und  Freigelassenen  den  gegen- 
wärtigen oder  früheren  Herrn  in  ähnlicher  Weise  anzudeuten,  wie 
dies  sonst  die  agnomina  auf  -anus  thun. 


28 


Römische  Altertb&mer  id  Heidelberg. 


Was  nun  die  ho  häufigen  cog:noaiina  Patern us  und  Mat«rnus  an- 
betrifft, 80  sind  dieselben  nicht  nur  römi:^h,  sondern  auch  keltische 
Persoucnnaioen,  wie  dies  Franz  Stark  in  seinen  keltischen  Forschungen 
(enthalten  in  den  Wiener  Sitzungsberichten,  Jahrgang  1869,  Februar 
S.  262  und  Juli  S.  254)  nachgewiesen  hat. 

Wir  finden  deshalb  diese  Namen  auch  häufig  unter  den  rheini- 
schen Töpfeni,  die  gröastentheils  Gallier  waren.  — 

Wie  dem  nun  aber  auch  sei,  so  ergibt  sich  aus  dem  oben  Aus- 
geführten, dass  die  Sigle  ARC.  unserer  Heidelberger  Inschrift  nicht  wohl 
anders  als  architcctus  aufgelöst  werden  kann,  und  zwar  wäre  militäri- 
scher Charakter  desselben  anzunehmen,  denn  sonst  tritt  auch  hier 
wieder  der  Umstand  entgegen,  dass  Privat-Architecten  vielfach  Sclaven 
oder  doch  Freigelassene  sind. 

So  erscheint  zu  Pompeji  ein  Privatarchitekt  Namens  M.  Artorius 
M.  libertus  Primus  (Wilmanns  2557);  ein  anderer  zu  Tarracina  C.  Po- 
stuniius  C.  fiiius  Pollio  (ib.  2558).  Ein  A.Bruttius  A.  libertus  Secundus 
(ib.  2144)  ist  zu  Concordia  als  Privatingenieur  bei  einem  Brückenbau 
thätig.  Ein  anderer,  Namens  Hospes,  wird  anderwärts  ausdrücklich  als 
Sclave  einer  gewissen  Appia  bezeichnet;  er  schreibt  sich:  ARCITECTVS 
(ib»  727),  gerade  wie  ein  weiterer  Privatbaumeister,  L.  (3occeius, 
L.  C.  Postumi  libertus,  Auctua,  dessen  Name  ein  Beispiel  eines  Frei- 
gelassenen bietet,  der  einen  andern  Gcntilnamcn  führt  als  sein  Patron 
Claudius  Poötunuis  (ib.  728).  Bei  dieser  Gelegenheit  sagt  nun  Wil- 
manns, der  Werkmeister  (architectus),  der  ein  Gebäude  errichtete, 
würde  inschriftlich  selten  erwähnt.  Im  Allgemeinen  ist  dies  sicher  richtig. 

Ein  solcher  Künstler  (Lacer  mit  Namen)  nennt  sich  aber  doch 
auch,  freilich  ohne  ausdrückliche  Bezeichnung  als  architectus,  an  der 
Brücke  zu  Akäntara  in  Spanien,  und  zwar  ähnlich  wie  dies  auf  der 
Heidelberger  Brücke  der  Fall  war,  auf  einer  dabei  gelegenen  Capelle, 
deren  Krbauer  er  gleichfalls  war,  während  auf  dem  Mittclpfeiler 
sich  die  Widmung  an  Kaiser  Trajan  befindet.  Vergl.  Wilmanns 
No.  804.  Auch  zu  Heidelberg  nennt  sich  ja  nicht  direkt  der  Erbauer, 
sondern  er  widmet  blos  als  solcher  einen  Altar. 

Noch  weitere  architecti  civilerFimktion  führt  wie  schon  oben  ge- 
sagt wurde,  Becker  auf  (Jahrb.  LIII— LIV,  147),  aber  auch  solcher 
militärischen  Charakters  gibt  es  eine  Reihe,  die  als  Soldaten  Freige- 
borene, waren. 

Solch  ein  militärischer  Ingenieur  war  T.  Flavius  T.  f.  Pupinia 
RofoS;  Soldat  zweier  prätorischen  Gohorten  und  zugleich  als  ordinatos 


Römische  Alterlhümer  in  Heidelberg. 


29 


architectus  tesserarias  in  ccnturia  bezeichnet  (Wilmanns  1588).  Auch 
von   der  Flotte  zu  Misenurn   wird  ein  architectus  erwähnt  {ib.  1062). 

Becker  führt  auch  weitere  Beispiele  aiL'!gedienter  Soldsiten  der 
prätorischen  Cohorten  und  Legionen  auf,  die  derselben  Genie-Truppen- 
gattung angehörten.  Darunter  einen  ARCITIvCT.  armamentarii  inip. 
d,  h.  des  kaiserlichen  Zengha(i.qes  (Wilmanns  15():3)  und  aussenleni 
eincD  solchen,  der  sich  gornde/u  als  architectus  Augustoi'um,  d.  h.  des 
kaiserlichen  Hauses  bezeichnet. 

Am  meisten  Verwandtschaft  mit  dem  Heidelberger  Neptunsateine 
hat  aber  der  schon  oben  ei-wUhntc  und  zuletzt  von  Becker  in  seinem 
Mainzer  Museum  No.  72  (vorher  in  diesen  Jahrb.  LUI— LIV,  S.  14r»ff.) 
beschriebene  Votivaltar  den  Adius  Verinus,  architectus,  und  Gcminius 
Priscus,  custos  armorum  zu  Mainz  wo  er  1872  gefunden  wurde,  errichten 
liessen '). 

Auch  bei  dieser  Inschrift  i.st  die  Weglassung  des  betreffenden 
Truppenkörpei-s  der  beiden  De<likanten  zu  constatiren,  die  sicher  wie 
wohl  auch  die  2  Altarspender  zu  Heidelberg,  zunächst  Soldaten  waren. 

Die  Legion,  wozu  sie  alle  gehörten,  war  höchst  wahrscheinlich  in 
beiden  Fällen,  zu  Mainz  wie  zu  FlotdclTjorg,  die  22.,  die  so  lange  Zeit 
am  Mittelrhein  mit  dem  Hauptquartier  Mainz  .stand,  dass,  wie  Becker 
sagt,  die  ausdrückliche  Bezeichnung  derselben  auf  solchen  Votivsteinen 
als  fa.st  selbstverstäindJich  leicht  weggelassen  werden  konnte*).  Diese 
Legion  stand  überhaupt  am  längsten  unter  allen  und  zwar  bis  nach  der 
Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  in  (iertnanien  und  erscheint  daher  weit- 
aus am  häufigsten  auf  den  rheinischen  Inschriften. 


1)  Was  das  militärische  Amt  eines  custos  armorum,  d.  h.  eines  Waffen- 
wartcs  betrifft,  eo  hat  ausser  Becker  auch  FreuJonborg  (Jahrb.  LVIl,  7C) 
dar&ber  gcbaadolt,  wie  schon  obna  bemerkt  wiirda. 

9)  Dasselbe  ist  der  Fall  such  anf  nndcron  Maiiu-or  Centuricn-Inschriflen, 
Becker,  M.  Museum  No.  70  und  74  und  sodaun  bei  IIau|2f  iMannheimcr  Doak- 
siein  No.  64,  wo  gleichfalls  nur  die  22.  Legion  genannt  sein  dürfte.  Anläss- 
lich dieses  letzteren  Falles,  dem  Grabstein  eines  Legionars,  zweifelt  Hübner  in 
4er  Jenaer  Literaturzeitung  1877,  Artikel  3flC,  ob  die  obi^e Erklärung  ilea  Fehlens 
der  Bezeichnung  der  Legion  hier  die  richtige  sei,  indem  dann  doch  mindestona 
beigefügt  worden  wäre  „miles  legionis''.  Er  moint,  dass  vielleicht  auf  einem 
gemeinsamen  Begräbnissplatz  nur  Legionäre  einer  Legion  beigesetzt  worden 
wären.  Man  beachte  indessen,  wie  auf  anderen  Mainzer  Insehriften  (Becker 
No.  I,  169  u.  212),  anoh  die  blosse  Würdo  des  Ceuturionnts  obn«  BeKcichmnig 
de«  Truppentheils  Bt«ht.  Ebenso  fehlt  zu  Milleidierg  (.lahrh.  LII^  75  n.  LX,  &2) 
die  LegiouBzahl. 


j>>  Bömiscbe  AU«iihänm  in  Heidelberg. 

Uebrger«  könnte  neben  dieser  regelmässigen  Besatznng  Ton  Mainz, 
n.^i  des  Dekumatenlandes,  der  XXII  priroigenia,  auch  die  andere  der 
röiei  c-bersennaniichen  Legionen  in  Betracht  kommen,  die  legioYIIl 
A::g-J5:a.  Um  das  Jahr  170  p.  Chr.  waren  nämlich  nach  der  Ans- 
fihr^Eg  T»>n  Urlichs  ^Jahrb.  LX,  5P)  nnr  diese  beiden  Leonen  in 
•-"^c^Tjeraaniea  zaräck  geblieben,  welche  mit  ihren  Halfstnippen  etwa 
:».■>'•>  M:iS3  suirk  sein  mochten,  und  sich  in  die  Vertheidignng  der 
Iisgen  Linie  des  Grenzlandes  the>!en  roussten.  —  Bald  darauf,  etwa 
33:  das  Jahr  ISO.  scheint  nun  aber  in  den  Garaisonen  des  unteren 
Neckars  wie  überhaupt  des  oberen  Theils  des  Deknmatenlandes  ein 
Wev'hs«!  der  It-'shergen  Disloofrun^en  der  beiden  Legionen  vorgenommen 
Word«  m  sein.  Während  nämlich  bfs  dahin  hauptsächlich  die  achte 
:n  liicsen  Go-^eaden  staiiocin  war  und  sich  ja  auch  der  oben  be- 
schriebene He:delberv:er  Votivsiein  des  Vereius  Clemens  in  diese  Zeh- 
periAle  stollea  lässt  —  abgesehen  von  eiczelnen  dem  1.  Jahrh.  ange- 
höngen  Abtheilnngen  der  XIV.  usd  der  XXI.  Rapax  wovon  wir  Ziegel  aus 
Heidelberg  bei  Brambaoh  mitgelheili  haben,  vorgl.  dessen  »Baden  unter 
römischer  Horrschailt  S.  lo  u.  17)  —  so  scheint  der  grössoe  Theil 
der  achten  Legion  um  l>*>  aus  den  verbälin^ssmässiz  sicheren  sfld- 
liehen  I^ndstriohen.  weiter  nördlich  vorgeschoben  wonien  zu  sein,  nm 
die  gofährliohon  Chatten  zu  beobitchten. 

In  die  frühotvn  Stellusgta  dieser  I.eg:i>::  richte  danü  die  22.  ein, 
welche  vor.  ran  aa  die  einrice  :r.  diesem  Thc^le  des  rVkuT.atenlandes 
stativvi.rte  bilvJeto.   «oiv.'.    Ksr.  auch  ru^e^^ec  nirss»    iass    :m  Allge- 
mo.uen   vnui   '.vr.r.v.eU  d:e  ?.ohie  [.eg.:::  to:u  Jibr;  7"^—?»  mit  dem 
Standlaj^T  Sti^fc^sburg  .-uii  OVcrrr.c:"  s:äz.:. 

l  u*cr  Nop;uji!*to:r.  rc.^:  aber  s<'h;".i  djrch  eic^T  .^iimUsisaiid  an, 
d,\ss  er  nicht  \or  der  M:;:e  dt-s  -.  jÄhrr..  ctsi«:  <*■  i  ks".  iu-iem  die 
K»n}iAn»».toi nu'l  dts.M**.b*".i  t.a  ho:;cr<":v.  dvU'.:;s  .i^v-^ü»  v:r  .ieiier  Zeit 
nicht  voikxMinut.  V':'s:  e:w»  se  :  dc:v.  ,*Ai:r  -.T."*  --.t.-h  C:.t.  «.ri  dieselbe 
.Alis  VKv<ov  SCkiivo choic:  »rx^^ien  diis  r..c  ru  vt^pssstnls  Jiii*rbaus  bei 
KrvichJusvi;  \oiU'ie\5ii:dvr..  A'.tArc::  ur.d  Afr.v."  .:J:f7.- r.i-r.^  v-c-rsügestellt, 
So  s;oV.{  s  Vv  üvV.OÄ  ÄUi  c  -.e'.  .Utir'.i"  Vr.'.cr  '.v^shrf:  I-^f  JiirxTS  1S«\ 
Iv;  \\.h«,iv.us  No.  I.V7  v^>*.^'.  .v«;>.  4:<"-.li.  v  i.r  Irr  C.:xmödi 
Niv  us.\'  VN':  luvh  c.u  .^v.dxTc*  M.::t\  y-.::  e^  d;~  Kt  ier:<-i^"'r 
Nopt4'.n>;e;tt  .iu«.^V,w.;d  si;  .iA:.:x'v.  uv.a  :>*ir  x-sui;  diÄttlx  -  dem 
Ge!»tl«.««c«  VoU;;s.  H.Whv:  .<;:•.  c  :u-v.  \.t  S';*r  .•..es^^^  Ni-":=5  deutet. 
IV«  os>',o  N\>  ♦:\»«.*M".u«  *,^j  r.;r.^  V  Vci  .;s  :-.,v;t  .'.v-s.  .i«r  «'c<?r  schon 
11."     l;'S  ivsioiv.^K  !v.o:  «,>.;  »vM   *.•  V-s::rÄx>:  v.r.v.Vir  fcir=.    Eine 


Bömisohe  Alteriliümer  in  Heidelberg. 


31 


grosse  Menge  Parbaren  und  Freigelassene  nannten  sich  nach  ihm  P. 
Aelius  unter  Beifügung  ihres  früheren  Barbaren  —  Sdaveii  —  oder 
auch  beliebigen  andern  Namens  als  cognomen  (vergl.  z.  B.  das  Vcr- 
seichnisB  hei  Wilmanns  II  p.  302), 

Seinem  Nachfolger  wurde  als  seinem  Adoptivsohn  derselbe  Gen- 
tilname  beigelegt,  während  sein  Vorname  Titiis  war;  er  hiess  demnach 
^  T.  Aelius  Antoninus  PiuB  und  regierte  bekanntlich  von  138—161.  Nach 
ihm  setzte  in  analoger  Weise  eine  Anznhl  I'^emdor  und  Freigelassener 
ihrem  Namen  ein  T.  Aelius  vor.  Des  letzteren  Adoptivsohn  war 
Marcus  Aurelius,  der  von  161  —  180  als  Aiigustus  heirschte.  Schon  im 
Jahr  139  war  derselbe  zum  Caesar  ernannt  worden  und  hiesa  als  solcher 
M.  Aelius  Aurelius  Verus  Caesar;  als  Augustus  hiess  er  gewöhnlich 
blos  imp.  M.  Aur.  Antoninus  Aug.  (Wilmanns  No.  940  und  II  p.  512.) 

Kine  ganze  Reihe  von  allerhand  Leuten  ndoptirten  nach  ihm  den 
N&men  M.  Aurelius  (vergl.  ib,  p.  310.) 

Dieser  Kaiser  könnte  es  übrigens  auch  gewesen  sein,  welcher 
rioeni  gewissen  ^f.  Aelius  Titus,  dem  Dedikanten  einer  neuen  Milten- 
berger Inschrift,  das  Bürgerrecht  verlieh  and  ihm  damit  ihn  üblichen 
Anlass  gab  zur  Annahitn-  des  fJeschlecht^nainens  Aelius.  Wahr- 
scheinlich ist  es  aber,  dass  sich  derselbe  nach  Antonmus  Pius  An- 
fangs Titus  Aelius  nannte,  unter  Mark  Aurel  aber  das  praenomen 
des  letzteren  vor  und  in  Folg«  dessen  Titus  als  cognomen  nach- 
B<^zle.    So  verband  er  die  Namen  zweier  Kaiser  in  dem  seinigon '). 

Es  war  nämlich  Sitte,  dass  Nichtrüraei-,  wenn  ihnen  von  dem 
Kaiser  das  römische  Bürgerrecht  verliehen  wurde,  den  Geschlechts- 
namen  (gewöhnlich  auch  den  Vornamen)  des  verleilienden  IkTi-schers 
zu  dem  ihrigen  machten  und  ihren  ursprünglichen  Persoualnamcn,  der 
bei  Kelten  und  andern  Fiarharen  in  der  Regel  nur  ein  einziger  war, 
als  cognomen  beifügten  (vergh  Jahrliüclier  LH,  68).    ' 

In  dieser  Hinsicht  könnte  vielleicht  hei  unserm  Heidelberger  Steine 
auch  Mark  Aureis  Adoptivbruder  und  Mitregent,  der  übrigens  schon 
lOÖ  umgekommene  Lucius  Verus  in  Betracht  kommen,  der  als  Caesar*) 


1)  Vergl,  UrlicliB  in  diesen  Jahrbäcbern  LX,  72  und  Conrady  indcaNas- 
s&uischen  Annalen,  Band  XIV.  Da»  cognomen  Titu»  kommt  übrigens  oftur  vor 
■la  der  letztere  annimmt;  vergl.  Wilmanna  II  p.  400.  Auch  ist  tlie  Iiiachrin,  atia 
Oaterbuokea,  worauf  Calviniui  Titus  erscheint,  nach  meiner  Aiitoptie  diircliatis 
xweilclloa;  dieselbe  ist  nach  meiner  früheren  Eililion  in  der  Arch.  Zeitung  von 
1889  S.  75  auch  in  diesen  Jahrb.  LV— LYI,  \M  von  TTaug  wiedergegeben. 

S)    Dieter    L.   Aelius    Aureliua    Venia    hiesa    übrigena    uie   Cäs»r    allein, 


S3  RömiBche  Alterthüm^  in  Heidelberg. 

gloichfalls  den  Geschlechtsnamen  Aelius  führte  (vergl.  Wilmanns  n 
p,  r»l4).  Auch  Mark  Aureis  Sohn,  der  Kaiser  Commodus,  der  von 
ISO— li>2  herrschte,  nennt  sich  hie  und  da  noch  wie  er  als  Caesar 
hioss,  Aelius  (soWilmanns  No.  76, 957u.  969)  neben  seinem  gewölm- 
liohou  Namen  L  Aurelius.  Besonders  seit  dem  Jahre  191  führte  er 
den  vollständigen  Namen  Imp.  Caes.  L.  Aelius  Aurelius  Commodus. 

Gleichwohl  weist  Aelius  am  Wahrscheinlichsten  auf  Antoninus  Plus, 
wir  dies  auch  Urliehs  in  Bezug  auf  die  schon  genannte  neue  Milten- 
berger Inschrift  annimmt  (Jahrb.  LX,  72).  Der  Heidelberger  Neptuns- 
dtHÜkant  Aelius  Macer  wClrde  bei  dieser  Annahme  also  am  die  Mitte 
des  zweiten  Jahrhunderts  seinen  Namen  erhalten  haben,  während  er 
S|Mter,  d.  h.  in  den  letzten  Decennien  dieses  selben  Jahrhunderts  die 
Inschrift  setzen  half,  die  wohl  auch  die  Gründungszeit  der  Heidelberger 
BrAcko  anzeigt,  wenn  man  nämlich  die  Sigle  ARG',  die  seinem  Collegen 
als  Charge  beigoschrielK'n  ist,  in  der  angegebenen  Weise  als  Bezeich- 
nung dos  Baumeisters  erklärt.  Aber  auch  wenn  man  Valerius  Patemus 
etwa  fftr  einen  militärischen  arcArius  erklärt  und  Aelius  Macer  als 
seinen  Gehülfon  (optio),  so  könnte  die  Brücke  aus  den  Mitteln  der  Gasse 
errichtet  sein,  welcher  joner  vorstand. 

Nach  dieser  hier  entwickelten  Zeitbestimmung  fallt  die  Errichtung 
der  Brücke  in  eine  frühere  Zeit  als  die  Meilensteine,  deren  frühster  vom 
Jahr  2Ui^  uud  deren  spätester  von  253— äi»«.^  stammt.  Der  letztere  ist 
:ib«n'  nicht  nur  der  spateste  aus  hiesiger  liegend,  sondern  überhaupt 
die  letzte  d«tirl»aiv  itvlit-'^rhoinische  Injichrirt.  die  man  überhaupt  kennt, 
^abgesehen  von  der  rtimischon  Trininz  Bätien\ 

In  diesi^r  Zeit,  d.  h.  unter  Gallienus  wunlen  die  römischen  Be- 
sittuiigon  auf  dorn  roi'hton  l'fer  unsicher  uud  konnten  nur  durch  die 
Tilchtigkoit  do>*  iJegenkaisors  Tostumus  ^JC»^^— 20^'  der  bei  Galliern 
uud  deutschen  sich  Achtung  und  Gohorsani  zu  verschaäien  wosste, 
gehalton  wenten. 

IVstumus  wirkte  «war  n^vh  wahrend  seiner  lehcjährgen  Regierung 
<\\v  die  VerthoidiguMg  dei  rwhtcu  l'foii>  durch  Frbauupg  von  Kastellen, 
aber  kaum  war  er  enuv>nlct  ^^^a'«  in  ooiv.st'Ibcu  Jahre  stattfand,  wo 
HU\-h  tJaUienuH  umkan«.  d.  h.  uVv<  vgl.  W^wanus  No.  l'Xv»\  so  fielen 


(Hl  ioH»'V  K)s>olu«  ^«>KA»u(hoh  ko\i»  IVitumo  Wv»^^.  *,»s!d#r5  blo«  t»ia  Titel,  d.  h 
IIii\viiU>IkoO  K\  »»i1>wU  \x>u  \uUmuuu«  ^^•.:*  \<.»a  *-i=vr  Adoptiva  an  bloss  den 
i\W\  \uKu«»t  i»l»»i..  U«>ii  S-»  aIU'xu  Ivi'sv^v.  A»  **.':^c  ä-.«f*rr  bL^wr  I«l>t«.  nach 
tUvtaoM  Vvsl  V«»  M«lki«kav>i  uut  »low  Uiol  \u^u»tu«  wurde  ^v^L  W:'.m*BDs  no- 947). 


üeber  die  römiscben  liefeBiiguogcti  Jm  Odenwald. 


3S 


die  Deutschen  aber  dieselben  her  und  zerstörten  sie.  Ja  schon  unter 
Gallienas  selbst  wird  uns  der  Verlust  der  rechtsrheinischen  Besitzungen 
ansdrücklich bezeugt  (vergl.  Brainbach  »Baden  unter  römischer  Herr- 
schaft« S.  7),  sodass  der  letzte  der  Heidelberger  Meilensteine  in  der 
That  das  Ende  der  Römerherrschaft  im  Dekumatenlande  bezeichnet. 

Zu  derselben  Zeit  d.  h.  um  die  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts 
räumten  die  Römer  auch  die  nördlich  vom  Main  am  Pfahlgraben  ge- 
legenen Positionen  (vergl.  diese  Jahrb.  LVni,  213).  Der  Alemannen- 
sturm unter  Aurelianus  um  270  vollendete  die  Austreibung  der  Römer 
aus  dem  Grenzlande. 

Heidelberg.  C.  Christ 


3.  Ueber  die  römfschen  Befestigungen  im  Odenwald. 

Die  Richtung  der  von  einem  Strassenzug  gefolgten  römischen  Be- 
festigungslinie von  Obernburg  a.  M.  zum  Neckar,  über  Eulbach,  Würz- 
-berg,  Bullau,  Schlossau  ist  im  Allgemeinen  bekannt;  aber  vkie  viel  im 
Einzelnen  noch  zu  erfoi-ifchen  ist,  davon  möchten  die  nachfolgenden 
Mittheilungen  den  Beweis  Hefern,  deren  Verfasser  eine  kleine  Strecke 
dieser  Linie,  nämlich  die  von  Obemburg  bis  zu  dem  sogenannten 
»Heunenhaus«  seit  mehreren  Jahren  sorgfältig  untersucht  hat.  Die 
Veranlassung  hierzu  war  die  Auffindung  einer  bisher  gänzlich  unbe- 
kannten, römischen  Niederlassung  in  der  Nähe  meines  Wohnortes, 
Seckmauern,  welcher  in  einem  schmalen  Seitenthälchen  des  Mains,  an 
der  östlichen  Grenze  des  Grossherzogthums  Hessen,  2  Kilom.  von  dem 
baierischen  Städtchen  Wörth  a.  M.  entfernt  liegt.  An  der  neuen,  im 
romanischen  Styl  erbauten  Kirche  in  Seckmauern  führt  ein  Feldweg 
in  nördlicher  Richtung  nach  den  sogenannten  n Gemeindehecken«,  einem 
derzeitig  noch  niedrigen  Kiefernwald,  in  welchem  mir,  einige  Schritte 
neben  dem  Wege,  wo  diese  »Gemeindehecken«  au  den  w Wörther  Stadt- 
waldtt  grenzen,  schon  früher  eine  von  Baumwuchs  entblösste,  mit  Im- 
mergrün bewachsene  Stelle  aufgefallen  war,  an  welcher  hisweilen  Stein- 
und  Mörtelreste  zum  Vorschein  kamen  und  auf  die  Vermuthung  führ- 
ten, dass  hier  in  früheren  Zeiten  ein  Gebäude  gestanden  habe.  Jeden- 
falls niusste  dieses  aber  lUngst   zerstört  worden  sein,    denn  Niemand 

3 


34 


üebar  die  römiecheu  Befeatiguogea  im  Odenwald. 


konnte  auf  meine  Erkundigungen  die  geringste  Auskunft  geben.  Auf 
einem  Spaziergang  nahm  ich  eines  Tags  ohne  Werkzeug  eine  ober- 
flächliche Untersuchung  der  Stelle  vor,  entfernte  Immergrün  und  Moos 
und  grub  mit  dem  Stock  etwas  tiefer,  als  mir  gleich  zufälliger  Weise 
einige  römische  Gefässscherben  entgegenfielen.  Freudig  überrascht  durch 
diescu  glückliciien  Fund,  der  mir  sogleicli  die  Beweisstücke  in  die  Haml 
lieferte,  dass  au  dieser  Stelle  ein  römisches  Gebäude  gestanden  habe, 
dessen  Auffindung  ein  neues  Licht  über  die  Richtung  des  limes  im 
Odenwald  verbreitete,  begab  ich  mich  selbstverständlich  an  den  folgen- 
den Tagen  mit  den  erforderlichen  Arbeitskräften  an  die  nähere  Unter- 
suchung der  Stelle,  welche  nachfolgendes  Resultat  ergab.  Wir  fanden 
die  noch  wohl  erhaltenen  Fundamente  eines  römischen  Gebäudes,  9  Meter 
lang  und  5  Meter  breit  Die  Mauerreste  waren  theilwcise  noch  mit 
gelblichem  Tünch  oder  Mürtelbewurf  verschen,  welchen  inzwischen  der 
Regen  meistentheils  abgelöst  hat.  Bei  der  Aufsuchung  der  Mauerrich- 
tungen kam  eine  Reihe  von  nicht  uninteressanten  Funden  zum  Vor- 
schein, über  welche  ich  in  Nr.  301  und  302  der  »Neuen  Frankfurter 
Presse«  vom  3.  und  4.  November  1876  berichtet  habe,  die  sich  aber 
seitdem  noch  vermehrten.  Erwähnenswerth  erscheint  hier  ein  Stück 
einer  Amphora,  auf  welchem  sich  eine  Inschrift:  PATER  eingeritzt 
tindet.  Hinter  dem  R  ist  das  Gefassstflck  abgebrochen,  so  dass  die 
untere  Hüllte  dieses  Buchstabens  nicht  mehr  ganz  sichtbar  ist.  Wäh- 
rend ich  in  dem  oben  erwähnten  Aufsatz  dieses  PATER  für  den  Anfang 
einer  Widmung  oder  für  PATERA  hielt,  erklärte  Herr  Karl  Christ, 
der  kürzlich  mit  mir  diese  Stolle  und  meine  Fundstücke  besichtigte, 
es  bestimmt  für  den  Töpfernamen  Paternus,  der  häufig  vorkomme. 
Wichtig  ist  aber  dieses  Bruclistück  deshalb,  weil  die  eingeritzten  Buch- 
staben, etwa  3  Ccntimeter  hoch,  theihveise  eine  eigcnthümliche  Ge- 
stalt haben,  woraus  sich  vielleicht  Schlüsse  bezüglich  des  Alters  des 
Gefasses  und  der  Entwickelung  der  römischen  Cursivschrift  ziehen 
lassen.  Auf  einem  Terrasigillatagcfäss-Bruchstück  befiadet  sich  ent- 
weder ein  Satyr,  der  eine  Nymphe,  die  das  Gewand  fallen  lässt,  ver- 
folgt, kaum,  unter  Zuziehung  eines  anderen,  dazugehörigen  Bruchstückes, 
der  die  Daphne  verfolgende  Apollo.  Auf  zwei  aa<leren  Bruchstücken 
befindet  sich  ein  Vogel  (Adler?).  Ausserdem  wurden  eine  grosse  An- 
zahl von  Nägeln  in  allen  Grössen,  Eisenbruchstückc,  unter  denen  sich 
einzelne  als  Schlüssel,  Me.sser,  Pfeilspitzen  bestimmen  lassen,  dann  ein 
glattes,  viereckiges  Stück  Talkschiefer,  ein  Stück  Gelberde,  ein  Stück 
Eisenerz  und  Anderes  aufgefunden. 


üeber  die  römiaohen  Befeatigangen  im  Odenwald. 


86 


Wichtiger  als  die  Bestimmung  dieser  einzelnen  Jiindstücke  ist  die 
Frage  nach  der  ehemaligen  Bestimmung  der  ganzen  Niederlassung.  Denn 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sind  die  bis  jetzt  aufgedeckten  Mauern 
nlnnenmaiiernu  zur  Abtheilung  der  inneren  liäume  des  Gebäudes,  während 
der  Umfang  des  Gebäudes  viel  grösser  war.  Denn  rings  um  die  aufge- 
deckte Stelle  finden  sich  noch  weitere  Trümmer  von  grösserem  Umfang, 
während  sich  etwa  10  Schritte  weiter  rechts  im  Walde  auf  einer  eben  so 
grossen  Fläche  die  Trümmer  eines  anderen  Gebäudes  zeigen,  Ton  dem  bis 
jetzt  nur  ein  kleines  Stück  Fundamentmaueru  aufgedeckt  ist.  Gehörten 
beide  Theile  zusammen,  so  bildeten  sie  ein  Gebäude  von  der  Grösse 
der  übrigen  Odenwaldkastelle;  da  nun  kein  anderes  Castell  in  der 
Nähe  ist,  an  dass  sich  die  Gebäude  als  bürgerliche  Niederlassungen 
angeschlossen  hätten,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  sie  selbst  ein 
solches  Castell  gewesen  seien.  Gewiss  ist  aber,  dass  die  römische  Be- 
festigungslinie an  dieser  Stelle  vorübergezogen  ist.  Eine  kürzere  Mit- 
theilung  über  diese  Auffindung  römischer  Gebäude  bei  Seckmauern  in 
Nr.  I2ö  der  »Mainzoitung«  von  1876  schloss  ich  mit  den  Worten:  So- 
mit ist  die  Ableitung  des  Namens  «Seckmauernu  von  dem  auf  einer 
römischen  Inschrift  zu  Waldbullau  im  Odenwald ')  vorkommenden  römi- 
schen Centurio  «Seccianus^i  sehr  wahrscheinlich ;  indessen  durch  Herrn 
K.  Christ  unterrichtet,  dass  Secco  ein  celtischer  Personenname  sei, 
müchte  ich  diese  Vermuthung  hier  dahin  präcisircn,  (da  ohne  Zweifel 
der  Ort  seinen  Namen  von  diesen  alten  Mauern  erhalten  hat,)  dass  eben 
dieser  Centurio  Seccianus  von  celtischer  Abkunft  gewesen  sei.  Da 
derselbe  nun  in  der  Nachbarschaft  einen  der  Fortuna  gewidmeten  Vo- 
tivstein  gesetzt  hat,  so  liegt  es  doch  nahe,  au  ihn  als  Gründer  oder 
Aufseher  bei  der  Erbauung  dieser  Bcfeatigungswerke  zu  denken.  Wie 
dem  nun  auch  sei,  die  Auffindung  dieser  römischen  Gebäudetrümmer 
bietet  einen  bisher  unbekannten  Anhaltspunkt  bei  der  Bestimmung  der 
Richtung  der  römischen  Befestigungslinie  und  nachdem  dieser  Punkt 
aufgefunden  war,  lag  selbstverständlich  das  Interesse  nahe,  die  Rich- 
tung dieser  Linie  nach  dem  von  hier  eine  Stunde  entfernten  Obem- 
bttsg  a.  M.  aufzufinden.  Zu  diesem  Behufe  durclisuchte  ich  wiederholt 
das  Terrain,  das  hier  meistentheils  mit  Wald  bedeckt  ist,  bis  ich  2  Kilo- 
meter von  der  römischen  Niederlassung  in  Seckmauern  in  nordöstlicher 
Richtung  in  dem  Wörther  Stadtwalde   einen  Punkt    fand,   der   ohne 


1)  Aufbewahrt  zu  Mannheim,  vgl.  Haag'a  Catalog  Nr.  22.  Auch  Knapp 
§  SS  env&hut  die  alte  Sage,  dass  Seckmauern  ^  mnras  Secciani  sei  (?).  Als 
Töpfernamen  kommt  Secco  nach  Christ  zu  Ileidelberg  vor. 


ü«ber  dia  r&miseheD  Befestiguugen  im  Odemvmld. 

ZmdUL  aadi  doe  römische  Befestigung  war    Die  Gestalt  des  1,5  M. 
ht^m  WiOes,  der  von  eioem  Graben  umgeben  ist,  ist  viereckig,  etwa 
6  Meter  in  Quadrat ;  der  Eingang,  der  ganz  kenntlich  ist,  befand  sicli 
mä  der  dem  Main  zugewend^n  Seite.  Diese  Stelle,  ganz  von  Gestrüpp 
ood  Waldbäamen  bewachsen,  war  bisher  ebenfalls  unbekannt.    Der 
Wall  iit  mit  liascn  und  Moos  bedeckt,   unter  dem  sich  das  noch   in- 
tad/t  Maucnrerk   befindet.    Dieses    kleinere,  römische   Gebäude    woi- 
offenbar   eines  jener  kleineren  Wachthäuser,  wie   sie  an  der  ganzen 
Linie  in  gleicher  Entfernung  vorkommen.    Aber  in   der  Ecke  der  hier 
an  den  Wald  angrenzenden  Felder  liegt  ebenfalls  ein  Trümmerhaufen, 
fto  dass  an  dieser  Stelle  sich  noch  ein  anderes,  grösseres  Gebäude  be- 
funden zu  haben  scheint    Von   hier  aus  suchte  ich  in  der  Richtung 
nach  Obemburg  lange  vergeblich  nach   einer  weiteren  Spur  römischer 
IkfeMtip^ung;   ich  vurroutbete  dcsshalb,  dass  sich  von  hier  aus  die  Be- 
feitigungßltnic,  den  Wald  verlassend,   schon  in  das  Mainthal  hinabgc- 
xogen  habe   und  dass   ihre  Spur   in   dem   cultivirten  Ackerlande  ver- 
lebwuridcn  sei.    Endlich  nach  vielen  Wanderungen  im  Walde  fand  ich 
dstn   weiteren    Anhaltspunkt   an   einer   höchst   merkwürdigen    Stelle, 
etwa  2  Kilometer  von  der  vorher  genannten  entfernt;  wo  die  Sandstein- 
fvlsen  des  Mainthals  nahe  an  den  Fluss  sich  herandrängen,  finden  sich 
auf  einem  Vorsfirung   mit   ausgedehnter  Aussicht   über  das  Mainthal 
und  den  Spcssart  Uehcrreste  einer  grossen  Befestigung  mit  wohlerhal- 
lenem  Wall  und  Graben,   aber  nicht  in  der  üblichen  viereckigen  Qe« 
Htalt,  Homlern  sich  an  die  Beschaffenheit  des  Terrains  anschliessend, 
welches  hier  steil  zum  Main  abfallt.    Ist  auch  diese  Befestigung  röraU 
Bchen  Ursprungs,  wofür  ich  freilich  keinen  werteren  Beweis  anführen 
kann,  als  den,  dass  sich  der  Graben  auswendig  und  der  Wall  inwendig 
bettndot,  wiUircnd  es  sich  bei  Verschanzungeii  germanischen  Ursprungs 
umgekehrt  vcrhiilt   und   dass  dieser  Punkt  vortrefflich   in    die  ganze 
liinia  passt,  auch  ganz  nach  denselben  strategischen  Rücksichten  aus- 
gcwtthlt  Ist,  die  ich  sonst  beobachtet  fand  und  die  ich  später  erörtern 
werde,  dann  ist  die  Richtung  der  römischen  Befestigungslinie  von  Obem- 
burg A.  M.  bis  zu  der  Seckmaurer  Niederlassung  im  Detail  festgestellt 
und  eine  kartographische  Aufnahme  kann  nach  unseren  Aultindungen 
kdae  Schwierigkeit  mehr  verursachen. 

Von  den  überraschenden  Resultaten  unserer  Nachforschungen  haben 

wir  seinerzeit  dem  Secretär  des  historischen  Gesammtsvereins,  Herrn  llof- 

gcrichi«advocatc.n  Dr.  Wörner  in  Darmstadt  Kenntniss  gegeben,  der 

_icht>n  auf  der  (Seneralvcr&immlung  der  historischen  Vereine  in  Wiesbaden 

\p\\  dort  einstimmig  angenommenen  Autrag  vorbeixMtcte,  dass  die  römische 


lieber  die  römiMben  Befestigangcn  im  Odenwald. 


S7 


Befestigangslinie  im  Odenwald  ueu  untersucht  und  aufgenommen  werde. 
In  Nr.  10  des  Correspondenzblattcs  des  GcsammtvereiDS  der  deutschen  Gc- 
schichts-  und  Alterthumsvcreinc  von  1876  ist  die  an  den  Verein  gestellte 
Frage  14,  also  lautend,  enthalten:  Westlich  hinter  dem  graden,  durch 
Würtcmberg  ziehenden  Pfahlgraben  liegt  auf  der  Höhe  des  Odenwalcles  vom 
Main  zum  Neckar  eine  Ileihc  von  römischen  Castellcn  und  Wallstücken, 
welche  zwar  von  Knarpp  1814  beschrieben  worden  sind,  aber  noch 
viele  Fragen  offen  lassen.  Durch  die  fortschreitende  Cultur  werden 
]hre  Spuren  immer  mehr  verwischt  und  es  müsste  als  ein  unwieder- 
bringlicher Verlust  betrachtet  werden,  wenn  das  Vorhandene  nicht  noch 
kartographisch  und  in  Dctailzeichnung  und  Beschreibuogen  festgestellt 
und'  publicirt  würde.  Es  ergeht  daher  der  Antrag,  die  Versammlung 
möge  beschliesscn,  was  sie  in  dieser  Sache  thun  kann  und  will.  Indem 
f»ir  in  dieser  Frage  nur  das  berichtigen,  dass  weder  von  den  oben  be- 
schriebenen Punkten  römischer  Befestigungen  im  Odenwalde,  noch  von 
einigen  anderen,  die  wir  noch  weiterhin  beschreiben  werden,  weder 
Knapp  noch  ein  anderer  Forscher  eine  Ahnung  hatten,  bemerken  wir, 
dass  in  Folge  jenes  Antrages  das  Präsidium  des  Gesammtvereins  der 
historischen  Vereine  beauftragt  wurde,  die  erforderlichen  Anträge  bei 
den  Regierungen  von  Baden  und  Hessen  bezflglich  der  Verwilligung 
der  nöthigen  Geldmittel  zu  stellen,  Diess  ist  geschehen;  beide  Regie- 
rungen haben  dem  Autrag  bereitwilligst  entsprochen.  Zur  Vorbereitung 
der  Untersuchung  wurden  auch  im  Mai  1877  Fragebogen  an  gcschichts- 
und  localkundige  Personen  in  der  Nähe  der  in  Frage  stehenden  Linie 
zur  Beantwortung  versendet  und  beantwortet;  aber  die  4m  Laufe 
des  Sommers  erwartete  Untersuchung  durch  den  auf  diesem  Forscher- 
gebiete rühmlichst  bekannten  Herrn  v.  Coliauaen  in  Wiesbaden  hat 
wegen  eingetretener  Hinderaisse  nicht  stattfinden  können.  Es  sind 
also  alle  unsere  Niichforschnngeu  bis  jetzt  lediglich  aus  wissenschaft- 
lichem Interesse  mit  privaten  Mitteln  bewerkstelligt,  wobei  übrigens 
der  historische  Verein  fftr  das  Grossherzogthum  Hessen  durch  gefälliges 
Schreiben  seines  Secretürs  vom  21.  Januar  1877,  des  Dr.  Freiherrn 
von  Schenk  zu  Schweinsberg  uns  zu  weiterer  Erforschung  der  rönii- 
sAen  Altcrthftmer  im  Odenwalde  im  Interesse  der  Sache  ermunterte 
und  die  bisher  bewiesene  geringe  Theilnahme  mit  der  Entfernung  und 
mit  der  geringen  Anzahl  von  Vereinsmitgliedern  entschuldigte,  welche 
fÄr  derartige  Arbeiten  die  erforderlichen  Kenntoisse  besitzen.  Ob- 
wohl wir  daher  eigentliche  Nachgrabungen  nur  mit  beschränkten 
Arbeitskräften  vornehmen  konnten,  ja  dieselben  hätten  ganz  unterlassen 
müssen,  wenn  mir  nicht  die  unermüdliche  Augdauer  meines  Sohnes, 


UelMT  dio  römtsobeo  B«fcsliguDgen  im  Odenwald. 


stud.  juris  Karl  Seeger  und  zweier  Zöglinge  zur  Seite  gestanden 
hätte,  fuhren  tvir  unverdrossen  bei  günstiger  Witterung  in  unseren 
Arbeiten  fort.  Es  handelte  sich  um  weitere  Feststellung  der  Linie  von 
Seckmauem  aus  in  südlicher  Richtung.  Etwa  1  Kilometer  von  der 
römischen  Niederlassung  in  den  Seckuiaurer  »Gemeindehecken«  in  süd- 
westlicher Richtung  waren  die  Trümmer  zweier  Gebäude  im  Wörtber 
Stadtwald  bekannt,  welche  etwa  20  Schritte  von  einander  entfernt  sind 
und  die  im  Volksmund  »Feuchte  Mauer«  genannt  werden,  ein  Ausdruck, 
welcher  wohl  dasselbe  wie  der  Ortsnamen:  Seckmauem  bedeutet.  Es  sind 
die  Trümmer  von  zwei  ganz  gewaltigen  Gebäuden ;  denn  von  der  einen 
Seite  liegen  die  Steine  4 — 5  Meter  hoch.  Die  Frage,  ob  diese  Trümmer 
römischen  Ursprungs  sind,  kann  unbedingt  bejaht  werden  ;  denn  ich 
fand  dort  di&selben  Sandsteinplatten  mit  Falz,  wahrscheinlich  Raste  einer 
Wasserleitung,  wie  in  dem  Castell  bei  Lützel-Wiebelsbach.  Dem  runden 
Umfang  der  Trümmer  nach  waren  beide  Gebäude  zwei  grosse  Wartthürnie 
(speculae)  Doppelthürme,  wie  sie  öfter  an  Rumerstrassen  vorkommen. 
Es  ist  also  nicht  zweifelhaft,  dass  die  Römerstrassc  hier  vorüberführte. 
Aber  während  die  früher  beschriebenen,  befestigten  Punkte  aUo 
einen  weiten,  freien  Ausblick  in  das  Mainthal  und  in  den  Spessart 
weit  über  die  Grenzen  des  Dekumatlandes  hinaus  gewähren  und 
offenbar  mit  der  Rücksicht  auf  die  Beobachtung  der  feindlichen 
Grenze  ausgewählt  sind,  was  auch  bei  den  übrigen,  früher  bekannten 
der  Fall  ist,  so  dass  z.  B.  Knapp  in  seinen  römischen  Denkmälern 
des  Odenwaldes  sie  schwerlich  aus  eigener  Anschauung  kannte,  wenn 
er  sie  für  rümiache  Grabthürmchen  halten  konnte,  so  gewährt  der 
letzterwähnte  Punkt,  die  »feuchte  Mauer«  keinen  Ausblick  in  das 
Mainthal;  dagegen  mündet  hier  eine  in  das  Mümlingthal  führende 
Schlucht  aus,  mit  Rücksicht  auf  welche  diese  Stelle  befestigt 
und  bewacht  wurde.  Sicher  liegen  unter  diesen  grossen  Trümmer, 
häufen  noch  viele  interessante  römische  Alter thümer  verborgen.  Von 
hier  zog  sich  die  befestigte  Linie  wieder  1  Kilom.  in  südwestlicher 
Richtung  hin  bis  zu  der  Stelle,  wo  der  Obernburgerwald  an  den  Wör- 
ther Stadtwald  angrenzt,  wo  sich  auf  dem  anstossenden  Felde  in  der 
Gemarkung  Seckmauem  eine  weitere  römische  Befestigung  befand.  Der 
Eigenthümer  dieses  Grundstücks  grub  vor  einigen  Jahren  die  grösse- 
ren Steine  aus  und  verwendete  sie  zum  Bauen;  doch  sind  die  tiefer 
liegenden  Fundamente  noch  vorhanden.  Dieses  Gebäude  war,  wie  es 
scheint,  ein  gcwühntiches,  römisches  Wachthaus.  Grössere,  geschwärzte 
Sandsteinplatten  mit  Falz,  die  jetzt  nicht  mehr  vorhanden  sind,  scheinen 
einem  unterirdischen  Heizaparat  (Uypoeaustum)  angehört  zu  haben. 


Deber  die  römisohen  BefcsliguDgea  im  Odenwald. 


30 


Dieser  Punkt  liegt  nun  wieder  ganz  auf  dem  Höhenzug  mit  weitem 
Ausblick  in  das  Maintlial  und  den  Spessait  Von  hier  ging  die  Rtch- 
t4ing  der  Linie  rein  südlich,  macht  also  einen  Bogen,  und  senkt  sich 
an  der  Grenze  der  Gemarkungen  Seckmauern  und  Lützel-Wiebelsbach 
in  eine  Schlucht,  den  sogenannten  «Kirschgraben«.  Hier  nämlich  fand 
ich  diesen  Sommer  die  weiteren  Spuren  einer  römischen  Befestigung 
aaf,  wodurch  eben  die  Richtung  der  Linie  in  der  angegebenen  Weise 
bestimmt  wird.  Auch  dieser  Punkt  ist  wieder  mit  bewunderungswür- 
digem Scharfblick  ausgewählt.  Denn  er  ist  von  der  einen  Seite  durch 
die  tiefe  Schlucht  geschützt,  deckt  den  Eingang  zum  LützelbacherThal 
aod  gewährt  einen  weiten  Uebcrblick  über  das  vorliegende  Land. 
Von  hier  geht  die  Dichtung  des  limes  in  südlicher  Richtung  weiter 
über  den  Kirschberg  hinweg  nach  dem  Lützelbacher  Castelle.  LUeses 
letztere  ist  ja  nach  seiner  Lage  und  Grösse  bekannt  und  schon  öfter 
beschrieben,  wesshalb  wir  es  hier,  wo  wir  uns  nur  mit  den  von  uns  neu 
aufgefundenen  befestigten  Punkten  bescbäftigen,  iftergehen.  Nur  das 
wollen  wir  im  Vorübergehen  bemerken,  dass  in  dem  Lützelbacher  Castell 
in  der  letzten  Zeit  recht  interessante  Funde  gemacht  worden  sind. 
So  eine  Victoria  mit  einem  Siegeskranzc,  ein  Eber  mit  einem  zu  Boden 
getretenen  Manne,  aus  dem  in  der  Gegend  vorkommenden  rothen  Sand- 
stein,' die  beide  in  das  Museum  nach  Wiesbaden  gekommen  siud. 
Neuerdings  ist  eine  1,5  Meter  lange  und  1  Meter  breite  Sandsteinplatte 
theilweise  blosgelegt  worden,  welche  zu  heben  und  bezüglich  darauf 
befindlicher  Inschrift  oder  Bild  zu  untersuchen  ich  bis  jetzt  noch  nicht 
zulängliche  Muse  gefunden  habe.  Dagegen  wurde  etwa  120  Schritte 
von  dem  genannten  Castell  in  südöstlicher  Richtung,  also  nach  der  dem 
Feindesland  zugewendeten  Seite  neuerdings  ein  römisches  Haus  blos- 
gelegt, dessen  etwa  2  Meter  tiefer  Kellerraum  mit  regelmässigem 
Schichteumauerwerk  noch  wohleihalten  ist.  In  diesem  Souterrain 
befinden  sich  einige  nach  Innen  abgerundete  Nischen,  eine  nach  Innen 
sich  erweiternde  KelleröfFnung,  wohl  zum  Einschütten  von  Vonäthcn 
dienend.  Leider  ist  dieses  römische  Haus  trotz  wiederholter  Abmah- 
Dungen  des  Verfassers  von  dem  Eigenthümer,  der  die  Steine  zum  Bauen 
benutzte,  ziemlich  devastirt  worden.  Das  Haus  war  etwa  9  Meter  lang 
und  7  Meter  breit.  Manche  bei  dem  Graben  des  Eigenthümers  zum 
Vorschein  gekommene  werthvolle  Gegenstände  sind  zerstreut  oder  zer- 
schlagen worden.  So  z.  B.  der  Stein  einer  römischen  Handmühle  aus 
rheinischer  Lava,  dessen  Bruchstücke  wir  dieser  Tage  retteten.  Auch 
die  übrigen,  in  dem  Kellerraum  zum  Vorschein  gekommenen  Gegen- 
stände habe  ich  von  dem  Eigenthümer,  um  sie  vor  Verschleuderung 


40 


Deber  die  römiecben  Befestiguogien  im  Odenwald. 


ZU  retten,  acquirirt.  Es  befinden  sich  darunter  2  höchst  interessante 
römische  Waffen,  eine  hasta  und  ein  pilum  (letzteres  zweifelhaft);  viele 
andere  Gegenstände  aus  Eisen,  deren  Bestimmung  ich  der  demnäch- 
stigen Untersuchung  durch  Fachmänner  Oberlassen  muss;  eine  grössere 
Vase  aus  terra  sigiJlata  mit  einem  Jagdstück;  ein  abgerosteter  oder 
al>gebrannter  Theil  eines  grösseren  Scbmuckgegenstandes  aus  Bronze 
oder  Silber,  eine  Gewandnadel  (fibula),  ein  Stilua,  eine  silberne  Münze 
(Denar);  leider  ist  auf  dieser  keine  Insrhrift  mehr  zu  erkennen;  nur 
auf  der  Reversseite  das  Labarnm  mit  dem  römischen  Ad  Irr  und  auf 
beiden  Seiten  zwei  Feldzeichen.  Üeber  eine  grössere  Anzahl  römischer 
Münzen,  die  bei  Miltenberg  aufgefunden  wurden,  habe  ich  in  Nr.  153  der 
N.  Frankfurter  Presse  vom  10.  Juni  1877  eingehend  berichtet  und 
namentlich  auf  die  merkwürdige  Thatsache  aufmerksam  gemacht,  dass 
diese  MQnzen  in  fast  ununterbrocher  Reihenfolge  der  Kaiser  bis  zum 
Jahre  883  vorkommen,  woraus  ich  den  Schluss  zog,  dass  die  römische 
Occupatfon  dieser  Gegenden,  wenn  auch  mit  Unterbrechungen  durch  ger- 
manische F^intälle  länger  gedauert  habe,  als  man  bisher  angenommen  hat. 

Diese  unsere  Ansicht  scheint  uns  bestätigt  zu  werden  durch  das, 
was  Herr  Karl  Christ  in  ^iner  werthvoUen  Abhandlung  über  die 
datirbaren  Inschriften  des  Odenwaldes  (in  den  Bonner  Jahrbüchern  LH) 
mittheilt  Die  dort  (Seite  94)  mitgetheilte  Inschrift,  worin  es  für  ex, 
letus  für  laetus,  libes  für  libens  geschrieben  ist,  scheint  mit  dieser  erst 
später  vorkommenden,  corrumpirten  Schreibweise  jiuch  auf  das  dritte 
oder  vierte  Jahrhundort  hinzuweisen.  Jedenfalls  findet  das  Vorkommen 
römischer  Münzen  in  einem  römischen  Castell  bis  383  p.  Chr.  die  na- 
türliche ErkUlrunp  dadurch,  dass  um  diese  Zeit  noch  oder  wieder  eine 
römische  Besatzung  vorhanden  war.  Die  Erklärung,  welche  ihr  Kreis- 
richter Conrady  in  der  Abhandlung  über  »die  römischen  Inschriften 
der  Altstadt  bei  Miltenberg«  gibt  (vgl.II.'Heft,  Band  XIV  der  Nassaui- 
schen Annalen  sub  BMünzen«)^  dass  dieses  Vorkommen  römischer  Münzen 
in  dieser  Zeit,  in  dei^angeblich  dieselGegend  schon  dauernd  in  den 
Besitz  der  Alemannen  übergegangen  war,  sich  aus  dem  Handelsverkehr 
erkläre,  der  noch  lange  zwischen  Germanen  und  Römern  bestanden 
habe,  scheint  uns  sehr  problematisch,  weil  eben  trotz  dieses  Handels- 
verkehrs bis  in  das  8.  Jahrhundert  aus  dieser  Zeit  keine  römischen  Münzen 
n>ehr  vorkommen  und  weil  es  unseres  Wissens  unerwiesen  ist,  dass  sich 
die  Germanen  nach  Vertreibung  der  Römer  römischer  Münzen  bedienten. 

Doch  kehren  wir  nach  dieser  t  Abschweifung  zu  unserer  Be- 
festigungslinie'im  Odenwald  zurück.*' Verfolgen  wir  die  Richtung  der- 
selben, welche'rein' südlich  geht,  weiter,   so  begegnen  wir  da,  wo  die 


Ueber  die  römiBcbcn  Befestigungen  im  Odenwald. 


41 


beiden  Thäler  von  Heunengrund  und  Brcitenbninn  zusaramenstossen,  und 
wo  sich  auf  dem  Kamm  des  ganzen  Höhenzuges  die  Römerstrasse  hin- 
zog, weiteren  Wachthürmen,  die  bis  zum  »Ileunenhaus«,  wo  bekanntlich 
ebenfalls  ein  römisches  Castell  war,  in  regelmässigen  Entfernungen 
wiederkehren.  Mehrere  dieser  Wachtthiirme  wurden  1877  im  Sommer 
untersucht;  es  wurden,  wie  gewöhnlich,  eine  Menge  römischer  Ziegel, 
sowie  Bruchstücke  aus  terra  sigillata  und  andere  üeberreste  von  Ge- 
lassen, aber  ohne  Legions-  oder  Töpferstempel  aufgefunden.  Noch 
müssen  wir  über  eine  ebenfalls  neu  aufgefundene  Niederlassung,  welche 
etwa  1  Kilometer  hinter  der  Richtung  der  Linie  westlich  zurückliegt, 
berichten.  Dieselbe  liegt  in  unmittelbarer  Nähe  der  Kirche  zu  Breiten- 
bmon,  auf  einer  kleinen  Anhöhe,  Steinberg  genannt.  Ks  war,  wie  es 
scheint,  eine  bürgerliche  Niederla-ssung  von  grösserem  Umfang.  Doch 
beherrscht  dieser  Punkt  das  Breitenbrunncr  Thal  und  kennte  auch 
eine  militärische  Aoiage  gewesen  .sein.  Das  Gebäude  war  nach  den 
Fundameuten,  die  diesen  Sommer  aufgedeckt  worden  sind,  etwa  22  M. 
lang  und  15  M.  breit.  Dieser  Tnnenraum  war  nun  durch  viele  Zwischen- 
mauern in  kleinere  Räumlichkeiten  abgetheilt.  Früher  wurden,  wie 
mir  der  Besitzer  des  Grundstückes  erzählte,  hier  grössere  Sandst^ein- 
platten,  mit  Sculpturen  oder  Inschriften  versehen,  denen  Niemand  Be- 
achtung schenkte,  zertrümmert  oder  zum  Bauen  verwendet, und  so  sind 
denn  auch  hier  vielleicht  recht  werthvolle  Schätze  unwiederbringlich 
verloren  gegangen.  Da  im  Jahre  1771  in  der  unmittelbaren  Nähe 
dieses  Gebäudes  an  die  Stelle  einer  kleinen  J^P^He  die  jetzige  Kirche 
gebaut  wurde,  liegt  der  Gedanke  nahe,  dass  auch  zum  Kirchenbau  die 
grösseren,  ip  der  Nähe  betindlichen  römischen  Steine  verwendet  wurden. 
Ja  es  ist  gewiss,  dass  an  der  Kirche  sich  derartiges  Material  befindet, 
da  sieb  an  vielen  Stellen  ältere,  theilweise  verkehrt  stehende  Buch- 
staben eingehauen  zeigen.  Aber  eine  zusammenhängende  Inschrift  konnten 
wir  nicht  auffinden,  was  auch  durch  den  Bewarf  der  Kirche  erschwert  ist. 
Bei  dem  Graben  nach  den  Fundamenten  kam  ein  wohlerhaltener  Teller  aus 
terra  sigillata  zum  Vorschein,  der  den  Töpferstempel :  TOCCA  f.  hat,  ein 
Töpfername,  der  an  anderen  Niederlassungen  wiederholt  aufgefunden 
wurde.  Ziegel,  Gefässstücke,  Eisentheile  u.  s.  w.,  die  ebenfalls,' den 
römischen  Ursprung  dieses  Gebäudes  unzweifelhaft  bekunden,"  sind 
ausserdem  hier  gefunden  wurden.  Es  geht  aus  unseren  Mittheilungen 
hervor,  dass  die  römischen  Niederlassungen  im  Odenwald  in  der  NUhe 
des  Uraea  viel  zahlreicher  gewesen  sind,  als  man  bis  jetzt  wu!33te."Wenü 
es  mir  gelungen  ist,  in  dem  kleinen  Umkreis  meines  Kirchensprengels 
80  fiele  bisher  unbekannte  römische  Niederlassungen   aufzufinden,  so 


43  Uob«r  die  römuohon  Befostiguogen  im  Odenwald. 

ist  gewisM  dio  Annahme  gerechtfertigt,  dass  an  der  weiteren  Unie  eben 
«0  viel  noch  unbekannt  und  unerforscht  ist.  Die  bisherigen  Anschau- 
ungen nbcr  den  Aufenthalt  der  Römer  im  Odenwald  werden  durch  die 
nfttcrn  Kutdockungon  und  Ausgrabungen,  wie  sie  namentlich  im  ver- 
floMoncn  Jahre  auch  bei  Miltenberg  stattgefunden  haben,  bedeutend 
erwcitt^t,  xum  Thcil  auch  cerrigirt  und  dürfte  sich  Tür  die  vaterlän- 
diMtho  (^«ichichtaforschung  kaum  ein  lohnenderes  und  wichtigeres  Ge- 
biet (larbiotcn,  als  der  limcs  im  Odenwald. 

Sockmaucra  i.  0.  P£arrer  Seeger. 


4>  UtMr  (0«  llMM^Frage  und  die  rtaiwbM  AtterthiMr 


IVr  w^nitohondcn  hScbst  schitibami  Abhandlung  des  Herrn 
Vfiirvxv^  $<^<»ger,  die  «ohl  gi^cignot  i$u  dieAusdctoung  and  ¥annirh- 
Cal(^tk«'<t  der  in  dopivltmn  Ijiuie  dancb  den  Odenwald  zidieikdai 
litt',<«  Anla^n  s^a  sxigxii.  mj^n»  hier  noch  einübe  F^nerkongen  beige- 
tU$<  M«K>  dy'  pNi^nM  »ein  ddnVs,  d^e  La^??  der  hes^xiebeBcs  Befesti- 
p(:!t^s  sxi  «Ser  il'sprsMi::e£  S;:sai:v'n  des^  ^lirie^  inperü  innsrbeianiis« 
jikVr  «  jei.-SÄTfff^  ier  er.  j^irjyrä:  ^s^rer.  v^r  OTWtrwfi::«»  enthielt 

SivixrjiBfrr  xxi  i>f  is>T^^r.  Kv'r.irscati.'Ka:.  a5e  r.a.r'b  Seeger 
<t>f«  i^rwi  i  ^5J:lC(^fa  >«•  tf-T  bcfftS-itec  OirU'i  Viifit.  zu:^s  TÄmtirh 
T)ar  <^i>f!T.  7'ie«;™  «c  Axf  i«-  K:Äe  c<*  CvicEr.^rjLCis  iiöeiaoie*  Forti- 

ne  3Lm»f  jynäsäSw  -rrrur  "iiifc  i>fr  X3,-i;  -»vr^T«»«!  äi.t  srü 

Tsrnit  hnm:'.n     .».  »rj  tjc  ihr  Si''  iar  ^Sn'sixyxmf.  «^  TiftoaniaHLaaies 
airra  liu  jumw  »"ifv  tx  iujc  U',iri»r«;in  tw7. 

Itiss  £.j.s:r  :*rf»nis  ütf  JLifjmuaor   it  7^£rg  ü~  t>«!r  Bat  I311» 

.    ^»r  •fiT'sp.üiaB   :3rs"&  i.    t.   ätf  "n"v««.''JV''Sw««v  Sjw   ivtm^im.   ««eis« 
IM.  li 


Ueber  die  litno»-Frag6  u.  die  römischen  AUortfaümor  aus  Obernburg  a.  Main.    43 


zarückgedräDgt  habe,  ist  ganz  unerwiesen.  Die  Alemannen  waren  viel» 
mehr  um  das  Jahr  270  unter  Aurelian  in  das  dekumatische  Land 
hereingebrochen  und  von  da  an  im  dauernden  Besitze  desselben. 

Dass  aber  gar  Kaiser  Constautin  der  Grosse  die  ganze  Ver- 
theidigungslinie  zwischen  Main  und  Donau  wiederhergestellt  habe,  und 
^äter  Julian  dies,  nachdem  sie  durch  erneute  Einfälle  der  Deutschen 
'wieder  zerstört  worden  sei,  nochmals  versucht  habe,  dies  ist  geradezu 
unrichtig.  Einzelne  Züge  dieser  und  anderer  Kaiser  über  den  Rhein 
können  hier  nicht  in  Betracht  kommen.  Jedenfalls  betrat  keiner  von 
ihnen  mehr  die  oberen  Maingegenden.  Wenn  auch  einzelne  seit  den 
Zeiten  Aurelians  verlassene  Castelle  des  rechten  Rheinufers  wiederher- 
gestellt sein  mögen,  so  war  doch  an  eine  dauernde  Besetzung  des  Zehnt- 
laades  zwischen  Rhein,  Main  und  Neckar,  sowie  des  Spessarts  nicht 
mehr  zu  denken.  Dies  bestätigen  denn  auch  durchweg  die  datirbaren 
Inschriften,  die  mit  dem  Beginn  der  zweiten  Hälfte  des  dritten  Jahr- 
hunderts hier  gänzlich  aufhören. 

Wenn  sich  nun  aber  trotzdem  spätere  römische  Münzen  in  diesem 
Gebiete  vorfinden,  ja  sogar  solche,  die  bis  in  die  letzten  Decennien  des 
vierten  Jahrhunderts  reichen,  so  dürfte  die  Erklärung  durch  den  Han- 
delsverkelir  der  Germanen  sowie  durch  von  ihnen  gemachte  Kriegsbeute 
gewiss  die  richtigste  sein, 

Die  äusserste  Grenze,  'die  man  etwa  gelten  lassen  könnte,  bis  zu 
welcher  sich  die  festen  Plätze  des  limes  mühsam  gehalten  hätten,  wäre 
der  Beginn  des  vierten  Jahrhunderts. 

Nimmt  man  dazu,  dass  dieselben  etwa  um  das  Jahr  100  p,  Chr. 
erbaut  wurden,  so  ergäben  sich  also  bis  zum  Jahr  300  volle  zwei  Jahr- 
hunderte der  Anwesenheit  der  Römer  in  diesen  Gegenden. 

Dies  spricht  denn  auch  Walt  her  in  seinen  trefftichen  hessischen 
Alterthümern  (Darmstadt  1869)  aus,  indem  er  sagt,  dass  die  limes-Be- 
Festigungen  bis  dahin  wohl  noch  nicht  definitiv  aufgegeben  waren,  aber 
das  freie  Land  sei  bereits  von  den  Alemannen  überschwemmt  gewesen, 
sodass  nun  die  Verbindungen  der  limes-Castelle  nach  dem  Rheine  und 
der  Donau,  die  faktisch  seit  270  wieder  nur  die  eigentlich  haltbare 
Reichsgrenze  waren,  zu  oft  und  zu  lange  unterbrochen  worden  sei. 

Was  die  Zeit  der  Errichtung  des  limes  betrifft,  so  wird  auch 
wieder  von  Kittel  die  ungenaue  Angabe  wiederholt,  derselbe  sei  erst 
unter  Hadrian  angelegt  worden,  während  derselbe  unter  Trajan,"um  das 
Jahr'lOOJunserer  Zeitrechnung  im  Grossen  und  Ganzen  bereits  vollen- 
det ist  ;(vgl.  meine  Bemerkungen  in  diesen  Jahrbüchern  LU,  S.  67). 
Der  weitere  Ausbau  mag  allerdings  längere  Zeit  in  Anspruch  genommen 


44    Ueber  die  Umet-Fnge  u.  die  römiacben  Alterthämer  am  Obembnrg  a.  Main. 

haben.  Man  hat  in  neuerer  Zeit  den  limes  nicht  als  eigentliches  mili- 
tärisches Werk,  sondern  blos  als  eine  Art  von  todtem  Schutzwerke  be- 
trachten wollen  fflr  das  vom  Rhein  landeinwärts  abgeschlossene  Gebiet 
(s.  Schneider  in  der  Jenaer  Literatnrzeitnng  von  1877  No.  38  gegen- 
über der  neuen  Schrift  von  Rössel  aber  den  Ffahlgraben  im  Taunus), 
dies  konnte  sich  aber  höchstens  auf  den  äussersten  vorgeschobenen  Zug 
derselben  beziehen,  den  auch  Paulus  als  blose  Demarkations-  und 
Allarmlinie  auffassen  wolKe.  Diese  vorliegende  Grenzwehr  soll  nach 
ihm  schnurgerade  gezogen  sein,  was  im  Einzelnen  nicht  mit  meinen  Unter- 
suchungen stimmt  und  auch  gegen  alle  strategischen  R^ln  verstiesse. 
Nur  die  Hanptrichtnng  war  im  Allgemeinen  gerade,  im  Besondcm  aber 
den  Terrainverhältnissen  anbequemt 

Ueberblickt  man  nun  die  parallelen  durch  Castelle,  ständige  Lager, 
kleinere  Verscfaanzungen  und  Signalthärmchen  gedeckten  beiden  Linien, 
die  zusammen  den  lime  im  Odenwalde  ausmachen,  so  muss  man  nn* 
bedingt  von  jener  Ansicht  zurückkommen  und  in  diesen  beiden  Ketten 
von  Befestigungen,  deren  jede  selbst  wieder  mehrere  Abstufungen  zeigt, 
und  die  dadurch  wieder  unter  einander  zusammenhängen,  ein  militäri- 
sches Werk  von  höchster  Vollendung  erkennen.  Die  Operationsbasis 
war  die  Linie  des  Rheines,  auf  welche  sich  die  Römer  wie  gesagt  schon 
vor  3i»  zuröckgezogen  haben,  indem  sie  nur  noch  das  linke  Rheinofer 
durch  Vorwerke  und  Allannposten  auf  dem  rechten  Uferrande  zu  decken 
suchten.    Namentlich  that  dies  Valentinian  (.369). 

Im  Jahre  371  griff  derselbe  einen  alemanni>chen  Fürsten  an, 
Makrian,  der  in  dem  Mainz  gegenüberliegenden  Landstriche  sich  nieder- 
gelassen hatte  und  schloss  einige  Jahre  später,  374  einen  Friedensbund 
mit  dem  letzten.  Seit  jener  Zeit  fand  kein  Rheinübergang  der  Römer 
in  das  Dekumatenland  mehr  Statt. 

Wenn  nun  aber  Kittel  S.  10  behauptet,  dass  seit  dem  Jahre 
374  keine  Römerherrschaft  auch  auf  dem  linken  «Rheinufer«  mehr  be- 
standen habe,  so  ist  dies  vollständig  unrichtig.  Wahrscheinlich  wollte 
derselbe  »linkes  Mainufer«  sagen. 

Ueber  alle  diese  Dinge,  besonders  über  die  tRheinuberg&nge  der 
Römer«  hat  Becker  in  so  hervorragender  Weise  in  den  Nassauischen 
.\nnalen  EVI.  X  gehandelt,  dass  sich  kaum  irgendwie  Neues  noch  hin- 
zutügen  lassen  dürfte.  .VUe  diejenigen,  welche  sich  mit  der  Geschichte 
der  Maingegendon  befassen,  müssen  diese  .Vrbeit  zu  Grunde  l^en. 

Jetzt  noch  eine  Houierkung  in  l^ezug  auf  den  obigen  Aufsatz 
von  Seeger.  Wenn  derselbe  S.  ;V>  den  Namen  eines  unbedentendcn 
Ortes  wie  Seckmauern  von  einem  römischen  Centurio  oder  gar  ans  dem 


U^ber  die  Umoa-Fnige  u.  die  römischen  Alterthümcr  aus  Obemburg  a.  Main.    46 

Keltischen  ableiten  will,  so  ist  das  sehr  kübn.  "Wie  die  Seckach  im 
t>adischen  Odenwald  und  Scckbach  bei  Frankfurt  ist  auch  Seckmaueni 
sicher  deutsch  und  verwandt  mit  dem  Worte  »sickern«  und  altdeutsch 
sSkan,  slgan,  slgen  =  versiegen,  sich  senken,  versinken,  tropfend  sich 
.'bwärts  bewegen  oder  niederrieseln,  so  dass  die  obigen  Benennungen 
af  feuchte  Lagen  deuten,  gerade  wie  die  bei  Seckmauern  im  Walde 
e^elegene  Römerstätte  »feuchte  Mauer»  (vgl.  oben  S.  38).  Seckmauern 
l^eisst  urkundüch  Sickmuren  (vgl.  Wagners  hessische  WüstuogenS.  199). 
XJies  kann  aber  auch  aus  Sickenmuren  entstanden  sein,  in  welchem  Falle 
^^s  soviel  bedeutete  wie  »zu  den  Mauren  des  Sicko*  (Kürzung  der  alt- 
<aeutschen  Mannsnamen  Sikilo,  Sigüo,  Sigfrid).  Ein  deutscher  Ansiedler 
^Bicko  (im  (Jeuitiv  Sickin)  hätte  sich  bei  den  römisclien  Bauresten,  die 
l::aier  wie  sonst,  durch  den  Ortsnamen  Mauren  (alt  mCtron  im  dat.  plur.) 
t>ezeichnet  wurden,  niedergelassen  und  so  die  Namen  »Sickin  müron« 
"^^eranlasst.  Ebenso  heisst  Seckenheim  bei  Heidelberg  urkundlich  Sickin- 
Itieim,  d.  h.  Heimstätte  eines  gewissen  Sicko. 

Gehen  wir  jetzt  zu  der  Besprechung  der  römischen  Alterthümer 
«AUS  Obernburg  über. 

Obernburg  war  eine  der  wichtigsten  Römerstationen  des  Mains 
^jnd  ist  in  Folge  dessen  auch  bekannt  durch  eine  grosse  Menge  hier 
gefundener  Antiquitäten,  worüber  die  i>Bavaria«  IV,  1.  S.  531;  Knapp 
-§44  seiner  Denkmäler  des  Odciiwaldes  (=S.  63f.  der  zweiten  Auflage 
"Von  Scriba);  Steiner  »Maingebiet«  S.  199  ff,  und  verschiedene  andere 
Schriften  zu  vergleichen  sind,  wozu  in  neuerer  Zeit  die  oben  erwähnte, 
«luf  Kosten  der  Stadt  Obemburg  veranstaltete  und  von  ihr  verlegte 
jiGeschichte  der  Stadt  Obemburg«  von  Kittel  kommt. 

Schon  durch  die  Betrachtung  des  Terrains  unterhalb  der  Stadt, 
«lern  Ausflüsse  der  Elsava  gegenüber  ergiebt  sich,  dass  hier  ein  römi- 
sches Castrum  stand.  Darauf  weist  auch  die  Lage  am  Ausgangspunkte 
«ler  römischen  Fortificatiouslinie,  die  von  hier  aus  auf  der  Mimlinghöhe, 
dem  Kamme  des  Odenwaldes  bis  nadiMudau  lief  und  die  zweite  Stufe 
des  limes  bildete,  dessen  äusserste  Demarkatiousllinic,  ebenfalls  durch 
Castelle  geschützt,  weiter  Östlich,  bei  Freudenberg  über  den  Main  zog. 
Diese  äusserste  Front  war  am  Main  durch  das  Castell  bei  Miltenberg 
geschützt.  Das  nächste  grössere  Castell  mainabwärts  an  dem  besagten 
2iTeiten,  rückwärts  liegenden  Trakte  des  limes,  war  eben  Obernburg. 
Eine  Karte,  wie  die  in  Walthers  hessischen  Alterthümern  (Darmstadt 
1869)  befiadliche,  versinnbildlicht  am  Besten  die  allgemeine  strategische 
Situation  dieser  den  limes  transrhenanus  in  so  hohem  Maasse  zu  einer 
vertbeidiguiigsfdhigen  Linie   machenden  Befestigungen,  und  gibt  auch 


46    üeber  die  liraes-Frage  u.  die  römischen  Alterthütner  aas  Oberttburg  a.  Main 

ein  deutliches  Bild  der  zugehörigen  Strassenläufe,  die  selbst  wieder 
armirte  Linien  bildeten. 

Muss  nun  hier  in  Bezug  auf  die,  auf  der  sog.  Orleshöhe  gelegenen 
Befestigungen  bei  Obernburg  auf  Kittel  verwiesen  werden,  so  ist  auf 
der  andern  Seite  Kittels  gänzlich  unhaltbarer  Ansicht  cntgegcnzu> 
treten,  dass  die  Hauptthore  des  römischen  Lagers  noch  bestünden  und 
die  jetzigen  Stadtthorc  wären!  Leider  trifl't  man  in  allen  Lokalschriflen 
dergleichen  schiefe,  längst  wicderlegte  Anschauungen  immer  und 
immer  wieder.  Die  Stelle  des  Standlagers  war  gar  nicht  die  der 
heutigen  Stadt,  sondern  liegt  wie  gesagt  vor  dem  untern  Thore  bei 
dein  neuen  Bezirksamte. 

Wie  oft  soll  es  noch  widerholt  werden,  dass  in  den  dekumati- 
schen  L'ändcrn  nirgends  mehr  ein  römischer  Bau  über  der  £rde'steht. 

Was  nun  die  standige  Besatzung  dieses  stehenden  Lagers  zu  Obern- 
burg betrifft,  60  geht  aus  den  daselbst  gefundenen  Inschriften  hervor, 
dass  zunllchst  ein  Theil  der  XXII.  Legion  dort  lag. 

1)  Der  betreffende  Stein  (bei  Brambach  1749)  wurde  schon  im 
Jahre  1760  oder  C7  gefunden  und  soll  in  die  Grafschaft  Erbach  ver- 
bracht worden  sein.  Von  Erbach,  wo  er  im  dortigen  Schlosse  nicht 
aufziifuideu  ist,  scheint  er  uns  vielmehr  damals  als  Geschenk  des 
Grafen  von  ICrbach  nach  Mannheim  gekommen  und  der  im  dortigen 
Antiquarium  no.  C2b  befindliche  Legionsstein  zu  sein  (vgL  den  Mann- 
heimer Catalog  von  Ilaug  S.  46). 

2)  Hodann  lug  zu  Obernburg  die  IV.  Cohorte  freiwilliger  römi- 
«Kther  Bürger  ( H  r  a  m b ac h  1750).  Die  cohortes  voluntariorum  civium  Ro- 
man«» um  gehörten  zu  den  Auxiliar-Cohorten  und  diese  bildeten  nicht  inte- 
grlfiind«'.  Berttniidthüilu  der  Legionen,  sondern  standen  vielmehr  als  selb- 
lUmtiK«  klüitiere  Corps  neben  denselben.  Mau  wird  nun  hiernach  leicht 
biurtlieilon  ktiniiiMi,  wie  verkehrt  es  ist,  wenn  Kittel  die  genannte 
v)«rt«  Cohorto  der  Freiwilligen  als  eine  Cohorte  der  22.  Legion  betrachtet 
und  AUii«ord(Mti  Jone  Cohorte  wieder  mit  den  gleichfalls  zu  Obemburg 
güHAndiiiien  Ahtheilungcn  der  vierten  aquitauischen  Reitercuhorte  ver- 
nMOKit  die  nur  daH(Jcuieiusume  damit  hat,  dass  sie  gleichfalls  zu  den 
illlfiicohürton  gehört. 

Vl«l  l»CMH«r  wäre  es  gewesen,  wenn  Kittel,  anstatt  diese  und 
Vlfl«  Andor«  ungenaue  Angaben  zu  machen,  nachzuforschen  versucht 
h)M(#(  WO  denn  die  von  Steiner  erwähnten  drei  Ziegelsteine,  worauf 
)#•«  ITMtltvIiilgoncoliorto  sich  nannte,  hingekommen  sind. 

IW  Jlürgei'iuoihtrr  von  Obernburg,  Herr  Krcss,  versicherte  uns, 
(H«  »ffiMi  Rchon  vor  üü  Jahren  vuti  unbekannter  Hand  aus  der  Scheune, 


üeber  die  Umes-Frage  u.  die  rönÜBoben  Aliertli&mer  aus  Obenibarg  a.  Main.    47 

WO  m  eingemauert  waren,  entführt  worden.  In  Obernbai^  befinden 
sie  sich  jedenfalls  nicht  mehr. 

Hinsichtlich  der  FreiwUligen-Cohorten  überhaupt  ist  noch  zu  be-. 
merken,  dass  sie  aus  römischen  Bürgern  aus  Italien  bestanden,  die 
Kriegsdienste  unter  den. Hilfstruppen  thaten  und  die  seit  dem  Beginn 
der  Eaiserzeit  aufkamen,  als  die  ordentliche  Rekruten-Aushebung  für 
die  Legionen  in  Italien  aufgehöi-t  hatte. 

3)  Was  nun  die  erwähnte  vierte  Reitercohorte  aus  Aquitanien  im 
südlichen  Frankreich  betrifft,  so  sind  zwei  Steinschriften  von  derselben 
zu  Obemburg  gefunden  worden. 

Die  eine  derselben  befindet  sich  noch  daselbst  eingemauert,  neben 
dem  Gasthans  zum  bayrischen  Hol  Sie  lautet  nach  unserer  dort  ge- 
nommenen Abschrift  genau  so: 

I     O-   M- 
LPETRONIVS 
FLORENTINVS 
DOMO  SALOAS 
PRAEF-COH-ilii 
AQ»EQ'-CR- 
V-SLLM 

also  =  Jovi  optimo  maximo,  Lucius  Petronius  Florentinus  domo  Sal- 
das,  praefectus  cohortis  quartae  Aquitanorum  equitatae  civium  Roma- 
norum,  votnm  solvit  laetus  libens  merito. 

Was  das  Aeussere  des  Denkmales  betrifft,  so  ist  dasselbe  ein  Altar, 
der  aber  oben  an  der  Krönung  als  Baustein  hergerichtet  ist  um  in  die 
besagte  Hausmauer  zu  passen.  Das  Inschriftfeld  ist  55  cm.  hoch  und 
ebenso  breit;  das  Material  rother  Sandstein. 

Die  Buchstaben  sind  zwar  von  gutem  Typus,  aber  ä\e  P  durchaus 
geschlossen  (vgl.  unsere  Bemerkungen  hierüber  in  diesen  Jahrbüchern 
LH,  87  u.  LXI,  16).  Die  Punkte  sind  dreieckig  und  stehn  wie  sie 
hier  angegeben  sind. 

Von  den  Buchstaben  fehlt  kein  einziger,  auch  sind  sie  alle,  abge- 
sdien  von  den  unwesentlichen  Beschädigungen  des  Steines,  ganz  deutlich, 
sodass  hiemach  Brambachs  Edition  derselben  no.  1748  etwas  zu 
modificiren  ist 

Der  donator  dieses  Altars  war  ein  Afrikaner  aus  Saldae  in  Uaure- 
tanien,  auch  Saide  genannt,  seit  Augustus  römische  C!olonie.  Die  Form 
Saldas  ist  der  daraas  gebildete  Volksname,  wofür  sonst  Salditanus  oder 


48    üeber  die  limeB-Frftge  a.  die  römiBcben  Alterthumer  aua  Obernburg  a.  Msia. 


Saldeneis  gebraucht  wird  (vgl.  Wilma nns  II,  p.  458).  Die  Heimats- 
bezeiclmung  wird  hier  durch  domo  ausgedrückt,  wie  sonst  in  der  Regel 
durch  natiooe. 

£s  hätte  auch  geschriebea  werden  können  domo  Saldis,  wobei 
der  Städtename  im  Ablativ  auf  domo  gefolgt  wäre,  oder  man  hätte 
denselben  auch  in  den  Genetiv  setzen  können,  sodass  man  Saldas  selbst 
als  griüclusclien  Genitiv  von  Saide  ansehen  könnte,  obwohl  dies  weniger 
wahrscheinlich  ist  (vgl.  Wilmanns  II,  p.  410). 

4)  Eine  weitere  Inschrift  aus  Obernburg  befindet  sich  jetzt  zu 
Aschaffenburg,  wo  sie  Brambach  verglichen  hat  (vgl.  seine  add. 
ad  no.  1747,  p.  XXXU). 

Hier  löst  nicht  der  Spender  der  obigen  ara,  d.  h.  der  Präfekt  der 
vierten  Gehörte  der  berittenen  Aquitanier  sein  Gelübde  selbst,  sondern 
dies  crfüDt  der  Cohorten-Arzt  Uubrius  Zosimus  aus  Ostia  für  des 
ersteren  Genesung.  Der  betreffende  Altar  ist  zwar  ebenfalls  dera  Jupi- 
ter in  erster  Linie  gewidmet,  aber  auch  einer  Familie  von  Heil-  und 
Badc-Gotthciten,  die  über  die  Gesundheit  der  Menschen  wachten.  Er 
ist  nämlich  dem  Apollo  und  seinem  Sohne  Aesculaptus,  der  Salus, 
des  letzteren  Tochter  und  der  Fortuna  inschriftlich  geweiht  und  ent- 
hält ausserdem  noch  die  Bildnisse  der  Fortuna,  sowie,  was  besonders 
bemerkenswerth  ist,  des  Neptunus. 

Diesen  Wassergott  trifft  man  sonst  häufig  bei  alten  römischen 
Flussübergängen,  wo  er  zum  Schutze  der  Ueberfahrenden  diente.  Eine 
solche  üebcrfalirtsstelle  mit  Neptuubikl  bi'fand  sich  auch  weiter  oben 
am  Main,  zu  Trenniui-t.  Desgleichen  stand  ein  Neptuiisheiligthum  auf 
der  römischen  Brücke  bei  Heidelberg.  Zu  Obeniburg  könnte  daher  dieser 
Altar,  der  bildlich  zugleich  dem  Neptun  und  der  Glücksgöttin  er- 
richtet war,  in  gleicher  Weise  bei  dem  römischen  üebergang  über  den 
Main  nach  dem  gegenüberliegenden  Brückenköpfe  bei  Elsenfeld  ge- 
Btanden  haben.  Fortuna  hätte  also  hier,  wie  jedes  glückliche  Ereigniss, 
80  auch  den  sichern  Üebergang  zu  leiten  gehabt.  Da  es  sich  aber  um 
die  Heilung  des  Fräfekten  handelt,  so  bezieht  sich  ihre  Function,  wie 
die  des  Neptun  auf  die  Hülfe  bei  einer  Badekur  (vergl.  Becker  im 
Frankfurter  Archiv  1865). 

Der  Name  des  Arztes  Zosimus  ist  ein  bekannter  Sklavenname. 
Sein  Gentile  Rubrius  bezeichnet  ihn  als  einen  Freigelassenen  der 
Familie  Rubria.     üeber  solche  Militärärzte,  vgl.  Jahrb.  L,  186. 

Der  Beisatz,  den  die  vierte  berittene  aquitanischc  Cohorte  neben 
dem  Volksnamen  hier  führt,  nämlich  civium  Ilomanorura,  bezieht  sich 
auf  das  römische  Bürgerrecht,  welches  dieses  Corps  von  Peregrinen 


C«ber  die  limee-Frage  n.  dje  römischen  Alterthfimer  aus  Ob«rnburg  a.  Main.    49 


oder  Nicbt-Italikem  wohl  als  Auszeichnmig  erhielt,  wie  dies  mehrfach 
bei  aas  PrcJ^nzialen  ausgehobener  Reiterei  Yorkomint 

Die  Eigenschaft  römischer  Bürger  findet  man  zwar  gewöhnlich, 
aber  nicht  immer  nur  bei  Reitercohorten  angeführt,  wie  Lehne  I,  S.  121 
meint.  Schon  ein  von  ilim  selbst  gebrachtes  Beispiel,  d.  h.  die  cohortcs 
Thracum  civ.  Roman.  (Wilmanns  2867)  spricht  dagegen.  Vollkommen 
jcht  hat  aber  Lehne,  wenn  er  sagt,  Inschriften,  wie  die  Obemburger, 
kuf  welchen  die  genannte  Eigenschaft  erwähnt  werde,  fielen  in  die  Zeit 
vor  Caracalla,  da  derselbe  allen  Provinzen  das  Bürgerrecht  verlieh,  so- 
dass von  da  an  der  Beisatz  civ.  Rom.  gegenstaodlos  geworden  wäre. 

5)  Zu  den  voi-stehenden  Inschriften,  von  denen  bei  Kittel  keine 
such  nur  erwähnt  ist,  kommt  nun  noch  eine  neue,  die  noch  nirgends 
bekannt  gemacht  wurde. 

Wir  sahen  dieselbe  bei  einem  Besuche  zu  Oberaburg  im  Sommer 
dieses  Jahres  (1877)  als  sie  gerade  von  ihrem  Fundorte,  am  Waldrande 
bei  der  Strasse  mitten  zwischen  Wort  und  Obernburg,  in  das  Stadt- 
haus letzteren  Ortes  eingebracht  worden  war.  Der  Stein  stellt  ein  Relief- 
bild des  Hercules  vor,  das  leider  zerbrochen  ist  und  darunter  steht  die 
Inschrift  auf  dem  38  cm.  breiten,  14  cm.  hohen  und  30  cm.  dicken  Sockel : 


HERCVLI 
MALIATOR 


Also  =  Ilerculi  mal(l)iator(es),  wobei  das  eine  fehlende  L  nie  auf  dem 
Sterne  gestanden  hat,  wie  ja  überhaupt  die  volksthiimliche  Form  statt 
malleatores  gebraucht  ist.  Von  der  Inschrift  fehlt  nichts,  sodass  die- 
selbe durch  ihre  Kürze  auffallend  erscheint  Dass  hier  der  Her- 
cules der  Steinbrüche  und  Bergwerke  vorliegt,  welcher  unter  dem  Bei- 
namen Saxanus  vorzugsweise  im  Brohlthal  und  seinen  Tuffsteinbnlchen 
bei  Andernach  verehrt  wurde  (seit  Römerzei ton  bekannt  durch  die  be- 
rühmten von  dort  stammenden  Lava-Mühlsteine)  ist  wohl  unzweifelhaft. 
Vgl.  Jahrb.  L,  192  und  Haug,  Mannh.  Denkst,  no.  27. 

Die  Steinbrüche  bei  Obernbürg  bestehen  dagegen  aus  gewöhn- 
lichem rothen  Sandstein,  wie  auch  unser  Denkmal. 

Hinsichtlich  des  zweiten  Worts  könnte  man  nun  die  Frage  er- 
heben, ob  dasselbe  nicht  etwa  auch  solch  einen  Beinamen  des  Hercules 
enthielte,  sodass  hier  eher  MALIATOR(i)  zu  verstehen  wäre.  Statt 
dessen  ist  aber  wie  gesagt  einfacher  maliator(es)  zu  ergänzen,  indem 
der  deutUche  Punkt  nach  dem  11  eine  Abkürzung  von  doch  wenigstens 
zwei  Buchstaben  anzuzeigen  scheint.  Hiernach  widmeten  hier  also  die 
Steinhauer,    wohl   mit  dem  ^Steinbrechen   beauftragte  Soldaten,   dem 


60    üeber  die  limea-Frage  u.  die  römischen  Alterthümer  aoB  Obernbnrg  a.  Main 

Hercules  ein  Bild,  wie  zu  Rom  die  in  der  kaiserlichei^  Münze  be- 
schäftigten Ilammerarbeiter  »malliatores«,  wie  sie  sich  dort  sdireiben, 
ebenfalls  dem  Hercules  weihen  (Wilmanns  1378  c). 

Die  Dcdikationsforroel  fehlt  hier  gänzlich,  was  öfters  vorkommt 
(z.  B.  ib.  1929  wo  die  fuUones  ebenso  widmen).  Bei  der  Annahme 
eines  Hercules  Maliator  würde  auch  der  Dedikant  fehlen. 

G)  Ein  an  gleicher  Stelle  gefundener  und  von  uns  im  Stadthaus 
zu  Obernburg  eingesehener  Stein  enthält  keine  Inschrift,  sondern  blos 
ein  Keliefbild,  aus  demselben  rothen  Sandstein  bestehend,  80  cm.  hoch, 
40  cm.  breit  und  20  cm.  dick.  Dieses  Bildwerk  stellt  den  Apollo  vor, 
jugendlich,  in  edler  Haltung  und  gutem  Style,  das  lang  herabfallende 
dichtgelockte  Flaupthaar  von  einem  hohen  runden  Haarschopfe  bekrönt. 

Die  nackte  Figur  ist  wie  gewöhnlieh  stehend  dargestellt,  auf  dem 
rechten  Beine  ruhend  und  mit  übergeschlagenem  linken  Beine.  Das 
M&ntelchen  (die  chlamys)  ist  auf  der  rechten  Schulter  befestigt,  be- 
deckt die  linke  und  fällt  hinten  hinab.  Neben  dem  Grotte  auf  seiner 
linken  Seite  steht  auf  einer  Console  die  von  ihm  gehaltene  viersaitige 
grössere  Lyra  (cithara). 

Die  KOrpcrformen  treten  in  starker  Rundung  hervor  und  sind  in 
durchaus  kAustlerischer  Weise  behandelt,  sodass  eine  photographische 
Anfnalmie  des  Bildwerkes  sehr  am  Platze  wäre. 

7)  Kinigo  zu  Obemburg  an  der  Stelle  des  römischen  Standlagers, 
beim  .\mthausc  gefundene  Töpfcrwaaren  sind  im  Besitz  des  dortigen 
Bezirksamtmannes,  bei  welchem  wir  die  mit  Namen  abschrieben: 

a)  auf  einem  schonen,  ganz  erhaltenen  Teller  von  terra  sigillata, 
der  20  cm.  Durchmesser  hält,  steht  BITVNA'S  F(ecit)  auf  der  innem 
Boitenfläohe,  wie  gewöhnlich; 

h)  auf  einem  Bruchstücke:  MARTTNVS  F,  mit  Ligatur  von 
M,  A  und  R. 

c)  auf  dem  äussern  (nntem>  Boden  zweier  lüropchen  aus  ge- 
wöhnlichem Thon  steht  einmal  NERl.  das  zweite  Mal  SATTOMS  = 
Sattonis  (.officina^  mit  Ligatur  von  A  und  T.  von  .X.  l  und  S. 

Alle  sind  bekannte  Töpfemamen.  Ueber  Nerus  vgl.  L  Becker 
im  l-Yankfurter  Archiv  von  ISiv». 

Nach  Aussage  des  Herrn  Bürgermeisters  Hess  ein  bayrischer  Major 
vor  längeren  Jahren  durch  Si^ldatcn  an  derselben  Stelle  Nach- 
grabangen  veranstalten  und  fand  dabei  eine  so  grctsse  Menge  römischer 
Töpferwaaitn,  dass  er  sie  in  einem  gn>sson  Güterwagen  wegführen 
uanto.   Wo  sind  dieselbe»  hingekommen? 

Carl  Christ 


Dattrbare  Inscbriften  ans  dem  Odenwald  und  Mainthal. 


51 


5.  Datirbare  Inschriften  aus  dem  Odenwald  und  Mainthal. 

(Fortsetzung  aus  Jahrbuch  LII  8.  62—96.) 

Bei  der  Anordnung  des  epigraphischen  Stoffes  kann  man,  je  nach 
den  spcciellen  antiquarischen  Fragen  die  man  dabei  verfolgt,  von  ver- 
schiedenen Standpunkten  ausgehn.  Während  in  den  grösseren  In- 
scliriftenwerken  die  rein  örtliche  Reihenfolge  überall  Anwendung  findet, 
muss  bei  historisch-topograpischen  Studien,  die  sich  ein  bestimmtes 
kleineres  Gebiet  als  Object  auscrwiLhlt  haben,  vor  Allem  der  chrono- 
logische Gesichtspunkt  ins  Auge  gefasst  werden. 

Nur  auf  diese  Weise  kann  die  Geschichte  eines  Gebietes  allmäh- 
lich aus  den  Quellen,  d.  h.  dem  datirbaren  inschriftlichen  Materiale 
aufgebaut  werden.  Diese  Art  der  Erforschung  der  Territorialgeschichte 
ist  um  so  mehr  angezeigt,  wenn  (wie  dies  beim  Dekumatenlande, 
dessen  nördlichster  Theil  hier  zum  Vorwurfe  dient,  der  Fall  ist)  andere 
Quellen  fast  gJlnzUch  schweigen. 

Nach  diesem  selben  chronologischen  Principe  soll  denn  nun  nach 
längerer  Unterbrechung  mit  der  Ausbeutung  der  inschriftlichen  Denk- 
mäler fortgefahren  werden,  die  aber  nicht  selbst  wieder  unter  sich  in 
zeitlicher  Ordnung  aufgezählt,  sondern  zusammengelesen  sind,  wo  und 
wie  sich  gerade  die  beste  Gelegenheit  fand  sie  unterzubringen.  Auf 
diese  Weise  mag  denn  im  strengen  Anschluss  an  die  erste  Serie  von 
Inschriften,  die  fünf  Abschnitte  enthielt,  hier  zunächst  folgen: 

VI. 
Votivaltar  aus  Trennfurt. 
In  seinem  bekannten  Werke  über  das  römische  Maiogebiet  (1834) 
S.  204  f.  handelt  Steiner  über  den  Ort  Trennfurt  am  Main  und  dessen 
Alterthümer.  Mit  Recht  weist  er  zunächst  die  lächerliche  Ableitung 
des  Namens  dieses  Ortes  von  Trajan  zurück,  indem  er  die  alte  Form 
desselben  Tribun-,  Tribin-,  Tribenford  (-fürt)  als  allein  massgebend  be- 
trachtet. Aus  dieser  älteren  Form,  die  sogar  noch  im  15,  Jahrhundert 
gebräuchlich  war  (vgl.  Wagner  »Hessische  Wüstungen«  S.  199) '),  hat 

1)  Ad  gleicher  Stelle  wird  auch  eiae  Flurbenennung  iMiltehege*  genannt, 
die  an  den  Ortsnamen  Miltenberg  erinnert;  Bodann  der  in  der  Nähe  gelegene 
Ort  Scckmauern  in  seiner  urkundlichen  Form  »Sickmnrent,  später  »Sickmauem« 
aufgeführt,  wodurch  unsere  IlerleJtung  von  dem  Worte  i  sickern •  gerechtfertigt 
wird.  Auch  wird  gleichzeitig  das  benachbarte  Wort  am  Main  in  eoiner  älteren 
Form  Werda  genannt  (Wert  =  FluBainsel). 


52 


Datirbare  Intchriften  ans  dem  Odenwald  ond  Maiothal. 


sich  die  heutige  erst  allmählich  abgeschliffen.  Die  Herleitung  des  Na- 
mens ergibt  sich  von  selbst,  wenn  man  die  durch  die  dortige  Boden- 
senkung hervorgerufene  starke  Strömung  des  Maines  beachtet,  wie  dies 
denn  auch  schon  Steiner  (ib.  S.  316)  richtig  andeutet.  Nur  hätte  er 
das  altdeutsche  Wort  trib,  das  allgcntcin  für  unser  heutiges  »Trift», 
d.  h.  Stromschnelle  gebräuchlich  war,  anführen  sollen.  Hiervon  ist  ein 
Ortsname  gebildet  mittelst  der  alten  Ableitungssilbe  -un,  um  ihn  mit 
dem  zweiten  Elemente  der  Zusammensetzung,  dem  Worte  Furt  zu 
verbinden. 

Dass  Trennfurt  schon  zu  Römerzeiten  wegen  des  seichten,  schmalen 
und  daher  eben  heftig  strömenden  Maines  eine  bequeme  Uebergangs- 
stelle  nach  dem  schräg  gegenüber! legenden  Klingenberg  gebildet  habe, 
zeigt  schon  das  daselbst  gefundene  Neptunbild  an,  das,  wie  Steiner 
richtig  bemerkt,  den  Ueberfahrenden  zum  Schutze  aufgestellt  war. 
Leider  ist  keine  Spur  mehr  von  demselben  an  der  dortigen  Kirche 
aufzufinden  und  enthalten  selbst  die  Dorfurkunden  keinen  Aufschluss 
darüber.  Vielleicht  dass  sich  im  Kirchen- Archive  des  benachbarten 
Wort  Notizen  von  dem  damaligen  Pfarrer  Zöller  vorfänden.  Nach 
ihm  war  das  Bildwerk  in  der  alten  Kirche  zu  Trennfurt  eingemauert 
gewesen,  an  deren  Stelle  aber  seitdem  eine  neue  entstanden  ist.  Nep- 
tun hielt,  wie  gewöhnlich,  darauf  den  Dreizack  in  der  Hand.  Ein 
anderes  zu  Grosskrotzenburg  weiter  unterhalb  am  Main  gefundenes 
Denkmal  Neptuns,  lässt  überhaupt  nur  noch  dies  Attribut  Neptuns  er- 
kennen (Vergl.  Steiner  ib.  S.  165). 

Zu  Trennfurt  wurde  nun  aber  im  vorigen  Jahrhundert  ausser 
jenem  Neptunsbilrie  auch  ein  römischer  Votivaltar  gefunden,  der  leider 
lange  Jahre  einer  durchaus  unwürdigen  Behandlung  durch  üeber- 
Btreichung  mit  Kalk  und  sonstiger  Verunreinigung  ausgesetzt  war.  Der- 
selbe ist  heutigen  Tags  aber  wieder  gereinigt  und  in  angemessen- 
ster Weise  freistehend  neben  dem  Eingang  zur  Kirche  aufgestellt  und 
zwar  in  ei;ier  Aussenecke  der  nördlichen  Seite  derselben.  Durch  diese 
Stellung  wird  aber  das  Sonnenlicht,  welches  man  zur  Lesung  der  fast 
ganz  verloschenen  Inschrift  dringend  bedarf,  abgehalten  und  waren 
wir  desshftlb  genöthigt  uns  eines  Spiegels  zu  bedienen  um  die  Strahlen 
aufzufangen  und  auf  den  Stein  unter  wechselndem  Winkel  refiektiren 
zu  lassen.  Nur  so  ist  es  überhaupt  möghch  noch  einige  Reste  der  In- 
schrift zu  lesen. 

Ausser  der  Schrift  ist  der  Stein  sonst  sehr  gut  erhalten  und  be- 
steht aus  gewöhnlichem  rothen  Sandstein.    Seine  Höhe  beträgt  1,10  m., 


Dfttirbare  Inschriften  ans  dem  Odenwald  und  Mainthal. 


68 


seine  grös»te  Breite  an  den  Ansladungoi  ist  70  cm.  und  die  grösste 
Did^  ebenda  43  cm.  Das  Mittelfeld  mit  der  Inschrift  ist  53  cm.  breit 
und  30  cm.  dick.  Oben  ist  der  Altar  platt,  so  dass  anzunehmen  ist 
es  habe  ein  Götterbild  darauf  gestanden.  Die  Inschnft  ist  von  einer 
eingehaaenän  Leiste  eingefasst  und  lautet  dermalen  noch  so,  wenn  man 
de  auf  die  ang^ebene  Weise  untersucht: 

I    •  O   •   M    . 

SI(L)VA(N)OCO 
N////-  DI(A)NAE 
A//////////////C 
XXIIP////////// 
AC/////N///PSVB 
CVR/////ERTIN 
IVSTIOPTDIIASPR 


COS 

Bei  der  Entdeckung  des  Steines  im  vorigen  Jahrhundert  war  die 
Schrift  desselben,  wje  sich  aus  Hans  seimann  (vgl.  Brambach  no. 
1746)  ergibt,  noch  viel  besser  erkennbar  und  müssen  daher  die  damals 
noch  vorhandenen  Buchstaben,  soweit  sie  richtig  mitgetheilt  sind,  da- 
nach ei^änzt  werden.  In  mehreren  Fällen  sind  aber  bei  jener  ersten 
Edition  gewaltige  Fehler  begangen  worden,  sowohl  in  der  Abschrift, 
als  auch  ganz  besonders  in  der  Erklärung.  Bevor  dieselben  aber 
näher  betrachtet  werden  sollen,  mag  zuerst  der  Text  folgen,  wie  er 
nach  unserer  Ansicht  ursprünglich  wirklich  gelautet  zu  haben  scheint: 


1  •  0  • 

M  . 

SILVANO 

•  CO 

N  S  •  0 1 A  N  AE        1 

AVC-VEX- 

LEG 

XXII  P  •  PF 

•ARAM 

ACSICNA 

PSVB 

CVR- MAMERTIN | 

IVSTIOPTO 

iT-ASPR 

C  •  0 

S 

a.  p.  Gbr.  212. 


•4 


DatirbarB  Inachriften  au  dem  Odenwald  und  Maiuihal. 


Diese,  unsere  Restauration  wäre  folgender  Massen  aufzulösen: 
.l(oTi)  o(ptimo)  in(aximo),  Silvano  cons(ervatori),  Dianae  ang(ustae) 
Tex(il]atio)  leg(ioni8)  XXII  p(riniigeniae)  p(iae)  £[idelis)  aram  ac  Signa 
p((Mait)  sub  car(a)  Mamertin(ii)  Justi  opt(ionis)  d(ecurionis),  n('daobus) 
A^itis)  co(D)s(iiltbQs).'' 

Die  Widmung  an  die  drei  genannten  Gottheiten  ist  nach  Hanasel- 
manns  Wiedergabe  vom  Jahr  1771  (enthalten  in  der  »Fortsetzung 
seines  Beweises«  p.  245,  gedruckt  1773)  wo  die  oberen  Zeilen  noch 
vollkommen  erhalten  waren,  unzweifelhaft.  Juppiters  Name  ist,  wie 
in  der  Regel  bei  Vereinigungen  mehrerer  Gottheiten  den  beiden  folgenden 
blos  als  oberster  Gott,  gleichsam  aus  Hochachtung  vorangestellt.  Die 
eigentliche  Widmung  galt  dagegen  den  Göttern  des  Waldes  und  der 
Jagd.  Silvanus  führt  hier  den  Beinamen  conservator  d.  h.  des  Beschützers 
vor  den  Gefahren^  welche  die  Jagd  auf  wilde  Thicre  damals  in  unseren 
Gegenden  mit  sich  brachte.  Auf  andern  Inschriften  führt  er  häufig 
ähnliche  Beinamen,  die  sich  ebenfalls  auf  den  Schutz  beziehen,  den 
er  als  Wald-  und  Feldgott  vor  Raubthieren  gewährte.  So  heist  er 
z.  B,  auch  Silvanus  Silvester,  sanctissimus  pastor  u.  s.  w.  (vgl.  Wil- 
manns  II  p.  479).  Hauptsächlich  wurde  er  als  Wölfeverscheucher 
\erehrt,  wie  ihm  denn  auch  für  Erhaltung  der  Heerden  Herbstopfer 
gebracht  wurden. 

Auf  einer  zu  Rom  gefundenen  ara  wird  er  »Silvanus  caelcstis«  ge- 
nannt (Wilmanns  no.  2481),  was  Lehne  I  S.  193  für  eine  Identifi- 
cirung  mit  Mars  caelestis  erklärt,  da  nur  Götter,  welche  einem  Pla- 
neten am  Himmelsgewölbe  vorstanden,  den  Beinamen  caelestis  » himm- 
lische geführt  hatten.  (Die  du  caelestes  sind  überhaupt  bei  Wilmanns 
no.  253  erwähnt). 

Von  besonderem  Interesse  ist  eine  niederrheinische  Inschrift,  die 
diesem  Gotte  von  einem  »ursariusa  der  30.  Legion  gewidmet  ist  und 
worauf  deon  auch  ein  Bär  als  Symbol  abgebildet  ist  (Brambach  211). 

In  ähnlicher  Weise  weihen  die  »»venatores  immunes«  der  cohortes 
praetoriae  et  urbanae  zu  Rom  der  Diana  Augusta  ein  Denkmal  (Wil- 
manns no.  1505).  unter  den  Inschriftstiftern  wird  speciell  auch  deror- 
dinatus  custos  vom  vivarium  dieser  Cohorteu  genannt,  also  von  einer 
Art  Tbiergarten,  wovon  ein  Beispiel  auch  auf  einer  an  Silvan  gerichteten 
andern  italienischen  Inschrift  erscheint  (Wilmanns  no.  95). 

Aus  diesen  und  andern  Beispielen  geht  hervor,  dass  die  römischen 
Soldaten,  die  wir  zur  Zeit  des  Friedens  sogar  auch  in  den  eigentlichen 
bürgerlichen  Gewerben  antreöen,  die  mit  dem  mihtärischen  Dienste  so 


Daiirbare  laschriftoii  aus  dorn  Odenwald  und  Maintbal.  55 

nahe  verwandte  Jägerei  walirsclieialkb  zunftmässig,  d.  h.  als  militä- 
rische Collegien  geordnet  betrieben '). 

Ein  besseres  Terrain  zur  Ausübung  dieser  Kunst  konnte  aber 
kaum  gefunden  werden,  als  dies  am  mittleren  Main  zwischen  Odenwald 
und  dem  wegen  seines  Wüdreichthums  noch  heute  hochberilhmtcn 
Spessai't  vorhanden  ist. 

So  sehen  wir  denn  auch  weiter  unterlialb  am  Main  noch  andere 
Widmungen  an  Diana  gerichtet.  Eine  Abtheiloug  d.  h.  ein  numerus 
Brittonum  et  exploratorum  Nemaningensiuui  erfüllt  ein  Gelübde  dem 
Apollo  und  der  Diana  unter  einem  centurio  der  22.  Legion  im  Jahr 
178  nach  Chr.  zu  Aschaffenburg  (Brambach  1751,  cf.  add.  ^  Wil- 
manns  1525).  Die  betreffenden  Truppentheilc  stammten  aus  England 
and  gehörten  zu  den  Hilfstruppen,  die  man  mit  den  heutigen  Fremden- 
legionen vergleichen  kann. 

Wie  diese  z.  B.  tu  Algier  auf  gefährliche  Posten,  wie  die  Grenzen 
barbarischer  Völkerstämme  vorgeschoben  werden,  so  geschah  es  auch 
mit  den  römischen  Auxiliartruppen,  die  zu  einem  grossen  Thcil  aus 
Reiteiei  bestehend,  (welche  ja  auch  heutigen  Tages  wieder  vorzugsweise 


I)  Da  di&  Widmung  an  bestimmte  Gottheitoo,  wie  wir  dies  an  den  ange- 
führten Inschriften  in  Bezug  auf  Diana  sehen,  in  der  Regel  einen  Bezug  auf  den 
Inhalt  derselben  zeigt,  so  darf  man  dies  wohl  auch  bei  einem  zu  Mannheim  auf- 
bewahrten Mainzer  Votivstoiu  annehmen,  den  Haug  nouerdiags  in  suinon  «rö- 
mischen  Denksteinen  in  Mannheim«  no.  5  besprochen  hat.  Derselbe  ist  nSmlioh 
der  Diana  geweiht  von  einem  Soldaten  der  22.  Legion,  der  das  Amt  eines 
»oustOB  basilicaec  versah.  Unter  dem  Ausdruck  basilica  wurden  in  der  Regel 
grössere  Prachtgebäude  verstanden,  besonder»  Gerichtahäuser,  aber  auch  mili- 
tärische Gebäude  von  ähnlicher  Gestalt  oder  überhaupt  von  grösseren  Dimen- 
sionen. So  wird  in  En^^land  einer  militärischen  Reitschule  dieser  Name  beigelegt 
und  dieselbe  ausdrücklich  durch  den  Beinamen  equestris  als  solohe  gekennzeichnet 
(WilmanuB  no.  755 1^ ).  Da  dies  zu  Mainz  niobt  der  Fall  ist,  so  kanu  die  Be- 
stimmung der  dortigen  basUioa  vielleicht  aus  der  Widmung  an  Diana  errathen 
werden.  Wir  hätten  hier  somit  eine  zu  Jagdzwocken  (zur  Aufbewahrung  d^r 
Waffen,  Beute  u.  a,  w.).  nach  Art  unserer  Jagdschlösschen  errichtete  und  zu 
einem  Jagdrevier  oder  Thierpark  gehörige  grössere  Gebänlicbkeit  der  22,  Legion 
vor  uns  und  der  Aufseber  derselben  hätte  ungefähr  dieselbe  Funktion  bekleidet, 
wieder  oben  genannte  Wächter  eines  Tbicrparkes.  Freilich  kanu  er  auch  mit  dem 
oastos  armorum,  dem  mililärischon  Waffen-  und  Zeugwart  vieler  andern  In- 
•oluiften  verglichen  werden,  sodass  basilica  hiernach  ein  Arsenal  im  Allgemeinen 
bezeichnen  würde,  in  welchem  wohl  auch  die  Jagdtrophaen  und  -Geräthschadea 
verwahrt  wurden. 


56  Dldiilwre  Insehriften  warn  dem  Odenwald  und  Mamtbal. 

mit  dem  Sicherhdts-  und  Aofklänrngsdienste  betraut  ist),  den  Yor- 
postendienst  in  den  Gegenden  des  limes  zn  versehen  hattet 

Die  Brittones  überhaupt,  wie  auch  die  speciell  genannten  Kund- 
Schalter  (exploratores)  aus  Brittannien  waren  als  leichte  Truppen  in 
waldbedeckten  und  gebirgigen  G^enden  hauptsächlich  zum  Siwhen 
brauchbar  und  nothwendig.  Sie  mussten  verhindern,  dass  die  Grenz- 
befestigungen nicht  unversehens  angefieülen  und  dieVertbeidigungstruppen 
nicht  flberrascht  wurden.  Ihr  Dienst  brachte  daher  schon  von  selbst 
die  Beschäftigung  mit  der  Jagd  mit  sich,  der  sie  denn  auch  wie  gesi^ 
in  den  wdten  Waldungen  des  Spessart  ganz  vorzüglich  obliegen 
konnten.  Hierauf  machte  anlässlich  der  zuletzt  genannten  Inschrift, 
hauptsachlich  der  verdienstvolle  Lehne  seiner  Zeit  aufmerksam.  Yergl. 
das  von  ihm  in  seinem  Werke  no.  63  über  die  römischen  Jagdgebräuche 
Gesagte. 

Folgen  wir  dem  Lauf  des  Hains  nun  noch  etwas  weiter  abwärts, 
so  treffen  wir  unterhalb  Aschaffenburg  auf  Seligenstadt,  wo  schon  viele 
römische  Alterthümer  zu  Tage  gekommen  sind.  Das  wichtigste  da- 
runter ist  ein  Yotivaltar,  den  ein  centurio  der  22.  Legion  im  Jahr  204 
der  Diana  Augusta  zu  Ehren  setzte  (Brambach  1406).  Die  beiden 
Seitoiflächen  desselben  sind  mit  Hirschen  und  sonstigen  Waldthieren 
geschmückt,  während  sie  bei  unserm  Trennfurter  Altare  ganz  frei  von 
bildlichen  Darstelungen  sind.  Die  beiden  Altäre  stimmen  aber  darin 
überein,  dass  sie  beide  die  Diana  »Augustau  nennen.  Mehrere  weitere 
Beispiele  derselben  stellt  Lehne  (no.  125)  zusammen.  Darunter  auch 
zwei  Inschriften  aus  Rom  (=  Wilma nns  no.  1716  und  1505,  letztere 
schon  oben  erwähnt,  aus  Gordians  K^ierungszeit,  vom  Jahr  241;  vgl 
auch  no.  235S  aus  Afrika)  u.  s.  w. 

Den  Beinamen  Augustus  und  Augusta  gab  man  aus  Schmeichelei 
gegen  das  Kaiserhaus  fast  allen  Gottheiten,  ohne  dass  ihnen  derselbe 
jedoch  als  Regel  beigelegt  worden  wäre. 

Wie  die  Herrscher  nach  ihrem  Tode  selbst  vergöttert  wurden  und 
dabei  den  Beinamen  divi  erhielten,  der  indessen  schliesslich  nichts  weiter 
als  etwa  «selig«  bedeutete,  so  gesellten  die  Römer  durch  den  Beinamen 
Augustus  ihre  Gebieter  gleichsam  lebend  den  Göttern  bei,  wie  sich 
Lehne  ausdrückt.  Offenbar  verflachte  sich  aber  auch  dieser  Ausdruck 
durch  den  häufigen  Gebrauch  zur  blossen  Formel. 

Auch  der  zu  Trennfurt  genannte  SUvanus  führt  anderwärts  viel- 
fach den  Beinamen  Augustus,  >vährend  er  an  diesem  Orte  den  sonst 
in  der  Regel  bei  Juppiter  vorkommenden  Beinamen  conservator  trägt 


Datirbare  Inachriften  aus  dem  Odenwald  itnd  Mointbal. 


67 


Vergl.  z.  B.  die  Mainzer  Inschrift  in  Beckers  Catalog  no.  6  =  Wil- 
manns  2269.  Bei  Letzterem  wird  no,  2100  auch  ciu  .Ju[»iiiter  custos 
conseryator  aufgeführt;  no.  92  und  1415  ein  Juppiter  aetemus  con- 
servator;  no.  1004  wird  derselbe  als  Erhalter  des  Kaisers  und  de^ 
ganzen  kaiserlichen  Hauses  gefeiert.  Ebenda  1481  erscheinen  in  gleicher 
Eigenschaft  überhaupt  die  »dii  conservatores  eoruma  (seil.  Augustorum). 
Auch  Mars  conser(vator)  wird  genannt,  ib.  1349. 

Nachdem  nun  die  Gottheiten,  welchen  unser  Trennfurter  Altar 
gewidmet  ist,  des  Nähern  betrachtet  wurden,  ist  es  an  der  Zeit  die 
Frage  zu  untersuchen,  wer  die  Widmenden  selbst  waren. 

Da  die  vierte  Zeile  der  Inschrift  heutigen  Tages  fast  ganz  un- 
kenntlich ist,  so  bleibt  nichts  übrig,  alsdic  bei  Uansselmann  stehende 
alte  Abschrift  zu  consultiren.  Dieselbe  bietet  nun  die  Lesung 
V1X////////R,  wobei  aber  der  letzte  Buchstabe  nicht  sicher  war,  denn 
er  soll  auch  wieder  P  vorstellen.  Hiervon  ist  aber  keines  richtig,  denn 
der  fragliche  letze  Buchstabe  der  vierten  Zeile  ist  noch  heute  in  seinem 
üntertheil  erkenntlich,  welches  nur  zu  einem  G  gehören  kann.  Ebenso 
kann  das  Hansselmann'sche  VIX  nur  unrichtig  gelesen  sein  statt 
VEX"  was  die  ganz  gewöhnliche  Abkürzung  von  vesillatio  oder  vexil- 
larius  ist  (im  Sinuc  von  Mitglied  einer  vexillatio  oder  von  Fülmdrich) 
(vergl.  Wilma nns  II  p.  735).  Das  Wort  kann  kaum  weitere  Buch- 
staben gehabt  haben  ( —  es  kommt  nämlich  auch  in  der  Abkürzung 
VEXILL  vor  — )  da  sonst  kein  Platz  auf  dem  Steine  wäre  für  ein  in 
derselben  Zeile  noch  folgendes  LEG,  dessen  letzter  Buchstabe  wie 
gesagt  noch  erkennbar  ist. 

Die  vexillationes  waren  ursprilnghch  die  Veteranencorps  der  Le- 
gionen, bei  welchen  nach  20  Dienstjahren  belcanntlich  in  der  Regel  die 
ehrenvolle  Entlassung  aus  dem  Kriegsdienste  stattfand. 

Dies  war  jedoch  nicht  immer  die  völlige  Verabschiedung,  denn  es  blie- 
ben die  ausgedienten  Soldaten  oft  auch  noch  als  besondere  Mannschaft  bei 
dem  vexillum  ihrer  Legion  im  Dienst,  wobei  sie  jedoch  von  allen  ge- 
wöhnlichen Lasten  frei  waren  und  wie  Lehne  meint  nur  den  Feldzügen 
als  «Snbsignaniu  beizuwohnen  hatten. 

Wie  nun  das  letzte  Aufgebot  als  vexillationes  zu  Abtheilungen 
vereinigt  erscheint,  so  machten  auch  die  nach  den  Völkern,  von 
welchen  sie  gebildet  wurden,  benannten  Rekruten  oder  jungen  Soldaten 
in  ihren  ersten  Dieustjahren  als  numeri,  kleinere  Hecresabtheilungen 
von  schwankender  Grösse  aus,  die  auch  Reiterei  einschlössen.  Vergl. 
Lehne  I  S.  225,  II  S.  323;  sodann  Orelli-Henzen  no.  6i393;   Diese 


58 


Datirbare  InachriileQ  aus  dem  Odenwald  und  Maiathal. 


Jahrbücher  LIl  S.  79  und  LX,  74;  Härtung  »Rom.  Auxiliartruppen 
am  Rhein«  I  S.  5  und  II  S.  7;  Wilmanns  II  p.  594—596,  wo  er 
als  dritten  Bestandtheil  der  Auxüiares  (d.  h.  neben  den  geschlossenen 
Cohortes  und  alae  derselben)  nicht  nur  die  verschiedenen  »numeri« 
der  an  sich  schon  zu  den  Hülfstruppen  gehörigen  Mannschaften  an 
Reiterei  und  Fussvolk  aufführt,  (darunter  auch  blosse  Vereinigungen 
und  Genossenschaften  von  gleichfallä  dazu  gehörigen  Soldaten  ohne 
jede  Angabe  einer  taktischen  Einheit)  sondern  auch  die  vexillationes 
im  weiteren  Sinne.  Hierunter  sind  aber  zu  besonderen  Diensten  de- 
tachirte  Abtheilungen  einer  Legion  oder  auch  eines  HüJfstruppentheUs 
zu  verstehn. 

Auf  unserer  Trennfurter  Inschrift  scheint  nun  eine  naher  be- 
stimmte Auzabl  solcher  zu  einer  vcxillatio  gehöiigen  Militärs  sich 
vereinigt  zu  haben. 

Der  grössere  Truppenkörper,  wozu  sie  gehörten,  war  die  am  läng- 
sten  unter  allen  in  Germanien  gestandene  legio  XXII  primigenia,  die 
daher  auch  weitaus  am  häufigsten  auf  den  rheinischen  Inschriften  vor- 
kommt. Besonders  in  der  späteren  Zeit  bildete  sie  die  Hauptbesatzung 
des  Dekumateulandes  bis  zum  Einbrüche  der  Alemannen  in  dasselbe 
nach  der  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts.  Meistens  führte  sie  auch  die 
Ikinamcn  pia  Melis  (vergl.  die  Beispiele  bei  Wilmanns  II  p.  584) 
die  wir  auch  hier  ergänzen,  wenn  schon  sie  vielleicht  wegbleiben  köunten. 

Es  schien  uns  nämlich  Anfangs  beinahe  als  stände  auf  dem  Steine 
am  Schluss  der  fünften  Zeile  ein  letzter  Schimmer  von  r(IÜMI)GEN 
(also  fast  ausgeschrieben,,  wie  dies  Wort  mehrfach  auf  Inschriften  vor- 
kommt). Da  sich  aber  bei  der  gänzlichen  ÄbgeschlifFenheit  des  Endes 
dieser  Zeile  über  den  letztern  Punkt  absolut  nichts  bestimmtes  sagen 
lässt,  so  mag  nur  soviel  als  ganz  sicher  behauptet  werden,  dass  vor 
der  Zahl  am  Anfange  derselben  sich  keinerlei  Lücke  befindet,  die  mehrere 
Editionen  irrig  augeben. 

Bemerkt  mag  -m  dem  Vorhergehenden  nachträglich  noch  werden, 
dass  einzelne  Äbtheilungen  oder  Mitglieder  der  vexiUatio  der  22.  Le- 
gion auch  auf  andern  rheinischen  Inscbriftcu  crscheiucu  (so  Bram- 
bach  Ü72  und  1283).  Ebenso  eine  vexillatio  veterauorum  speciell 
(ib.  1543). 

Betrachten  wir  nun  weiter  die  6,  Zeile,  so  ist  auch  von  ihr  nur 
noch  das  Wenige,  was  oben  angegeben  ist,  sichtbar. 

Nur  der  erste  Buchstabe  ist  noch  ganz  erhalten.  Darauf  folgt, 
wie  uns  scheint,  das  llntertheil  eines  C.    Vielleicht  war  es  auch,  wie 


Datirbare  Inschriften  aus  dem  Odenwald  und  Maintbal. 


59 


Hansselmann  will,  eiu  G,  nach  welchem  ihm  zu  Folge  niui  LIGN 
kommen  solL 

Dies  soll  nach  AnderQ  bedeuten  AC  LIGNarii,  allein  offenbar  ist 
hier  falsch  gelesen  worden.  Ein  Privatgeschäft  wie  das  von  Zimnier- 
leuten  oder  Holzhändlem  (lignarii)  in  dieser  Weise  einer  militärischen 
Charge  coordinirt,  ginge  liaum  an.  Zudem  erscheinen  die  Zimraer- 
leate  inschriftlich  nicht  unter  diesem  Namen,  sondern  als  »fabri  tignarii« 
oder  «tignoarüti  gewöhnlich  unter  der  Abkürzung  TIGN.  Vergl.  bei 
WLlmanns  II  p.  633  die  collegia  fabrum  tig.  et  dendrophoruiu. 

Auch  auf  einer  Inschrift  aus  üedderoheim  bei  Frankfurt  (Brara- 
bach  1447)  ist  die  Zunft  der  Zimmerleute  bezeugt  als  coUegium 
TIGN.  Ihr  gewöhnliches  Vorkommen  als  Iiiuimg  beweist,  wie  wichtig 
dieselben  als  Bauführer  und  Bauunternehmer  waren. 

Aber  nicht  allein  als  civiles,  sondern  auch  als  militärisches  CoUeg, 
kommen  derlei  Architekte  vor,  denn  die  baioli  einer  anderen  rheinischen 
Inchrift  sind  eine  Gesellschaft  von  Pionicrn  und  vielleicht  dieselben, 
welche  anderwärts  tignarii  und  dendrophori  genannt  werden.  Auf  der 
betreffenden  Inschrift  (Brambach  602  =  Wil mann s  1520)  vom  Jahr 
246,  sowie  auf  einer  zweiten  vom  Jahr  239  (Branib.  693  =  Wil m, 
1527)  erscheinen  überhaupt  eine  ganze  Reihe  solcher  militärischen  Ge- 
nossenschaften, hauptsächlich  von  Fahnenträgern. 

An  der  Spitze  steht  das  collegium  Victoriensium  signiferorum,  zu 
Ehren  der  Schutzgöttin  Victoria  genannt.  Hierauf  folgen  die  imaginifcrl 
dcrCohorten  und  die  vexillarii  der  Centurien,  endlich  die  baioli.  Statt 
der  Signiferi  erscheinen  auf  der  zweiten  der  genannten  Inschriften 
neben  den  vexillarii  die  imaginiferi,  offenbar  in  gleicher  Bedeutung, 
wie  dies  Urlichs  in  diesen  Jahrbüchern  LX  S.  G5  vortrefflich  ausfuhrt 
(Ein  baiulus  auch  auf  einer  Mainzer  Inschrift,  bei  Brambach  1008.) 

Betrachten  wir  nun  die  6.  Zeile  unserer  Trennfurter  Inschrift  mit 
Rücksicht  auf  das  eben  Gesagte,  so  wird  man  hiernach  zu  der  An- 
aahme veranlasst,  es  habe  hier  AC"  SIGN"  gestandeD,^sodass  also  statt 
S  ^chUch  ein  Lvon  Hansselmann  überliefert  worden  ist.  Da  nun 
aber  die  Sigle  SIGN*  für  signiier  ganz  gewöhnlich  ist,  so  würden  sich 
vexillarii  (Fähndriche)  AC  SIGNiferi  ergeben.  So  scheint  in  der  That 
Knapp  im  Jahr  1813  (§  107_seiuer  Denkmäler  des  Odenwaldes)  wo  er 
von  einem  Signifer  der  22.  Legion  spricht,  ohne  unsere  Inschrift  indessen 
mitzutheilen,  noch  gesehen  zu  haben.  Heutigen  Tages  ist  aber  wie  gesagt, 
nur  noch  das  N  von  diesem  Worte  zu  erkennen,  vor  welchem  der  Raum- 
vertheilung  nach  gerade  drei  Buchstaben  gänzlich  abgeschliffen  sind. 


€0 


Dutirbare  laBctuiften  aus  dem  Odenwald  und  Mainthkl. 


Da  nun  aber  auch  nach  jenem  N  Raum  für  einen  odei*  zwei  Buch- 
staben voi'bamien  ist  und  wie  wir  constatirt  zu  haben  glauben,  dort  ein  P 
stand,  dessen  Haken  noch  übrig  ist,  so  ist  doch  hiermit  wohl  be* 
vdesen,  dass  die  Dedikatiousformel,  für  welche  sonst  nirgends  auf  der 
Inschrift  Platz  wäre,  in  der  G.  Zeile  an  der  angegebenen  Stelle  ge- 
standen hat. 

In  vielen  Fällen  bestand  dieselbe  nun  aber  nicht  allein  in  dem 
die  Widmung  aussprechenden  Zeilworte  (posuit)  sondern  auch  der  Ge- 
genstand derselben  wurde  ausdrücklich  benannt,  wenn  derselbe  auch  in 
der  Regel,  weil  er  sich  selbst  der  Wahrnehmung  darstellte,  wegblieb. 

Nun  ist  die  Sigle  A  welche  diese  Zeile  anfängt  in  der  Geltung  ara 
bekannt;  das  folgende  C  könnte  für  cum  stehn,  worauf  dann  wie  gesagt, 
SIGN.  P.  kommen  wilrde,  also  im  Ganzen  naram  cum  signis  posuit«, 
eine  sehr  bekannte  Formel. 

Die  Signa  würden  die  ehemals  jedenfalls  darauf  gestandenen  Götter- 
bilder oder  Stallten  des  Silvanus  und  der  Diana  bedeuten.  Noch  wahrschein- 
licher wird  mau  annehmen,  dass  das  Wort  aram  (vielleicht  auch  aedem) 
ausgeschrieben  oder  abgekürzt  zu  AR.  (resp.  zu  AED.)  noch  am  Ende 
der  !).  Zeile  stand  und  dass  dann  in  der  6.  folgte  AC  SIGNA  P(osuit) 
SVB  II  CVIl(a)  etc.  Möglich  wäre  hier  aber  auch  AG(rum)  SIGNA  etc. 
(vcrgl.  solche  agri  bei  Wilm.  no.  95  und  862'). 

Von  dem  nun  in  der  7.  Zeile  stehenden  Namen  Mamertin.  (viel- 
jptcht  Geschlochtsnamen  Mamertinius)  sind  leider  heutigen  Tages  die 
drei  engten  Buchst^ibeii  gänzlich  verwischt,  während  zu  Hansseim anns 
Zciicti,  wenigsttnis  noch  das  erste  M  vorhanden  war.  Von  den  drei 
folgenden  ERT  sind  nur  noch  Spui-en  vorhanden  und  bloss  die  beiden 
letzten  d.  h.  IN  stehen  noch  ganz  da. 

1)  Daa  Wort  ager  (agrum)  findet  man  auch  sonst  in  der  Abkürzung  AG. 
(ro«p.  AOR.)  Vorgl.  Wilraanns  II  p.  711,  besoaders  aber  eine  iDschrift  aoa 
ObrlKbnim  am  Ncolcar  und  «u  Mannheim  aufbewahrt,  auf  welcher  steht:  AED. 
BltJN.  AGIl,  1  IUI.  Hier  ist  einer  Kapelle  Merkurs  mit  Götterbild  noch  ein  ager  bn- 
gofflgl,  il.  b.  oin  kleiner  Becirk  um  das  IJeiligthum,  ähnlich  wie  besonder«  bei 
OmbiloineQ  ,'ftr«a,  locus  u.  dgl.  vorkommen  (vgl.  Wilm,  II.  p.  678  f.  wo  z.  B. 
nu.  9084.  »Jugern  agri  plus  minus  IUI,  ita  uti  dcpalatum  est«  auf  einer  italie> 
iilaobiiii  Inscltrirt).  Der  geweihte  Bezirk  wird  hier  bestimmt  durch  das  bekannte  Zeichen 
iliiN  «oimt  tv'iiturift  btnloutct.  Da  nun  aber  dieses  Wort  in  der  hier  allein  raög- 
Jlcluin  llcdiMitung  von  Laudtnaass  eine  ganze  Landschaft  ergeben  würde,  so  haben 
wir  b«i  Iluug  QO.  10  Jenes  Zeichen  für  einen  Sicilicus  erklärt,  was  als  V4» 
«biiHmuiit  mohrfauh  vorkommt  (z.  B.  bei  Wilm.  2875).  Hier  wäre  es  =  '/«e 
Jugprum,  was  mit  4  multiplioirt  =3  Vis  =*  1  "'^•»a  macht. 


Datirbare  Inschriften  bub  dem  Odenwald  und  Mainthal. 


61 


Als  cognomen  kommt  Mamcrtinus  (bei  Wilraanns  no.  134  und 
1419)  auch  im  Namen  römischer  Consuln  vor.  Die  Consuln  des  Jahres 
182  nach  Chr.  waren  nämlich  Maraertinus  und  Rufus;  die  des  Jahres 
362  waren  Mamertinus  und  Nebitta.  liier  gilt  Mamerlinus  als  Stamm- 
name, obgleich  er  eigentlich  wie  das  folgende  zweite  cognomen  Justus 
Personalnfime  ist.  Ebenso  z.  B.  hcisst  der  Stifter  eines  zu  Mannheim 
befindlichen  Altars  Mansufetus  Natalis  (bei  Hang  no.  83).  Beispiele 
hierzu  gibt  es  überall.  Mau  kann  aber  auch  Justi  als  Genitiv  fassen 
und  filius  ergänzen  wie  beim  Namen  Cambo  Justi  des  dortigen  Mu- 
seums (Haug  9).  Die  Formel  sub  cura  hczeiehnet  den  Auftrag,  welchen 
der  Genannte  von  Seiten  des  Detachements  erhalten  hatte  das  Denkmal 
ODter  seiner  Ohsorge  zu  errichten.  (Vergl.  über  diese  und  ähnliche 
Formeln  Wilmanns  II  p.  706.)  Diese  Corporation  tritt  hier  in  der- 
selben Weise  als  Dedikantin  auf  wie  der  dedicirende  numerus  anderer, 
schon  erwähnter  Inschriften. 

Betrachten  wir  nun  schliesslich  die  mit  etwas  kleineren  Buch- 
staben geschriebene  und  noch  ziemlich  gut  erhaltene  8.  Zeile,  so  wird 
darin  zunächst  die  Charge  des  Mamertinus  Justus  aufgeführt,  und 
zwar  in  der  Sigle  OPT*  D*  die  von  dem  Correspondenten  Hanssei- 
manns nicht  erkannt  wurde,  da  er  den  ersten  Buchstaben  irrthümlich 
für  ein  G  hielt,  während  er  gauz  deutlich  das  Untertheil  eines  0  ist. 
Auch  von  den  folgenden  3  Bachstaben  sind  die  Köpfe  heutigen  Tages 
abgeschliffen,  so  dass  ihre  sichere  Bestimmung  nur  mit  Hülfe  jener 
froheren  Abschrift  ermöglicht  wird.  Der  erste,  welcher  erkannte,  dasa 
die  Sigle  OPT  hier  wie  gewöhnlich  optio  bedeute,  war  Wiener  in 
seiner  Schrift  «de  legione  XXII«  (Darmstadt  1830)  p.  110. 

Ganz  unerklärt  wurde  aber  bisher  die  folgende  Sigle  D  gelassen, 
deren  Obertheil  übrigens  wie  gesagt  ebenfalls  abgerieben  ist.  In  ihr  kann 
nur  eine  nähere  Bestimmung  des  optio  enthalten  qein  und  zwar,  da 
sie  sonst  in  der  Regel  decurio  bedeutet,  wird  man  also  hier  einen  optio 
decurionis  anzunehmen  haben. 

Ein  decurio  war  bekanntlich  bei  der  Legions-  wie  Hilfs- Reiterei 
ein  Befehlshaber  von  anfangs  10  Reitern.  In  der  spätem  Zeit  waren 
es  aber  mehr,  besonders  bei  der  leichten  oder  Hilfsreiterei,  die  meistens 
stärker  war  als  die  legionäre.  Lehne  II  S.  283  nimmt  an,  dass  unter 
den  Kaisem  ein  decurio  33  Mann  d.  h.  die  Hälfte  einer  turma  oder 
Schwadorn  befehligt  habe,  da  bei  jeder  turma,  die  damals  aus  6G  Reitern 
bestanden  habe,  drei  Dekurionen  gewesen  seien,  wovon  der  erstgewäblte 
•ber  die  ganze  turma  commandirte.  Die  Zahl  der  Mannschaft,  wie  er  richtig 
beifügt,  war  aber  unter  den  Hdfstruppen  wahrscheinlich  sehr  ungleich. 


Ca  Osliriiare  Intdriftoi  aoa  dem  Odenwald  und  MainthaL 

Zn  den  letzt»«n  irerden  non,  wie  gesagt  die  TexiDatianes  (jaa 
Shme  TOD  Detachements  im  AllgemeineD  gerechnet}  venn  sie  andi  nnr 
anxiKi  im  ireiter»  Sinne,  d.  h.  L^onssoldaten  and  ik  solche  römiache 
Baiser  varen  und  nicht  Peregrinen  (oder  Nicht-ItalikerX  wie  die 
c^ntlichen  aoxilians. 

Da  eine  Rotte  derselben  auf  unserer  Inschrift  onter  einem  decnrio 
steht,  so  sind  sie  hier  als  Reiter  charaktefisirt  wie  sie  ja  überiianpt 
zum  gfossten  Theil  ans  Reiteret  bestanden,  die  als  besondere  Abthei- 
Inngen  von  den  Legionen  nndCohorten.  die  dieBesatrong  einer  Proyinz 
hildHen,  an  bedrohte  Pimkte  und  zn  Expeditionen  in  benadihaite  Pro- 
Tinzen  detachirt  wnnlen. 

Das  Detachement  in  sdner  Gesammtheit  stand  anter  einem  dnx, 
der  als  solcher  inschriftlich  Tcrschiedene  Male  erwähnt  wird  (veigl. 
Wilmanns  II  p.  ö^).  Man  künme  dem  zn  Folge  annehrn*«,  es  nenne 
sich  anf  unserer  Trennfarter  Inschrift  ein  optio  dncis.  wogegen  sachlich 
wohl  nichts  einzuwenden  w-2re.  allein  der  Umstand,  dass  doch  nicht 
die  ganze  Tcxillatio  der  22.  Legion  hi«r  am  Maine  gestanden  haben 
wild,  indem  sie  ja  auch  noch  anf  andern  rheinischen  Ibsduiften  nach- 
wäsbar  ist,  spricht  doch  gegen  die  .Annahme  einer  so  hohen  Giaige. 
Ausseidem  wire  in  diesem  Falle  das  Wort  sich«-  der  Deatlichk^t 
wegen  in  Doc  abgekflrzt  worden. 

Bfittelst  D  alkin  konnte  man  hier  doch  wohl  nnr  an  decorio 
denken. 

Nach  dieser  .Annahme  hätte  also  ein  kleineres  an  den  Main  de- 
tachirtes  Commando.  eine  einzelne  decoria  der  ganzen  vexiDatio,  anter 
Obsorge  des  optio  d.  h.  nach  heutigem  miüläriachän  .Aosdinck  des 
locum  tenens  oiior  Lieuui.uts  des  Decuronen  ^^t«^  des  Rittmeisters) 
unser  Denkmal  errichtet. 

Die  decuria  war  die  kleinste  Abtheilung  die  bei  der  Rdterd  über- 
haupt bestand.  Wie  oben  bemerkt  wunie.  war  si-e  die  Hälfte  einer 
turma  und  wurvle  wie  dies^  gewöhnlich  nach  ihr»  Dekurionen  benannt; 
Tergl.  z.  R  tunna  Longin:  «.l^eckor.  Mainxer  Museam  no.217);  turma 
Sillari  (ib.  li^^k  eN*n?o  decuria  Capitonis  aoi  eicer  verlorenen  3laiazer 
Inschrift  O'^rambach  UV^l. 

Die  bCH4i$te  K:nboit,  d.  h.  die  al^u  Jas  ganze  Reite?«!irps  wurde  dm- 
gegen  in  der  Regel  nach  den  Vc»Ikerscha:^en  becacnt.  aus  denen  es  ge- 
hiViet  war.  s.  R.  dit'  a!a  H-^'uxa  oder  HispaBorun  i^rergL  Hang, 
Mannheimer  Denksteine  «a  4P  aScr  auA  a!a  .Aurana  genannt,  so 
auf  einem  Militärviiplom  v.^Viimancs  a«x  :^7V  • 


Datirbare  Inachriften  ans  dem  Odenwald  und  Mainthal. 


63 


Es  kommen  nämlich  verschiedene  Fälle  vor,  dass  auch  die  alae 
nach  ihren  Führern  (Präfekten)  genannt  wurden;  so  z.  B.  ala  Rusonis 
(Haag  no,  42).  Gewöhnlich  ist  in  diesem  Falle  ein  Adjektiv  auf  -iana 
gebildet,  z.  B.  ala  Indiana,  eine  der  beiden  alaeTrcvcrorum,  nach  einem 
Trierer,  Namens  Julius  Indus  benannt  (vergl.  Wilmanns  II  p.  593, 
wo  auch  eine  ala  Longinia  genannt  wird). 

Endlich  bleibt  noch  eine  Möglichkeit  übrig,  auf  unserer  Trennfurter 
Inscbriil  den  optio  D.  zu  erklären,  nämlich  durch  »optioduplariorum«. 

Die  duplarii  oder  duplicarii  waren  bekanntlich  Doppelsöldner, 
Soldaten  die  zur  Belohnung,  wenn  sie  sich  ausgezeichnet  hatten,  mit 
doppelter  Getreideration  und  doppeltem  Solde  begünstigt  wurden  (vgl, 
diese  Jahrbücher  LVII,  S.  7G  und  die  Beispiele  bei  Wilmanns  II, 
p.  507—598). 

Diese  Auszeichnung  wurde  auch  Veteranen  zu  Thcil,  wie  denn 
z.  B.  zu  Mainz  einem  solchen  duplarius,  einem  Veteranen  der  22.  Legion 
von  einem  optio  derselben  Legion  ein  Grabstein  gesetzt  wurde 
(Brambach  no.  1081). 

Für  unsern  Fall  würde  dies  also  vortrefflich  passen,  indem  die 
vexillationes  in  engerer  Bedeutung  ja  ebenfalls  Veteranen  waren. 

Auf  einem  andern  Mainzer  Monument  (Brambach  1304)  scheint 
zudem  dieSigleD  ebenfalls  duplarius  zu  bedeuten.  Wenigstens  nimmt 
diesUrlichs  in  diesen  Jahrbüchern  LX,  S.  G8  an,  wie  in  einem  zweifel- 
haften Falle  auch  Wilmanns  no.  1489.  Da  dies  Wort  sonst  aber  in 
der  Regel  durch  dup.  oder  dupl.  abgekürzt  wird  (vgl.  Wi Im.  II,  p- 718), 
80  kann  diese  Conjektur  natürlich  nur  mit  Reserve  in  Aussicht  ge- 
nommen werden. 

Wäre  auf  unserer  Inschrift  die  Sigle  D  nicht  so  sicher  durch  die 
inehrerwähnte  Abschrift  aus  dem  vorigen  Jahrb.  überliefert,  so  könnte 
man  bei  dem  heutigen  Zustand  derselben  beinahe  versucht  sein,  sie  für 
ein  S  zu  halten.  Hierdurch  hätten  wir  in  Verbindung  mit  der  obigen 
Lesung  vexillarii  etc.  AC  SIGN(iferi  legionis)  einen  Gehülfen  der 
Fahnen-  oder  Zeichenträger  gewonnen.  Ein  solcher  optio  signiferorura 
kommt  auf  einem  Grabstein  zu  Mainz  vor  (Brambach  1048).  Vgl.  da- 
zu Lehne  no.  318,  wo  er  bemerkt,  die  »römischen  signa  waren  so 
schwer,  daSs  es  natürlich  ist,  dass  die  Träger  (die  übrigens  nur  aus 
den  besten  und  tapfersten  Kriegern  genommen  wurden)  eines  Stellver- 
treters bedurften,  der  ihnen  die  Mühe  erleichterte  und  sie  überhaupt 
bei  Verhinderung  ersetzen  rausste«. 

Ueber  die  Bedeutung  des  Wortes  optio  im  Allgemeinen  handelt 


64  DfttirlMre  Inaohriften  sna  dem  Od^iwftld  und  Mküithal. 

derselbe  no.  23  (=  Brambach  1301).  Eine  ganze  Reihe  solcher 
optiones  militärischen  Charakters  zählt  Wilmanns  II,  p.  600  aul. 
Ebenda  p.  571  sind  solche  als  Verwalter  von  Civilämtem  zasammen- 
gestcUt    Eine  Anzahl  Signiferi  und  vexillarii  vgl.  ib.  p.  602. 

Was  endlich  die  Datirung  unserer  Trennfurter  Inschrift  betrifll, 
so  f&llt  dieselbe  unzweifelhaft  in  das  Jahr  212,  wo  die  zwei  Aspri  Con- 
suln  waren  (U  hier  in  Ziffern  geschrieben,  ohne  dass  aber  der  gewöhn- 
liche wagerechte  Strich  aber  der  Zahl  noch,  wie  z.  B.  bei  Brambach 
no.  385,  erhalten  w&re).  Das  R  in  dem  Namen  derselben  ist  hier 
ebenso  wenig  wie  das  B  am  £nd^  von  Zeile  6,  kleiner  als  die  flbrigen 
Buchstaben.  In  der  letzten  Zeile  ist  die  Sigle  OOS  (consulibus)  durch 
Punkte  getrennt,  was  sonst  nicht  gebräuchlich  ist.  Der  Grund  war 
offenbar  nur  der  die  drei  Buchstaben,  welche,  obwohl  nicht  grosser  wie 
die  andern,  doch  fast  die  ganze  Breite  des  Raumes  unter  der  fibrigen 
Inschrift  einnehmen,  dadurch  weiter  auseinanderzuzidben  und  so  richtig 
tu  vertheUen. 

Heidelberg.  Carl  Christ 


6.  Die  AusgrabuRgea  bei  Bonn  vor  dem  Cöhier  Thor  in  Heriwtl876  ')• 

HiersQ  Tafel  lU— H. 

D.    Eine  römische  gemalte  Wand. 

Bei  den  Grundarbeiten  für  die  neue  Klinik  in  Bonn  sind  im 
Herbste  ISTO  eine  grosse  Anzahl  Bruchstücke «)  von  römischem  Wand- 
bewurfe  aufgefunden  worden.  Da  sich  durch  Zusammensetzen  derselben 
die  Composition  der  gesammten  Zimmerdecoration  wenigstens  im  Allge- 
meinen feststellen  liess,  so  sind  diese  Stücke  für  die  Beurtheilnng  der 
römischen  Wandmalerei  in  den  Rheinlanden  von  hervorragendem  In- 
teresse, Wir  werden  es  daher  dem  Vorstände  unseres  Vereins  Dank 
wissen,  dass  er  keine  Kosten  gescheut  hat,  um  dieselben  durch  eine 
wflTxiige  Publication  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  machen  und  sie  der 
Wissenschaft  selbst  dann  zu  erhalten,  wenn  die  Originale  zerfallen 
sein  sollten. 

Die  Bruchstücke  sind  2.30  M.  unter  der  heutigen  Erdoberfläche  längs 
der  Säd-  und  Westmauer  des  östlicheren  der  beiden  römischen  Gebäude 

V  S.  Hoft  UX  S.  29  ff.,  LX  &  Tö. 

2^  Oi<wlb«B  beficden  sich  im  rniver»it«t£inujeam  riwiaisrlifr  AHcrthümer 
ni  Bonn. 


Die  AusgrabuD^n  bei  Bonn  vor  dem  Cölnor  Thor  im  Herbat  1876,       65 

aufgefunden  worden  '),  deren  Grundrisse  im  59.  Heft  Taf.  II  abgebildet 
sind,  und  haben  daruTn  walirscheinlich  den  von  diesen  Mauern  einge- 
schlossenen Raum  geschmückt.  Eine  kleine  Ausgrabung,  welche  im  Fe- 
bruar vorigen  Jahres  auf  Kosten  des  bonner  Provinzialmuseums  unter 
meiner  Leitung  angestellt  wurde,  ergab  für  beide  Mauern  eine  Länge  von 
sechs  Metern  im  Lichten.  Im  Uebrigen  verweise  ich  für  die  architek- 
tonischen Fragen  auf  den  Aufsatz  des  Herrn  General  von  Veith  (Bon- 
ner Jahrbücher  59  S.  31  ff.).  Ich  beschränke  mich  auf  die  Beschrei- 
bung der  Malereien  selbst  und  auf  die  Darlegung  der  Gründe,  welche 
mich  bei  der  Zusammensetzung  der  Bruchstücke  leiteten. 

Schwarze  mit  farbigen  Ornamenten  gezierte  .Pilaster  theilen  die 
VVandtläche,  welche  roth  gestrichen  ist,  in  einzelne  Felder,  Ueber  den 
rothen  Feldern  befinden  sich  Friede  von  schwarzem  Grund  mit  weissen 
Ranken  und  Amazonenkämpfen,  über  den  Pilastern  gelbe  Felder  mit 
rothen  Verzierungen.  Die  gelben  Felder  und  Friese  begrenzt  ein  grüner 
Streifen;  an  diesen  stüsst  das  Gesims  an,  welches  die  Decke  trug.  — 
Unter  den  rothen  Feldern  und  den  schwarzen  Pilastern  zog  sich  ein 
breiter  Sockel  liin,  welcher  schwarz  gefärbt  ist  unter  den  rothen  Fel- 
dern, roth  .unter  den  schwarzen  Pilastern.  Die  Decke  war  weiss  ge- 
strichen und  mit  rothen,  grünen,  schwarzen  Einfassungslinien  und  rothen 
Ranken  mit  grünen  Blättern  geziert '). 

Den  Beweis  für  diese  Beschreibung  soll  eine  Besprechung  der 
Tafeln  III  und  IV  erbringen»  auf  weichen  die  Bruchstücke  in  sechs- 
facher Verkleinerung  abgebildet  sind.  Die  rothen  von  weissen  Linien 
«ngefassten  Flächen  werden  durch  einen  schwarzen,  0,30  M.  breiten 
Pil&ster  getrennt.  Auf  diesem  erhebt  sich  ein  Aufhau,  welcher  am 
ehesten  aufeinander  gestellten  Schirmen  gleicht,  aber  in  die  Reihe  der 
phantasti-sch  umgebildeten  Kandelaber  gehört,  welche  sich  sehr  zahl- 
reich auf  den  pompejanischen  Wänden  finden.  Vögel  und  geflügelten 
Panthern  ähnliche  Thiere  mit  phantastischen  Köpfen  sitzen  auf  Ranken, 
welche  aus  dem  Stamme  des  Kandelabers  hervorwachsen,  unter  den 
Schinnd&chern.     Auf  dem  obersten  Schirmdach  steht  eine  Schale,  aus 


,  1)  Nor  die  auf  Taf,  V  und  "VI  als  Nummer  7  nnd  ß  aligebildeten  Stücke 
■ind  am  weetlichea  Gebäude  gefunden  ;  sie  sind  von  Herrn  Geaeral  von  Veith 
s.  B.  0.  S.  37  bcapruchen.  Sie  ^büren  einer  viel  Bpäteren  Zeit  als  die  Brticb- 
stficke  des  ÖBilichen  Gebäudes  an;  dio  Farben  Bclieinen  mir  nicht  a  fresco  aufge- 
tragen zu  Min. 

2)  Die  zur  Decke  geUöreuden  Stücke  haben  nur  eine  Stftrke  vün  0,006  M. 

5 


66       Die  Änsgimlmi^ten  bei  Bonn  tot  dem  Cölner  TlK>r  im  Herbet  1876. 

der  ein  Vogel  zu  trinken  scheint,  anf  den  folgenden  zwei  perspectirisch 
gezeichnete  Scheiben. 

Ueber  dem  Pilaster,  von  ihm  darch  eine  weisse  Linie  geschieden, 
befindet  sich  ein  0,18  M.  hohes  gelbes  Fdd,  auf  welchem  man  Theile 
Ton  roth  gemalten  Gegenständen  gewahrt  Der  Yei^leich  mit  Frag- 
menten von  zwei  anderen  dieser  gelben  Felder  (Taf.  Y  and  VI  6a 
und  b)  macht  es  wahrschdnlich,  dass  ein  stehendes  and  ein  li^endes 
zierliches  Deckelgef&ss  daT^estellt  ist,  wie  sich  solche  auf  pompejani- 
schen  Wänden,*  and  zwar  an  ähnlichen  Stdlen  Tiel&ch  finden.  An  da» 
gelbe  Feld  schliesscn  rechts  und  links  schwarze  Friese  an:  der  linke 
ist  mit  einer  weissen  Ranke  geziert,  der  rechte  mit  Amazonenkämpfen. 
Anf  die  Besprechung  der  letzteren  komme  ich  unten  zurück. 

Ueber  den  Friesen  und  dem  gelben  Felde  läuft  ein  etwa  0,045 
M.  breiter  grflner  Streifen.  An  diesen  Streifen  stösst  das  Gesims  an. 
Dasselbe  hat  eine  Höhe  yon  0,17  M.  und  erhebt  sich  0,015—0,08  M. 
aber  die  Wandfliche;  es  ist  mit  einer  graugelben  Farbe  übenM^en 
und  auf  seiner  unteren  geradflächigen  Hallte  sind  aufsteigende  Pal- 
metten eingepresst  Dass  das  Gesimsstück  unmittelbar  an  den  grünen 
Streifen  ansetzt,  beweist  ein  Rest  grüner  Farbe,  welcher  sich  an  einem 
Gesimsbruchstflck  erhalten  hat  Und  noch  zwingender  ist  folgender 
Grund.  Die  oberen  Schichten  des  Gesimses  besteben  aus  einer  rüth- 
liehen  Masse,  der  Bewurf  der  übrigen  Wand  ist  weiss;  nur  in  dem  grünen 
Streifen  und  in  der  anstossenden  Hälfte  der  Friese  finden  sich  einzelne 
Stellen,  wo  der  Bewurf  ebenfalls  theilweise  aus  jener  röthlichen  Masse 
besteht.  Das  findet  nur  seine  Erklärung,  wenn  die  genannten  Theile 
unmittelbar  unter  dem  Gesims  lagen.  Beim  Auftragen  der  Masse  für 
das  Gesims,  welches  fnlher  gearbeitet  wurde  als  die  oberen  Schichten 
der  übrigen  Wand,  ist  der  Bewurf  an  einigen  Stellen  zu  tief  aufgetragen 
worden.  —  Oben  auf  dem  Gesims  sieht  man  deutlich  Einschnitte 
zur  Aufnahme  von  Latten,  welche  die  Decke  tragen. 

Aus  dem  unteren  Theile  der  Wand  sind  nur  wonige  Bruchstücke 
erhalten,  aber  allgemeinere  Erwägungen  werden  uns  auch  hier  die 
Composition  erkennen  lassen.  Selbstverständlich  reichten  die  rothen 
Wandfelder  und  die  Pilaster  nicht  bis  unmittelbar  auf  den  Fussboden, 
sondern  es  waren  diese,  wie  es  ein  gesunder  Sinn  für  Decoration  for- 
dert und  sämmtlichc  pompejanische  Wände  zeigen,  auf  einen  hohen 
Sockel  gestellt.  Nun  ist  für  einige  Bruchstücke  mit  rothen  und  schwarzen 
Feldern,  welche  durch  einen  grünen  IStreifen  getrennt  werden,  in  der 
oberen  Abtheilung  der  Wand  schlechterdings  kein  Platz  zu  finden;  sie 


Die  Aolgrabungen  bei  Bonn  vor  dem  C51n«r  Thor  im  Herbst  1876.        67 


müssen  dem  unteren  Theile  derselben  angehört  haben,  und  hier  finden 
sie  leicht  ihre  Einordnung.  Die  rothen  Felder  sind  die  untersten  Theile 
der  rothen  Wandfläehen,  die  schwarzen  die  obersten  Theile  des  Sockels. 
Denn  dass  der  Sockel  vrenigstens  zum  Theil  schwarz  gefärbt  war,  lehrt 
sowohl  das  Stück  k,  wie  die  Stacke  g,  h,  i.  Diese  haben  unzweifelhaft 
zam  Sockel  gehört:  das  Stück  k,  weil  seine  ilntere  Hälfte  unbemalt 
ist,  also  an  den  Fussboden  angestossen  haben  muss;  die  anderen,  weil 
sie  mit  einer  grossen  grünen  Blattpflanze  geziert  sind,  die  nach 
Massgabe  der  pompejanlschen  Malerei  ausschliesslich  zum  Schmuck 
des  Sockels  verwendet  worden  ist.  —  Andererseits  aber  wird  durch 
das  Fragment  m  gezeigt,  welches  ebenfalls  an  den  Fussboden  anstiesB, 
dass  der  Sockel  theil  weise  auch  roth  gefärbt  war.  Die  Schwierigkeit, 
in  der  wir  uns  zu  befinden  scheinen,  löst  das  Stück  l,  welches  nur 
dabin  erklärt  werden  kann,  dass  der  Sockel  schwarz  gestrichen  war 
QQter  den  rothen  Feldern,  roth  unter  den  schwarzen  Pilastern,  — 

Dies  ist  die  Composition  der  Wand  in  ihrer  Ausdehnung  von 
oben  nach  unten.  Für  die  Frage  nach  dem  Schmuck  der  Wände  in 
ihrer  Längenausdehnung  wird  es  vortheilhaft  sein,  zunächst  die  noch 
nicht  erwähnten  Bruchstücke  einzeln  zu  betrachten. 

Ausser  dem  beschriebenen  Pilastcr  sind  noch  Fragmente  von  drei 
anderen  Pilastern  aufgefunden  worden;  von  diesen  haben  zwei  dieselbe 
Breite  wie  der  schon  beschrieliene,  der  dritte  überragt  dieselben  um 
zehn  Centimeter.  Alle  weichen  in  Einzelheiten  von  einander  ab,  aber 
gleichen  sich  insofern,  als  auf  allen  ein  stilisirter  Candelaber  mit  grossen 
Schirmdächern  dargestellt  ist. 

Von  den  schmäleren  Pilastern  bietet  das  grössere  Interesse  der- 
jenige, von  welchem  auf  Taf.  V  'unter  n.  2  vier  unzusammenhäogende 
Theile  abgebildet  sind.  Hier  werden  die  Schirmdächer,  auf  welchen 
tbeils  Fültliönier  theils  Urnen  stehen,  von  langgeatreckten  stilisirten 
Figuren  auf  dem  Kopf  getragen.  Die  Figur  b  c  ist  unzweifelhaft  männ- 
lich, ein  Chiton  hängt  über  ihrer  linken  Schulter.  Die  Figur  d 
ist  vollkommen  nackt  und  auf  dem  Kopfe  mit  einer  rothen  Mütze  be- 
kleidet. Auf  dem  Fragment  a  ist,  wie  ich  glaube,  der  Kopf  einer 
Schlange  zu  erkennen. 

Einfacher  ist,  soweit  die  arge  Verstümmelung  einen  Schluss  erlaubt, 
die  Malerei  des  anderen  schmalen  Pfeilers  (Taf.  V  u.  VI,  3).  Zwischen 
je  zwei  Schirmdächern  grosse  Rankenornamente,  an  den  Enden  der 
Schirmdächer  herabhängende  Schleifen.  An  dem  Stamm  des  Cande- 
labers  ist  mit  einem  Bande  ein  grüner,  gelb  eingefasster  Gegenstand 


68       Die  Ausgrabungen  bei  Bonn  vor  dem  Cölner  Thor  ini  Ilerbat  1876. 

angehußden,  welcher  leider  zu  stark  fragmentirt  ist^  als  dass  man  seine 
Bedeutung  erkennen  könnte. 

Am  reichsten  ausgestattet  ist  der  breiteste  Pfeiler  (Taf.  V  u.  VI,  4). 
Auf  eckigen  Postamenten,  welche  auf  das  Schirmdach  aufgesetzt  sind, 
stehen  rechts  und  links  vom  Candelaberschaft  je  ein  Amor  —  von  dem 
rechten  sind  nur  die  Beine  bis  zum  Knie  erhalten  —  und  giessen  aus 
Urnen  Wasser  herab.  Unter  den  Schirmdächern  sieht  man  jugeudliche 
Köpfchen  mit  grünen  Mützen.  Da  diese  Köpfchen  nicht,  wie  es  auf 
den  ersten  Blick  scheinen  könnte,  an  den  herabhängenden  Biändern  be- 
festigt -eind,  80  müssen  sie  zu  freistehenden  Figuren  gehurt  haben. 

Die  drei  Fragmente,  welche  als  Nummer  5  der  genannten  Tafeln 
abgebildet  sind,  rühren  von  der  Einfassung  einer  Thiir  her.  Dies  zeigt 
das  abgestumpfte  Profil. 

Wir  wenden  uns  nun  zur  Beti'achtung  der  mit  Kämpfen  von 
Amazonen  und  Griechen  geschmückten  Friese.  Die  Amazonen  sind  an 
der  rothen  Mithra,  an  den  Doppeläxten  und  den  ovalen,  oben  ausge- 
schnittenen Schilden  kenntlich  und  meist  mit  einem  grünen  oder  grau- 
grünen Chiton  bekleidet.  Die  Griechen  sind  in  voller  Rüstung.  Sic 
tragen  stiiblerne  Helme  mit  grossen  Federbüschen,  stählerne  Brust- 
'  hämische,  unter  welchen  der  Chiton  herabhängt  und  stählerne  Bein- 
schieneUj  an  den  Füssen  Saodalen.  Das  Schwert  hängt  bald  an  der 
rechten,  bald  an  der  linken  Seite.  In  der  Rechten  führen  sie  Lanzen, 
am  linken  Arm  länglich  runde  Schilde.  Die  Griechen  kämpfen  nur 
ZU  Fuss,  die  Amazonen  zu  Fuss  und  zu  Pferde.  Die  Pferde  sind  über 
der  Stirn  mit  einem  Hurn  geschmückt.  Das  Hörn  ist  deutlich  zu  er- 
kennen und  es  bleibt  der  Gedanke  ausgeschlossen,  es  sei  etwa  nach 
der  in  der  Campanischen  Malerei  gebräuchlichen  Manier  die  Mähne  auf 
der  Stirn  in  ein  Büschel  zusammengenommen.  Freilich  weiss  ich  für 
das  Hörn  als  Stirnschnmck  aus  den  antiken  Monumenten  kein  Bei- 
spiel anzuführen,  dagegen  sah  ich  denselbe  vor  Kurzem  in  Rom  am 
Pferde  eines  Campagnolen. 

Von  dem  Amazonenkampfe  sind  uns  vier  unzusammenhängende 
Bruchstücke  erhalten. 

Taf.  Ol  u.IV  zeigt  uns  zwei  Einzelkämpfe  zwischen  je  einem  Griechen 
und  einer  reitenden  Amazone.  Links  erwartet  ein  Grieche  in  fester 
Stellung  eine  mit  geschwungener  Doppelaxt  auf  ihn  zustürmende  nackte 
Amazone.  Rechts  wird  eine  Amazone  von  einem  (»riechen  verfolgt.  Die 
Amazone  wendet  sich  fliehend  nach  dem  Verfolger  um,  um  sich  zu  ver- 
thetdigen. 


Die  Änsgrabungen  bei  Bonn  vor  dem  Cölner  Thor  im  Herbst  1876.        69 

Eine  Gruppe  von  drei  Figuren  enthält  das  Stück  P  auf  Taf.  V, 
welches  in  den  Farben  am  besten  erhalten  ist.  Ganz  links  eine  Ama- 
zone zu  Fuss,  deren  Chiton  auf  der  Schulter  gelöst  ist  und  die  linke 
Seite  frei  lässt.  Die  Doppclaxt  in  der  Rechten  schwingend  eilt  sie 
ihrem  Gegner  entgegen.  Nach  ihrer  Gefährtin  zurückblickend  reitet 
eine  andere  Amazone  nach  rechts  gegen  einen  Griechen,  der  mit  ein* 
gestemmter  Lanze  ihren  Anprall  erwartet. 

Die  Stücke  1*  und  1"  sind  stark  fragmentirt.  !•  enthält  einen 
Zweikampf  zwischen  einer  Amazone  zu  Fuss  und  einem  Griechen,  1°  eine 
nach  links  reitende  Amazone. 

Dies  sind  die  Stücke,  welche  uns  für  die  ßeconstruction  der 
Längenaosdehnung  zur  Vei^ügung  stehen.  Leider  hat  man  auf  die 
Fundorte  derselben  nicht  genügend  geachtet  und  dadurch  der  Recon- 
struction  die  sichersten  Anhaltspunkte  entzogen.  Nur  wird  mit  Be- 
stimmtheit versichert,  dass  die  auf  Taf.  III  und  IV  abgebildeten  Pi- 
lasterfragmente  a,  b,  c,  d  einige  Meter  entfernt  von  den  andern  mit 
Pantfaern  und  Vögeln  gezierten  Pilastcrstücken  gelegen  hätten;  so  wird 
es  wahrscheinlich,  dass  diese  Stücke  nicht  alle  zu  einem  Pfeiler  gehurt, 
sondern  dass  zwei  gleiche  Pfeiler  vorhanden  waren.  Ferner  hat  zweifellos 
der  Amazonenfries  die  Mitte  der  Wand  eingenommen,  dagegen  ist  der 
Bankenfries  in  die  £cke  der  Wand  verlaufen.  Demnach  ist  der  auf  Taf.  III 
und  IV  abgebildete  Pfeiler  ziemlich  an  das  FiUde  der  Wand  zu  setzen  und 
ein  ihm  entsprechender  Pfeiler  mit  anschliessendem  Rankenfries  für  das 
andere  Ende  der  Wand  anzunehmen.  Da  nun  die  Länge  des  Ranken- 
frieses etwa  0,45  M.,  die  Breite  des  Pilasters  0,30  M.  beträgt  und  anderer- 
seits die  ganze  Wand  wahrscheinlich  eine  Länge  von  6  Meter  hatte,  so 
liegt  zwischen  den  Pilastern  eine  freie  Wandfiäche  von  4,50  M.  Diese 
grosse  Fläche  fordert  noch  eine  weitere  Gliederung,  aber  sie  giebt  Raum 
nicht  für  zwei,  sondern  nur  für  einen  Pilaster.  Für  diesen  Pilaster,  welcher 
die  Mitte  der  ganzen  Wand  einnehme,  würde  sich  der  breite,  reich 
ausgestattete  Pilaster  auf  Taf.  V,  4  besonders  eignen.  Wir  erhielten  als- 
dann eine  Breite  von  2,05  M.  für  die  zwischen  den  Pilastern  liegenden  Felder. 

Trifft  diese  Anordnung  das  Richtige,  so  bildeten  die  Pilaster  auf 
Taf.  V  n.  2  und  3  den  Schmuck  der  anderen  Wände.  Aber  wie  ich 
die^  nur  als  Vermuthung  hinstelle,  so  bemerke  ich  auch,  dass  die 
auf  der  Taf.  III  angenommene  Höhe  der  Wand  durchaus  auf  keinem 
Beweise  beruht:  denn  wir  können  nicht  ermitteln,  wie  hoch  der  Sockel, 
wie  hoch  die  Pilaster  waren. 

Noch  ist  die  Frage  zu  beantworten,  ob  die  rothen  Flächen  unserer 


M         Die  Ajflgrakiacsa  ieL  Bobl  «qc  isB.  Cäinar  Gor  3il  Hbö«  L?3IL 


Waad  mit  GenäldoL  &  freaeo  s^,en  weil  Di^  i«s  aoeb  is 
Germanien  daa  Verf^Itrei  Genäliie  aof  £e  Wud  xz  maLea  ibEck  «w, 
basen  äch  axhere  Beveiae  aikfibreo. 

Zanädisc  die  sedete  HjQe  des  Aasoosc  £«ui  äese  ist  die 
p<>eciacbe  Aiciaiining  eäes  fiznrairadifli  Waalaenüläes.  «ek&es  Aswa 
im  Treiimom  exnea  Trierer  Hxoäes  ^eaäen  hat.  D«ägefise  5ttlhe  Amor 
dar,  vie  er  ron  den  Heroinen,  wekae  a.  Lebzecen  iKrch  Lesern  G«tt 
geUUea,  um  in  der  üotervdt  aas  Badie  an  eine  Mrrtke  feagämi- 
den  wird. 

Ferner  Bmchstficke  toq  zwei  Gemilden.  Das  eiae  ist  die  tob 
Bone ')  im  Torigen  Hdte  dieser  Jahrtücha'  pabbcirte  I^usceilung  etnor 
weiblichen  Figur,  welche  nenenüngs  Eigenthom  des  ProfiuialmBäewms 
zu  Trier  gewordea  iit.     Erhalten  öt  der  Koi^  der  en  £ue  ge^Qt 

l)  VAer  die  Aoffindong  dieses  Bfldriifiw  od  dca  in—  1 1  ii  ZwUad 
deaaelben  buh  ick  den  Aogmlxn  Bone'«  ein^ea  lüz^zoföfen.  Dm  IMiirhrn  iat 
TOT  etw»  zwanzig  Jahren  ron  einem  noch  jetzt  in  Trier  lebenden  Herra.  »ekhei 
daanla  allerlisnd  Alterthöaier  Hunmelte,  in  Trier  Ton  einem  Etiler Baoem  an- 
gekauft worden.  Wober  der  Bauer  dasKlbe  erbahea.  wnaate  mir  jener  Herr 
iriefat  aazogeben  nnd  die  Äuaage  Bone'i,  der  Baoer  bsbe  ericiärt.  es  ilannnft 
aas  FliesseaSr  mnis  demnach  fnr  einen  Irrthnm  gdten.  Dagegen  macht  der 
Umstand,  dasi  ein  einfacher  Baoer  das  Klddien  verkaoft  hat  und  nodi 
dazu  für  einen  Spottpreis,  es  onzweifdhaft,  dass  dasselbe  einheimischen  Fand- 
ortes ist  und  nicht  etwa  aas  Italien  stammt.  Herr  Domcapitolar  T.Wilmowskj 
hatte  die  grosse  Freundlichkeit  mir  mitzutheilen,  daas  nach  seinem  Dafürhalten 
das  Stück  in  Trier  beim  Baa  des  Redemptoristen-Klosters  gefunden  sei:  wenig- 
stens seien  um  jene  Zeit,  als  das  Bildchen  aoflaachte,  ebenda  riele  Freseobruch- 
■tücke  Tvon  einem  derselben :  einen  Olivenzweig  mit  grünen  Blättern  und  weissen 
Früchten  auf  schwarzem  Gründe,  besitzt  Herr  T.Wilmowskj  eine  Abbildung)  ge- 
funden worden,  deren  Technik  mit  diesem  genau  übereinstimmte.  Ehemals  war 
das  Bildchen  ein  vielzackiges  Bruchstück;  seine  jetzige  Medailionfonn  erhielt  es 
erst  durch  Herrn  Maler  Steffgens  hierselbst.  Um  die  ovale  Form  zu  gewinnen 
hat  derselbe  den  linken  Ellenbogen  mit  einem  Thcil  des  Unterarmes  abgesehlagen 
und  den  gröastcn  Tbcil  der  Brust  und  einen  Theil  des  schwarzen  Grundes  er- 
gänzt. Die  Linie,  welche  das  Moderne  vom  Antiken  trennt,  bewegt  sich  vom 
untersten  Theile  des  linken  Armes  nach  der  rechten  Schulter  und  zieht  sich 
alsdann  in  einiger  Entfernung  vom  Kopfe  nach  dem  Scheitel  hin.  Der  Unterschied 
des  Antiken  und  Modernen  ist  an  Farbe  und  Technik  ein  so  stark  in  die  Augen 
fallender,  dass  er  selbst  im  Lichtdruck  deutlich  erkennbar  ist.  Ueber  den  ehe- 
maligen Zustand  des  Bruchstückes  konnte  ich  mich  aus  einer  farbigen  Copie, 
welche  Herr  v.  Wilmowsky  noch  vor  der  Restauration  angefertigt  hat,  genau 
ttoterrichten. 


Die  Auxgrabimgeu  boi  Bonn  vor  dem  Cölner  Thor  im  Herbst  1876,      71 

ist  und  ein  Theil  der  Brust.  Der  Kopf  ist  mit  einem  Kranze  geschmückt. 
Das  Haar  ist  hinter  den  Ohren  in  je  zwei  FJechtcn  zusammen  gc- 
uonimen,  welche  mit  einem  weissen  Bande  durchwunden  sind  und  an 
, beiden  Seiten  des  Halses  herabhängen.  Der  Körper  ist  mit  einem  röth- 
lichen  Chiton  bekleidet,  dessen  Falten  dunkelroth  gemalt  sind.  In  der 
erhobenen  J..inkcn  hält  das  Mädchen  einen  Korb.  Das  Bildchen  int 
mit  einer  sicheren  gewandten  Hand  gemalt  und  steht  den  besseren 
Malereien  Pompeis  nicht  nach. 

Zweitens  sind  hier  ntehrere  Fragmente  einer  Landschaft  ^u 
erwähnen,  welche  neuerdings  dem  hiesigen  Museum  von  Herrn  Dom- 
capitular  von  Wilmowsky  als  Geschenk  übergeben  worden  sind. 
Dieselben  sind  im  Schutte  der  Basilica  gefunden  und  haben  wahrschein- 
lich zugleich  mit  einer  Menge  Bruchstücke  einer  vielfarbigen,  reich 
decorirten  Wand  und  eines  Sockelstückes,  auf  welchem  eine  Wasser- 
pflanze und  ein  Delphin  gcmult  sind,  ehemals  die  Wände  der  Basilica 
geschmückt*).  Da  die  Bruchlinien  der  einzelnen  Stücke  dieses  Land- 
schaftsbjldes  nicht  aneinander  passen,  so  vermochte  ich  nur  mit  Rück- 
sicht auf  die  dargestellten  Gegenstände  und  die  Farbenabtönungen  eine 
Zusammensetzung  zu  vei'suchen.  In  der  rechten  oberen  Ecke  ein 
kleines  Haus  mit  einem  Giebeldach,  vor  diesem,  etwa  die  Mitte  des 
Bildes  einnehmend,  eine  Wiese,  auf  welcher  eine  Ziegenheerde  unter 
der  Obhut  zweier  Hirten  weidet.  Von  hier  ab  senkt  sich  das  Terrain: 
In  der  unteren  linken  Ecke  ein  See,  welcher  von  Felsen  umgeben  ist; 
im  See  steht  eine  Kuh. 

Diese  Beispiele  zeigen,  dass  es  auch  in  Deutschland  Maler  ge- 
I  geben  hat,  welche  im  Stande  waren,  nicht  nur  ornamental  gehaltene 
Figuren,  sondern  aucK  Gemälde  a  ire.sco  auszuführen.  Demnach  liegt 
e^  nahe  zu  glauben,  dass  auch  bei  der  booner  Wand,  deren  Friese  und 
Pilaster  reich  ausgestattet  sind,  die  Felder  mit  Bildern  geschmückt 
waren.  Trotzdem  halte  ich  dies  für  unwahrscheinlich.  Wäre  es  doch 
eio  sonderbarer  Zufall,  wenn  uns  auch  nicht  das  kleinste  Bruchstück 
eines  Bildes  erhalten  wäre^  während  aus  allen  übrigen  Theilen  der 
Wand  Stücke  auf  uns  gekommen  sind.  Auch  möchte  ich  die  Vernm- 
thung  wagen,  dass  gerade  damals  als  diese  Waaddecorationen  ange- 
fertigt wurden,  in  Bonn  kein  Maler  zur  Hand  war,  welcher  der  Aus- 
führung von  eigentlichen  Gemälden  gewachsen  war.    Sonst  hätte  man 


1)  Oie«elb«Q  befinden  liob  im  Provinzialmuseuin  zu  Trier.  Vgi.  Wilmowsky: 
Die  römiacbe  Villa  zu  Ncuaig  18(18.  S.  HO  ü. 


72       Die  Aosgrabungea  bei  Bonn  vor  dem  Cölner  Thor  im  Herbei  1876. 

diesem  wohl  auch  die  Amazonenfriese  übertragen.  Wenigstens  war  der- 
jenige, welcher  sie  gemalt,  offenbar  dieser  Aufgabe  nicht  würdig.  Denn 
diese  Darstellungen  sind  bar  jeder  Ck)mposition,  sie  sind  steif  und  ohne 
Leben.  Vergleichen  wir  sie  auch  nur  mit  der  der  Technick  nach  nächst- 
verwandten  Amazonendarstellung,  mit  dem  Amazonenfriese  im  Hause 
des  tragischen  Dichters  in  Pompei  (Hei big,  Wandgemälde  No.  1250), 
so  sehen  wir  dort  eine  reiche  Mannigfaltigkeit  in  Stellungen  und  Grap- 
pirungen,  ein  wirkliches  Toben  des  Kampfes,  hier  nur  ein  Gegenflber- 
stvhen  der  streitenden  Parteien.  Diese  Steifheit,  die  ihren  Grund  hat  in  dem 
Unvermögen  unseres  Decorationsmalers,  einen  Körper  in  starker  Be- 
wegung darzustellen,  zeigt  sich  am  deutlichsten  an  der  einzigen  Ama- 
zone, welcher  eine  etwas  kühnere  Bewegung  gegeben  ist,  an  der  sich 
Umwendenden  auf  Taf.  lU  und  IV.  Der  Körper  dieser  Figur  ist  voll- 
kommen verkrüppelt  und  den  Schild  trägt  sie  am  rechten  Arm,  die 
Lanze  in  der  Linken. 

Dagegen  muss  im  Hinblick  auf  die  Ornamente  die  Gewand- 
heit  der  Decorateurs,  mit  wenig  Alitteln  einen  vollen  Eindruck  zu  er- 
reichen und  die  Sauberkeit  der  Ausführung  anerkannt  werden. 

Der  Auftrag  der  Farben  auf  den  Wandbewurf  ist  ganz  der 
in  Pompei  gebräuchliche  und  darum  unzweifelhaft  a  fresco  ausge- 
führt. 

l>cr  Bewurf  besteht  in  der  obersten  0,002  M.  hohen  Schicht, 
auf  woleher  die  Farbe  aufgetragen  ist,  aus  feinstem  Kalkmörtel  und 
Kalkspatkürnchen,  darauf  folgt  eine  0,0')7  M.  breite  Schicht  weissen 
Sandmörtols  und  zwei  Schichten  gröberen  Mörtels,  eine  jede  von  einer 
Breite  von  0.02  M.  Der  Bewurf  entspricht  demnach,  wie  alle  rheinischen 
FrtwoarlHMton,  an  Güte  nicht  den  Forderungen  des  Vitruv  und  Plinius 
(Donner  bei  llelbig  S.  XXXIW  zeichnet  sich  aber  immerhin  unter  den 
mir  Wkanuton  einheimischen  Froscobruchstttcken  aus.  Vielleicht  ge- 
lingt OS  später,  wenn  eine  reichhaltigere  Sammlung  des  Materials  vor- 
liegt, gwtittzt  auf  die  Twhnik  dos  Bewurfes  die  Zeit  der  Entstehung 
dieser  Wand  annähernd  zu  bestimmen. 

Die  (.\MuiH>sitiou  der  lK>nner  Wand  untenjcheidet  sich  in  einem 
Punkte  wossoutlich  vv>n  sämmtllchen  iH>mi>ojania*hen  Wänden.  Unsere 
Wand  ist  i:weitlioilig.  sie  zerfällt  in  einen  Sockel  und  eine  breite  Wand- 
tläche.  welche  mit  einem  Friese  abschliesst.  Dagegen  sind  die  pom- 
|>ejauische«  Wanvie  dnnt  heilig,  sie  bestehen  aus  einem  Sockel,  einer 
Mittelwaud  uu\l  einer  dem  Sivkel  an  Hohe  etwa  gleichen  Oberwand. 
Die  iH>erwaud  ist  in  heller  Farbe  gehalten  und  durch  ein-  gemaltes 


Die  Antgrabungen  bei  Bonn  vor  dem  Cölner  Thor  im  Herbut  1876.        73 

oder  in  Stuck  ansgefdhrtes' Gesims  von  der  Mittclwand  abgetrennt. 
Dass  die  bonner  Wand  auf  keinen  Fall  in  dieser  Weise  coinponirt  war, 
hoffe  ich  durch  das  oben  über  das  Gesims  Bemerkte  bewiesen  zu  haben. 
Leider  lässt  sich  nicht  beurtheilen,  ob  hierin  ein  allgemeiner  Unter- 
schied italienischer  und  germanischer  Wandmalerei  liegt.  Denn  bei 
den  beiden  einzigen  rheinischen  Wänden,  deren  Composition  wir  ausser- 
dem wenigstens  im  Allgemeinen  kennen,  lässt  sich  gerade  über  den 
oberen  Theil  nichts  aussagen. 

Trotzdem  werde  ich  im  Folgenden  diese  Wände  kurz  beschreiben, 
da  sie  einige  Aehnlichkeit  mit  unserer  Decoration  haben. 

Die  eine  dieser  Wände,  von  der  auch  nicht  ein  Bruchstück  mehr 
erhalten  ist,  ist  von  Wilmowsky  in  den  Jahresberichten  der  Gesellschaft 
für  nützliche  Forschungen  in  Trier,  für  1865—1868  S.  56,  besprochen 
voideu.  Sie  befand  sich  an  den  Mauern  eines  an  der  Südallee  in 
Trier  gelegenen  Gebäudes.  Die  Grundfläche  auch  dieser  Wand  war 
roth  und  durch  schwarze  ebenfalls  0,30  M.  breite  Pilaster  in  einzelne 
Felder  getheilt.  Unter  den  Feldern  und  Pilastern  befand  sich  ein  ge- 
malter Sims,  welcher  die  obere  Wand  vom  Sockel  abhob.  Dieser  Sims 
bestand  aus  einer  vorstehenden  Platte  und  aus  einem  darunter  lie- 
genden Wulst.  Die  Platte  war  wie  Giallo  antico,  der  Wulst  wie  grün- 
lich weisser  Marmor  behandelt.  Der  Sockel  war  zweitheilig.  Unmittelbar 
am  Boden  lief  ein  0,25  M.  hohes  rothlich  braunes.  Band ;  der  darüber 
liegende  Theil  des  Sockels  war  von  schwarzer  Farbe,  nur  unter  den 
schwarzen  Pilastern  befanden  sich  0,42  M.  breite  rothe  Felder.  Also  wie 
bei  der  bonner  Wand  ist  auch  hier  unter  das  Roth  der  oberen  Wand 
im  Sockel  Schwarz,  unter  das  Schwarz  der  oberen  Wand  im  Sockel  Roth 
gestellt.  Die  schwarzen  Felder  des  Sockels  waren  mit  grünen  aloeartigen 
Pflanzen  und  grossen  Wasservögeln,  die  rothen  Felder  mit  gelben  Vasen 
verziert*). 

In  unmittelbarer  Nähe  von  dem  Fundort  dieser  Wand  wurden 
im  August  vorigen  Jahres  bei  der  vom  hiesigen  Provinzialmuseum  vor- 
genommenen Freilegung  eines  grossen  römischen  Gebäudes  in  St.  Barbara 
eine  Anzahl  von  Wandbewurfsstücken  aufgefunden,  deren  Zusammen- 
setzung ergab,  dass  die  Hauptfläche  der  Wand  wiederum  roth  gemalt 
und  durch  schwarze  Pilaster  in  Felder  getrennt  war.   Auf  den  Pilastern 


1)  Aach  in  Mainz  ist  neuerdings  im  römischen  Castrum  ein  schwarz  ge- 
malter Sockel  mit  Pflanzen  und  Vögeln  aufgefunden  worden,  welcher  im  Museum 
daselbat  aunMWahrt  wird. 


74      Di»  AiagcabwiKan  bä  Bonn  rar  dem  Cöfaisr  Tbor  im  Heitei  1876. 

befindet  sich  ein  Aufbau,  welcher  dem  toi  den  Pflastom  der  bonner 
Wand  sehr  gleicht  Aach  hier  die  Schirmdacher  und  von  den  Schirm- 
didieni  heraUängende  Bändw .  Aber  der  Stamm  ist  nach  Art  einer 
Pflanxe  stilisirt  und  in  grüner  Farbe  mit  granbraonoi  Schattenlinien 
gcmak. 

Xkht  ohne  Grand  habe  ich  bei  der  Besprechong  der  bonner 
Wand,  so  weit  es  möglidi  war,  auch  andor«'  einheimischer  Frescomale- 
reien  Erwähnung  gethan.  Es  galt  der  vielfach  veitreiteten  Meinoiig 
eatgegen  n  treten,  als  ob  die  Rheinlande  Ton  dieser  Kunstgattung  des 
AJierthnms  nichts  anfraweisen  hätten.  Xatürlich  können  wir  in  unseren 
GcgeniioL,  wo  ron  den  meisten  römischen  Getüaden  nur  noch  die 
Fuftiamaite  erhalten  sind  und  die  beser  conservirten  Bauten  die 
langen  Umwandlangen  des  Mittelalters  und  dar  Xeozeit  lu  erdulden 
gehabt,  nicht  erwarten,  die  Wände  in  guter  Erhakuig  auünfinden, 
wir  müssen  uns  mit  Bruchstackea  begnflgen.  Aber  wom  man  der  Zn- 
sammensetiung  derselben,  womC^lich  gleich  ho.  der  Auffindung,  die  ge- 
hörige Sorgfalt  widmet,  werden  wir  in  nicht  allzu  langer  Zeit  hoffent- 
lich in  den  Stand  gesetzt  sein,  den  Verlauf  der  Decorationsmalerei  auch 
in  den  Rheinlanden  zu  überblickea. 

Trier  im  Januar  ISTS.  Felix  Hcttner. 


7.  Ehi  NachMId  d«r  ViMi  vm  Kto. 

Ui«ntt  T«M  II. 

Voll  freudiger  Erw^inung  nahm  ich  den  Marmor  zur  Hand,  der 
auf  Tafel  II  nach  einer  Vhou^tnraphie  lithograph£«h  wi<dergegeb«i  ist; 
ennäiLscht  habe  ich  ihn  <ur  Seite  ^k^t. 

Das  Monument  ist  im  Jahr«  IS74  bei  Tieierlegung  der  Boden- 
&khe  der  Porta  a:$r»  auf  dem  alten  IMaster  von  Trier  zum  Vorschein 
sekocuuen.  Herrn  Kcg.-l^urath  Setffarth,  vier  uns  dasselbe  freund- 
Lchät  zum  Studium  Ubermittt^U  hat«  erstatten  «ir  hiermit  unseren  Dank. 

E^r  Marmor  :$t  i>ahÄ'h.  S^iue  Höhe  beträft  OjIS;  unsere  Ab- 
bildung g-.bi  -.ho  also  iu  halber  Ori)«>$e.  Auf  seiner  Vorderdiche  sieht 
man  ihn  mit  einem  br^jiuaen  l'ebersu^  N>d«\'kt>  hier  «iUcker  dort  dünner, 
der  sich  fest  mit  dem  Marmor  verbunden  hat    1^  ist  esenechüssiger 


Ein  Nachbild  üer  YeDus  voa  Milo. 


7ß 


Thon,  in  den  zahlreiche  Quarzkörner  eingebettet  sind').  Das  Bild  wird 
also  bei  seinem  Sturze  mit  der  Vorderseite  auf  eine  so  beschaflene 
Erdschicht  zu  liegen  gekommen  sein  und  duich  lauge  Lagerung  darin 
den  Ueberzug  erhalten  haben. 

Dargestellt  ist  in  leidlicher  Arbeit  eine  Frauengestalt,  an  der  fol- 
gende Theile  verloren  gegangen  sind:  Kopf  mit  Hals;  der  linke  Vor- 
derarm mit  dem  grössten  Theile  des  angrenzenden  Oberarms; 'der 
rechte  Vorderarm;  die  untere  Hälfte  der  ünterbeine  mit  der  Basis. 

Thorax  und  Leib  der  Figur  sind  bis  zu  den  Hüften  hinab  nackt; 
von  dort  abwärts  aber  ist  der  Körper  in  ein  Gewand  (llimation)  ge- 
hüllt. Dasselbe  ist  ausgehend  gedacht  von  der  linken  Flanke,  sodann 
nm  die  rechte  Hüfte  und  den  Rücken  gezogen,  so  dass  es  Ober  der 
linken  Hüfte  wieder  zum  Vorschein  kommt,  worauf  das  Ende  über  das 
linke  Bein  nach  innen  geschlagen  ist  und  ruhig  abfällt.  An  der  rechten 
Seite,  wo  das  Gewand  keinen  gleich  festen  Halt  hat  wie  links,  sehen 
wir  es  etwas  abgeglitten  und  einen  schwachen  Wulst  mit  mehreren  Pa- 
rallelfalten bilden.  Daher  erscheint  die  Figur  hier  um  ein  geringes 
tiefer  hinab  entblösst  als  links,  wo  dasHimation  fast  bis  zur  Höhe  des 
Nabels  hinaufreicht. 

Das  Gewicht  des  Körpers  ruht  auf  dem  rechten  Beine.  Das  linke 
ist  im  Knie  gebogen  und  vorgesetzt,  zugleich  so  viel  gehoben,  dass  wir 
schliessen  müssen,  es  habe  bloss  mit  der  vorderen*  Fläche  des  Fusses 
den  Boden  berührt  oder  sei  auf  irgend  einer  Erhöhung  der  Basis,  kurz 
nicht  auf  gleichem  Boden  mit  dem  rechten  Beine  aufgetreten. 

Der  Unterkörper  ist  dem  Beschauer  so  ziemlich  in  seiner  vollen 
Breite  zugekehrt.  Dagegen  vollführt  der  Oberkörper  eine  Wendung  nach 
links,  folgend  den  Armen,  die  sich  gleichfalls  nach  dieser  Seite  bewegen. 
Der  linke  Arm  war  nämlich  gehoben  und  ging,  wie  sich  aus  dem  er- 
haltenen Stumpf  noch  erkennen  lässt,  zunächst  ungefähr  in  gleicher  Höhe 
mit  der  Schulter  seitwärts.  An  dieser  Bewegung  nehmen  nicht  allein 
der  gesammtc  Thorax  Theil,  sondern,  wie  schon  erwähnt,  auch  der 
rechte  Arm,  dessen  erhaltenes  Stück  an  den  Busen  angedrückt  liegt 
and  zwischen  Brustkorb  und  Becken  sich  weiter  quer  nach  der  Seite 
bewegt  haben  muss.  Auch  das  Haupt  folgte  dieser  Gesammtrichtung 
des  oberen  Theils  der  Statuette,  wie  wir  aus  der  Form  des  Bruches 
noch  ersehen  können,  und  zwar  in  solchem  Grade,  dass  es  dem  Profil 


1)  Nach  Prof.  F.  Saadborger'B  Angabe. 


76 


Ein  Nachbild  der  Veous  von  Milo. 


nahe  gekommen  sein  muss,  was  sich  im  Verlaufe  unserer  Betrachtung 
auch  noch  anderweitig  ergeben  wird. 

Unsere  Figur  eiitsprkht  also,  wie  in  die  Augen  fallt,  in  allen 
wesentlichen  Motiven  einer  vielgenannten  und  wohl  bekannten  Statue, 
der  Venus  von  Milo.  Dieses  berühmte  Bildwerk  zeigt  die  gleiche 
Körperanlagc  d.  h.  die  unteren  Partien  mehr  gegen  den  Beschauer  ge- 
richtet, die  oberen  nach  der  linken  Seite,  zugleich  mit  dereelben  Be- 
wegung beider  Arme,  von  denen  der  linke  sicherlich  zunächst  in  Schul- 
terhöhe  seitwärts  führte,  der  rechte  zwischen  Thorax  und  Becken  quer 
den  Körper  durchschnitt.  Dazu  gesellt  sich  das  gleiche  Verhältniss 
von  Nacktem  und  Draperie,  ja  selbst  die  gleiche  Anordnung  dieser 
letzteren,  zuletzt  jene  charakteristische  Stellung  des  linken  Beins,  die 
an   beiden  Werken  sich    wiederholt. 

Da  also  alles  Wesentliche,  was  bei  Komposition  eines  Jßildwerkes 
in  Betracht  kommt,  dem  Trierer  Marmor  mit  dem  von  Melos  gemeinsam 
ist,  so  müssen  wir  annehmen,  unser  eben  publicirtes  Bildwerk  sei  nicht 
unabhängig  von  jenem  entstanden,  sondern  gehöre  in  die  schon  be- 
trächtliche Reihe  von  besseren  und  geringeren  Nachbildungen  jenes  fm 
Altcrthumc  wie  in  der  Neuzeit  hoch  angesehenen  Originals. 

Keine  der  zahlreichen  Wiederholuiiigen  stimmt  bekannthch  in  allen 
Kinzeihdten  mit  der  Statue  im  Louvre  überein.  Hier  ist  dieses,  dort 
jenes  Motiv  voränd^i't,  hier  dieser,  dort  jener  Charakter  in  das  Nackte 
oder  in  die  Gewandung  gebracht.  Wir  brauchen  die  Pariser  Statue 
nicht  als  das  Original  zu  betrachten,  als  künstlerische  Leistung  steht 
»ie  jedenfalls  so  hoch  über  den  übrigen  Wiederholungen,  dass  wir  filr 
jetzt  wenigstens  die  Motive  und  den  Kunstcharakter  des  Originals  am 
richtigsten  und  treffendsten  in  ihr  ausgeprägt  anerkennen  müssen. 

Mit  ihr  nun  darf  das  Trierer  Werk  als  Kunstwerk  kaum  in  Vergleich 
gesetzt  werden.  Niemand  entgeht,  wie  wenig  exakt  die  einzelnen  Partien 
gezeichnet  sind,  wie  der  Künster  weder  ein  tieferes  Verständniss  des 
Nackten  noch  der  Gewandung  bcsass,  wie  wenig  er  um  genaue  Verhält- 
Di88e  bekümmert  war.  Die  ganze  Arbeit,  eher  eines  besseren  Stein- 
metzen al»  eines  eigentlichen  Künstlers  würdig,  ist  eben  nur  auf  eine 
gewiflwGesammtwirkung  berechnet,  will  einen  im  aHgcmcinen  rich- 
tigen und  naturentsprccheudeu  Eindruck  machen,  nicht  mehr.  Dies  ist 
auch  erreicht;  für  kritische  Augen  aber  ist  das  Werk  nicht  geschaffen. 

Wenn  wir  dennoch  kurz  die  Verschiedenheiten  anmerken,  welch« 
der  Marmor  gegenüber  der  als  Original  betrachteten  Statue  aufweist, 
«0  gescliiebt  c»,  um  Anhaltspunkte  zu  erlangen  dafür,  ob  wir  ihn  uns 


Bhi  Ntohbitd  der  Venu«  von  Milo. 


77 


ZU  ergänzen  haben  im  Sinne  des  Originals,  oder  ob  gewisse  Aenderungen 
auch  eine  veränderte  Bedeutung  und  Handlung  mit  sich  geführt  haben. 
Im  ersten  Falle  aber  würde  das  Trierer  Bildwerk  trotz  seines  un- 
tergeordneten Kunstwcrthes  ungemeinen  Werth  erhalten,  insofern  ein 
nicht  zum  Körper  gehöriger  grösserer  Marmorrest,  der  am  linken  Ober- 
Arm  anliegt,  vorausgesetzt  dass  seine  Erklärung  glückte,  endlich  Auf- 
scbluss  geben  würde  über  die  noch  immer  in  Dunkel  gehüllte  Hand- 
lung des  Originals  selbst.  Dieser  Gesichtspunkt  war  es,  der  mich  beim 
Anblick  des  Trierer  Marmors  in  freudige  Erwartung  versetzt  hat. 

Einigermassen  variirt  ist  sowohl  die  Haltung  des  Oberkörpers  als 
die  Stellung  der  Beine.  Die  Aphrodite  von  Melos  nämlich  hat  zwar 
ebenfalls  mit  ihrem  Rumpfe  eine  Wendung  nach  links  eingeschlagen, 
doch  ist  dieselbe  weniger  bedeutend  als  in  der  vorliegenden  Imitation. 
Der  rechte  Arm  der  Melischen  Statue  berührt  den  Busen,  doch  sanft  sich 
anlegend,  ohne  ihn  wie  hier  zusammenzupressen.  Auch  ihr  Kopf  bleibt 
zwar  nicht  unberührt  von  der  Uauptwendung,  allein  der  Beschauer,  wel- 
cher sich  gerade  vor  dem  Bildwerke  aufgestellt  hat,  umfasst  mit  seinem 
Bücke  immerhin  einen  beträfbtiichüu  Tlieil  der  linken  Gesichtshälfte. 
Anders  unsere  Replik,  wo  wir  den  sichern  Beweis  liefern  können,  dass 
der  Kopf  weit  mehr  dem  Profil  sich  näherte. 

Auf  dem  rechten  Schulterblatt  der  Trierer  Figur  sind  nämlich 
zwei  Pflöckeben  (puntelli)  mit  Bruchliäche  zu  gewahren,  die  in  einer 
Flucht  von  oben  nach  unten  liegen.  Sie  sind  durch  einen  geringen 
Zwischenraum  von  einander  getrennt;  das  obere  ist  geräumiger  — 
man  erkennt  es  auch  in  unserer  Abbildung  auf  der  Hölie  der 
rechten  Schulter  — ,  das  untere  geringer.  Ohne  Zweifel  gehören  sie 
zusammen,  d.  h.  rühren  von  einer  und  derselben  Sache  her,  die 
hier  auflag.  An  dem  kleineren  puntello  sass  das  Ende  dieser  Sache 
auf,  an  dem  grösseren  ein  bedeutenderes  Mittelstück;  die  kurze 
LDtexbrechung  aber  zwischen  ihnen  zeigt  eine  Entfernung  der  Sache 
au  von  dem  Körper  hinweg,  so  dass  der  Meissel  unter  ihr  hingeführt 
werden  konnte.  Nach  der  Richtung  zu  schliessen  ums.ste  der  Gegen- 
stand, von  dem  diese  puntelli  Ueberreste  sind,  von  dem  Haupte  herab- 
hängen oder  sich  herabziehen,  wobei  für  die  Betrachtung  von  vorne  nur 
derTheil  zwischen  Haupt  und  Schulter  sielitbar  hWch.  Fassen  wir  dazu 
die  erwähnte  Unterbrechung  ins  Auge,  so  ergibt  sich  nichts  wahr- 
scheinlicher, als  dass  vom  Kopfe  ein  langer  Haarschopf  niederwallte, 
von  dem  eine  Welle  an  der  oberen  breiteren  Bruchflächc  ansass,  eine 
andere  und  zwar  die  letzte  an  der  unteren.   Auch  die  Statue  vuu  Melos 


TB 


3ia  Nachbild  der  Venus  ron  Milo. 


trägt  einen  in  Wellen  abfliessenden  Schopf,  jedoch  reicht  er  weniger 
tief  hinab.  Da  nun  die  Bruchflächen  dieses  Schopfes  an  der  Trierer 
St^ntuette  sehr  weit  aussen  auf  dem  Schulterblatte  sitzen  und  mit  der 
Richtung  derselben  jedenfalls  die  Mitte  des  Hinterkopfes  bezeichnet  ist, 
so  nms3  das  Haupt  der  Figur  nothwendig  stark  ins  Profil  gerückt  ge- 
wesen sein ,  stärker  als  an  der  als  Original  angesehenen  Statue 
und  vielleicht  selbst  an  der  aus  Capua  stammenden  Replik*). 

Mit  ihrer  Wendung  nach  links  verbindet  die  Statue  von  Mclos  eine 
Hebung  der  linken  und  eine  Senkung  der  rechten  Rurapfseite  oder  eine 
schiefe  Haltung  des  Rumpfes,  die  nothwendige  Folge  ihrer  Annbewe- 
gong,  so  lange  vorausgesetzt  wird,  dass  der  linke  Arm  ziemlich  hoch  ge- 
griffen hat.  In  dem  daraus  entstehenden  rhythmischen  Gegensatre  der 
Rumpfpartie  zu  den  Bauchtheilen  beruht  ein  Hauptverdienst  des  erfin- 
denden Künstlers.  Diese  Schönheit  fehlt,  wie  sich  wohl  denken  lässt, 
in  dem  Trierer  Marmor  gänzlich;  Ist  sie  ja  selbst  in  den  meisten  libri- 
gen  Wiederholungen  grösseren  Formats  und  künstlerischeren  Werthea 
kaum  angedeutet  und  sogar  in  der  Replik  von  Gapua  nicht  kräftig  genug 
betont.  Hier  aber  sind  die  Schultern  nicht  einmal  richtig  gezeichnet,  ge- 
schweige denn  rhythmische  Antithesen  zur  Schau  gestellt. 

Auch  der  Unterkörper  zeigt  innerhalb  der  schematischen  Uebcr- 
einstimmung  namhafte  Verseil iedenheiten,  besonders  das  linlie  Bein. 
An  der  Melischea  Statue  biegt  sich  der  gehobene  Oberschenkel  sanft 
nach  innen,  um  vom  Knie  ab  schräg  nach  aussen  zu  gehen.  Welch* 
eine  Festigkeit,  welch'  eine  gesicherte  Ruhe  verleiht  dies  der  B'igur, 
die  damit  ein  treffliches  Gegengewicht  gegen  die  dramatische  Wendung 
zur  Seite  und  die  Schiefstellung  des  Thorax  erhält  I  Diesen  wirksamen 
Koutraat  von  Ober-  und  Unterschenkel  kennt  das  Trierer  Bildwerk  nicht 
der  Unterschenkel  scheint  sogar,  wie  wir  nach  der  Wade  schliessen 
müssen,  vom  Knie  leicht  einwärts  sich  erstreckt  zu  haben.  Das  linke 
Bein  muss  also  näher  dem  rechten  auf  dem  Boden  geruht  haben  als 
in  der  Pariser  Statue,  und  es  leuchtet  ein,  dass  dieser  Mangel  an  ver- 
ständiger Anordnung  eine  gewisse  Unsicherheit,  Unruhe  in  der  Stellung 
der  Figur  zur  Folge  hate.  Denselben  Fehler  sehen  wir  übrigens  auch 
an  bedeutenderen  Repliken  wiederkehren,  wenn  auch  weniger  derb  und 
verletzend,   so  z.  B.  an  der  Replik  Torlonia  (s.  Valentin,  Die  hohe 


1)  DmsB  der  Haarschopr  im  VerhlUiiisa  «ur  Fijur  etwas  lang  erscheint, 
darf  uDs  bei  der  geringen  AufmerksaTukeit,  welche  der  Bildhauer  für  richtige 
Yerh&ltnisRe  bekundet,  nicht  Wunder  nebinen. 


Ein  Nachbild  der  Venna  von  Milo. 


79 


Frau  von  Milo,  Taf.  IV,  10),  an  der  Kopie  aus  Capua,  die,  wie  sie  das 
ganze  Werk  überzuckert  wiedergibt,  so  auch  die  Position  schwächlicher 
ttud  weniger  entschieden  gehalten  hat.  Frische  der  Auffassung,  Energie 
der  Kontare  ist  eben  unter  allen  Repliken  nur  der  Melischen  eigen- 
thümlich,  die  wenn  sie  nicht  das  Original  ist,  so  doch  zeitlich  dem- 
selben am  nächsten  stehen  muss'). 

In  der  Draperie  finden  wir  eigentlich  nur  den  Grundgedanken 
wiedergegeben.  Schief  sich  hinziehende  Falten  folgen  dem  Wurfe  des 
Gewandes,  und  da  das  auf-  und  vorgesetzte  Bein  das  eng  um  den 
Körper  geschlungene  Hiraation  nur  noch  mehr  spannt,  so  ziehen  sich 
die  Falten  an  den  hohl  liegenden  Theilen  straff  und  umschreiben,  wo 
unmittelbar  darunter  Körper  liegt,  denselben  knapp.  Wie  jede  Dra- 
perie, so  zeigt  auch  diese  so  einfache  der  Melischen  Statue  einige  mehr 
müssige,  spielende  Faltcnpartien,  Partien  nur  zum  künstlerischen  Be- 
hagen, nur  zur  ästhetischen  Befriedigung  an  und  in  die  noth  wendigen 
Draperiezüge  eingelegt  oder  eingewebt.  Jene  sind  selbstverständlich  in 
dem  Trierer  Bildwerk  ausserordentlich  verkürzt  worden.  Der  Ueberfall  des 
einen  Hinjationcndes  über  das  liakc  Bein  ist  äusserst  schmal  gehalten 
und  mit  einer  einzigen  groben  Faltenfurche  bedacht.  Mehrere  plumpe 
Parallelfalten  gliedern  den  Himationabfall  am  rechten  Schenkel,  der  an 
der  Melischen  Statue  so  überaus  originell  in  gross  und  scharf  gehal- 
tenen Brüchen  angelegt  ist,   auf  die  primitivste  Weise. 

Alle  diese  Varianten  berechtigen  uns  tlbrigens  nicht,  daraus  ohne 
weiteres  auf  eine  andere  Bedeutung  und  eine  andere  Handlung  der  Trierer 
Figur  zu  schliessen,  als  für  die  Melische  vorausgesetzt  und  vermuthet  wird. 
Alles  Wesentliche  des  Vorbildes  ist  geboten,  also  müssen  wir,  so  lange 
Dicht  das  Gegentheil  erwiesen  ist,  daran  festhalten,  das  Abbild  habe  die 
gleiche  göttliche  Person  und  zwar  in  der  gleichen  Handlung  begriffen  dar- 
gestellt wie  das  Vorbild.  Es  überkommt  mich  ohnedies  manchmal  ein 
Grauen,  wenn  ich  sogar  die  Melische  Statue  und  jene  von  Capua  wegen 
einiger  kaum  das  Wesen  der  Erfindung,  sondern  nur  den  Charakter 
des  Kunstwerks  berührender  Differenzen  so  getrennt  behandelt  tinde, 
Als  ob  sie  nie  das  gleiche  Original  gehabt  hätten,  wenn   ich    für  die 


1}  So  bedeutend  ist  die  Variante  jedoch  nicht,  das«  daü  Unke  Sein  über 
das  rechte  hinäbergegriffen  und  dnnn  auf  der  Spitze  des  Fussea  geruht  hätte, 
womit  eine  wesentliche  Veränderung  des  OriginalBcbemaa  constatirt  und  eine 
fremde  Position  (vgl.  Clarac  Mua.  d.  ac.  296,  1670-1671.  295,  1018.  »00,  Ia59. 
548,  1151  B.  600,  1518  o.  ä.)  an  SteUe  der  unprünglicheQ  gesetzt  w&re.  Dazu 
•t«ht  das  linke  Bein  doch  tu  weit  entfernt  von  dem  Aussenkontur  des  rechten 


80 


Ein  Nachbild  der  Veoas  von  Milo. 


eine  (die  Capuaniscfae)  eioe  Restauration  (mit  dem  Schilde)  als  höchst 
wahrscbetnlich,  für  die  andere  aber  als  unmöglich  bezeichnet  lese;  al3 
ob  eine  Hebung  oder  Senkung  des  Kopfs,  eine  Wendung  mehr  nach 
links  oder  rechts  von  einem  kundigen  Künstler  nicht  durch  entsprechend 
verschiedene  Anordnung  der  Arme  oder  des  gehaltenen  Gegenstandes 
hätte  ausgeglichen  werden  können!  Auch  der  Umstand,  dass  unser 
Werk  an  der  liukeji  Schulter  diciieste  eines  nicht  zum  Körper  gehöri- 
gen Gegenstandes  zeigt,  trennt  es  noch  nicht  von  seinem  Vorbilde. 
Dort  konnle  ja  dieser  fragliche  Gegenstand  separat  in  Marmor  gear- 
beitet oder  in  Bronze  hinzugefügt  gewesen  sein,  wie  diesz.B.  bestimmt 
für  den  Schild  vorauszusetzen  wäre. 

Doch  beschreiben  wir  nun  jenes  Fragment!  An  der  inneren  Seiten- 
fläche des  erhobenen  linken  Arms,  der  bis  auf  eine  Länge  von  0,ö  frei- 
lich verstümmelt  erhallen  ist,  und  dem  linken  Busen  liegt  ein  aus 
demselben  Stück  gearbeiteter  fremder  Körper  an,  dessen  Oberfläche  in 
der  Hauptsache  Bruchfläche  ist.  Die  ehemalige  OberÖäche  des  frag- 
lichen Gegenstandes  habe»  wir  also  nicht  mehr  vor  uns,  sie  ist  durch 
einen  Bruch  verloren  gegangen.  Der  Gegenstand  folgt  scharf  anliegend 
dem  ümriss  des  nien?>chlichen  Körpers  und  beschreibt  gegen  die  Figur 
hin  eine  Kurve.  Nach  der  andern  Seite  lässt  sich  seine  Form  wegen  zu 
sta.rker  Verstümmelung  oben  niclit  mehr  ermessen,  wohl  aber  hat  sie 
sich  unten,  da  wo  der  gehobene  Arm  mit  derErusteincn  Winkel  bildet,  wenn 
auch  nur  auf  eine  kurze  Strecke,  so  doch  unversehrt  erhalten.  Wir  unter- 
scheiden einen  schmalen  Streif  der  Seitenfläche  von  glatter,  unver- 
sehrter Bearbeitung,  wie  sowohl  durch  das  Vergrosser ung.sglas  als 
mit  dem  Finger  zu  constatiren  ist.  Weiter  nach  oben,  schon  am  Arme, 
zeigt  sich  diese  Seitenfläche  umgebogen,  so  dass  sie  sich  mehr  nach 
der  Seite  entwickelt  und  zwischen  ihr  und  der  dem  Beschauer  ent- 
gegengekehrten oberen  Bruchflüche  deutlich  ein  trenneuder  Grat  oder 
scharfer  Rücken  sich  bildet.  Dieser  charakteristische  Gang  des  fra^;- 
lichen  Gegenstandes  in  Verbindung  mit  der  Kurvenbewegung  seines 
inneren  Umrisses  gibt  uns  völlige  öicherhcit  zu  entscheiden,  was 
dargestellt  war.  Doch  zuvor  wollen  wir  an  der  Hand  der  bis  jetzt 
gewonnenen  Anzeichen  noch  einige  negative  Entscheidungen  treffen. 
Unser  Resultat  wird  dadurch  nur  um  so  zweifelloser  dastehen. 

Erst  jetzt  nämlich  können  wir  behaupten,  dass  unsere  Figur  eine 
andere  Handlung  vornehme  als  man  ihrem  Vorbilde  zumuthet,  oder 
mit  anderen  Worten,  dass  keiner  der  für  die  Venus  von  Milo  und 
ihre  Nachbilder  gemachten  Hcstaurationsvorschläge  auf  sie  passt.   Oder 


Ein  Nachbild  der  Yeuus  von  Milo. 


81 


Itann  der  beschriebene  Rest  Bestandthcil  eines  Schildes  gewesen  sein? 
Das  Weib  musste  den  Schild  mit  der  konvexen  Seite  sich  zugekehrt 
halten.  Wie  sollten  da  auch  nur  annähernd  ähnliche  Knrvaturen  sich 
ergeben,  ja  wie  hätte  überhaupt,  da  der  Schild  von  der  vorgestreckten 
Linken  am  oberen  Rande  gefasst  werden  musste,  derselbe  bis  zu  dieser 
Stelle  sich  erstrecken  sollen  ?  — Oder  kann  eine  zweite  Figur  neben  dem 
Weibe  gestanden  haben?  Nach  den  Wiederholungen  aus  römischer 
Zeit,  in  denen  mit  dem  Weibe  eine  Marsgestalt  verbunden  ist,  könnte 
der  Rest  nur  zur  Schulter  der  männlichen  Figur  gehört  haben,  ent- 
weder direkt  oder  indirekt.  Allein  die  greifbaren  Konture  des  Frag- 
mentes lüugnen  durchaus  die  Möglichkeit,  dass  dasselbe  irgendwelcher 
Partie  eines  menschlichen  Körpers  zugehört  haben  könne.  Und  es 
läset  sich  auch  nichts  denken,  was  irgendwie  zu  dem  männlichen  Kör- 
per hätte  hinzugehören  und  annähernd  gleiche  Form  haben  können.  — 
Oder  könnte  ein  Dritperiestück  gemeint  sein?  Unmöglich;  denn  wie 
sollte  es  so  schmal  und  dick  sich  zusammenschieben,  wie  so  eng  an 
Arm  und  Busen  sich  anlegen,  wie  Kurven  beschreiben  denen  unseres 
Fragmentes  gleich? 

Wir  sind  also  auf  neue  Wege  angewiesen,  und  diese  zeigt  uns 
das  Fragment  erkennbar  genug.  Fragen  wir  zunächst  noch:  Lässt 
sich  der  Stoff,  die  Materie  bestimmen  oder  vermuthen,  woraus  der 
Gegenstand?  Derselbe  liegt  allenthalben  so  eng  an  den  Körper  ange- 
schmiegt, dass  er  unmöglich  von  hartem,  stÄrrem  Stoffe,  z.  B,  Holz, 
Metall  gewesen  sein  kann,  selbst  angenommen,  was  an  und  fttr  sich 
ganz  unwahrscheinlich,  dass  der  Gegenstand  angedrückt  worden  sei.  Der 
Stoff  muss  veränderlich,  oder  für  Druck  empfänglich  gewesen  sein,  wie 
jene  durch  den  Busen  veranlasste  Biegung  unzweifelhaft  dartbut. 
Zugleich  aber  muss  der  Gegenstand  eine  gewisse  Massigkeit  besessen 
haben.  Sonst  könnte  er  nämlich  bei  jener  Umbiegung  der  Seitenfläche 
sich  nicht  so  hohl  halten,  wie  er  thut,  sondern  musste  schärfer  und 
leichter  umgebrochen  sein ;  ein  Stück  dicken  Leders,  nicht  ein  leichtes 
Band  könnte  solche  Biegungen  beschreiben.  Wir  haben  also  einen 
biegsamen  und  doch  widerstandsfähigen  Körper  vor  uns,  von  dem  zwei 
"Windungen  zu  sehen  sind. 

Unsere  Wahrnehmungen  sind  damit  noch  nicht  zu  Ende.  Auch 
die  ehemalige  Beschaffenheit  der  dem  Beschauer  zugekehrten  Ober- 
fläche lässt  sich  genauer  bestimmen.  Das  abgesprungene  Stück  war 
nicht  Oberall  gleich  tief.  Gegen  den  Körper  hin  war  es  weniger  er- 
haben als  nach  aussen.    Das  ergibt  sich  durch  eine  Betrachtung  der 

6 


Ein  Naclibild  der  Venas  von  Milo. 


Körperstellen,  wo  das  Stück  anliegt  Oben  sehen  v?ir  nämlich  den  Kontur 
anheben  in  einer  sanft  gefichwungetien  Linie;  an  der  Mammelle  aber 
Diuss  dasselbe  der  Fall  gewesen  sein,  weil  sie  bis  dicht  an  die  Bruchfläche 
hinan  glatt  und  unbehindert  gearbeitet  ist.  Führen  wir  im  Geiste  diesen 
von  innen  ansteigenden  Kontur  sanft  gebogen  bis  zu  jenem  Grat  zwischen 
den  beiden  Flächen  und  beachten  wir,  dass  die  Seitenflädie  unten,  so  weit 
sie  erhalten  ist,  ebenfalls  eine  geschwnngene  Begrenzung  muthniassen 
lässt,  so  erhalten  wir  einen  wurstartigen  Gegenstand,  aber  dennoch  von 
scharf  sich  begrenzenden  Seitenflächen,  der  eng  am  Körper  anliegend 
zwei  Windungen  beschreibt  und  einmal  *eine  andere  Fläche  vorkehrt. 
Das  aber  darf  mit  völliger  Gewissheit  für  nichts  anderes  betrachtet 
werden  als  den  Rest  einer  Schlange.  Bei  ihr  erklärt  sich  das  An- 
schmiegen an  den  Körper  sofort  von  selbst.  Vgl,  die  Schlangenwin- 
dungen bei  Clara c  Mus.  d.  sc.  545,  1145.  547,  1152.  549,  1159.  552, 
1172  C.  552,1172.  555,1176.  550,1174.  557,1185. 

Die  Schlange  setzte  sich  ursprünglich  noch  weiter  nach  unten  fort; 
eine  genaue  Untersuchung  der  unteren  Fläche  des  Fragments  kann 
keinen  Zweifel  darüber  lassen.  Jedoch  muss  dieselbe  von  dort  ab  sich 
wieder  nach  aits.5en  gewandt  haben,  da  gleich  unterhalb  der  Bruch- 
fläche das  Nackte  des  Körpers  ungehindert  zur  Ausarbeitung  kommen 
konnte.  Die  Schlange  wird  sich  demnach  bis  zu  der  Stelle,  wo  pie 
die  rechte  Hand  der  Figur  erreichte,  fortgesetzt  haben. 

Sehr  beengt  war  die  Hand  des  Bildhauers  in  dem  Winkel  zwischen 
der  äusseren  Fläche  der  Schlange  und  dem  Arme,  beengt  bis  zu  dem  Grade, 
dass  dieser  Winkel  nur  in  der  rohestcn  Weise  ausgehöhlt  worden  ist.  Ver- 
ursacht konnte  dies  nur  sein  durch  eine  Stütze,  an  und  auf  welcher 
der  linke  Arm  aufgelegen  sein  muss.  Unten  am  Arme  gewahren  wir 
nämUch  noch  ein  Stück  Marmor,  das  kein  Theil  des  Armes  gewesen 
sein  kann,  wie  die  Form  sowohl  als  die  Richtung  besagt.  Wir  werden 
aber  auch  kaum  irregehen,  wenn  wir  mit  dieser  Stütze  einen  grösseren 
Marmoraussprung  (0,4  hoch,  0,5  breit)  an  der  Hinterseite  des  linkeu 
Beins  ungefähr  in  Km'ehöhe  in  Verbindung  bringen.  Der  Aussprung 
befindet  sich  in  der  Richtung  jenes  Ansatzes  unter  dem  Arm,  so  dass 
anzunehmen  ist,  dass  eine  hohe  Stütze  zur  Linken  des  Körpers  gewiss 
mit  der  rechten  Hand  in  Verbindung  stand  und  wahrscheinlich  auch 
den  erhobenen  Vorderarm  überragte.  Wenigstens  scheint  darauf 
die  eigenthümliche  Behandlung  des  Armes  auf  der  Rückseite  zu 
deuten,  so  dass  also  auch  der  gegen  die  Schulter  zurückgebeugte 
linke  Vorderarm  an  ihr  geruht  hätte.    So  erklärt  es  sich  wohl,  dass 


Ein  Naobbild  der  Venas  von  Milo. 


88 


mit  der  Stütze  sowohl  der  aDlicgende  rechte  Arm,  so  weit  er  frei 
gearbeitet  war,  als  auch  der  grösste  Theil  der  Schlange  und  des  linken 
Arriies  wegbracb. 

Für  die  Richtung  des  linken  Vorderarms  haben  wir  als  Anhalts- 
punkt nur  die  Schlange  oder  ihre  Windungen.  Dieselbe  rauss  von 
der  Hand  gefasst  gewesen  sein,  da  sonst  keine  weitere  Spur  von  dem 
Tbiere  mehr  zu  finden  ist,  und  demnach  wäre  wie  am  natür* 
iichsten  so  nm  wahrscheinlichsten,  dass  der  linke  Vorderarm  sich  nach 
oben  gegen  das  Haui)t  einwärts  bog,  wobei  die  Schlange  sehr  wohl  an 
der  Stelle  sich  hinabwindea  musste,  wo  wir  das  Fragment  von  ihr 
vorfinden. 

Die  Situation  oder  Handlung  der  Trierer  Figur  ist  nunmehr  all- 
seitig genug  aufgeklärt  und  damit  auch  ihre  Bedeutung.  Dargestellt  ist 
Hygieia,  die  in  der  erhobenen  Linken  ihr  heiliges  Thier  gefasst  hält, 
das  sich  ihr  an  der  Brust  hinabwindet,  um  aus  der  Schale  getränkt 
zu  werden,  welche  die  Rechte  der  Göttin  entgegenbietet, 

Ist  aber  dieaes  Resultat  etwa  auch  massgebend  für  die  übriget» 
Repliken  dieses  Typus  oder  gar  für  die  Statue  von  Melos  selbst?  Wir 
müssen  diese  Frage  um  so  mehr  kurz  berühren,  als  an  der  ursiirüngiichen 
Bedeutung  des  Originals  noch  immer  gezweifelt  oder  gerüttelt  werden 
kann,  als  die  Verwendung  der  Originalmotivc  zur  Schöiifung  einer  Nike 
schon  früher  irregeleitet  hat,  um  so  mehr  schliesslich  als  sich  die  Kom- 
position auf  den  ersten  Blick  wohl  /.ur  Handlung  der  Hygieia  zu 
eignen  scheint. 

Genau  betrachtet  jedoch  hält  das  Bildwerk  nicht  Stich.  Man 
sieht  den  Grund  nicht  ein,  wesshalb  Hygieia  die  Schlange  mit  dem 
Arme  erbebt,  wenn  sie  dieselbe  unten  aus  der  Schale  tränken  will. 
Ebenso  wenig  lag  irgend  eine  Veranlassung  vor,  die  Figur  zur  Vornahme 
dieses  Akts  nach  der  Seite  sich  drehen  zu  lassen.  Was  soll  der  mensch- 
liche Körper  der  leicht  hierhin,  leicht  dorthin  sich  windenden  Schlange 
zu  Liebe  eine  so  bedeutende  Wendung  vollführen?  Diese  Gesichtspunkte 
allein  schon  haben  Bedeutung  genug  zu  erhärten,  dass  die  Statue  nicht 
für  die  dargestellte  Handlung  erfunden,  sondern  nur  für  dieselbe  be- 
nutzt worden  ist,  weil  ihre  Motive  im  allgemeinen  entsprachen,  weil  eine 
solche  Umwandlung  vom  technischen  Standpunkte  aus  möglich  schien. 
Um  die  höheren  Anforderungen  an  eine  Komposition  aber  war  derjenige, 
der  zum  ersten  Mal  diese  Variante  schuf,  weniger  bekümmert  oder  über- 
haupt mit  ihnen  unbekannt. 

Die  vollständige  Nacktheit  des  Okerkörpers  vollends  bis  zur  Scham 


84 


Ein  Nnchbild  der  Tenna  von  Milo. 


hin  ist  durchaus  unpassend  Tür  eine  Hygieia.  Diese  Göttin  kann  ja 
immerhin  als  Personifikation  der  blühenden  Körpergesundheit  (fttxa 
a€io,  fiäy.ai^'  'YyUia,  xiÖuXt  nuviu  xal  läfinti  Xaghiov  tag  Ariphroü 
b.  Athen.  15, 702)  ihren  jugendfristheu  Körper  zeigen.  Allein  die  grie- 
chische Kunst  hat  in  der  Enthlössung  schon  angesichts  dessen,  dass  die 
Göttin  als  Mädchen  galt,  immer  Mass  gehalten.  In  ihren  bedeuten- 
deren Bildwerken  sehen  wir  sie  daher  mit  dem  Chiton  augethan  oder  mit 
Chiton  und  Hintation  und  hüchstens  einen  Busen  entblösst  (O.  Müller 
Hdb.  d.  Arch.  d.  K.  §.  394,3.  Clara c  Mus.  d.  sc.  pl.  552—558  A. 
Ann.  d.  Inst,  187:^  tav.  d'agg.  A  p.  4  sgg.  (A.  Flasch)).  Hygieia 
blieb  den  Hellenen  stets  ein  züchtiges  jugendliches  Wesen,  und  mit 
dieser  Anschauung  stimmt  eine  so  derbe  Entblössung  wenig  überein. 
Sie  oiTenbart  vielmehr  die  grobe  Anschauung  der  römischen  Epoche 
und  einen  Bildhauer,  dem  es  nicht  um  innere  Charakteristik,  sondern 
nur  um  Charakteristik  mit  Hülfe  von  Attributen  zu  thun  war.  Kurz 
auch  das  Verhältniss  von  Nacktem  und  Draperie  zeigt,  dass  die  Figur 
ursprünglich  für  ein  anderes  Wesen  geschaffen  war,  als  wofür  sie  der 
Imitator  benutzt  hat. 

Auf  die  Bedeutung  des  Originals  hier  weiter  einzugehen,  scheint 
mir  keine  Veranlassung  gegeben.  Für  die  verschiedenen  untergeord- 
neten Repliken  aber  ist  nach  Auffindung  dieser  Variante  geboten 
(Bernouüi,  Aphrodite  p.  172— 177),  mm  auch  diesen  neuen  Gesichts- 
punkt behufs  Feststellung  ihrer  Bedeutung  im  Auge  zu  behalten.  Diess 
um  30  mehr,  weil  schon  ein  anderes  Bildwerk,  welches  seinen  Zusammen- 
hang mit  der  Melischen  Statue  nicht  verleugnen  kann,  dieselbe  Variante 
bietet,  zugleich  aber  den  eben  gerügten  Felder  allzugrosser  Nacktheit 
beseitigt.  Es  ist  dies  die  Durand'sche  Terracotta:  Clarac,  Mus.  d. 
Bc.  556,  1175.  Die  Kompositionsmotive  der  Terracotta  sind  die  be- 
kannten: Da.s  linke  Bein  ist  auf  eine  Erhöhung  gesetzt;  zur  Seite  steht  ein 
Pilaster,  wie  er  sich  üfter  in  den  Hcpliken  findet  und  wie  er  (wenigstens 
sicher  eine  Stütze)  auch  neben  der  Trierer  Figur  vorausgesetzt  wurde; 
der  Oberkörper  ist  nach  links  gewandt  mit  erhobener  Linken  und  nach 
derselben  Seite  folgender  Rechten ;  das  Haupt  hat  die  gleiche  Wendung 
und  ist  mit  einer  Stephane  bekrönt;  die  Linke  hält  die  Schlange  fest,  die 
Rechte  die  Schale,  aus  der  dieselbe  getränkt  wird,  also  genau  die  An- 
ordnung, zu  welcher  wir  das  Trierer  Bild  nach  den  Fragmenten  er- 
gänzen mussten. 

Das,  was  ich  oben  tadelnd  hervorgehoben  habe,  nämlich  dass  die 
ganze  Handlung  zu  demonstrativ  wirke,  dass  man,   um  eine  Schlange 


Ein  Nachbild  der  Yeniui  von  Milo.  86 

zu  tränken,  nicht  den  ganzen  Körper  verdrehen  dürfe,  tritt  in  der 
Terracotta  ordentlich  grell  und  verletzend  zu  Tage,  fUr  mich  wenigstens. 

Das  Himation  der  Dur  and'schen  Figur  lässt  seinen  Ursprung  noch 
erkennen,  aber  auch  kaum  mehr;  es  ist  zum  sinnlosen  Dekorationsstück 
geworden.  Dagegen  ist  der  Bildner  der  Terracotta  einer  besseren  Tradition 
gefolgt,  indem  er  nicht  die  Nacktheit  des  Originals  übernahm,  sondern 
seiner -Figur  jenen  Hülfschiton,  wenn  ich  ihn  so  nennen  darf,  an- 
zog, den  wir  von  den  Replikatoren  gebraucht  sehen,  so  oft  es  galt  den 
Typus  für  eine  Darstellung  zu  verwenden,  in  der  so  umfangreiche  Nackt- 
heit nicht  am  Platze  war,  so  z.  B.  bei  Umbildung  zu  einer  Nike, 
bei  Gruppirungen  mit  Ares,  wo  zwar  Aphrodite  dargestellt  sein  sollte, 
aber  unter. dem  Porträt  einer  ehrbaren  römischen  Matrone,  für  die 
dne  so  ostensive  Nacktheit  weniger  passend  erschien  (Glarac  Mus.  d. 
8C  634,  1428:  Gruppe  im  Kapitel,  Porträts;  326,  1431:  Gruppe  im 
Louvre,  ebenfalls  Porträts).  So  hat  der  Bildner  der*  Terracotta  der 
Umbildung,  die  er  erstrebte,  oder  dem  Wesen  der  Hygieia  mehr  Rech- 
nung getragen,  der  Bildhauer  der  Trierer  Replik  aber  dem  Aussehen 
des  Vorbildes. 

Nach  dem  Stilgefühl  oder  richtiger  nach  dem  Mangel  an  Stilgefühl, 
welcher  durch  die  Statuette  geht,  nach  der  oberflächlichen  Darlegung 
des  Nackten  und  der  schematischen  Faltenbehandlung  zu  urtheilen^ge- 
hört  das  Werk  gewiss  nicht  vor  die  Zeiten  des  Septimius  Severus,  am 
wahrscheinlichsten  in  die  Zeit  von  200—250  n.  Chr.  Ich  mache 
schliesslich  darauf  aufmerksam,  dass  schon  eine  andere  Replik  des- 
selben Originals  aus  Trier  stammt  (Jahrbücher  d.  V.  XIII,  T.  2). 

Wenn  wir  uns  auch  getäuscht  sahen  in  der  Hoffnung,  neue  Ge- 
sichtspunkte für  die  Statue  von  Melos  aus  dem  Trierer  Marmor 
zu  gewinnen,  seine  eingehende  Betrachtung  war  uns  lohnend  genug  in 
Hinsicht  auf  die  Rolle,  die  das  Original  in  den  Werkstätten  der  römi- 
«hen  Reproducenten  gespielt  hat. 

A.  Flasch. 


86    Erklsnmg  zweier  altohristlicher  Ghrabsohriften  in  der  Stiftskirche  zu  Aachen. 

8.  ErMärung  zweier  altchristlicher  GrabschrHteB  In  der  Stiftskirche 

zu  Aachen, 

zugleich  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des,h.  Spes,  Bischofs 
von  Spoleto  (f  c  400). 

ffierzQ  Taf.  VII,  Fig.  1. 

Als  ich  mich  im  Winter  des  Jahres  1873/74  mit  der  kritisch-hi- 
storischen Untersuchung  über  die  ^Echtheit  und  Herkunft  der  Aachener 
Heiligthümer  beschäftigte,  musste  es  mein  erstes  Bestreben  sein,  die 
Art,  Zahl,  Grösse  und  Beschaffenheit  derselben  genau  festzustellen,  um 
so  fflr  die  einschlägigen  Forschungen  die  nöthige  Grundlage  zu  ge- 
winnen. Zu  diesem  Zwecke  wurde  auf  mein  Gesuch  im  Schöosse  des 
Stiftskapitels  eine  Commission  gebildet,  bestehend  aus  den  Herren  Dr. 
Grafen  von  S^fiG,  Dr.  Bock  und  mir,  welche  sämmtliche  Gefässe, 
Kapseln  und  Beutel,  worin  die  Heiligthttmer  verschlossen  aufbewahrt 
werden,  öffnen  und  über  den  Befund  der  Reliquien  ein  genaues  Proto- 
koll aufnehmen  sollte.  Auf  diesen  Untersuchungen,  welche  vier  Wochen 
hindurch  mit  grosser  Sorgfalt  vorgenommen  wurden,  beruhen  die  in 
meiner  Festschrift^)  zur  Heiligthumsfahrt  des  Jahres  1874  mitgetheil- 
ten- Notizen  über  die  Beliquien  selbst,-  sowie  über  alle  Funde,  welche 
bei  dieser  Gelegenheit  in  den  Reliquiarien  gemacht  wurden. 

Nicht  wenig  war  die  Commission  erstaunt,  in  der  mit  kostbaren 
Klfcnbeintafeln  bekleideteu  Reliquienladc  des  h.  Spes  einen  Zettel  zu 
finrlcn,  welcher  unzweifelhaft  constatirte,  dass  diese  Lade  über  400 
Jahre  nicht  mehr  war  geöffnet  worden ;  denn  auf  demselben  waren  die 
Namen  der  Canonici  des  Krönungsstifts  verzeichnet,  welche  den  Inhalt 
zum  letztenmal  im  Jahre  1454  einer  näheren  Untersuchung  unterworfen 
hatten.  Dass  übrigens  seit  dieser  langen  Zeit  eine  Eröffnung  des 
Schreines  nicht  mehr  stattgefunden  hat,  ist  nicht  auffallig.  Seltene  Er- 
öffnung der  Rcliquienschreine  war  Brauch  der  alten  Zeit.  Im  Jahre 
l.'ilO  hatte  man  in  Trier  den  in  dortiger  Domkirche  aufbewahrten 
heiligen  Rock  solange  nicht  mehr  gesehen,  dass  seine  Existenz  daselbst 
vielfach  bezweifelt  wurde  und  erst  Kaiser  Maximilian  diese  durch  eine 
licsondere  Untersuchung  constatiren  liess*);  im  10.  Jahrhundert  wusste 


1)  Geschichtliche  Mittheilungen  über  die  Heiligthümer  der  Stiftskirche  zu 
Aachen.  Köln  and  Neuss  bei  L.  Schwann. 

2)  Ein  Yerzeicbniss  der  bei  dieser  Gelegenheit  in  der  Domkirche  aufge- 
fundenen Ileliquien,  das  nach  Art  eines  Protokolls  vom  Kaiser  und  vielen  Reichs- 


Erklärung  zweier  allchrisüicber  Grabsohriflon  in  der  Stiftskirobo  »u  Aaohen.    87 

man  in  Chartres  nicht  mehr,  ob  die  dortige  Domkirctie  den  Schleier 
der  Gottesmutter  und  das  Unterkleid  derselben,  oder  bloss  eine  dieser 
Reliquien  besitze;  man  machte  nämlich  aus  der  Umhüllung  des  Schleiers 
eine  zweite  Relitiuie  und  nannte')  sie  tunica  oder  supparuni  U.  M.  V. 
Auch  in  Aachen  ist  man  von  dem  alten  Gebrauch  der  seltenen  Eröff- 
nung der  Rehquiarien  nur  dann  abgegangen,  wenn  die  höchsten  Wür- 
denträger der  Kirche  und  des  Staates  es  verlangten,  und  so  erklärt 
gich  auch  die  Thatsache,  dass  die  Elfenbeiulade  des  h.  Spes  seit  400 
Jahren  nicht  mehr  war  geöffnet  worden. 

Bei  der  Aufschlieasung  derselben  durch  den  Goldschmied  Herrn 
Witte  traten  zuerst  drei  Gewäuder  zum  Vorschein,  die  durch  ihre 
alten  Musterungen  und  durch  ihre  characteristiache  Webeart  die  Auf- 
merksamkeit der  Commission  fesselten,  Das  erste  Gewand  gehörte 
unzweifelhaft  dem  XII.  Jahrhundert  an,  da  die  Musterungen  in  sehr 
bekannten  Laubformen,  wie  sie  der  si/iltanischeii  Weberei  eigenthUmlich 
sind,  auftreten').  Das  zweite  Gewand  war  ein  weisser  Seidenstoff, 
welcher  an  den  Rriudern  mit  breiten  bunten  Längcustreifcn  verschen 
war;  die  Bänder  waren  von  abwechselnder  Breite  und  verschiedener 
Musterung  und  aus  ruthen  und  grünen  Seidenfädeu  gebildet,  in  deren 
Mitte  schmale  und  breite  Goldfäden  mit  einander  abwechselten.  Auf 
diesem  äusserst  delicaten  Seidenzeug  ^)  war  eine  Pergamentschrift  aus 
der  zweiten  Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts  oder  aus  dem  Anfange  des 
Xlll.  herstammend  aufgenäht,  also  lautend:  Reliquie  sei  Spei  Episcopi. 
Der  Stoff  selbst,  der  an  einigen  Stellen  rissig  geworden,  liess  sich  als 


förstea  unterzeichnet  ist,  fand  ich  in  einAr  Handacbrift  dca  Klosters  zur  h.  Drei- 
faltigVeit  in  Wiener-Neustadt  XII.  D.  21;  letztere  gehörte  ehedem  dem  Kloster 
B.  M.  V-  in  Bardesholm,  Diöze«e  Bremen. 

1)  Melangee  d'ArcheoIogie  von  Cahier  et  Martin  I,  p.  67.  62;  Gallia 
chrutiana  lib.  VII,  p.  1108,  Kessel,  Aachener  Ileiligtbümer  S.  138. 

2)  Diesus  Gewaiid  kann  als  äusseres  Umfaüllungst^icU  betrachtet  werden. 
Ee  bat  eine  Länge  von  4ö"  rhein,  und  eine  Breite  von  27"  rheiu.  Die  Dosuius 
sind  gebildet  aus  Weinlaub  mit  Kronen  über  sitzenden  Thierunholden,  die  in 
Goldfaden  cinbrochirt  sind.  Der  Stoff  selbst  besteht  aus  gclbrolber  Seide  mit 
dunkelrothem  Muster;  eine  Borde  von  grünem  Sammet  an  einer  Langseite  ist 
Zusatz  späterer  Zeit. 

3)  Dasselbe  hatte  eine  Breite  too  28"  rhein.  und  eine  Länge  von  43"  rhein. 
Nach  der  Ansicht  des  Herrn  Dr.  Bock  ist  dieser  Stoff  zu  den  pallia  holoserica 
trifata  mit  eingewirkten,  rotben,  grünen  und  goldenen  Streifen  von  dereelben 
Textur  und  Dessinirung  zu  z&bjeo,  wie  solche  die  tibialia  der  Bisohöfe  im  13. 
und  13.  Jahrhundert  ^seigen- 


88    Erkl&ruog  sweier  allohristlicher  Grabsobriften  in  der  Stiftskirche  su  Aachen. 

eine  ad  hoc  neugewirkte  Umhüllung  erkennen.  In  diesem  zweiten 
Tuche  eingewickelt  befand  sich  das  dritte,  bestehend  aus  einem  hoch- 
rothcn  Seideutaffet,  wie  er  als  Futterzeug  in  kostbaren  liturgischen  Ge- 
wändern des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  häufig  vorkommt.  Die  ganze 
Anlage  dieser  dritten  Umhüllung  mit  einer  zusammengezogenen  Borde 
und  einem  kupfernen  Krampen  am  Obertheil  sowie  einem  umbordeten 
Einschnitt  zum  Durchlass  der  rechten  Hand  gibt  deutlich  zu  erkennen, 
dass  dieses  Gewandstiick  abs  Bekleidung  einer  Madonna-Statuette  im 
XV.  Jahrhundert  gebraucht  worden  ist. 

In  dieser  letzten  Umhüllung  befanden  sich  die  Gebeine*)  des  b. 
Bischofs  Si>es  und  beiliegend  eine  wohlerhaltene,  aus  frühkarolingischer 
Zeit  stammende  Fergamenttafel  mit  zwei  altchristlichen  Inschriften, 
deren  nähere  Erläuterung  den  Gegenstand  dieser  Abhandlung  bildet. 

I.  Die  Inschrifttafel.  Die  in  Rede  stehenden  altcbristlichen 
Inschriften  sind  nicht  bloss  an  sich,  sondern  auch  in  Buchung  auf 
die  Frage  ihrer  Herkunft  von  grosser  Bedeutung.  Wenn  Inschriften 
schon  im  Allgemeinen,  wie  Mommsen  sagt,  von  grosser  Widitigkeit 
sind,  indem  sie  für  die  Keuutniss  des  Alterthums  einen  ähnlichen  Ge- 
winn abwerfen,  wie  für  die  Kenntniss  eines  aus  Büchern  bekannt^i 
Landes  das  Beisen  in  demselben  erzeugt*),  so  sind  Inschriften  wie  die 
vorliegenden  von  doppeltem  Nutzen,  weil  sie  nicht  bloss  über  einen 
bisher  weniger  bekannten  Gegenstand  Licht  verbreiten,  sondern  auch 
zur  Aufhellung  anderer  wichtiger  Fragen  sichere  Wege  zeigen.  Ksher 
war  der  h.  Spes  i^eiuem  .\mte  nach  in  Deutschland  so  gut  wie  unbe- 
kannt und  selbst  sein  Name  wurde  in  Aachen  unrichtig  genannt:  man 
nannte  ihn  i^peus,  und  unter  diesem  Namen  kommt  er  auch  schon  iu 
den  -Vinuileu  dos  I^imbertus  von  AschafFeuburg  vor');  in  manchen 
MiUtyrologion  und  hagiologisohon  Werken  wurde  er  bald  als  Bekenner, 
baUl  als  Marivrer  Uvoichuet.  Unsere  Inschrift  nennt  ihn  Bischof,  nicht 
Märtyrer.  Aus  der.»  Todestag  desselben  und  aus  anderen  Notizen  er- 
gibt sich,  dass  derselbe  mit  dem  h.  Bischof  Spes  von  Spoleto,   der  c 


1'  Aus*or  ilor  IVr^HmonttÄtVl  I»g«n  Uvvh  rwei  Pcryiaientretctfi  l-ei  den  G«- 
Ivii^er  IVr  oxvo  l*u:oto;  Corj"j*  *ci  VY'.swp  Sj'^i;  der  ludert:  IS:!vercs  reü- 
v;«'.*r«iu  «v'i  Sjv»  l"?\»\*copi.  l"*«.**«-  luschnftxeilel  »iud  uaob  Stil  usd  Alter  rer- 
»^•hi<^^e■.!.  dov-lt  rx>u-h',  kosv.i'r  ulvr  U**  Xlll,  JAhrhviuden  turück. 

-"    Ih   MvnMiujo«.   Vi«rh*isdlvi:\j:x'u  dor  k.  »«obtischea  G««e4elI$cluLfl    der 

.<^  t.«v.-.\vrti  Aiiis*lM  ad  *.  I07i  la  IVru  ntonuB!.  0.  seript.  tsm.  Y.  p.  190. 


ErkläruDg  aweier  altchriBllicbei*  Grabschriftei^  in  der  Stiftakirobe  zu  Auchen,     80 

400  gestorben  ist*),  ein  uDil  dieselbe  Person  Ist,  and  so  haben  wir 
einen  neuen  Beleg  für  die  Wahrheit  des  An  gilbe  rt 'sehen  Zeugnisses"), 
»dass  Karl  der  Grosse  für  den  kaiserlichen  Palast  zu  Aachen  eine 
grosse  Anzahl  von  Ueiligthünierü  gesammelt  habe,  und  zwar  nicht 
bloss  zu  Rom,  Constantinopel  und  Jerusalem  sondern  überhaupt  aus 
den  verschiedenen  Theilen  der  ganzen  Christenheit,  naqientlich  aus 
Italien,  Deutschland,  Burgiind  und  den  gallischen  Piovmzen«.  Jeder 
Beitrag  aber  zur  Geschichte  dieses  grossen  Kaisers,  der  als  Baumeister 
eines  Weltreiches,  als  Gesetzgeber  vieler  Nationen  und  als  leuchtendes 
Meteor  in  der  Nacht  der  Zeiten  wie  kein  zweiter  Gewalthaber  der  Erde 
glänzt,  muss  um  so  freudiger  bcgrüsst  werden,  je  mehr  seine  Helden- 
gestalt schon  im  zweiten  Jahrhundert  nach  seinem  Tode  in  das  Zwie- 
licht der  Sage  gezogen")  und  daher  für  unsere  Zeit  Manches  dunkel 
geworden  ist,  was  ehedem  in  halb  Europa  bekannt  war. 

Die  beiden  Inschriften  auf  der  gedauhtea  Pergamenttafel,  sind 
auf  Taf.  VII,  Fig.  1  facsimilirt. 

Es  musste  auftäHig  erscheinen,  bei  den  Gebeinen  des  h.  Bischofs 
Spes  eine  Sepulcralinschrift  von  einem  verstorbenen  Kinde  zu  finden; 
daher  hatte  Herr  Dr.  med.  M.  II.  Debey  dahier  auf  Ersuchen  der 
Commission  die  Gefälligkeit,  dieselben  einer  osteologischen  Unter- 
SQchung  zu  unterziehen,  um  sicher  zu  ermitteln,  ob  sich  etwa  unter 
denselben  auch  Kindesgebeine  befänden.  Es  stellte  sich  aber  nach 
sorgfältiger  Prüfung  bis  zur  Evidenz  heraus,  dass  alle  Gebeine,  57  an 
Z*hl,  wie  sie  vorliegen,  von  einem  erwachsenen  Manne,  und  zwar  nur 
von  einem,  herrühren.  Ihr  Zustand  war  zwar  zum  Theij  trümmerhaft 
und  meistens  frei  von  organischen  Resten,  aber  die  einzelnen  Gebeine 
lie&seu  sich  alle  noch  wohl  erkennen  und  in  ihrer  Zusammengehörigkeit 
constatiren.  Alle  zeigten  eine  ziemlich  dunkelbraune  Färbung  mit  Aus- 
nahme zweier  Bruchstücke  des  rechten  Oberschenkels,  bei  welchen 
durch  starke  Zertrümmerung  die  Obertiäche  des  Knochens  fast  ganz 
zerstört  war  und  eine  weisse  P'arbe  der  unterliegenden  Koochensubstanz 
vorherrschte.    Das  Haupt  des  Heiligen  fehlte. 

Hiernach  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  jetzt  in 
der  Elfenbeinlade  des  h.  Spes  aufbewahrten  Reliquien  von  keinem  an* 


1)  Wir  werden  dies  später  aus  italienisobeu  Quellen  darthun. 

2)  Mabillon.  Act.  Sanct.  Ord.  a.  Benedicti  ed.  Venet.  V.  p.  108. 

3)  Chronik  des  MöQobs  Benedict  im  Kloster  St.  Andreas  am  Berge  Soracta, 
und  Perla,  Archiv  V,  148  f. 


90    Erklftrang  zweier  i^iohristlicher  Orabsohrifleu  in  der  Stiftskirehe  xa  Aachen. 

deren  Heiligen  herrflhren  als  vom  h.  Spes  selbst.  Wo  aber  die  Gebeine 
des  Kindes,  das  vielleicht  ein  Märtyrer  gewesen,  hingekommen  oder  ge- 
blieben sind,  ist  unbekannt  0* 

II.  Deutung  und  Erklärung  der  Kindes-Inschrift    Wir 

lesen:  Accipite,  Sancti,  vobis  venerabile  dignumque  minestrium 

Tnllium  Anatolium  Artemium  c(um)  p(ace)  p(aus^t) 

qui  vixit  annos  sex,  menses  octo  dies 

XXni.  Depositus  die  III.  Idus  Octuber 

Ricomere  et  Clearcho  viris  clarissimis  conss. 

Sancti,  dieses  Wort  bezeichnet  im  Sinne  des  neuen  Testaments 
und  der  ersten  Jahrhunderte  nicht  bloss  heilige  Personen,  sondern 
überhaupt  alle  Christen  *),  eben  weil  dieselben  durch  Christus  zu  einem 
neuen  Leben  der  Gerechtigkeit  und  wahren  Heiligkeit  erschaffen  sind'). 

uobis  far  euch;  das  Pronomen  ist  abhängig  von  venerabile;  es 
wird  dadurch  den  Christen  zugleich  der  Gegenstand  der  Verehrung 
ans  Herz  gelegt. 

t  Dieses  Kreuz,  crux  immissa  oder  lateinisches  Kreuz  genannt, 
kommt  auf  den  uns  erhaltenen  Monumenten  des  christlichen  Alterthums, 
auf  Grabsteinen,  Münzen,  Gemälden,  Mosaiken,  Lampen,  Trinkgef&ssen 
u.  s.  w.  der  acht  ersten  Jahrhunderte  am  häufigsten  vor'). 

Vre  =  venerabile,  d.  i.  verehrungswürdig  im  kirchlichen  Shme, 
wie  aus  dem  Folgenden  sich  ergeben  wird.  In  den  »geschichtlichen 
Mittheilungen  über  die  Aachener  Heiligthümeru  habe  ich  vorstehende 
Abkürzung  des  Originals  durch  vestre  gedeutet  und  in  dem  darauf 
folgenden  Herzzeichen  <^  einen  symbolischen  Ausdruck  für  Liebe 
(charitas)  gefunden').  Herr  Professor  Dr.  Becker  aber,  der  grfUid- 
liche  Kenner  profaner  und  christlicher  Inschriften,  hatte  die  Freund- 


1)  Da  dor  karolingisube  Reliquicnschate  des  Aachener  Münaters  im  Laufe 
der  Zeit  manchmal  bedeutende  Einbusso  erlitten  hat,  so  ist  es  nicht  unwahr- 
scheinlich, daas  diese  Gebeiue  zu  den  verlorenen  gehören.  Das  Stiftsarchiv  gibt 
keine  Auskunft  über  dieselben. 

2)  I.  Petr.  1,  15. 
8)  Ephes.  i,  24. 

4)  Ciampini  vet.  monument.  tom.  I,  lab.  14.  Münz,  archäolog.  Bemerkun- 
gen über  das  Kreuz,  Monogramme  Christi  u.  s.  w.  Annalen  des  Vereins  für 
nassauische  Alterthumskunde  Bd.  YIII,  18. 

6)  Pellicin  de  christianae  ecclesiae  primae  mediae  et  novissimae  aetatis 
politia  III.,  169.  Auch  der  Jesuit  Papobrock  meinte  diese«,  et  aoi  SS.  BolL 
Mali  tom.  V.  p.  223. 


Erkl&ruDg  zweier  aUobristUcher  Grabschriften  in  der  Stiftskirche  zu  Aachen.    91 

liebkeit,  mich  zu  belehren,  dass  das  fragliche  Zeichen  des  Herzblattes 
nichts  Auderes  sei  als  ein  auf  heidnischcu  und  christlichen  ItiHchriften 
häafig  vorkommendes  Mittel  zur  Zierrath,  Raumansfülliinp,  vielleicht 
sogar  Interpunction ').  Unsere  Inschrift  spricht  für  diese  Deutung  als 
die  richtige  dadurch,  dass  sich  das  Herzblatt  in  dcrselbca  vierzehumal 
wiederholt»). 

dignumque.  venerabile  und  diguura  beziehen  sich  auf  minestriura. 
Die  anscheinend  störende  Tautologie  derselben  schwindet,  wenn  man 
venerabile  im  liturgischen  Sinne  als  vcrehrungswerth  nimmt,  wie  es 
auch,  falls  der  Knabe  als  Märtyrer  gestorben  ist,  mit  Rücksicht  auf 
dessen  heilige  Gebeine  genommen  werden  muss.  Desshalb  aber  möchte 
ich  ihn  als  Märtyrer  ansehen"),  weil  auf  der  Pergamenttafel  seine  Grab- 
schrift mit  der  des  Bischofs  Spes  vereinigt  erscheint,  was  vielleicht  auf 
den  m  altchristlicher  Zeit  herrschend  gewesenen  Gebrauch  der  Christen 
hinweist*),  ihre  letzte  Ruhestätte,  wo  möglich,  in  der  Nähe  der  Mar- 
tyrcrgräber  zu  wählen. 

minestrium  =  minister ium.  Dieses  Wort  ist  offenbar  die 
lateinische  üebcrsetzung  des  griechischen  SovXeia.  Nach  Lehre  der 
katholischen  Kirche  in  Betreff  der  Heiligenverehrung  gebührt  den 
Heiligen  die  dovhia,  Gott  dem  Herrn  aber  ist  die  XazQtia  d.  i. 
der  höchste  Cult,  zu  erweisen.  Zwar  ist  diese  Unterscheidung  an 
sich  bloss  eine  begriffliche,  da  dovkevuv  und  largecety  sprachlich  sy- 
nonyme Begriffe  sind;  aber  in  der  Kirchensprache  oder  iu  der  Sprache 
der  Theologen,  die  in  vorliegendem  Falle  dogmatisches  Ansehen  ge- 
wonnen hat,  dient  diese  begriffliche  Unterscheidung  dazu,  die  sachliche 
desto  genauer  festzuhalten  oder  schärfer  hervorzuheben*). 

Wie  nun  minestrium  grammatisch  aufgefasst  das  Object  des 
Satzes  ist,  so  ist  es  auch  logisch  genommen,  als  Object  der  Verehrung 


1)  So  deutet  dieses  Zeicheo  aucb  schon  Lupi  S.  J. :  Dissertatio  et  animad- 
versiones  in  mipor  inventum  Severae  martyris  epitapbinm.  Panormi  1734  p.  56. 

2)  Eine  beidniscbe  Inschrift  mit  zehn  derartigen  Herzblätteru  s.  in  deu 
Jahrbüchern  der  rhein.  Alterthumsfrounde,  H.  XXYI,  8.  202. 

3)  Beruoksicbiigcu  wir,  dass  von  einem  sechsjährigen  Kinde  kaum  ein  mit 
vollem  Bewusatscin  abgole^ca  Bekenntniss  der  Lehre  Christi  zn  erwarten  ist 
und  dass  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Christenthums  der  dulische  Cult  vor- 
sugsweise  den  Märtyrern  gezollt  wurde,  so  erscheint  die  Annahme,  dass  dasselbe 
«in  Märtyrer  gewesen,  wohl  begründet. 

4)  et  Jahrbücher  des  Vereins  von  Alterthumsfrennden  im  Rheinland 
XXVI,  167. 

5)  Vgl.  AugnstinuB,  de  oivit.  Dei  I,  6. 


92    Erklärang  zweier  altohristlioher  Grabsohriften  in  der  Stiftskirche  sa  Aaohea. 

ZU  erklären  und  dieses  Object  ist  das  sechsjährige  Kind  ToUius  Ana- 
tolius  Artemius. 

X  Diese  überzwerge  schräge  l^orm  des  Kreuzes,  crux  decussata, 
auch  Andreas-Kreuz  *)  genannt,  war  als  solches  viele  Jahrhunderte  vor 
Christus  bekannt  Da  im  Griechischen  der  Name  Christus  mit  diesem 
Buchstaben  beginnt  (xQtarng),  so  liegt  darin  unzweifelhaft  der  Grund, 
warum  X  die  heilige  Chififre  fflr  den  Namen  Christi  sowohl  wie  für  das 
Kreuz  geworden  ist*). 

Füglich  knüpft  sich  hieran  die  Erläuterung  des  Monogramms 
Christ]  Q^,  welche  unsere  Inschrift  in  derselben  Zeile  bringt  und 
ausserdem  noch  viermal  im  Contexte  wiederholt 

Die  das  Kreuz  symbolisirende  Figur  des  X  verband  sich,  wie 
Cavaliere  de  Rossi  auf  Grund  der  in  den  Katakomben  entdeckten 
Denkmäler  nachweist'),  im  dritten  Jahrhundert  mit  einem  I,  so  zwar, 
dass  letzteres  senkrecht  in  die  Mitte  kam  ^.  Diese  beiden  Symbole,  die 
in  die  Arcanlehre  der  alten  Christen  aufgenommen  wurden,  bezeichnen 
den  Namen  ^Ir^aoig  XQiaxog  und  bilden  das  älteste  Monogramm  des  Er- 
lösers, d.  h.  die  älteste  Namenschiffre,  wodurch  Name  und  Amt  des- 
selben bei  den  Christen  kurz  pflegte  ausgedrückt  zu  werden.  Diese 
Entwicklung  hatte  sich  schon  um*s  Jahr  250  vollzogen.  Später, 
vor  dem  Jahre  298,  setzte  man  an  Stelle  des  I  den  zweiten  Buch- 
staben des  Wortes  x^ioroc,  also  P,  und  so  entstand  jenes  Monogramm 
Christi,  wie  es  Kaiser  Constantin  vor  der  Schlacht  mit  seinem  Gregen- 
kaiser  Maxentius  im  Jahre  311  am  Himmel  gesehen  haben  soll')  und 
welches  dadurch  erst  unter  den  Christen  allgemeine  Berühmtheit  und 
Verehrung  erlangt  hat*).  Durch  das  ganze  vierte  Jahrhundert«)  prangt 
es  auf  den  Bannern  des  Reiches  wie  der  Kirche,  an  Tempeln  und 
Altären,  an   öffentlichen   und  Privatgebäuden,   auf  den   Münzen  der 


1)  Weil  eine  alte  aber  höchst  sagenhafte  Tradition  den  h.  Apostel  An- 
dreas an  einem  solchen  Kreuze  gemartert  werden  lässt. 

2)  Münz,  archäolog.  Bemerkungen  über  das  Kreuz,  Monogramm  Chrisii 
u.  8.  w.  (Bd.  VII.  S.  27  der  Annalen  für  nassauische  Altcrthomskunde) ;  femer 
derselbe  im  Katholik  1867,  S.  216. 

3)  De  Kossi,  insoriptiones  I,  16  No.  10. 

4)  Eusebius,  vita  Constantini  I,  c.  27— SO. 

b)  Krliess  doch  der  Kaiser  Constantin,  wieSozomenes  berichtet  (bist.  trip. 
hb.  I.  0.  i>\  die  Verordnung,  dass  das  göttliche  Symbol  auf  den  Reichamünzen 
und  Kriegsfahnen  dargestellt  werden  sollte. 

6)  Die  einzige  Erweiterung,  die  das  Monogramm  Christi  anter  Conataatin 


ErklfiruTig  zweier  (Jtchri«tliclier  Grabachriften  in  der  Stift«kirche  zu  Aachen.     93 

Kaiser*)  wie  auf  den  Helmen  und  Schilden  der  Krieger;  am  meisten  aber 
kommt  es  auf  Grabschriften  jener  Zeit  vor,  wo  es  recht  sinnig  den  Glauben 
an  Christus  und  die  durch  das  Kreuz  erworbene  Erlüsungsgnarie  des- 
selben ausdrückt.  Und  wie  auf  den  Münzen  Constantins  d.  Gr.,  so 
erscheint  es  auch  auf  den  Münzen  seiner  Nachfolger  bis  auf  Arcadius, 
wo  es  in  andere  Formen  übergeht.  Interessant  ist  dabei  die  Wahr- 
nehmung, wie  mit  dem  Siege  des  Christenthums  die  symbolische  Halle 
allmählich  abfällt  und  ihre  Bedeutung  verliert.  Schon  im  Jahre  li'S 
findet  sich  das  Monogramm  Christi  in  der  Form  dercrux  immissa")  -p, 
die  mit  dem  gradcn  Balken  des  P  schon  das  Kreuz  erkennen  Ifisst, 
bis  dieses  ums  Jahr  409  wenigstens  zu  Rom  ganz  aus  der  symbolischen 
Hfille  heraustritt.  Das  Constantinische  Monogramm  kommt  nämlich  zu 
Rom*)  auf  Inschriften  vom  Jahre  298  bis  474  vor,  in  Gallien ')  vom 
Jahre  377  bis  493,  das  Monogramm  in  der  Form  der  crux  immissa 
zu  Rom')  vom  Jahre  355  bis  505,  in  Gallien«)  von  c.  400  bis  c.  540. 
Gleichwohl  tritt  an  die  Stelle  der  abgefallenen  Hülle  noch  nicht  das 
Bild  des  Gekreuzigten.  Zuerst  erscheinen  als  Sinnbilder  der  Erlösungs- 
gnade  Blumen,  Edelsteine  und  Sterne,  dann  das  unter  dem  Kreuze 
stehende  Lamm,  des  Martertodes  unschuldiges  Opfer,  das  recht  eigent- 


dem  Or.  erfuhr,  beftia&d  darin,  daes  man  um  825,  nachdem  die  Irrlehre  des 
Arial  vemrtheilt  worden  war,  deimaelbeii  die  Buchstaben  n  und  to,  entweder  allein 
oder  in  Dreiecken  eingeschlossen,  hiDEaluglo. 

1)  Besonders  interessant  und  zur  Yersinnbildung  des  dnrch  daa  Cbristen- 
thum  überwundenen  Heidenlhumt  geeignet  ist  eine  Kupfermünze  Constantin  des 
Gr.^  dieH.  Cohen  (les  monnaiea  roniaines  VI,  IGO)  mittheilt.  DaaLabarum  stellt 
nämlich  auf  einer  durchbohrten  Schlange.  Letztere  steht  ulTenbar  in  BezIehuDg 
XU  jenem  Gemälde,  welches  der  Kaiser,  wie  Easobius  berichtet  [vitä  Conslantini 
111,  3),  nach  dem  Siege  über  Maxcntius  anfertigen  und  in  seinem  Pallaste  auF- 
■tellen  Hess.  Er  selbst  war  auf  demselben  als  siegprangender,  bewaö'neter  Deld 
mit  dem  Krenze  dargestellt,  während  sich  zu  seinen  Füssen  ein  durchbohrter 
Drache  windet. 

2)  De  Rossi,  inscripHones  I,  N.  121. 

3)  Do  Rossi,  inscripliones  I,  N.  26—758;  im  Jahre  409  ist  es  schoD 
•elten  geworden;  de  Rossi,  de  ohristianis  tttulis  Carthagin,  1.  c.  N.  39. 

4)  Le  Blant,  inscriptions  chretiennes  de  la  Gaule  anterieures  au  VIII. 
•iede.  Paris  18&6.  I.  p.  XIY. 

6)  De  Rosai,  inscriptiones  I,  N.  121 — llOO. 

6)  Le  Blant,  I.e.  I,  p.  11.5,  N.  55;  11,  p.  62,  N.  412.  Vgl.  auch  die  gründ- 
lichn  Schrift  des  Herrn  Capinn  Dr.  MiJnz,  Archäolog.  Bemerkungen  etc.  S,  4G. 


94    Erkl&rang  zweier  tltohristlicher  GrabBchriften  in  der  Stiflskirohe  ta  Aaoheii. 

lieh  zu  einem  liturgischen  Kirchenbilde  geworden  ist ') ;  erst  im  sechsten 
Jahrhundert  zeigt  sich  das  Grucifixbild  vollständig  und  un verschleiert'). 

Tulliü  Anatolium  Artemis.  So  lautet  der  Name  des  Kindes 
dem  die  Grabschrift  gewidmet  ist.  Da  alle  Ortsbezeichnung  fehlt,  so 
bildet  derselbe  die  einzige  Quelle,  an  welche  sich  die  Untersuchung 
über  die  Herkunft  des  Kindes  anschliessen  kann. 

Seit  Vertreibung  der  Könige  führten  die  Römer  gewöhnlich')  drei 
Namen:  1)  einen  Vornamen  (Praenomen),  der  meistens  abgekürzt  ge- 
schrieben wurde;  2)  einen  Geschlechtsnamen  (Nomen),  der  gewöhnlich 
auf  ius  oder  aeus  ausging,  z.B.  Fabius,  Poppaeus;  3)  einen  Familien- 
namen (Cognomen),  der  die  verschiedenen  Zweige  des  Geschlechts  be- 
zeichnete. Hierzu  kamen  bisweilen  noch  Zunamen,  doch  waren  diese 
lediglich  zufällig  und  meistens  durch  merkwürdige  Thaten  oder  durch 
Adoption  veranlasst;  z.B.  P.  Cornelius  Scipio  Africanus.  Hiernach  haben 
wir  Anatolius  als  den  Geschlechtsnamen  des  Kindes  zu  betrachten, 
TuUius  als  Vornamen  und  Artemius  als  Familiennamen;  denn  wenn 
auch  die  genaue  Gliederung  der  Elemente  jedes  Personennamens  sowohl 
bei  den  Römern  als  bei  den  Grieclien  im  Laufe  der  Zeit  öfters  ver- 
nachlässigt worden  ist^»  so  haben  wir  doch  bezüglich  des  in  Rede 
stehenden  Kindesnamens  keine  Veranlassung,  eine  Anomalie  anzunehmen. 
Der  Vorname  TuUius  ist  zweifellos  lateinisch,  Artemius  und  Anatolius 
sind  zwar  ihrer  Herkunft  nach  griechisch,  kommen  aber  auch  auf 
lateinischen  Inschriften  häufig  vor.  Als  Geschlechtsname  findet  sich 
Artemius  in  einer  lateinischen  Inschrift'  der  römischen  Zeit,  die  zu 
Brixen  in  Tirol  gefunden  wurde');  als  Geschlechtsname  erscheint  Ar- 
temia  in  einer  lateinischen  Grabschrift  derselben  Zeit,  die  zu  Köln  ge^ 
funden  wurde").    Ein  h.  Bischof  Anatholon  regierte  im  vierten  Jahr- 


1)  Ktmstgcschiohto  des  Kreuzes  von  Dr.  J.  Stockbauer  S.  1S8. 

2)  Kunstgeschichte  des  Kreuzes  von  Dr.  J.  Stockbauer  S.  148  f. 

3)  »Drei  Namen  habenc  hoisst  daher  soviel  als  ein  Freier  sein;  daher 
sagt  Juvenal  Sat.  V,  126: 

Et  ponere  foris,  si  quid  tentaverie  umquara 
Hiscere,  tamquani  habeas  tria  nomina. 

4)  H.  Cannegieter,  üb.  singul.  de  mutata  romanorum  nominum  sub 
principibns  ratione.  Traiecti  ad  Rhenum  1766.  Orelli,  inscript.  lat.  I.  N.  2703. 
Boeckh,  Corpus  inscript.  graec.  I.  200,  1248,  1782.  II,  2900,  3676. 

6)  Jani  Gruteri  inscriptioncs  lat.  totius  orbis  romani,  ed.  d.  G.  Oraevius. 
Amstelaedami  17U7,  II.  p.  863. 

6)  L.  L  e  r  8  ü  h ,  Ccntralmuseuiu  rheinl&nd.  Inschriften  1842 1,  S.  66  (III.  S.  36). 


Ericänmg  zweier  altcbrisüioher  OrabBohriften  in  der  Stiftakirche  zu  Aachen.    96 

himdert  zu  Mailand;  seine  Grabschrift  ist  bei  Gruter  zu  lesen  *);  ein 
G.  Pantuleins  Anatellon  kommt  in  einer  römischen  Inschrift  zu  Nismes 
Tor,  ein  Aug.  Lib.  Anatellon  zu  Präneste;  die  bezüglichen  Inschriften 
finden  sich  ebenfalls  bei  Gruter').  Ja,  es  gibt  sogar  einen  römischen 
Consnl,  der  den  Namen  Anatolius  führte ").  Diese  Romanisirung  grie- 
chischer Personennamen  ist  nichts  Auffalliges.  Seitdem  man  in  Rom 
mit  besonderem  Eifer  angefangen  hatte,  griechische  Bildung,  nament- 
lich Philosophie,  zu  lernen  und  auf  römischen  Boden  zu  verpflanzen,  und 
dies  war  schon  zur  Zeit  Cicero*s  der  Fall^),  entspann  sich  unter  beiden 
Völkern  ein  lebhafter  allseitiger  Wechselverkehr,  der  durch  die  Herrschaft 
der  Römer  ttber  Griechenland  und  Mazedonien  mächtig  gefördert  wurde. 
Die  berühmtesten  und  reichsten  Familien  Italiens,  namentlich  der  Stadt 
Born,  umgaben  sich  mit  griechischer  Dienerschaft  und  liebten  es,  grie- 
chische Gelehrte  in  ihren  häuslichen  Kreis  zu  ziehen.  Es  gehörte 
fast  zum  guten  Ton  der  Gesellschaft,  von  griechischen  Lehrern  gebildet 
worden  zu  sein  '^).  Dass  sich  demnach  in  Italien  griechische  Geschlechts- 
namen  finden,  obgleich  die  Personen  selbst  römisch  sind,  kann  nicht 
aaffällig  erscheinen,  und  so  ist  auch  der  Name  des  in  unserer  Inschrift 
gaannten  Kindes  ein  römischer,  wenngleich  der  Geschlechtsname  ur- 
sprünglich aus  Griechenland  stammt. 

c  p.  p.   Diese  Abkürzungen  kommen  in  christlichen  Inschriften 
hinfig  vor;    sie  lauten  aufgelöst*):  cum  pace  pausat  und  besagen^). 


1)  Omteri  inaoript.  lat.  II.  p.  1161. 
-    2)  Oroteri  inaoript  lat  II,  p.  895;  I,  p.  889. 
8)  Derselbe  regierte  mit  Valentiuian  im  Jahre  440. 

4)  Prof.  Dr.  Cromo  Abhandlung:  Quid  Graecis  Cicero  in  philosophia, 
qoid  aibi  debuerit.  Düsseldorf  1855. 

5)  Daher  lesen  wir  in  Cicero's  Werke  de  oratore  II,  87:  Et  certe  non 
tolit  nlloa  haec  civitaa  aat  gloria  clariores  aut  auctoritate  graviores  aat  huma- 
nitate  politioroa  P.  Africano,  C.  Laelio,  L.  Furio,  qui  secum  eruditissimos  homi- 
naa  in  Oraecia  palam  semper  habuerunt.  Cicero  selbst  hatte  zum  Lehrer  den  be- 
rfifamten  griechiaohen  Dichter  Liciniua  Archias. 

6)  Steiner,  Sammlang  und  Erkl&rung  altohristlicher  Inschriften  N.  8, 
16,  21,  80,  74. 

7)  Morcelli,  de  stylo  vet.  inacriptionnm  p.  168.  Am  bestimmtesten  drückt 
sieh  darüber  Mazoochi  aus  (dissert.  epist  ad  titulam  Hilari  Romae  1745,  p.  4,N.  6), 
indem  er  sehreibt:  Illud  in  pace,  quod  chriatianis  titulis  vix  unqaam  deest, 
noa  dabito,  quin  de  pace  ecclesiaatioa  sit  accipiendam  aive  de  communione,  per 
qoam  veluti  glutinnm  membra  in  unum  corpua  coalescebant.  Reperitur  et  non- 
nomqnam  matila  formnia:    Te  in  pace,  qaae  mihi  videtur  initium  hymni  aot 


96    Erkläriin«;  «weier  Ritchristlicher  Grahschriften  in  der  Stiftskirche  zn  Aachen. 

daas  der  Verstorbene  im  Frieden  mit  Gott  und  der  Kirche  verschieden 
sei,  namentlich  soll  das  Letztere  besonders  hervorgehoben  werden,  wie 
aus  zahlreichen  Inschriften  erhellt.  Der  genannte  Ausdruck  hebt  also 
sehr  bezeichnend  die  kirchliche  Genieiuschaft  hervor,  in  welcher  der 
Verstorbene  während  seines  Lebens  gestanden  und  bis  zu  seinem  Tode 
verblieben  ist.  In  seinem  schönen  Aufsatze  *) :  »Die  Grabßchriften  der 
alten  Christen«  begleitet  Prof  Dr.  Piper  diese  Erklärung  mit  treffenden 
Belegen  und  Bemerkungen. 

qui  uixit  annos  sex.  menses  octo.  dies  XXIIl  —  eine  be- 
kannte Redeformel,  die  sich  in  ht^idnischen  und  christlichen  Grab- 
Bchriftcn  häufig  findet.  Die  Genauigkeit,  mit  welcher  die  Alten  die 
Lebeu-sdauer  eines  Verstorbenen  in  (Irabschriften  anzugeben  pflegten  und 
die  sich  bisweilen  nicht  bloss  auf  Jahr  unil  Monat,  sondern  sogar  auf  Tag 
und  Stunde  erstreckt,  erscheint  unserer  Auflassung  fast  übertrieben. 
Einen  andern  Grund  als  den,  dass  dadurch  die  Hinterbliebenen  das 
Andenken  lies  Verstorbenen  in  seinen  letzten  Lebensmomeuten  fixiren 
wollten,  habe  ich  nicht  finden  können. 

dopositus  d.  i.  beigesetzt.  Das  Wort  deponere  ist  der  stereotype 
Terminus  für  die  Bestattung  eines  verstorbenen  Christen  in  den  ersten 
Jahrhunderten;  ihm  entspricht  im  Griechischen  das  Wort  natcni&ivat. 
Die  ursplingliche  Bedeutung  desselben  ist  niederlegen,  ablegen  und 
dieser  Bedeutung  enssprechend  wurde  dasselbe  ohne  Zweifel,  wie  Dr.  Kraus 
hervai'hebt,  ursprünglich  rein  technisch  verstanden,  gerade  wie  positus 
est,  hie  Situs  est,  tttmulatus  est,  hie  iacet  u.  s.  w.,  lauter  termini,  die 
eigentlich  der  heidnischen  Epigraphik  angehciren,  wenn  sie  auch  auf 
christlichen  Grabsteinen  sporadii<ch  nachweisbar  sind»).  Da  indessen 
der  Ausdruck  depositiis  est  auf  heiduischen  Grabsteinen  gar  nicht,  oder 
doch  enorm  selten  sich  findet^),  wie  anderseits  das  Wort  sepultus  est  in 
cbristlicheu  Inschriften  jener  Zeit  noch  nachzuweisen  ist,  so  kann  auch  nur 
die  christliche  Auffassung  des  Todes  den  Maassstab  zur  Erklärung  dieser 


precationis  fuisse,  quam  defnncto  in  ecclesiae  paoe  fidelea  accinere  conBoeTerant, 
farmo  ut  nos  carmon  Requiem  aeternaoi  etc.  aot  aimilia  modulamar.  Apud 
Rcinoaiuin  tamon  expresse  habetur:  In  paoe  Christi. 

1)  Dr.  Piper,  erangelischer  Kalender  1666,  S.  48. 

2)  Gruter,  inacript.  lat  1,562»,  662»,  577',  643»,  446»,  569",  676»,  840*. 
8}  Dr.  Kraaa  fuhrt  in  leiner  vortrefflichen  Schrift  Koma  aotteranea  S.  424 

ita*  Qrab*elihft  aus  Koppaoh  in  Oeaterrcich  an,  welche  die  Sigle  DP  haben  soll. 
AlWn  dieMt  eine  Beispiel,  wenn  es  richtig  gelesen,  was  ich  sehr  besweüle, 
iai  nicht  beweisend ;  ein  «weites  aber  weiae  derselbe  nicht  ancnftihren. 


Erklärung  zweier  altcfaristUcber  Grabsohriftea  in  der  Stiftskirche  zu  Aacheu.     97 

Erscheinung  abgeben.  Der  Christ  betrachtet  den  Tod  oder  die  Tren- 
nung der  Seele  vom  Leibe  als  eine  Ablegung  der  sterblichen  Hülle, 
die  erneuert  oder  verklärt  er  nach  Abschluss  der  Zeit  wieder  annehmen 
wird.  Die  Todten  werden,  wie  Cardinal  Wiseman  bciucrkt').  Qur  fiir 
einige  Zeit,  nämlich  bis  sie  wieder  gefordert  werden,  dem  Grabe  an- 
vertraut, wie  man  ein  Unterpfand  oder  eine  Kostbarkeit  zur  sichern, 
aber  nur  -scitweisen  Bewahrung  irgendwo  hinterlegt.  Indessen  haben 
nicht  erst  die  Christen  dem  Worte  deponere  diesen  Begriff  untergelegt, 
sondern  derselbe  ist  ihm  eigenthümlich,  auch  bei  classischen  Schrift- 
steilem.  Cicero  braucht  häufig  die  Redensart;  pecuniam  apud  aliquem 
deponere.  Cornelius  Nepos")  sagt:  Amphoras  deponit  in  templo 
Dianae.  Livius:  Corinthum  ut  ibi  obsides  deponerentur  coiivenitur. 
Suetonius:  Testamentum  deposituoi  apud  Virginea  Vestales.  Der  Ort, 
wo  dieTodten  ruhen,  heisst  in  altchristhchen  Grabschriften  Coemeterium 
(Schlafetütte) ').  »Schon  dieser  Name,  sagt  mit  Recht  Wiseman,  weist 
darauf  hin,  dass  es  nur  ein  Ort  ist,  wo  Viele  ruhen,  wie  in  einem 
Schlafsaale,  eine  Zeit  lang  schlummernd,  bis  die  Morgenruthe  kommt 
und  der  Posaunenschall  sie  weckt.  Darum  wird  das  Grab  auch  schlecht- 
hin der  Platz  (locus)  oder  noch  gewöhnlicher  das  Plätzchen  (loculus) 
der  in  Christus  Gestorbenen  genannt. 

Die  weitere  Begründung  der  chi-istlichen  Bedeutung  des  Wortes 
depositio  und  die  Ausdehnung  dieser  Beileutuiig  in  spätrömischer  Zeit 
wird  später  bei  Besprechung  der  zweiten  Inschrift  erfolgen. 

die  III.  idus  Octuber,  d.  i.  am  13.  October.  Solche  sprach- 
liche Incorrectheiten,  wie  Octuber  für  Octobres  oder  Octobris,  kommen 
in  Inschriften  des  4.  und  5.  Jahrhunderts  häuiig  vor. 

Ricomere  et  Glearcho  vv.  cc.  Conss.  d.  i.  unter  dem  Con- 
sulat  der  hochangesehenen  Männer  Ricomer  und  Clearch.  Die  Ab- 
kürzung Conss.  für  Consuhbus  oder  Consule  weist  auf  das  vierte  Jahr- 
hundert.   Im  dritten  und  noch  früher  herrschte  statt  dessen  die  Form 


1)  Wiseman,  Fabiola,  or  tho  Church  of  Catacumbs  p.  145.  BeiBoeckh, 
Corpus  inscript.  graec.  IV.  n.  9439  heiaat  es  daher  ia  einer  laBcbrift:  xoaft>p^Qiot> 
Jvs  ipftnaaitus. 

2)  Com.  Nep.  vita  Hannibalis  c.  9,  2. 

8)  Im  Sinne  von  Friedhof  ersohetut  Coemeterium  zuerst  bei  Tertuliliaa  de 
anima,  61.  Cfarytiostorous  sagt,  dasa  durch  diese  im  N.T.  zwar  nicht  vorkommende 
aber  doch  analoge  Benennung  (Hatth.  27, 52  f.)  nicht  nur  das  Ende  aller  Mühselig- 
keiteu  uud  fiesobwerden,  soadern  auch  die  UoSnung  der  Auferstehung  ausge- 
drückt werden  «ollef  cf.  bomil.  81. 

7 


'tt--  Erklärung  zweier  altchriailicher  GrahBohrLften  in  der  Stiftaki rohe  zn  Aachen. 


Cos.  vor;  seit  Diocletian  wurde  die  Abkürzung  CJonss.  mit  zwei  s 
bräuchlich*).  Im  vierten  Jahrhundert  begann  man  auch  den  Namen 
derjenigen  Consuln,  welche  nicht  zugleich  Augusti  oderCaesares  waren, 
die  Siglen  vv.  cc.  oder  v.  c.  (viri  clarissirai)  als  Ehrentitel  beizufügen*). 
Diese  Sitte  wurde  so  constant,  dass  manche  Schriftsteller  jener  Zeit 
iu  diesen  Siglen  keinen  Unterschied  für  den  Singular  oder  Plural  be- 
obachten; denn  es  findet  sich  das  w.  cc.  für  einen  Consul  gerade  so 
wie  das  v.  c.  für  zwei  angewandt»).  Was  die  Begierungszeit  der  ge- 
nannten Consuln  anlangt,  so  fällt*)  dieselbe  nach  der  Chronik  des 
Prosper  von  Aquitanien  und  nach  den  Fasti  consulares  von  Idatius  iu*a 
Jahr  384  bis  385. 

Wir  sind  hiermit  an  den  Schluss  der  Kindes-Inschrift  angelangt. 
Ueberblicken  wir  nochmals  den  Inhalt  derselben,  so  deutet  das  erste 
Wort  Accipite,  dessen  Besprechung  wir  absichtlich  bis  hierhin  ver- 
schoben haben,  offenbar  darauf  hin,  dass  die  Reliquien  des  vielleicht 
für  seinen  Glauben  getödteten  Knaben,  welche  den  Christen  als  ein 
Gegenstand  der  Verehrung  (vobis  venerabile)  Übergeben  worden,  anders- 
woher nach  Aachen  dirigirt  worden  sind.  Den  muthmasslichen 
Ort,  woher  sie  gekommen,  werden  wir  erst  später  angeben,  da  die 
Spes*sche  Inschrift  die  nöthige  Begründung  bietet.  Bei  Gelegenheit 
dieser  Uebergabe  der  ehrwürdigen  Gebeine  copirte  man,  wie  aua  der 
cigenthümlichen  Fassung  der  Inschrift  hervoi'geht,  die  bereits  vorhandene 
Kindes-Inschrift,  leitete  sie  aber  mit  den  Worten  ein:  Accipite  Sancti 
nobis  uenerabile  diguumque  rainisterium.  Dermalen  sind  die  Gebeine 
des  Kindes  wie  bereits  erwähnt,  in  Aachen  nicht  mehr  vorhanden,  auch 
ist  nicht  bekannt,  wohin  sie  gekommen  sind. 

III.  Die  auf  den  h.  Bischof  Spes  bezügliche  zweite  In- 
schrift der  Pergamenttafel  lautet: 

Depositio  sauctae  meraoriac  uencrabiüs  Speis 
epiecopi  die  Villi  Kai.  Decembres,  qui  uixit 
in  sacerdotio  annis  XXXH : 


■  1)  Tergl.  Dr.  Kraus,  1.  c.  S.  428. 

2)  Vergl.  GotLofredufi  Eum  cod.  Theodo«.  Bd.  VI.  Thl.  2.  8.4.  Zell,  Hand- 
buch der  römischen  Epigraphik  II,  S.  248,  Daas  die  Sigle  v.  c.  nicht  vir  con- 
sularia,  sondern  vir  clariasimus  bedeutet,  erweist  evident  de  Roasi.  Pulletino 
1869,  p.  70  unter  v.  c. 

8)  De  RoBsi,  inacript.  lat.  I,  N.  49r)  und  N.  789. 

4)  Chronicon  integrum  Proaperi  Aquitani  ad  h.  a.  in  Canisii,  thea.  monusi. 
MoL  t.  1,  p.  296  ed.  Baauage;  ferner  Idalii  fuati  conaularea  ed.  Schalstrate,  anti- 
quitaa  eocleaiae  I,  D58. 


Grklärang^  sweier  altchristlicher  Ornbsohriften  in  der  Stiftskirche  zu  Aachen.     99 

Diese  Inschrift  stebt  zur  ersteren,  soviel  sicij  äiisserlich  erkennen 
Ifisst,  in  keiner  weiteren  Beziehung,  als  dass  sie  auf  ileniselben  Perga- 
inentstUck  geschrieben  ist.  Dieser  Umstand  ist  jedoch  nicht  als  irre- 
levant zu  erachten  ;  denn  was  von  der  Heimath  der  einen  Inschrift 
bzw.  der  einen  Gebeine  gilt,  mass  auch  von  der  Heimath  der  anderen 
Inschrift  bzw.  der  anderen  Gebeine  als  massgebend  anerkannt  werden. 
Das  Archiv  der  Aachener  Stiftskirche,  das  sonst  für  die  Heiligenge- 
schiebte  noch  einen  reichen  Schatz  unbenutzter  Quellen  birgt,  weiss 
über  den  h.  Spes  nur  wenig  mitzutheilcn ;  erst  vorstehende  Inschrift 
gibt  ober  Namen,  Amt  und  Lebenszeit  desselben  sichere  Kunde.  Wir 
erfahren  daraus,  dass  der  Heilige  nicht  Speus,  wie  man  in  Aachen 
seinen  Namen  seit  dem  XL  Jahrhundert')  ausgesprochen  hat,  sondern 
Spea  (Speis)  heisst;  ferner  dass  derselbe  ein  Bischof  gewesen  und  zwar 
32  Jahre  lang,  und  endlich,  dass  der  Tod  desselben  auf  den  23. 
November  fällt.  Fast  alle  Nachrichten,  die  frilherhin  über  ihn  publicirt 
wurden,  werden  durch  diese  Inschrift  widerlegt.  Molauus')  berichtet, 
derselbe  sei  ein  Bischof  und  Märtyrer  gewesen,  da  es  in  einem  Reliquien- 
Verzeichnisse  der  Aachener  Stiftskirche  hcisse;  Pulveres  reliquiarum  s. 
Spei  Epci.  et  Mart.  Das  erwäiinteReliquien-Verzeichniss  haben  wir  zwar 
nicht  gefunden,  aber  wirklich  existirt  diese  Notiz  auf  einer  im  Re- 
liquienschreine des  h.  Spes  gefundenen  schedula,  nur  fehlt  das  Wort 
Mart.,  was  offenbar  vom  Abschreiber  willkürlich  hinzugefügt  worden 
ist  Ferner  wird  auch  die  Meinung  derjenigen  widerlegt,  welche  den 
Heihgen  für  den  Abt  Speus  von  Nursia  halten,  dessen  Pabst  Gregor 
der  Gr.  in  seinen  Dialogen  8),  und  das  römische  Martyrologium*)  auf  den 
28.  März  Erwähnung  thun^);  denn  der  Aachener  Heilige  heisst  Spes 
(Speis),  jener  Speus,  der  Aachener  Heilige  war  Bischof,  jener  Abt,  der 
Todeötag  des  Aachener  Heiligen  ist  der  23.  Noveniber,  der  des  Nur- 
«ianischen  Abtes  der  23.  März. 

Auch  ist  es  crwiihnenswertb,  dass  grade  am  23.  November  das 
Fest  des  h.  Sisinnius,  dessen  Gebeine  nach  dem  Reliquien-Verzeichnisse 


1)  Die«  erhellt  aus  Lamberti  annal.  ad.  1072  and  1074  (in  Fertz  mODiim. 
0.  Mript.  Y,  190),  BUB  verAohiedenen  Keliquietii;ettela  im  Scliretna  dea  Heiligen 
vad  aas  mehren  Leotionarien,  welche  das  Stiftaarchiv  aufbewahrt. 

2)  Natal.  Sanctorum  Belgü  ad  23.  Nov. 
8)  Gregorii  M.  dialog.  lib.  IV.  c.  10. 
4)  Acta  8anct.  Boll.  ad  28.  Januar  p.  507. 
b)  Molanua  fährt  ihn  in  seiner  Ausgabo  des  Usaard  auf  den  26.  Dezember  an. 


100    Erklärung  zweier  altchristlicher  Grabschriften  in  der  Siift«kirche  tu  Aachen. 


des  Abtes  Angilbert  von  Centulum ')  schon  zur  Zeit  Karls  des  Gr.  in 
der  Schatzkammer  des  Aachener  Münsters  vorhanden  waren,  gefeiert 
wird  und  von  jeher  gefeiert  worden«).  Sisinnius  war  nach  dem  grie- 
chischen Menologium,  welches  Cauisius  im  thesaurus  monumentorum 
ecclesiast.  et  historic.  veröffentlicht  hat,  ein  Märtyrer  aus  Cycikus  ira 
ilellespont,.  der  in  der  Diocletianischen  Verfolgung  mit  dem  Schwerte 
enthauptet  wurde').  Es  bleibt  freilich  unaufgehcllt,  wie  die  Gebeine 
beider  Heiligen  mit  einander  in  Verbindung  gekommen  sind ;  allein  die 
Thatsache,  dass  letztere  schon  zur  Zeit  Karls  des  Gr.  in  Aachen  auf- 
bewahrt wurden  und  dass  ihr  Fest  an  demselben  Tage  gehalten  wurde, 
macht  es  wahrscheinlicli,  dass  sie  ursprünglich  an  demselben  Orte  auf- 
bewahrt worden  sind,  • 

Nach  langem  Suchen  habe  ich  endlich  diesen  Ort  entdeckt;  es  ist 
Spoleto*).  Nach  Ferrarius^)  war  der  h.  Spes  Bischof  von  Spoleto  und 
filllt  sein  Todestag  auf  den  23.  November,  wird  aber  gewöhnlich  auf 
den  folgenden  Sonntag  gefeiert ;  nach  dem  allgemeinen  Martyrologium, 
welches  Adalbert  Müller  im  Jahre  1860  zu  Regensburg  herausgegeben 
hat,  ist  derselbe  c.  420  gestorben.  Der  Tod  des  h.  Bischofs  Spes  fällt 
also  nur  20  Jahre  später  als  der  des  Knaben  Artemius,  und  wenn  die 
Verbindung  der  beiderseitigen  Grabschriften  auf  ein  und  derselben 
Tafel  an  sich  auffallend  erscheinen  muss,  so  gewinnen  wir  in  diesen 
Notizen  ein  richtiges  Moment  zur  Erklärung,  da  die  Heiligen  beinahe 
gleichzeitig  sind  und  insofern  die  Vereinigung  ihrer  Gebeine  in  ein  und 
demselben  Schreine  nahe  lag. 

IV.  Geschieh tlicbe  Nachrichten  über  das  Leben  und 
den  Tod  des  L.  Bischofs  Spes.  Zu  diesen  hat  mir,  nachdem 
ich  mich  vergebens  brietlich  nach  Spoleto  vei'wandt  hatte,  der  durch 
seine  Gelehrsamkeit  und  Dienstgefälügkeit  ausgezeichnete  Priester 
Dr.  Pick  in  Rom,  auf  Ersuchen  in  der  bereitwilligsten  Weise  die 
nöthigen  üülfsmittel  und  Aufschlüsse  verschafft.  Ich  freue  mich,  dem- 
selben auch  au  dieser  Stelle  meinen  Dank  auszusprechen. 

1)  MabiiloD,  Bot.  SS.  ord.  a.  Benedicti  saec  IV.  p.  I,  p.  109. 

2)  Browcr  anoal.  Trever.  Hb.  VIII.  N.  11-t,  p.  414.  Auch  im  Lotbar-AlUr 
EU  Prüm  waren  Reliquien  des  h.  Sisinnius,  die  aber  wahrscheinlich  von  Aachen 
Btammen;  vgl  Prof.  Dr.  Marx,  die  SaJ?atorkirobe  su  Prüm  S.  12;  mein  Buch 
über  >die  HcilißthQmer  der  Stiftskirche  zu  Aachen«  S.  147. 

8)  Canisii,  thoaaurus  etp.  tom.  III.  p.  490. 

4)  Beschreibung  der  Erde  ron  Hoffmann,  Pahl  ond  Pfaff,  Stattgart 
1834.  11.  Bd.  8.  846. 

b)  AoU  SS.  Boll.  ad.  98.  Jaanar.  t.  U.  p.  507. 


Erklärung  xweier  altchriBtlicherGrabschriilen  in  der  Stiftskirche  zu  Äachcu.     101 

Nach  den  alten  Denkmalen  und  der  Tradition  der  Kirche  von 
Spoleto  war  der  h.  Spes  Bischof  dieser  Kirche  zur  Zeit  der  Kaiser 
Honorius  und  Ärcadius  (305—408).  Der  Cisterzicnaer  Abt  Ferdinaudo 
U  ghello,  der  im  17.  Jahrhundert  ein  vorzügliches  Werk  über  die  Bischöfe 
Italiens  und  der  umliegenden  Inseln  geschrieben,  hat  auf  Grund  dieser 
Quellen  die  Lebensgeschichte  des  Heiligen  entworfen '),  die,  wenn  freilich 
etwas  kurz,  doch  noch  immer  die  beste  Zusammenstellung  seiner  Lebens- 
notizen ist  Da  aber  heutzutage  durch  den  Aufschwung  der  Alterthums- 
wissenschaft,  namentlich  der  InschriftenkuDde,  manches  historische 
Denkmal  an  den  Tag  getreten  ist,  welches  früher  entwetler  unbekannt 
oder  unentziffert  war,  so  lassen  sich  auch  derartige  Biographien,  die 
in  den  letzten  Jahrhunderten  geschrieben  worden,  in  manchen  Punkten 
mehr  aufhellen  und  erweitern.  So  werden  auch  wir,  indem  wir  Ug- 
hello's  Nachrichten  über  den  h.  Bischof  Spes  unserer  Darstellung 
seines  Lebens  zu  Grunde  legen,  zugleich  eine  Reihe  wichtiger  Zusätze 
bringen,  wodurch  erst  die  Biographie  desselben  eine  feste  historische 
Unterlage  gewinnt:  Wir  entnehmen  dieselben  theils  den  historisch- 
archäologischen  Untersuchungen  des  gelehrten  Cavaliere  de  Rossi, 
theils  anderen  bisher  unbenutzten  Quellen. 

Die  kurze  Lebensgeschichte  des  h.  Spes,  welche  im  Brevier  der 
Spoletanischen  Diözese  enthalten  ist,  rühmt  von  ihm  neben  anderen 
vortrefllichen  Eigenschaften  schliesslich  eine  nicht  geringe  Kenntniss  in 
der  Poesie  und  Abfassung  von  Gedichten,  namentlich  von  religiösen, 
welche  zur  Verherrlichung  des  Gottesdienstes  und  zur  Ausschmikkung 
der  Kirchen  und  Martyrergräher  dienten.  Vor  200  Jahren,  vielleicht 
noch  sj)äter,  existirte  in  der  Domkrrcbe  zu  Spoleto  noch  ein  schönes 
Denkmal  seiner  poetischen  Gabe,  nämlich  ein  Elogium  auf  den  h.  Mär- 
tyrer Vitalis,  dessen  Gebeine  er  selbst  unter  dem  Uauptaltarc  der  Kirche 
Tcrzo  della  Pieve,  einer  Landkirche,  acht  Miglien  von  Spoleto  entferat, 
zuerst  aufgefunden  hat.  Das  Elogium  war  auf  einer  Marmortafel  in 
Buchstaben  vom  reinsten  antiken  Character  eingehaucn  und  bewahrte 
den  Namen  seines  Verfassers  in  der  Ueberschrift.  Da  dasselbe  zur 
Familiengeschichte  des  h.  Spes  fast  noch  wichtiger  ist  als  zur  Ge- 
schichte des  h.  Vitalis,  so  verdient  es  hierorts  vollständig  mitgetheilt 


1)  Ct.  Italia  sacra  aive  de  Epieoopia  Italiae  ei  insutamm  adjacontium  otc. 
nutore  D.  Ferdinando  üghello  Florentino,  Abbato  es.  Vincentii  et  Anaataaii  ad 
Aqua«  Salfiat  Ord.  Cisteri.  Editio  sccunda  eiuota  et  om«Ddata  cura  ei  studio 
Nicolai  Coleti.   Yenetiia  apud  Sebast.  Coleti  MDCCXYII  iom.  I,  p.  1255. 


102    Erkknas 


■Hebrällk^Br  GnliMihnftM  in  4flr  I 


za  «erdeo.  Wir  reprododren  die  correete  Jkhidinft,  wdcke  de  Rossi 
viedcr  aolgefnideB  mid  im  senieai  Bolktioo  &  Arcboftlo^  ouliaiia 
1871  y.  3,  n.  Serie,  anno  secondo  zum  Abdrndt  gebracht  hat : 

SPES  BSCOPAVS  OEI  SERV  ^  VS  SANCTO  VITALI  MARTIRI 
A  SE  PRIMVM  INVENTO  ALTARIS  HON  (JÜOREM  FECIT 
MARTIRIS  HIC  LOCVS  EST  VITAUS  NOMINE  VERO ») 
QVEM  SERVATA  FIDES  ET  CHRITI  PASSIO  VOTAT «) 
SOLVS  HIC  E  NOSTRIS  VICTRICIA  PONA  REPORTANS 
AETERNAM  COELO  MERVIT  PERFERRE  CORONAM 
HVNC  PRECOR  VT  LVCIS  PROMISSAE  CAVOIA  CARPAM 
ETQVAE  VIRCOPRAECANS  POSCIT  CALVENTIA  PRAESTET 
CORPORIS  INTACTO  PVRI  DECORATA  PVDORE 
PLVSQVE  OATVRA  FIDE  DECORIS  QVAM  QVOD  PIA  PATRI 
EXHIBET  OFFICIA  ET  PVRO  VENERA  tur  a)MORE 
VTQVE  PROBANTE  OEO  MANEAT  PER  (sae)CLA  F10ELI(8) 
PRAEMIA  LAETA  SIBI  CONCESSO  MVNERE  SVME(ti8) 
SANCTIS  LAETVS  EGO  SPES  HAEC  MVNVSCVLA  (dono) 

SANCTt  ViTAUS  MARTYRIS  PASSIONIS  N(a|TALIS  DIE  (K&L  Martiaa) 

Wann  die  Marmorplatte  aus  dem  Dome  zu  Spoleto  TcrschwaDdeD, 
ist  nicht  bekannt.  Mittlerweile  steht  der  Steinsarg,  worin  ehedem 
sätnintliche  Gebeine  des  h.  Vitalis  geruht  haben,  mit  Asche  und  eiuigeiii 
Gebein  erffiUt,  noch  immer  hinter  dem  Altare  der  jetzt  verlassenen  und 
verödeten  Kirche  Terzo  della  Pieve.  Eine  Inschrift  an  der  Kirchen- 
mauer, aus  dem  XVI.  Jahrhundert  stammend,  die  auch  des  h.  Spes  Er- 
wähnung thut,  besagt,  dass  Paulus  Sanvitalis,  Bischof  von  Spoleto,  am 
24  Juli  1597  eine  Reliquie  des  heihgen  Märtyrers  (cms)  und  die  Mar- 
mortafel in  seine  Cathedrale  habe  versetzen  lassen. 

Die  Uebertragung  der  h.  Reliquie  von  St.  Vitalis  sowie  der  be- 
schriebenen Memorieutafel  wird  auch  von  dem  Spoletani sehen  Gcschiclits- 


1)  Da  Vitalia  als  Adjeciiv  von  vila  gebildet  an  sich  kein  Nomen  proprium 
iat,  so  wird  damit  einerseits  bezeugt,  dasa  das  Wort  bicr  gleichwohl  als  nomen 
proprium  aoizufasseD  «ei,  anderseits  auf  die  inhaltreiche  Bedeutung  hingewieaen. 
AehnJicbe  Beispiele  Tgl.  bei  Lupi  s    Severa  p.  131. 

2)  Gleichbedeutend  mit  conaecrat;  der  Sinn  iit:  »ein  Opfer  dea  Glaubens 
und  Leidens  für  Giristoa«. 


Erklärung  xweier  aUobrUtlicher  Grabscfarifien  in  der  Stiftskirche  zu  AMbon.     103 

Schreiber  Campelloi)  bezeugt  Die  berogte,  vom  h.  Spea  verfasste 
Io8cbrift  aber  sandte  Bischof  Sanvitalis  in  getreuer  Abschrift  nach  Rom 
an  den  gelehrten  Oratorinncr  P.  Gallonius,  in  dessen  Nachlasse  de  Rossi 
sie  gefunden  liat.  Auch  ist  sie  mitgetheilt  in  LeonscilU's  historia 
Spolelina,  per  seriein  episcojiorura  digesta,  correcta  et  locupletata  a 
Seraphino  de  Scraphinis  a,  MDCLVI.,  die  handschriftlich  in  Spoleto 
aufbewahrt  wird.  Aus  diesen  Quctlen  hat  sie  de  Rossi  1.  c.  zum  Abdruck 
gebracht. 

Verwerthen  wir  jetzt  den  materielleo  Inhalt  der  Inschrift  für  die 
Geschichte  des  h.  Spe.s.  Aus  den  Worten :  solus  hie  e  nostris  geht 
ohne  Zweifel  hervor,  das  der  h.  Bischof  aus  der  ländlichen  Ortschaft 
Terzo  dellaPieve  gebürtig  war,  ebenso  wie  derb.  Viatalis');  denn  von 
Spoleto,  das  viele  Märtyrer,  auch  schon  im  fünften  Jahrhundert,  auf- 
zuweisen hatte,  konnte  unmöglich  gesagt  werden,  dass  der  Märtyrer 
Vitalis  allein  daher  stamme. 

^Eine  nicht  minder  interessante  Nachricht  über  den  b.  Spcs  lieat 
man  iu  v.  f»,  nämlich  dass  der  Meilige  eine  Tochter »),  Namens  Calventia, 
hatte,  die  sich  durch  Herzensreinheit,  Glaubenstreue  und  kindliche 
Liebe  gegen  ihren  Vater  auszeichnete.  Indem  dieser  sie  als  solche 
preist,  eniptiehlt  er  sie  dem  Schutze  des  h.  Märtyrers  Vitalis.  Daraus 
folgert  de  Rossi,  dass  Spes  aus  oder  nach  dem  Ehestande  in  den 
Friesterstand  getreten  sei.  Durch  diese  Notiz  gewinnt  auch  das  Wort 
solus  in  V.  3  erst  recht  seine  Bedeutung,  nämlich  der  h.  Vitalis  ist 
der  einzige  Märtyrer  von  den  Unsrigen,  d.  L  aus  unserem  Dorfe,  wo 
ich  und  Calventia  geboren  sind. 

Die  miuuscula  (üaben)  des  letzten  Verses  sind  oflenbar  von  dich- 
terischen Inschriften  auf  die  Gräber  der  Märtyrer  zu  verstehen.  Solche 
poetische  Verherrlichungen  der  Martyrergräber  waren  in  den  ersten 
christlichen  Jahrhunderten  sehr  beliebt,  man  sah  darin  eine  Art  reli- 
l^öser  Verehrung  gegen  die  Märtyrer,  wesshalb  sich  auch  Bischöfe  und 
Priester  mit  der  Abfassung  derselben  beschäftigten.  Besonders  tüchtig 
und  eifrig  in  diesem  Fache  erwies  sich  Pabst  Damasus  (t  384),  wie 
noch  dermalen   die  römischen  Katakomben   ausweisen.    Auch   der  b. 


1)  Campello,  delle  faiaioire  di  Spoleti  p.  235. 

2)  Vergl.  darüber  de  Hob  ei  1.  o. 

3)  Campello  1.  c.  p.  213  fasat  diesea  Wort  in  geiiUicbem  Sinne  auf  uud 
ventebt  darunter  eine  DiaconisBin,  die  dem  b.  Spcs  im  Dieost«  seiner  Kirobe 
bcbUlflicb  gewesen  sei,  aber  durchaus  unriobtig,  wie  auch  de  Rossi  anerkennt. 


I 


104    ErkliruDg  Kweier  altchristlicber  Grebscbrifton  in  der  Stiftskirohe  zu  Aachen. 


Bischof  Spes  war  in  dieser  Kunst  nicht  blos  wohl  erfahren,  sondern 
auch  eifrig  thätig.  Wie  der  über  pontificalis  *)  von  Damasus  saugt: 
Hie  multa  corpora  sanctorum  inartyruni  requisivit  et  itivenit,  quorum 
etiam  concilia  (i.  e.  coemeteria)  versibus  decoravit,  so  sagt  das  Spoleta- 
nische  Brevier*)  vom  h.  Spes:  Ornavit  ecclesias  et  martyrum  memo- 
rias,  quas  carraiaibus  decoravit.  Und  so  zeugt  in  gleicher  Weise  hier- 
für der  letzte  Vers  seines  auf  den  h.  Märtyrer  Vitalis  verfertigten 
Grabgedichtes. 

Einen  wunderbaren  Vorgang  aus  dem  Leben  des  h.  Spes  gelegent- 
lich der  von  ihm  vollzogenen  Einweihung  der  Kirche  zu  Montefalco 
berichtet  die  Lebensgeschichte')  des  h.  Priesters  Fortunatus,  die  ein 
spoletanischer  Priester  Namens  Audelaus  ums  Jahr  700  geschrieben 
hat  und  aus  welcher  u.  A.  auch  ereichtlich,  dass  Bischof  Spes  bei  dieser 
Gelegenheit  den  Leichnam  des  Fortunatus  in  der  neuen  Kirche  be- 
stattet hat. 

Wichtig  für  die  ÄufheUung  der  Geschichte  des  heiligen,  jetzt  in 
der  Stiftskirche  zu  Aachen  ruhenden  Bischofs  Spes  ist  die  in  deRossi's 
Bulletino  di  Archcologia  cristiana  enthaltene  überraschende  Mitthei- 
lung, dass  der  Sarcophag  des  h.  Spes  im  Subterraneura  der  Apostel- 
kirchc  bei  Spoleto,  ungefähr  eine  italienische  Meile  von  der  Stadt  ent- 
fernt, noch  heute  vorhanden  sei,  und  dass  sich  auf  dem  Deckel  desselben 
in  Buchstaben  des  4.  oder  5.  Jahrhunderts  eine  Inschrift  befinde,  welche 
über  die  Würde,  Lebenszeit  und  den  Todestag  des  Heiligen  sichere 
Auskunft  ertheile.  Vordem  gehörte  die  Kirche  dem  Domcapitel  zu 
Spoleto,  welches  am  Feste  der  heiligen  Apostel  Simon  und  Judas  dort 
feierlichen  Gottesdienst  hielt;  sonst  war  dieselbe  wenig  benutzt,  jetzt 
ist  sie  durch  die  italienische  Regierung  säcularisirt.  Die  Inschrift  lautet 
nach  de  Rossi*): 

DEPOSITIO.  SANC 

TAE  MEMORIAE  VE 

NERABILIS  SPEIS 

AEPISCOPI  -DIE.  Vim. 
,      KAL.  OECB.  QVI  V( 

XIT  IN  SACERDOTI 
O.  ANNIS.  XXXII. 

1)  LiK  pontific.  ad  Damasum  §  2. 

2)  Lectio  n.  Nooturai  d.  23.  Nov. 

9)  Ein  correcter  Abdruck  dereelben  findet  eich  in  den  Acta  88.  Boll.  Jumi 
t.  I,  76.  Lectionanuni  Spoletan.  ccclesiae  t.  I. 

4)  de  RoBBi,  Bulletino  di  Aroheologta  cristiana  1871,  II.  •eric,  auuo 
leoondo  p.  113.  * 


Erkl&niDg  zwoier  altebristlioher  Grabaohrirten  in  der  Stiftskirche  zu  Aachen,     105 

Die  Abschrift  auf  der  Aachener  Pergamenttafel  stimmt  also  mit 
dem  Original  wörtlich  überein,  und  zwar  bis  auf  die  Buchstaben  und 
Abkürzungen;  nur  hat  die  Abschrift  drei  Zeilen,  während  das  Original 
ihrer  sieben  hat. 

Aus  der  Inschrift  geht  hervor,  dass  »der  verehrungswürdige 
Bischof  Speis  heiligen  Andenkens«  am  23.  November  im  32.  Jahre  seines 
bischöflichen  Amtes  gestorben  ist.  Der  Name  Spes  als  weiblicher 
Personenname  ist  nicht  selten.  Wir  kennen  die  h.  Spes  ^),  Schwester 
TOD  Fides  und  Charitas,  die  mit  diesen  unter  dem  Kaiser  Hndrian 
die  Martyrkrone  erlangt  hat;  Urittia  Spes')  in  einer  Grabschrift,  die 
Gruter  mittheilt;  Cornelia  Spes*)  in  einer  anderen  Grabschrift  eben- 
daselbst; aber  als  Mannsname  ist  er  selten.  Wir  fanden  nur  ein  Bei- 
spiel in  den  Dialogen  Gregors  des  Gr.,  wo  ein  h.  Spes,  Abt  des  Klosters 
Kample  bei  Nursia,  erwähnt  wird*).  Sein  Fest  fällt  auf  den  28,  März. 
Cavaliere  de  Rossi'')  entdeckte  noch  zwei  andere  Spoletaner,  welche 
Spes  geheissen  haben,  nämlich  Flavius  Spes,  einen  der  vornehmsten 
Bärger  der  Municipalstadt  Spoleto  im  Jahre  346,  und  einen  zweiten, 
der  mit  Domitius  unter  dem  Kaiser  Theoderich  die  Austrocknung  der 
Spoletanischcn  Sümpfe  unternommen  hat.  Beide  Männer  werden  bei 
Cassiodor,  der  dieses  berichtet*),  angesehene  Leute  (viri  spectiibiies)  ge- 
otnot;  den  ersteren  hält  Campello')  in  seiner  Geschichte  von  Spoleto 
filr  einen  Verwandten  oder  Vorfahren  unseres  heiligen  Bischofs,  doch 
vermag  er  einen  stringenten  Beweis  dafür  nicht  zu  liefern. 

Es  erübrigt  nunmehr  die  Frage,  wann  der  h.  Spes  gestorben  Bei. 
Wäre  das  auf  der  Stirnwand  der  St.  Fortunatus-Kirche  zu  Moutefalco 
verzeichnete  Jahresdatum*)  der  Einweihung  dieser  Kirche,  nämlich  402, 


1)  Ihre  Acten  sind  von  Metbaphraat  aus  älteron  Documenton  abgseohrieben 
nnd  veröffentlicht  worden  (ad  17  Sept.).  Auch  das  gricchieche  Menologium  von 
Canisiu«  (thesaur.  monum.  eocl.  tom.  III)  setzt  ihr  Fest  auf  diesen  Tag  und 
bringiseine  kurze  Biographie.  Im  römischen  Martyrologium  dagegen,  ferner  bei 
Uauard,  Ado  nnd  A.  fällt  ihr  Feat  auf  den  1.  Auguat. 

2)  Gruter,  inscript.  antiquae  II  p.  775*. 

3)  Gruter,  I.  c.  p.  796".  Andere  Beispiele  ebenda:  I,  608*,  666«,  6fi6*, 
776»,  776'«,  786».  818",  949">  u.  s.  w. 

4)  Gregorii  M.   dial.  lib.  IV,  c.  10  ed.  Migue  totu,  III.  p,  334. 
6)  Bulletino  1.  c.  p.  114. 

6)  Cassiodori  Variar.  11.  p,  21  ed,  Paris,  d.  a.  1679. 

7)  Campello,  histoire  di  Spoleti  p.  196  u.  311. 

8)  De  Botai,  Bullelino  I.  o.  p.  114. 


I 

106    Erklärung  zweier  altchriaUicher  Grabschriften  in  der  Siiftskirohe  sa  Aaohen. 

richtig,  so  wäre  damit  zur  Beantwortung  dieser  Frage  ein  fester  An- 
haltspunkt gewonnen ;  aber  diese  Angabe  ist  nichts  Anderes  als  eine 
willkürliche  Meinung  des  Geschichtsschreibers  Camp  eil« '),  wie  de  Rossi 
nachweist.  Ug hello  setzt  seinen  Tod  ungefähr  in's  Jahr  453,  indem 
er  sagt'):  »Sein  (Spes)  Leben  fristete  er  bis  auf  die  Zeiten  Leo's  des 
Gr.  und  des  Kaisers  Valentiuian.  Um  den  Sturz  des  Römerreiches 
und  die  heftigen  Angriffe  der  Ketzer  auf  den  Apostolischen  Stuhl  nicht 
zu  sehen,  berief  ihn  der  Herr  am  28.  November  453  vom  irdischen 
Schauplatz  ab;  er  starb  als  ein  Mann  von  grosser  Heiligkeit,  Wissen- 
schaft und  Verdienst«.  Aber  auch  diese  Meinung  hat  wenig  Gewicht, 
weil  ihr  jeder  positive  Anhalt  fehlt  und  muss  daher  der  gewöhnlichen 
Angabc,  welche  sich  auf  die  Tradition  der  Spoletanischen  Kirche  stützt, 
weichen.  Letztere  lautet  aber  dahin,  dass  der  h.  Bischof  Spes  entweder 
gegen  Schluss  des  vierten,  oder  gegen  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts 
gestorben  sei.  De  Rossi  stimmt  dieser  Meinung  vollkommen  bei  und 
findet  gerade  in  der  Spes'schen  Inschrift  auf  den  h.  Vitalis  einen 
ziemlich  starken  Beweggrund  dazu.  Diese  Inschrift  zeichnet  sich  näm- 
lich durch  grosse  Einfachheit  im  Sinn  und  in  der  Construction  aas, 
was  eher  auf  das  vierte  als  auf  das  fünfte  Jahrhundert  deutet;  sie 
zeichnet  sich  namentlich  vortheilhaft  in  dieser  Beziehung  vor  den 
Inschriften  des  spoletanischen  Bischofs  Achilles  aus,  den  die  unvor- 
denkliche Tradition  dieser  Kirche  in  den  Anfang  des  fünften  Jahr- 
bundeil^  versetzt.  Wenn  man  die  Inschriften  beider  mit  einander  ver- 
gleicht, so  wird  man  de  Rossi  sofort  beistimmen,  wenn  er  den  h.  Spess 
eher  für  einen  Vorgänger  als  Nachfolger  des  Achilles  hält') ;  denn  die 
des  Achilles  sind,  wie  die  meisten  Gcistesproducte  der  spätrömischen 
Zeit,  in  schlechtem  Latein  geschrieben  und  sehr  breitspurig*). 

So   hat  also   die  gewöhnliche  Meinung,    dass   der  h.  Spes    am 

1)  L'anno  402  e  stato  proposto  dal  Campello  (bist,  di  Spoleti  p.  207,  213, 
231 — 233);  il  quale  non  solo  oredette  ciecamente  al  Ferrari  affermaute  Spes  avere 
tioritu  sotto  Arcadic  ed  Onorio;  ma  ardi  aucho  senza  prova  Verona  stabilire  nel 
370  il  principio  dei  32  anni  scgnati  noU'  epitafio  e  nell'  ultimo  di  queati,  cioe 
nel  402.  la  oonoacrazione  doUa  basilica  di  a.  Fortanato. 

2)  Ughelli  1.  c.  col.  1266. 

3)  De  Rossi.  Bulletino  1.  c.  p.  116. 

4)  Di«  Inschriften  finden  sich  beide  Rossi.  inscript.  christ.  tom.  I.  praef. 
p.  Yll.  Derselbe  copirte  sie  aus  dem  Cod.  Palat.  Vatic.  863  fol  75.  Auch 
fiudeu  BIO  sich  bei  Gruter,  inscript.  antiq.  p.  1175,  7,  8,  9.  abgedruckt,  doch 
fehlerhaft. 


Erklärung  zweier  aUcbrisllicher  Grabsohriflen  in  der  Stiftskirche  eu  Aftchea.     107 

Schlüsse  des  4.  oder  im  Anfange  dos  5.  Jahrhunderts  oder,  um  die 
Zeit  bestimmter  zu  begrenzen,  während  der  Regierung  der  Kaiser 
Honoriua  und  Arcadius  gestorben  sei,  das  meiste  Gewicht;  das  Todes- 
jahr desselben  mit  aller  Bestimmtheit  anzugeben,  wird  wolil  nur  von 
der  Entdeckung  neuer  (Quellen  abhängen. 

V.  Verification  des  Grabes  und  der  Gebeine  des  b. 
Spes.  Da,  wie  bereits  erwähnt,  die  Schatzkammer  der  Stiftskirche  zu 
Aachen  fast  alle  Gebeine  des  h.  Spes  besitzt,  war  es  wichtig  zu  wissen» 
ob  und  welche  Gebeine  noch  heute  in  dessen  Sarcophag  zu  Spoleto 
sich  befinden.  Ueber  seine  bezügliche  Untersuchung  berichtet  uns  H. 
Dr.  Pick  aus  Rom  iu  einem  ausführlichen  Schreiben  vora  31.  October 
IST.*»  Folgemies; 

•Der  Erfolg  meines  Besuches  in  Spoleto  war  wegen  der  Abwesen- 
heit des  Herrn  Erzbischofs  leider  ein  unvollständiger.  Ich  besuchte 
den  dortigen  Seminarregens  und  Erzdiacon,  Mspr.  Luzzi,  einen  liebens- 
würdigen Herrn,  der  mir  die  Ihnen  neulich  mitgetheillen  Nachrichten 
gegeben  hatte.  Wir  machten  darauf  beide  zusammen  den  Weg  durch 
die  Ebene  nach  der  Apostelkirche,  worin  die  Urne  des  h.  Rischofs  Spes 
sich  befindet.  Der  gegenwärtige  Besitzer  der  Kirche,  Dr.  Sinibaldi,  ge- 
stattete uns  in  liberalster  Weise  dieselbe  zu  inspiciren.  Arbeiter  waren 
daselbst  beschäftigt,  da  der  Eigcnthüraer  die  Kirche  in  ein  Magazin 
umwandelt.  Ich  liess  den  Eingang  zu  dem  sogenannten  Subterraneum, 
welcher  durch  Holzwerk  verdeckt  war,  bloss  legen.  Derselbe  ist  mitten 
in  der  Kirche,  gerade  vor  den  zwei  Stufen,  welche  zur  Absis  führen. 
Dicht  an  den  Stufen  befindet  sich  der  den  Eingang  theilweisc  deckende 
Stein  mit  der  Inschrift :  DFPOSITIO  8ANCTAE  etc.,  wie  sie  de  Ros.si 
verzeichnet.  Sechs  oder  sieben  Stufen  führen  in  das  Subterraneum  hinab. 
Dieses  besteht  nur  aus  einem  sehr  niedrigen,  engen  und  kurzen  Gange, 
in  den  man  sich  nur  knieend  hincinbegeben  kann.  Der  Boden  des 
Subterraneums  ist  fast  ganz  durch  den  Deckel  des-  im  Boden  befind- 
lichen Sarcophags  verdeckt.  Der  roh  aus  einer  Steinplatte  ausgehauene 
Deckel  trägt  keine  Inschrift  und  hnt  eine  oblonge,  dachioraig  construirte 
Form.  Bei  näherer  Untersuchung  fand  ich,  dass  der  Deckel  in  jüngster 
Zeit  zum  Theil  aufgehoben  worden  war,  wahrscheinlich  von  den  Ar- 
beitern, die  vielleicht  Werthsachen,  Metall  oder  Antiquitäten  darin  ver- 
mutheten.  Man  hatte  ein  paar  kleine  Steine  zwischen  den  Deckel  und 
den  Rand  des  rohen  Sarcophags  gelegt,  vielleicht  um  gelegentlich  den 
eingebildeten  Schätzen  weiter  nachzuforschen.  Da  also  doch  einmal 
der  Deckel  gehoben  resp.  geöffnet  worden  war,  wie  auch  Magr.  Luzzi 


106    Erklärung  zweier  altchriBÜicherGrabschrift-en  in  der SlifUkirchc  ea  Asciwa. 


selbst  sah,  so  nahm  ich  keinen  Anstand,  durch  einen  Hebel  den  Deckel 
80  weit  lüften  zu  lassen,  dass  ich  das  Innere  beleuchten  und  hinein- 
blicken konnte.  Ich  bemerkte  nun,  dass  eine  Lage  ziemlich  dicht  und 
flach  nebeneinander  gefügter  Ziegelstücke  ohne  Mörtel  das  Innere  bis 
zu  ungefähr  <>— 8  Zoll  vom  Rande  abschloss;  den  unter  den  Ziegeln 
belindlichen  Inhalt  aber  konnte  ich  nicht  untersuchen.  Im  vorderen 
Theile  des  Sarcophags  waren  die  Ziegel  aus  ihrer  Lwge  gebracht,  wahr- 
scheinlich durch  die  raubsüchtige  Hand  eines  Arbeiters.  Auffallend  war, 
dass  der  Mörtel,  welcher  Deckel  und  Sarcophag  verbindet  und  welcher 
durch  die  ersten  Eindringlinge  an  der  vorderen  Seite  hinab-  und  in  den 
Sarcophag  hineingestossen  worden  war,  aus  einer  Art  Tun  bestand, 
welcher  sehi*  feucht  und  weich  war.  Uebrigens  soll  dieses  Subterraneum 
mitunter  dem  Eindringen  des  "Wassers  ausgesetzt  sein.  Ich  Hess  den 
Deckel  wieder  sinken  und  vereinbarte  dann  raitMsgr.  Lazzi,  dasa  er 
bei  Rückkehr  des  Herrn  Erzbischofs  dessen  Autorisation  nachsuchen 
solle,  den  Inhalt  des  Sarcophags  zu  verificiren.  Auch  der  Besitzer  der 
Kirche  erklärte  sich  damit  einverstanden.  Ueber  den  Modus»  die  voll- 
ständige Oeftnung  des  Sarcophags  vorzunehmen,  habe  ich  bereits  mit 
Msgr.  Luzzi  und  Dr.  Sinibaldi  gesprochen.  Diese  Herren  meinten,  es 
sei  am  besten,  die  Decke  des  Subterraneums  ganz  zu  entfernen.  Da  ich 
Jedoch  vemiuthe,  dass  der  eigentliche  Sarcophag  weiter  keine  Inschrift 
tragen  wird  und,  nach  dem  Deckel  zu  urtheilen,  kaum  von  weiterem 
historischen  Interesse  sein  dürfte,  so  erbot  ich  mich,  den  schweren  Deckel, 
durch  einige  Arbeiter  unter  meiner  Leitung  ganz  herausnehmen  zu 
lassen.  Dann  wird  die  Untersuchung  ohne  weitere  grosse  Schwierigkeit 
vorgenommen  werden  können.  Mser.  Luzzi  versprach  mir,  mich  zur 
Vcrjfication  einzuladen,  und  werde  ich  llineu  sodann  den  Befund  nebst 
etwaigen  sonstigen  Erhebungen,  die  für  Sie  von  Interesse  sein  können, 
mitth  eilen.« 

Die  briefliche  Mittheilung  des  genannten  Herrn,  welche  mir  drei 
Wochen  später  zu  Theil  wurde,  lautet: 

>»Ich  benachrichtige  Sie,  dass  das  Grab  des  h.  Spcs  in  Spolcto, 
das  vor  wenigen  Tagen  geüffnct  worden,  leer  war;  auch  nicht  eine  Spur 
von  dessen  Ciebeinen  war  vorhanden.u 

Hiernach  kann  ea  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Gebeine 
desselben,  welche  heute  in  der  Stiftskirche  zu  Aachen  aufbewahrt  wer- 
den, dieselben  sind,  welche  ehedem  in  der  zu  Ehren  dieses  hl. 
Bischofs  erbauten  Kirche  zu  Spoleto  geruht  haben  und  dass 
dieselben    zur  Zeit  Karls   des  Gr.   nach  Aachen  transferirt  worden 


£rkl&riuig  zweier  altchrietlicher  Grabtcbriften  io  der  Stiftskirche  zu  Aachen.     109 

sind.     Wo   aber  das  Haupt  desselben    geblieben,   ist  bis  zur  Stunde 
unbekannt. 

VI.  Späteres  Schicksal  der  Gebeine  des  h.  Bischofs 
Spes.  An  diese  geschichtlichen  Nachrichten  über  Person,  Ileiniath  und 
Zeit  des  h.  Spes  reihen  sich  passend  dit^jeuigen  an,  welche  uns  Lam- 
bert von  Hersfeld  Aber  die  Verschleppung  seiner  h.  Gebeine  von 
Aachen  nach  der  Harzbiirg  in  Sachsen  inittheilt.  »Der  König  (Hein- 
rich IV.)  reiste,  so  heisst  es  in  dessen  Jahrbüchern')  zum  Jahre  lo72, 
nach  Aachen,  nahm  dort  don  h.  Hekenner  Speus  und  den  Arm  Siineons 
des  Gerecht«!,  dessen  im  Evangelium  gedacht  wird,  ferner  das  Haupt 
des  Mönchs  und  Märtyrers  Anastasius  und  die  Reliquien  anderer 
Heiligen  und  brachte  sie  nach  Hartesburc.«  Der  Chcouist  beschreibt 
sodann,  wie  sich  der  Kaiser  seit  jener  Zeit  im  deutscheu  Reiche,  na- 
mentlich in  Sachsen  und  Thüringen,  durch  sein  unchristliches  Leben  und 
seine  gottlose,  tyrannische  Regierung  verhasst  gemacht  und  dadurch 
in  den  beiden  letztgenannten  Territorien  die  Revolution  hervorgerufen 
habe.  In  den  gcellsten  Farben  schildert  er  wie  die  verschiedenen  in  jenen 
Gebieten  gelegenen  Burgen  des  Kaisers,  namentlich  Kytfhausen,  Heim- 
burg, Äsenberg,  Volkenroth,  Spatenburg,  vor  Allem  aber  die  Harzburg, 
wo  sich  derselbe  gewöhnlich  aufhielt,  im  Sturm  der  entfesselten  Volks- 
wath  zu  Grunde  gegangen  seien.  Letztere  wunie  dem  Erdboden  gleich 
gemacht.  Anfangs  war  sie,  wie  der  Annalist  berichtet,  bloss  zum  Theil 
niedergerissen  worden.  »Aber  das  gemeine  Volk  in  Sachsen,  nameut- 
lich  diejenigen,  welche  die  näclLsten  Dörfer  bei  der  Hartesburc  be- 
wohnten, nahmen  daran  grossen  Anstoss,  indem  sie  glaubten,  der 
König  werde  in  Kurzem  den  Krieg  erneuern  und  den  Ort  wieder  auf- 
bauen and  besetzen  lassen  ....  Daher  überfielen  sie  die  Hartesburc, 
brachen  Alles,  was  noch  von  den  Mauern  übrig  war,  von  Grund  aus 
nieder  und  streuten  die  Steine  weit  und  breit  umher.  Mit  den  übrigen 
Bauten,  welche  die  Nachsicht  der  Fürsten  unverletzt  erhalten  hatte, 
verfuhren  sie  auf  gleiche  Weise,  verbrannten  sogar  die  Kirche-),  welche 
am  den  Bau  zu  beschleunigen,  einstweilen  von  Holz  aufs  Geschmack- 
vollste gezimmert  worden  war,  plünderten  die  Kleinodien  und  zcrtriim- 
merten  die  Altäre.  Die  Reliquien  der  Heiligen,  welche  nach  Erbrechung 
der  Altäre  herausgewühlt  worden  waren,  und  die  ausgegrabenen  Leich- 


1)  StrnTÜ,  rerum  Germ,  script.     Ratisbonae  1726  tom  I.  p.  351. 

2)  Diese  Kirche  beabaiobiigic  der  Kaiser  zu  einom  ChorherrDstifte  einzu- 
ncht«D.  Lambert!  annales,  ad-  a.  lO?-!. 


110    Erklärung  zweier  altchriatlinhcr  Grabschriften  in  der  Stiftsldrohe  eu  Aaofaea. 

name  der  Verstorbenen  entriss  der  Abt  eines  benachbarten  Klosters, 
welcher  noch  zur  rechten  Zeit  hinzukam,  dem  wüthenden  Pöbel  und 
übertrug')  sie  ehrerbietigst  in  sein  Kloster«.  Welcher  Abt  diese  Helden- 
that  vollbracht  und  in  welches  Kloster  er  die  geretteten  Reliquien  der 
Heiligen  gebracht  hat,  verschweigt  Lambert").  Wahrscheinlich  hat 
auch  derselbe  Abt  die  heiligen  Reliquien,  die  Heinrich  IV.  dem  Aachener 
Marienstifte  entzogen  hatte,  demselben  wieder  zurückerstattet;  denn 
mit  der  Harzburg  war  auch  die  dazu  gehörige  Schlosskirche  in  Asche 
gelegt  und  an  Wiederaufbau  derselben  war  nicht  zu  denken.  So  fiel 
jeder  Grund  fort,  der  Krönungskirche  zu  Aachen  den  ihr  ungerecht 
entzogenen  Reliquienschatz  länger  vorzuenthalten. 

Seitdem  aber  derselbe  wieder  an  seinen  rechtmässigen  Ort  zurück- 
gekehrt war-*),  wurde  er  hier  der  Gegenstand  grosser  Verehrung,  In 
allgemeinen  Nüthen,  uamenthch  bei  Erdbeben,  Krieg,  Thcnerung, 
Hungersnoth  u.  s.  w.  nahm  das  gläubige  Volk  zu  Aachen  gern  zum 
h.  Spes  seine  Zuflucht,  und  so  oft  eine  Bittprocession  durch  die  Stadt 
gehalten  wurde,  wurden  seine  Gebeine  im  verschlossenen  Reliquien- 
behälter  mit  herumgetragen.  So  berichten  die  alten  Kapitels-Protokolle 
des  ehemaligen  Krönungsstiftes.  Die  jetzige  Heliquienlade  des  h.  Spes, 
die  in  meinem  Buche  über  die  Aachener  Ileilgthümer  näher  beschrieben 
ist*),  stammt  gemäss  der  Technik  des  Werkes  und  dem  Buchstaben- 
Typi^s  der  daran  befindlichen  Inschrift  aus  dem  Anfange  des  XH.  Jahr- 
hundert<5  und  weist  also  selbst  darauf  hin,  dass  sie  zur  Bergung  des 
kostbaren  Schatzes  bald  nach  seiner  Riickkehr  nach  Aachen  angefertigt 
worden  ist. 

VH.  Deutung  und  Erklärung  der  Spes'scheu  Inschrift. 


1)  Reliquiaa  SAnclorum,  quae  efl'ractia  altcribus  erutae  fuerant,  et  efFoMa 
defunctorum  corpora  ablias  ex  vicino  coetiobio  opportune  superveniena  furenii 
vuIjBfo  en'puit  aique  in  fmum  mounsterinm  cum  honore  transvexit.  Lamberti,  anoal. 
ad.  a.  1074  1.  c.  p.  372. 

2)  MabilloQ  denkt  au  den  Abt  des  Si.  Petri-Kloater«  in  Fritzlar  (anoal. 
tom.  y.  p.  72);  Deliua  (Ocsohicbtc  der  Uarzburfo^  S.  86)  und  der  neuste  Ueber- 
Betzer  von  Laraberts  Jahrbücher,  L.  Fr.  Hesse  (Berlin  1855,  S.  1G6)  vor- 
muthen  den  Abi  von  Ilsenburg. 

3)  Auch  der  Arm  des  h.  Simeon  und  das  Haupt  des  b.  Märtyrers  Ana- 
Btasius  sind  mit  den  Gebeinen  des  h.  Spus  nach  Aachen  znrüuk^ebracbt  worden; 
von  den  unhenannten  Reliquien,  die  Kaiser  Hd^inricb  IV.  aus  der  Aachener 
äcbatzkaoimcr  wegenommen  hat,  kann  dioa  nicht  nachgewiesen  werden. 

4)  Vgl.  S.  114. 


Erklirnng  zweier  altchristlicher  Grabachriflen  in  der  Stiftskirohe  zu  Aachen.    111 

Depositio.  Wir  haben  bereits  oben  den  Begriff  dieses  Wortes  im 
christlichen  Sinne  dargelegt;  es  bezeichnet  ira  gewöhnHchen  Sprachge- 
braache  die  Beisetzung  einer  Leiche  mit  dem  Nebengedanken:  für 
die  kflnftige  Auferstehung.  Dieser  Begriff  wurzelt,  wie  wir  gesehen 
haben,  in  dem  auch  bei  den  heidnischen  Schriftstellern  üblichen  Sprach- 
gebraache  dieses  Wortes  und  ist  nicht  willkürlich  in  dasselbe  gelegt; 
«wt  durch  die  nähere  Beziehung  wird  er  ein  specifisch  christlicher. 
Da  aber  einmal  die  Bedeutung  des  Wortes  auf  solche  Weise  in  Fluss 
gcratben,  so  war  vorauszusehen,  dass  dieselbe  damit  für  die  Folge 
Dicht  abgeschlossen  sein  würde.  Und  so  finden  wir  in  den  letzten 
Zeiten  des  Römerreiches  und  noch  später,  dass  deponi  nicht  bloss  in 
Beziehung  auf  die  Beisetzung  der  Todten,  sondern  auch  in  Beziehung 
auf  den  Tod  selbst  gebraucht  wird.  Das  Wort  erhält  geradezu  den 
Sinn  von  Sterben;  der  dies  dopositionis  ist  der  eigentliche  Sterbetag. 
Wir  wollen  versuchen,  ^dieses  im  Anschluss  an  das  früher  Gesagte 
näher  zu  begründen. 

1.  Wie  jetzt,  so  bezeichnete  man  auch  schon  in  der  ersten  Zeit 
des  Christcnthums  das  himmlische  Leben  als  das  wahre  Leben  des 
Menschen,  als  das  eigentliche  Ziel  desselben;  daher  war  den  alten 
Christen  der  Todestag  der  eigentliche  Geburtstag  für  die  Ewigkeit'). 
Der  Tod  hat  daher  für  den  Christen  die  höchste  Bedeutung,  da  er 
einerseits  die  Noth  und  Unzulänglichkeit  des  irdischen  liCbens  ah- 
schljesst,  und  anderseits  die  Vollendeten  in  die  Herrlichkeit  des  himm- 
lischen Jerusalem  einführt. 

2.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  feierten  die  ersten  Christen  blos 
den  Tag  des  Todes  und  der  Auferstehung  Christi.  Sie  begannen  ihre 
Zeitrechnung  und  ihr  Kirchenjahr  mit  Ostern,  und  der  erste  Tag  der 
Woche,  welcher  statt  des  siebenten  gefeiert  wurde,  erhielt  den  Namen 
Tag  des  Herrn  (dies  dominica).  Diese  Anschauung  bildete  die  funda- 
mentale Grundlage^  auf  welcher  in  der  Folgezeit  die  Feier  der  Ge- 
dftchtnisstage  der  Märtyrer  und  Heiligen,  und  schliesslich  die  Feier 
der  Gedächtnisstage  für  alle  verstorbenen  Christen,  die  im  Frieden  der 
Kirche  dahin  schieden,  sich  entwickelte.  Der  Todestag  aber  galt  immer 


])  Digne  natalem,  sagt  der  b.  Augustinus,  eoruni  colimus,  quoa  lieatius 
Betemaa  vitae  tnundua  edidit,  quam  mundo  materaorum  visoerum  {larlas  «ffudit. 
•arm.  X.  de  Sanctis.  Der  b.  Petrus  Cbrysologu«  sagt:  Natalem  Sattctorum  cum 
«oditi«,  obariasimi,  nolite  putare  ilhim  dici.  quo  nascuntur  in  terram  de  carne, 
wd  de  terra  in  coeium,  de  Iftbore  aJ  requiem  eto.  serm.  129  ed.  Seb.  Pauli 
YenetUa  17&U. 


112    RrklAnrog  zweier  allofarwtlicker  GnlMehrUt«»  ia  darSUAakiniw  »m  AkcHflo. 


ala  der  Anfang  des  wahren  Lebens,  welches  den  Verstorbeneo  zu  Tbeil 
geworden ;  er  worde  daher  natale,  nat&litium  oder  dies  natalis  (Gdmrta* 
tag)  genannt.  Die  Kirche  von  Smyroa  betlient  sich  schon  dieses  Aoa- 
drttck» ')  in  dem  Senduchreiben  Ober  den  Martertod  des  h.  PolycannM. 
Ebenso  redet  der  gleichzeitige  Verfasser  der  Martergeschichte  des  b. 
fgnatius  *).  Der  h.  Cyprian  hielt  daher  sehr  streng  darauf),  dass  ihm 
die  Tage,  an  welchen  die  Bekenner  in  den  Kerkern  gestorben  waren» 
oder  die  Märtyrer  ihr  Leben  beendigt  hatten,  genau  angezeigt  wQrden, 
dUDiC  jedesmal  am  Jahrestage,  wie  er  sagt,  das  feierliche  Gedächtniss 
derselben  durch  Gaben  und  Opfer  gefeiert  werden  könnte.  Die  meisten 
altchristiicbcn  Grab:$chriiten  geben  daher  nur  den  Todestag  der  Ycr- 
storheiien  an,  über  das  Todesjahr  gehen  sie  mit  Stillschweigen  hinw^. 
Stand  aber  einmal  der  Todestag  eines  Märtyrers  oder  Heiligen  fest,  so 
ist  es  leicht  erklärlich,  wie  derselbe  im  Leben  der  Christen  ein  Termin 
cur  Bestimmung  anderer  Gedächtnisstage  werden  konnte.    Z.  B.*): 

HIC    REQVIESCrr   VITALIS     Hier  ruht  Vitalis 
MOLITOR.  DEPOSITVS 
IN  PACE.IN  NATALE 
OOMNES  SOTIRETIS. 

Au  solchen  Jahrestagen  der  Märtyrer  und  Heiligen  stiegen  die 
Christen  in  die  Katakomben  hinab,  wohnten  dem  über  dem  Grabe  des 
Heiligen  dargebrachten  Messopfer  bei  und  stärkten  sich  durch  den 
Genuss  ber  b.  Eucharistie  zur  Nachfolge  desselben.  Noch  heute  ge> 
währen  die  alten  Kaiendarien*)  einen  lichten  Einbhck  in  das  religiöse 
Leben  der  alten  Christen. 


der  Müller.  Beigesetzt 
in  Frieden  am  Feste 
der  Herrin  Soteres. 


1)  flag/^u  6  xv^oi  tnniXtiv  t^  tov  fittQTi'Qfov  aitov  fift/^v  yiy(9ijov',  cC 
Ilefele,  Patrum  apostoHc.  opp.  cd.  IV.  p.  21K). 
2j  Hcfele,  1.  c.  p.  265. 

3)  Cyprian  ep.  37  ad  preabyt.  et  diac. 

4)  Marlyrologium  rotn.  adnot.  illast.  ed.  Roaweid  S.  J.  Aatverpiae  1628 
p.  74.  Diese  h.  Juogrfi-Ba  gehörte  dcnuelben  Gosohlechte  an,  sua  dem  später 
der  h.  Ambrosius  hervorging.  Sie  wurde  im  Jahre  804  in  ihrem  eigenen  Coe- 
meterium  beerdigt,  daa  in  der  Folge  nach  ihr  benannt  wurde  und  in  der  Nähe 
▼on  St  Calliato  lag. 

6)  IHcflc  Kalendarien  haben  in  unserer  Zeit,  wo  Terhältnissmässig  nur 
wenige  der  BltcbristUohen  Coemeterien  bekannt  und  offen  gelegt  sind,  auch  noch 
den  Vortbeil,  dass  sie  cur  Auffindung  derselben,  s<)Wie  der  in  denselben  depo- 
nirten  Gebeine  der  Martjrer  und  heiligen  Bekenner  vortrefilicbe  Anhaltspuxücie 
gewähren. 


EiUimng  zweier  altchriBtlicher  Orabscbriften  in  der  Stiftskirche  zu  Aachen.     113 

3.  Bei  der  grossen  Wichtigkeit,  die  der  Tod  im  Sinne  des  Christen- 
thums  sowohl  für  das  Jenseits  als  Diesseits  besitzt,  kann  es  nicht  auf- 
fällig sein,  dass  der  in  Rede  stehende  specifisch  christliche  Terminus 
f&r  den  Ort  der  Bestattung  eines  entseelten  Leichnams  auf  den  Tod  selbst 
übertragen  wurde,  wobei  der  gewöhnliche  Sprachgebrauch  desselben, 
wie  er  sich  bei  den  heidnischen  Schriftstellern  findet,  massgebend  war. 
Bei  Ovid^)  heisst  es  z.  B.:  Depositum  nee  me  qui  fleat,  ullus  erit? 
Cicero*)  sagt:  Maxime  aegra  et  prope  deposita  reipublicae  pars. 
VirgiP)  sagt:  Ille,  ut  dcpositi  proferret  fata  parentis.  In  all  diesen 
Stellen  heisst  das  Wort  depositus  so  viel  als  abgelebt,  verstorben,  todt, 
was  sich  auch  leicht  begreift,  wenn  man  die  Gebräuche  der  Römer  bei 
der  Leichenbestattung  berücksichtigt.  Die  Leiche  wurde  nämlich  bald 
nach  dem  Tode  des  Menschen  vom  Sterbebette  herabgenommen  und 
auf  die  Erde  gelegt  (deponere),  um  gewaschen  und  mit  wohlriechenden 
Oelen  und  Salben  gesalbt  zu.  werden.  Diese  Handlung,  welche  der 
Libitinarius  besorgte,  diente  dazu,  theils  um  den  Anblick  des  Todten 
weniger  abschreckend  zu  machen,  theils  um  der  allzu  raschen  Ver- 
wesung Einhalt  zu  thun,  indem  bei  den  Vermögenden  der  Leichnam 
7  Tage  lang  ausgestellt  zu  werden  pflegte.  Mit  seinen  besten  Kleidern 
geschmückt,  bekleidet  mit  der  Toga,  wurde  der  Todte  sodann  auf  den 
lectus  funebris  gelegt.  Dadurch  also,  dass  die  Niederlegung  der  Leiche 
auf  die  Erde  stattfand,  wurde  zugleich  constatirt,  dass  der  Tod  ein- 
getreten sei,  und  so  ist  es  gekommen,  dass  das  Wort  depositus  selbst 
den  Begriff  des  Gestorbenseins,  des  Todtseins  erhielt*).  Auch  bei 
den  Griechen  waltete  derselbe  Brauch  in  der  Behandlung  der  Leiche 
und  in  der  Sprache  ob,  daher  sagt  Homer'): 

Kaz&€fi£voi  yoaoiev '  o  yaq  yigag  iarl  d^avovziov. 

Beispielie  dafür,  dass  das  Wort  depositio  in  diesem  Sinne  bei  den 
alten  Christen  gebraucht  worden  ist,  finden  sich  indessen,  wie  gesagt, 
erst  in  spätrömischer  und  fränkischer  Zeit ;  wir  fanden  solche  erst  bei 


1)  Oridii  Trist,  lib.  III  eleg.  8  v.  40. 

2)  Cioeronis  orat.  sec.  Verrina  I,  2. 
8)  Yirgilii  Aeneis  XII,  896. 

4)  Vgl.  Ernst  Gubl    nnd    Wilhelm  Koner,   Leben  der  Griechen  und 
Römer  II.  Bd.  375.  I,  318. 

6)  Homeri  Odyes.  XXIV,  189, 

8 


114    Ericlirong  xweier  «Itcbristlichor  Gnibschriftcu  in  der  SUflskirche  zu  Aachen. 

Ambrosias*),  Beda')  und  in  den  ältesten  Kaiendarien  and  Har- 
tyroU^en. 

Dieses  Resultat  der  Untersuchung  aber  weist  darauf  hin,  dass  das 
Wort  depositio,  depositus  wenig^ns  fttr  die  ersten  Jahrhunderte  nach 
Christus  im  gewöhnlichen  Sinne  von  Beisetzung,  in  Frieden  beigesetzt, 
zu  nehmen  sei.  Da  aber  auch  für  die  spätröraischc  Zeit  der  neue  Ge- 
brauch kcinesw^  herrschend  gewonlen,  sondern,  wie  die  Inschriften 
l)eweisen,  nur  sporadisch  auftritt,  so  ist  es  gcrathen,  auch  für  diese 
Zeit  das  Wort  solange  in  der  gewöhnlichen  Bedeutung  (von  Beisetzung) 
aufzufassen,  bis  aus  anderweitigen  Zeugnissen  die  Interpretation  auf 
den  Tod  sich  als  nothwendig  erweist. 

Sanctc  memoria  d.  i.  heiligen  Andenkens.  Wiewohl  die  alten 
Christen  im  Gebrauch  des  Wortes  sanctus  und  beatus  sparsam  waren'), 
so  finden  sich  doch  Beispiele,  wo  dasselbe  nicht  einen  von  der  Kirche 
als  Heiligen  Verehrten  bezeichnet,  sondern  nur  ein  abundantes  Epitheton 
zur  Bezeichnung  frommer  und  edler  Gesinnung  ist.  Z.  B.'): 

GAVOENTIVS.  PRESB.  SIBI 

ET  CONIVGI  SVAE  SEVERAE  CASTAE  HAC  (für  ac)  SANC(tae) 

FCMINAE  QVAE  VIXIT  ANN.  XLII.  M.  III.  0.  X 

DEP.  III.  NOW.  APRIL.  TIMASIO  ET  PROMOTO. 

Aber  amlers  verhält  es  sich  mit  unserer  Inschrift.  Hier  ist  nicht 
oin  Grttte  oder  ein  Kind,  woloho  der  vorstorbonen  Mutler  eine  lobende 
Gnibi^ohrifl  soiami  und  in  ihrem  aberniä&?:con  Trauorschmerze  nm  die 
Verlorono  es  nnt  ihren  Worten  nicht  iienau  nohmeo,  sondern  die  In- 
schrift spricht  von  oinem  Bischöfe,  dts<?en  Lob  nicht  Jem  Einzelnen, 
auch  nicht  oinor  (.'orpon;tion  ulorlAsscn  co^oson  sein  kann,  dass  viel- 
mehr durch  dio  Worte  sanctus  und  vonerabilis  .^uf  eine  voniufgegangene 
kirchliche  CxHnoniscUion  hinweist. 

uonorabilis  Speis.  Was  rucn?i  das  crawmatische  Verhältniss 
diosov  Worte  aulHOsit,  so  stehen  dieselben  oitciilvir  ::r.  oosi:;v.  der  von 


O  .V*.v.Vrosi'.  .'i'p    ♦..  11.  1^  .*.  V  4r^.  s.u.'  i.r' .»•..*  IN-jv*:::^  $.    E;:jwbii. 
l\.»  M*xsr-.v.or  *v-h;v.V<-«  vl..>*o  U.vl.>  do-.v.  V    Miv.r.v.-.j  j  : 


Erklärung'  zweier  altchristlicber  Grabschriftcn  in  der  Stiftskirche  zo  Aachen.     115 

depositio  abhängt;  sanct?  memoria  dagegen  hängt  als  prädicativer 
Genitiv  von  veoerabilis  Speis  ab. 

Die  Namensforra  Speis  nauss  nach  den  vorhergehenden  Miithcilungen 
anflallig  erscheinen;  denn  er  selbst  nennt  sich  in  seiner  Grabschrift  auf 
den  h.  Märtyrer  Vitalis  ausdrücklich  Spea.  Auch  ist  der  Name  zu 
Spoleto,  wie  die  Zeugnisse  der  verschiedenen  Jahrhunderte  nachweisen, 
stets  Spea  ausgesprochen  und  geschrieben  worden.  Dafür  ist  das  Zeugniss 
in  dervita  s.  Fortunati  (c.  700)  bereits  niitgetheilt  worden;  ein  anderes 
aus  dem  12.  oder  13.  Jahrhundert,  welches  ein  dreibändiges  Lectio- 
narium  MS.  der  Domkirche  za  Spoleto  bietet,  lautet  also :  in  beatorum 
ecclesica  apostolorum  Spes  insignis  est  repertus  episcopus,  mirifico 
rcconditua  calatho,  qui  post  sui  corporis  inventionein  diverais  inclaruit 
signis.  In  der  oben  erwähnten  Muralinschrift  aus  dem  16,  Jahrhundert, 
die  sich  gegenüber  dem  Steinsarg  des  h.  Vitalis  in  der  Kirche  Tcrzo 
dclla  Pieve  bcöndct»  beisst  der  Name  im  Genitiv  Spei,  im  Ablativ  Spe, 
was  den  Nominativ  Spes  vorau.ssetzt.  So  steht  die  Namensform  Speis 
aaf  seinem  eigenen  Grabmal  vereinzelt  da.  Nach  meiner  Ansicht  ist 
dieselbe  als  archaistische  Aussprache  zu  erklären,  wie  z.  B.  deiva  für 
divu,  deicito  für  dicito,  eidas  für  idus,  leibertus  für  libertus.  Derartige 
Beispiele  sind  in  römischen  Inschriften,  namentlich  der  späteren  Zeit, 
nicht  selten '). 

die  Villi  Kai.  Decb.  d.i.  23.  November.  Noch  heute  gilt  dieser 
Tag  in  der  Spoletanischen  Diözese  als  der  Todestag  des  h.  Spes  und 
wird  in  officio  et  Missa  gefeiert.  So  berichten  Campello,  Ughello 
und  Jacob illi,  letzterer  in  seinen  fasti  dell'  Ömbria.  Demnach  irrt 
das  deutsche  Martyrologium  von  Müller,  in  welchem  das  Fest  auf 
den  23.  October  notirt  ist'). 

in  sacerdotio.  Das  Wort  sacerdos  wurde  in  altchristlicher  Zeit 
sowohl  zur  Bezeichnung  eines  Bischofs  als  eines  Priesters  gebraucht, 
und  zwar  vermöge  des  vornehmsten  Theiles  ihrer  Amtsverrichtungen, 
der  Darbringung  des  h.  Opfers,  den  beide  gemein  haben. 

VIII.  Alter  der  Aachener  Inschrifttafel.  Nachdem  wir 
nun  die  beiden  Inschriften,  welche  die  Eingangs  dieser  Schrift  erwähnte 
Pergamenttafel  enthält,  nach  ihrer  historisch-archäologischen  Seite  er- 
örtert haben,  erübrigt  zum  Schlüsse  die  Frage,  wann  ist  die  Tafel  ge- 
schrieben worden  und  woher  stammt  sie? 


1)  Qruter,  inscript.  lat.  I,  88'*,  206»,  307«  etc. 

3)  Allgemeines  Mariyrotogiuni,  von  Adalbert  filQlIer.  Regenftburg  18C0. 


116    Erklinui|r  nreier  altebristlioher  Gnbscfariften  in  derStifUkirche  za  Aachen. 

Um  die  erste  Frage  mit  hinreichender  Sicherheit  zn  entscheiden, 
bieten  nns  die  gründlichen  Arbeiten  von  Mabillon,  Letronne,  von 
Kopp  und  Sickel  die  nöthigen  Anhaltspunkte.  Nach  diesen  Werken, 
die  zur  Vergleichung  der  verschiedenen  Gattungen  lateinischer  Schrift 
eine  Anzahl  correcter  und  verthvoller  Schriftproben  enthalten,  sind 
unsere  Inschriften  in  der  karolingischen  Minuskel  geschrieben,  d.  h.  in 
der  merowingischen  Schrift,  die  in  karolingischer  Zeit  in  mancher  Be- 
ziehung refonnirt  worden  ist.  Watten bach')  erklärt  diese  Schrift  (tir 
zu  eigenthQmlich,  als  dass  sie  nicht  auf  einen  bestimmten  Ausgangs- 
punkt znrflckgefflhrt  werden  könnte,  und  dieser  kann  nach  seiner 
Meinung  kein  anderer  sein  als  Alcuins  berühmte  Schule  im  Martins- 
kloster zu  Tours.  Da  aber  die  erwähnten  Schriftproben,  die  von  Kopp*) 
nach  karolingischen  Urkunden  der  Jahre  753  bis  82)3  angefertigt  hat, 
eine  unseren  InschriAen  frappant  ähnliche  Schrift  zeigen,  so  ist  diese 
Ansicht  nach  meiner  >f einung  wohl  nicht  haltbar;  denn  AIcuin  stand 
jener  Schule  vom  Jahre  796  bis  8W  vor.  Hierzu  kommt  noch  ein 
zweites  Argument,  welches  für  ein  höheres  Alter. der  karolingischen 
Minuskel  spricht.  Die  Herausgeber  derLitnrgia  Sacra,  Marzohl  und 
Schneller,  haben  im  vierten  Bande  ihres  Werkes  ein  kostbares  Mar- 
tyrologinm  des  alten  Bonedictinerstifts  Rheinau.  das  sie  auf  Grund 
gewichtiger  Indizien  in's  achte  Jahrhundert  versetzen,  veröffentlicht'). 
IMeselbe  Handschrift  aber,  welche  dieses  Martrrologiura  enthält  *),  birgt 
noch  einen  zweiteu  Schatz  in  sich,  nämlich  ein  Sacraroentarium  aus 
jenor  /eil,  oino  Mischung  von  Gelasianismus  und  Gresorian Ismus.  Auf 
S.  VM  ist  ad  coream  benetlicemlam  in  Sabbatho  sancto  folgendes  Ge- 
ltet vorgi^sohrielKMi :  et  pro  dementissimo  rege  N.  coniugeque  eius  ac 
filiis  ounoto«iuo  oxervitu  Franoorum  quiote  temponim  concessa  etc.  — 
ein  lU'Wois.  dass  dieser  (.Vnlex  vor  Horstellung  dos  abendländischen 
Kaisertluuns  anjioferiigt  ist.  Wahrscheinlich  "St  dieses  jenes  berfthmte 
(5eM,  welches  die  Bischöfe  auf  der  SyncKie  von  Düren  77l>  für  tlen 
Koiiig,  seine  Kanülie  und  das  könisiliche  Heer  verorvlnet  haben  *\  Das- 

3^  Vjjl.  Siv'kol*  WwW  ülvr  vlto  rr»,-.:r.Ji»K  d.T  Kan>l-.rc>»r  r-hrt  dea  »lara 
jjt'lu»rij;vii  JH>hriftt*fv*l«  »us  vh-m  Naol'.Usso  xon  l'.  K.  tos  Korv.     Wi^n  1*71. 

S>  I.Ktiiv^^  «on».  od«rr  VielTAUoh*  «r-d  AIwrthüx*r  d#r  nthol.  Kiiche 
l.u«fru   ISll.  4    Ih    S.  TiV. 

4^  Im  J«hr\«  IS;;*,»  w.irvU«  »IwscUv  «-.sf  Uho:r.jk".  r.vvh  «■.:fbow^hrt:  wo  sie 
.iot't   Iwiilit,  »*t  nur  »ü'.K'iwä'.'.'.h. 

.N>  Tort-  M»'tc.!w»  ».;  "lOjt  l.  .<0  V^^;iViit>T  i«rv>  rv^.'  tt  <:\-rc:t ;  eius  hac 
luttAuti  tnlniUtioux*  a  nJolitu»  lu  v»r*tuK!Vu*  oJ  {•«•?*o»>—.*  rVv  *'.:ppl:caadiim 
•tl    V|{1    m'v'li  NX.iit'.   Vci!*»»in'|S»sv»\V'v'.<o  lU.  S.>!  r» 


ErkÜruag  zweier  alluhristUcher  Grabschrirten  in  der  BUftskirohe  su  Aachen.     117 

8clbc  hatte  zum  Zweck,  in  jener  bedrängnissvollen  Zeit,  wo  Spanien, 
Sachsen  und  Pannouien  sich  gegen  Karl  erhoben,  die  Gnade  und  Ilillfe 
des  Himmels  für  Karl's  Sache  herabzuflehen.  Mit  diesem  Gebet  stimmt 
hinsichtlich  der  Schrift  ein  breviarium  apostolorum  üUerein,  welches 
die  Handschrift  enthält  und  wovon  die  Herausgeber  eine  Schriftprobe 
niittheilen;  dieselbe  ist  dem  Werke  I.e.  S.  760  beigefügt.  Diese  Schrift- 
tafel nun  trägt,  wie  Jeder  auf  dem  ersten  Blick  erkennt,  dcnsellicn 
Schriftcharacter,  wie  unsere  Inschrifttafi-I;  es  linden  sich  nur  wenige 
und  unbedeutende  Verschiedenheiten  in  den  Nuancen  der  Buchstaben. 
Dadurch  ergibt  sich  aber  die  Folgerung  von  selbst,  dass  auch  die  In- 
schrjfttafel  vor  dem  Jahre  7110  geschrieben  sein  nmss.  Noch  näht-r 
vfcrden  wir  dem  wirklichen  Abfassungsjahr  derselben  auf  die  Spur 
l(ommen,  wenn  wir  die  zweite  Frage,  welche  den  Ort  der  Abfassung 
betrifft,  beantworten. 

Wir  wissen  bereits  aus  dem  Werke  von  Ferdinand o  Ughello, 
dass  dei"  h.  Spes  Bischof  von  Spoleto  gewesen,  und  unsere  Untersuchung 
hat  ergeben,  dass  derselbe  c.  4(»0  gestorben  sei.  Ist  aber  dieses  der 
Fäll,  dann  weist  die  luschiifttafcl  durch  die  Worte:  Accipite,  Öancti, 
vobis  venerabile  digntinuiuc  miuestrium  etc.  deutlich  darauf  hin,  dass 
sie  zu  Spoleto,  vielleicht  vom  dortigen  Bischöfe  selbst,  geschrieben  sei; 
denn  dieselbe  gehört  zu  den  Gebeinen  des  h.  Spes,  ihr  Inhalt,  sofern 
den  Heiligen  betrifft,  ist  eine  wörtliche  Reproduction  der  Grab- 
chrift  desselben  auf  dem  ursprünglichen  Sarcopbagc  in  Spoleto;  auch 
documentirt  sie  durch  das  Wort  accipite,  dass  sie  bei  Ucbergabe  der 
heiligen  Gebeine  mit  übergeben  worden  sei.  Vielleicht  aber  die  treffendste 
Illustration  zu  dem  Gesagten  bieten  die  Jahrbücher  Einharts').  Der- 
selbe erzählt  nümlich,  als  König  Karl  im  Frühlinge  des  Jahres  77ft  zu 
Conipcudium  (Compiegne)  gewesen  und  von  da  auf  seiner  Heimreise 
nach  Austrasien  bis  zu  seinem  llofgute  Virciniacum  (Vcrcj  bei  Rheims) 
gekommen  war,  da  sei  der  Herzog  Hiltibraud  von  Spoleto*)  vor  ihm 


1}  Aunal.  Eiuharti  ad  a.  779. 

2)  Nach  dorn  Sturiso  des  Longobardea-Königs  Dcsidcriua  ballcu  mebro 
Städte  desselben,  z.  B.  Spoleto,  Rcata  u.  a.  deu  Pabüt  aiiascbltcsslicb  alu  ihi-cii 
Herrn  und  Beherracber  anerkannt,  ihm  Treue  geschworon  mid  sich  in  der  PerHon 
des  erwälinten  Hiltibraud  einen  Herzog  crwähltj  der  vom  Pabste  boalätigi  wurde. 
(Anastas.  üb.  pnntif.  vitalladriani  ed.  Vignoli  II.  p.  186.)  Karl  biess  dieae  Aiiord- 
nang  bei  seiner  Anwesenheit  in  Italien  im  Jahre  776  gut.  Nacbdoni  derselbe 
aber  ins  Frankenland  zurückgekehrt  war,  entzog  sich  Hiltibraud  der  Pabatlicben 
ObcrLerrsohaft   und  ewar    in    ofTener  Auflehnung   gegen  dieselbe.      Es  bildete 


118    Erklärung  sweier  altchrisUicher  GrabBohrifteu  in  der  Stiftskirebe  su  Aaoh«n. 

erschienen  und  habe  ihm  grosse  Geschenke  gebracht.  Welcher  Art 
diese  Geschenke  gewesen,  wird  nicht  gesagt.  Da  aber  in  jener  Zeit 
hl.  Reliquien  allgemein  zu  den  kostbarsten  Geschenken  gerechnet  wurden 
und  namentlich  Karl  der  Gr.  dieselben  vorzflglich  liebte,  so  dass  die 
Herrscher  von  Byzanz  und  der  Patriarch  von  Jerusalem  durch  solche 
die  Gunst  und  das  Wohlwollen  desselben  zu  erlangei^  suchten,  so  ist 
es  wohl  annehmbar,  dass  der  erwähnte  Herzog,  dem  die  Gunst  des 
fränkischen  Königs  bezüglich  seines  Herzogthums  eine  Existenzfrage 
war,  demselben  bei  dieser  Gelegenheit  jene  Reliquien  geschenkt  habe, 
welche  die  in  Rede  stehende  Pergamenttafel  beschreibt  Letztere  dient« 
in  diesem  Falle  zweifelsohne  als  schriftliches  Document  für  die  Echtheit 
derselben. 

Hiemach  fällt  der  Ursprung  der  Inschrifttafel  ins  Jahr  779,  was 
mit  dem  vorhin  Gesagten  vortrefflich  abereinstimmt. 

Aachen,  den  10.  September  1877 

Ganonicus  Dr.  Kessel. 

sich  nämlich  unter  den  Herzogen  von  Friaul,  Beoevent,  Cbiusi  u.  a.  eine  Ver* 
schwörung  und  nach  den  Briefen  Hadrian's  zu  urtbeilen,  gehörte  auch  Hiltibrand 
zu  den  Verschworenen.  Die  Yerachwörung  aber  hatte  nichts  Geringeres  zum 
Zweck,  als  den  Pabst  gefangen  zu  nehmen  und  den  Thron  der  Longobarden 
wieder  herzustellen ;  zum  künftigen  Könige  war  Adalgis,  der  Sohn  des  gestürzten 
Disiderius,  ausersehen.  Der  Pabst  theilte  die  Sache  sofort,  nachdem  er  sie  er- 
fahren hatte,  dem  Könige  Karl  mit  und  bat  ihn  um  schlounigo  Hülfe.  Hiltibrand 
aber  scheint  das  Gefahrliche  des  Unternehmens  rechtzeitig  erkannt  und  sich  von 
den  Verschworenen  zurückgezogen  zuhaben;  denn  süs  Karl  noch  im  Winter  dos 
Jahres  776  mit  einer  auserlesenen  Schaar  (strenuissimum  qucmquo  secum  ducens) 
nach  Italien  aufbrach  und  den  Herzog  von  Friaul,  Rotgaud,  die  Seele  der  Yer- 
schwörung,  unschädlich  machte,  blieb  Hiltibrand  ungestraft  in  seinem  Herzogthum 
Spoleto  und  wir  hören  auch  nicht,  dass  er  sich  dem  Kaiser,  wie  die  andern 
Städte  unterworfen  habe.  Dass  er  in  Folge  dessen  vor  seinen  Feinden  einen 
schwierigen  Standpunkt  haben  mochte,  ist  erklärlich,  und  wir  begreifen  voll- 
kommen, warum  er  noch  im  Jahre  789  so  sehr  bedroht  war,  sich  der  Gunst  des 
fränkischen  Königs  zu  versichern,  indem  er  persönlich  die  weite  Roiso  über  die 
Alpen  machte,  um  demselben  »grosse  Geschenke*  zu  bringen. 


Der  ILiog  des  Doctoi-  Ypooras. 


119 


9.   Der  .,R]rig"  des  Doctor  Ypocras. 

Höchst  aDzielieod  in  Wort  unJ  Schrift  hat  Kinkel  uns  den 
Quacksalber  der  Osterkoniödie  des  14.  Jalirhunderts  vorgeführt.  Nur 
den  Ring,  welchon  er  auf  der  linkea  BriisLscite  an  einem  GriflF  in  der 
liand  hält*)>  l'fss  er  unerklärt.  Ich  erlaubte  mir,  Kinkels  Aufiorde- 
rung  in  seinem  Bunner  Vortrag  vom  0.  Üec.  lS7ö  niichkouimcnd,  meine 
Meinung  dahin  abzugeben,  der  Ring  sei  ein  Vcrgrösserungsghvs,  dessen 
sich  der  salbenreibende  Doctor  zum  Prüfen  seiner  Schminke  bedient. 
Das  steht  fest,  VergrösiseruDgsgläser  (Loupen)  werden  beim  Bereiten 
von  Salben  vielfach  genaiiDt.  Die  Pharniakopüen  der  Schweiz  und 
Norwegens")  verlangen  noch  heute  von  der  Grauen  Quecksilbersalbe, 
dass  eine  Loupe  kein  unzerriebenes  Kügelchcn  des  Metalls  in  ihr  dürfe 
erkennen  lassen ;  i^  .  .  .  .  donec  t?lobuIi  Hydrargyri  amiuto  Oümlo  üi'rni 
neqneanta  . .  sagt  letztere  auf  S.  276.  Und  die  Editio  VII.  der  Prcussischen 
Pharmakopoe  von  1SÜ2  bestimmt  von  dem  nämlichen  Präparat  auf  p.  215 
»Sit  coloris  ....  liydrargyri  globulis  oculo  inermi  non  distinguendis«,  und 
von  dem  Emplastrum  llydrargyii  auf  p.  54  rtoado  nonarmato  globuU  con- 
spicul  sint  nulliu.  Es  sollte  das  offenbar  die  Apotheker  gegen  die 
hergebrachte  Sitte  der  amtlichen  Revisoren  .schützen,  ihre  Präparate 
mit  der  Loupe  in  der  Hand  zu  beurtheilen.  Die  Deutsche  Pharmacopöe 
voüi  Jahre  1872  hat  diese  Bestimmung  sich  angeeignet,  was  darauf 
hinweist,  dass  noch  jetzt  bei  der  Revision  der  Salben  das  Vergrüsse- 
iTiügsglas  in  übereifrigem  Gebrauch  ist. 

Wenn  Ypocras  von  seiner  Schminke  sagt 3)  nir  ist  nicht  geliehen, 
so  musste  die  Verreibuog  des  scharfkörnigen  Zinnobers  mit  dem  Fett 
eine  höchst  feine  sein,  damit  nicht  einzelne  Stückchen  von  der  Wange 
herab  verrätherisch  durchleuchteten.  Zu  venn'nthen  ist,  dass  die  mit- 
telalterlichen Quacksalber  beim  ö^Teutlieheu  Anpi'eiscn  ilircr  Waarc  den 
demonstrativen  Gebrauch  der  Loupe  gerade  als  Zugmittel  in  den 
Vordergrund  stellten. 

Der  Einwurf  dass  man  zur  Zeit  der  ^Vollreifen  Gothik  des  14.  Jahr- 
hunderts«   die  Anwendung  der    Gläser  zum    deutlichem  Sehen    nicht 


1)  Dieee  Jahrb.  1877.  LX.  Taf.  V.  Fig.  2.,  und  S.  131. 

2)  Nach  B.  IlirBoh,  Dio  Prüfung  der  Arzneimittel,  mit  Rücksicht  auf  die 
wichtigsteo  europäisoben  PbarmacopöeD.  II.  Berlin  1870.  S.  1373.  —  Vgl.  ferner 
ebenda  I.  S.  533. 

8)  DLeae  Jahrb.  Heft  LX.  S.  126. 


120  Der  Bing  des  Doctor  Ypocras. 

kannte,  wird  zuerst  beantwortet  durch  eine  Stelle  bei  Plinius.  Er 
schreibt  in  Nat  Hist.  lib.  XXXVII.  cap.  V.  (Ausg.  Lugd.  Bat.  et  Rotterd. 
1669):  »Nero  Pnnceps  gladiatorum  pugnas  spectabat  smaragdo«. 
Einige  Zeilen  vorher  heisst  es:  »—  plerumque  et  concavi  (smaragdi), 
ut  Visum  a)Uigant  ....  Quorum  vero  corpus  extensum  est,  eadcm, 
qua  specula,  ratione  supini  imagines  rerum  reddunt«. 

Eine  gute  Ueberschau  dieses  Gegenstandes  gibt  anknapfend  an 
die  Notiz  des  Plinius  neuerlichst  Aug.  Hirsch  in  seiner  Geschichte 
der  Ophthahnologie*).  Im  Mittelalter,  sagt  er,  wurden  für  diesen  Zweck 
auch  andere  durchsichtige  Steine  (berilli)  und  Glas  in  Gebrauch  ge- 
zogen, die  Erfindung  des  dann  später  mit  dem  Namen  Berilli  =  Brillen 
bezeichneten  Instrumentes  fällt  höchst  wahrscheinlich  in  das  Ende  des  13. 
Jahrhunderts ;  in  dem  Wörterbuch  der  Academia  della  crusca  heisst  es  bei 
dem  Worte  »occhialea,  dass  Bruder  Jordan  da  Rivalto,  der  1311 
in  Pisa  gestorben,  in  einer  im  Jahre  1305  abgefassten  Sammlung  voü 
Predigten  seinen  Zuhörern  mittheilt,  es  sei  noch  nicht  20  Jahre  her, 
das  Augengläser  (occhiale)  erfunden  wären ;  und  in  einem  im  Besitze 
von  Redi  gewesenen  Manuscripte  vGoverno  della  famiglia  di  Scandro 
di  Pipozzo«  vom  Jahre  1299  findet  sich  folgende  Stelle:  »mi  truovo 
cos^  gravoso  di  anni,  che  non  avei  valenza  die  leggcre  e  scrivere  senza 
vetri  appellati  ohiali  truovati  novellamente  per  la  commodita  delli 
poveri  veki  quando  affiabolano  del  vederea. 

üeber  den  Erfinder  selbst  herrscht  übrigens  Dunkel.  Wie  Volk- 
mann*) in  seinen  Nachrichten  von  Italien  mittheilt,  trägt  der  Grab- 
stein eines  im  Jahre  1317  verstorbenen  Florentiners  Salvinus  Ar- 
m  a  t  u  s  folgende  Inschrift :  »Qui  giace  Salvino  Degli  Armati  —  inven- 
tore  degli  occhiali;«  von  Andern  wird  Alcssandro  Della  Spina, 
Predigermönch  in  Pisa,  wo  er  im  Jahre  1313  starb,  als  Erfinder  der 
Brillen  bezeichnet,  von  einzelnen  Seiten  allerdings  mit  dem  Bemerken, 
dass  er  bei  Jemand,  der  aus  dem  Instrumente  ein  Geheimniss  machte, 
eine  Brille  gesehen  und  nun  durch  eigenes  Nachdenken  auf  die  Con- 
struction  derselben  gekommen  sei,  Brillen  angefertigt  und  an  viele 
Leute  vcrtheilt  habe.  Im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  scheint  der 
(icbrauch  der  Brillen  bereits  ganz  allgemein  bekannt  gewesen  sein; 
die  früheste  Nachricht  hierüber  findet  sich  beiGordon,  der  im  ersten 

1)  In  A.  üräfo  und  Th.Sämiscb,  llandb.  der  ges.  Augenheilkunde.  VII. 
1877.   S.  309. 

2)  Th.  I.  S.  542. 


Der  Bing  des  Dootor  Ypocras.  121 

i>ecenDium  des  14.  Säe  in  Montpellier  als  Professor  der  Medicin  thätig 
war ;  bei  Empfehlung  eines  CoUyriums  gegen  Sehschwache ')  fügt  er 
hinzu:  »est  tantae  virtutis  quod  decrepitum  faceret  legere  literas  mi- 
nutas  sine  ocularibus«,  und  sein  Zeitgenosse  Guido  bemerkt')  bei  £m- 
pfelilung  verschiedener  Collyrien  gegen  debilitas  oculorum,  »et  si  ista 
noo    Talent,  ad  ocularios  yitri  aut  bcrilloi'um  est  recurrcndumu. 

Alias  das  setzt  einige  Fertigkeit  auch  im  Schleifen  der  Gläser 
and  Sterne  voraus,  und  der  Künstler  aus  dem  14-  Jahrhundert  war 
demnach  gewiss  in  der  Lage,  seinen  Ypocras  mit  der  Handbrille,  die 
dessen  Gewerbe  entsprach,  zu  versehen. 

Bonn,  im  December  1877.  C.  Binz. 


1)  Liliam  modic.  Part.  IIL  cap.  5.    Lugd.  1674.  S.  284. 

2)  Chirurgia  magna.  Tract.  vi.  Lugd.  1672.  S.  3S6 


11.   Litteratnr. 


1.  Giancai-lo  Cunestabilu,  Di  un  Anello  Et^'usco  in  argunto 
della  collezione  Strozzi  in  Firenze;  Auszug  aus  den  „Me- 
moire della  R.  Accademia  dci  Lincci,  CGLXXIV".     Roma  1877. 

Wenn  wir  mit  obigem,  kaum  9  Seiten  umfassenden  Schriftchen  unsere 
Besprechung  der  neu  erschienenen  Litteratnr  der  klassischen  Archäologie 
eröffnen,  so  erfüllen  wir  damit  zugleich  eine  Pflicht  dankbarer  Erinnemng 
an  den  erst  in  vorigem  Jahre  dahingegangenen  Verfasser,  der  nicht  nur 
wie  kaum  ein  zweiter  seiner  Landsleute  auf  dem  Gebiete  des  etmskischen 
Alterthums  thätig  und  bewandert  war,  sondern  auch  als  langjähriges  Mit- 
glied unseres  Vereins  bewiesen  hat,  wie  sehr  er  den  Zusammenhang  mit 
den  deutschen  Archäologen  zu  schätzen  wusste.  —  Wer  die  Zustände,  in 
welchen  die  klassische  Archäologie  in  Italien  befangen  ist,  kennt  und  weiss, 
mit  welchen  Schwierigkeiten  ihre  Vertreter  gegenüber  der  materiellen  Rich- 
tung der  Geister  zu  kämpfen  haben,  der  wird  seine  Achtung  den  Männern 
um  so  wehiger  versagen,  welche  unbeirrt  ihrem  Forschungstriebe  nach- 
gingen und  von  dem  Bewusstsein  durchdrungen  waren,  dass  auch  das 
kleinste  Fragment  der  antiken  Kunstproducte  fähig  sei,  ganze  Gebiete  des 
Alterthums  aufzuhellen,  wofern  es  nur  selbst  erst  in  das  klare  Licht  einer 
methodischen  und  erschöpfenden  Untersuchung  gerückt  sei.  Die  letzte 
Arbeit  Gonestabiles  bietet  einen  sprechenden  Beleg  für  diese  Gesinnung. 

Vor  etwa  40  Jahren  tauchte  in  Italien  im  Besitze  eines  venezianischen 
Kaufmannes  ein  silberner  Fingerring  (abgebildet  S.  3)  von  0,022  m.  Durch- 
messer und  50  gr.  Gewicht  auf,  welchen  der  Marchcse  Strozzi  in  Florenz 
alsbald  erwarb.  Der  Ring  trägt  in  der  Mitte  einen  Carneol  und  in  dem- 
selben eingeschnitten  das  ßildniss  des  Sonnengottes,  mit  erhobenen  Händen 
auf  einer  Quadriga  stehend  (e.  f.\  deren  Pferde  bei  aller  Rohheit  der  Dar- 
stellung als  in  vollem  Galopp  dahinsprcngend  dargestellt  sind.     Die  Innen- 


Giancarlo  Cunostabile*.  Di  un  AneUo  ia  argenio  etc. 


128 


pferde  wenden  In  der  bekannton  typischen  Weise  die  Eöpfe  nach  innen. 
R.  TOD  dieser  Darstellung  beiludet  sich  in  lüterthüinlicliäQ  etruskischeu 
Bachstaben  die  von  Cone stabile  als  LVCMEV  (linkslüufig)  gelesene  In- 
Bchrifl  und  1.  davon  eine  zviroitc  VALISIC  ebenfalls  linkaläußg  geschriebene, 
deren  Lesang  jedoch  erst  bei  einer  horizontalen  Drehung  des  ßinges  mög- 
lich wird,  so  dass  auf  diese  Weise  der  linksläufige  Charakter  der  Schrift 
auf  daa  entschiedenste  gewahrt  bt.  In  dem  ersteren  der  beiden  Namen 
erblickt  der  Verfaßser  die  vielleicht  nordetrubkischo  Form  —  dass  der  Ur- 
sprung des  Ringes  wirklich  Norditalien  sei,  erscheint  durch  seine  Provenienz 
ftls  gesichert  —  des  bekannten  LTCVMV,  eines  Wortes,  daa  nichb  nur  als 
Vorname  (vgl.  das  lut.  LVGius)  überaus  gewöhBlich  auf  etruskischeu  Denk- 
mälern ist,  sondern  auch  auf  das  engste  durch  die  Wurzel  LVG  (leuchten) 
mit  dem  für  die  höchste  etruskische  Obrigkeit  üblichen  lateinischen  Namen 
des  Laoumones  zusammenhängt.  Hieran  knüpft  nun  der  Verfasser  eine 
interessante  Bemerkung.  Er  behauptet,  doss  in  der  bildlichen  Darstellung 
des  Sonnengottes  (als  des  ,J<euchtenden")  gleichsam  die  figürliche  Ueber- 
setzuDg  des  dabei  stehenden  Wortes  LVCMEV  enthalten  sei,  der  Hing  daher 
das  Abzeichen  eines  Lucumonen  gewesen  sein  ojüsse^  und  die  Bedeutung 
des  Wortes  durch  die  bildliche  Darstellung  sicher  gestellt  werde.  Diese 
Vcrmuthuug  hat  etwas  sehr  ansprechendes.  Weniger  allgemeinen  Beifall 
wird  vielleicht  die  Erklärung  des  zweiten  Wortes  ,,ValiBic"  finden,  das  der 
Verf.  nicht  als  Familiennamen  sondern  als  Ortsbozeicbiiuug  aufzufassen  ge- 
adigt ist.  Indem  er  nämlich  von  der  Behauptung  ausgeht,  dass  nach  der 
loTasion  der  Kelten  sich  in  Norditulien  auch  keltische  Einilüaso  neben  der 
eiruskischen  Kultur  geltend  gemacht  haben  müssen,  erkennt  er  in  der  En- 
dung -ic  des  Woiics  dns  keltische  -iacus  oder  -acus  (vgl.  Divitiacua, 
Caratacus,  Dumnacus,  Segontiaci)  entsprechend  dem  mitteletruskiscfaeu  -ch, 
'  c  (vgl.  Rumacb  =  Romanus,  Veknacb  =  Volsinieusis,  Cusnach  =  Cosanns) 
wieder  und  meint,  dass  in  dem  Valisic  des  Lucunionenringes  die  Bezeich- 
oung  eines  Ortes,  den  man  vielleicht  in  Gallia  Trauspadana  aufzusuchen 
habe,  stecke.  —  Man  sieht  leicht  ein,  dass  der  ganze  geistreiche  Er- 
klftrnngs versuch  mit  der  Lesung  steht  und  fällt,  und  es  ist  daher  von 
Wichtigkeit,  dass  Conestobile  im  Stande  ist,  den  Einwurf  Fabretti'B, 
die  Inschrift  müsse  vielmehr  LIKMEV  VALISK  gelesen  werden,  wie  uns 
sefaeint,  mit  triftigen  Gründen  zurückzuweisen  und  an  seiner  Lesung  festzu- 
halten. Am  Schlüsse  seiner  Abhandlung  titeilt  der  umsichtige  Verf.  auch 
die  Ansicht  Gamurrini's  mit,  dessen  übrigens  für  die  Deutung  unwichtige 
Lsiang  LVCMES  VALISIC  entschieden  falsch  ist,  der  aber  doch  in  seiner 
Auffassung  des  VALISIG  mit  Conostabile  übereinstimmt  und  in  dem  er« 


124    .  Ad.  Michaelis:  Die  Bildnisse  des  Tbukydides. 

sten  Theile  des  Wortes  sogar  das  lat.  „vallis",  welches  nachweislicb  (Fa- 
bretti,  G.  J.  I,  I,  Y)  auch  im  7.  Jahrhaudert  in  Italien  „Yalis**  ge- 
schriebeu  wurde,  wiedererkennen  will. 


2.  Ad.  Michaelis,  Die  Bildnisse  des  Thakydides.  Festschrift  der 
Universität  Strassburg  zur  vierten  Säcularfeier  der  Universität  Tflbin- 
gen.     Strassb.  1877.     Mit  2  Tafeln  und  2  Holzschnitten. 

Bei  der  Dürftigkeit  des  wirklich  kritisch  bearbeiteten  Materials  der 
antiken  Ikonographie  ist  jeder  nene  Beitrag  dazu  sehr  willkommen,  doppelt 
willkommen,  wenn  er  aas  so  umsichtiger  und  gewissenhafter  Hand  wie  die 
Michaelis^  dargereicht  wird.  Ein  sicher  beglaubigtes  Abbild  des  grösstmi 
griechischen  Historikers  war  bis  jetzt  ein  frommer  Wunsuh  gewesen,  denn 
die  insobriftlich  dem  Thukydides  zugesprochene  Neapler  Doppelherme, 
deren  andere  Hälfte  den  Kopf  des  Herodotos  aufweist,  hat  sich  keiner  be- 
sonderen Beachtung  erfreuen  dürfen,  einmal,  weil  die  Aechtheit  der  In- 
schrift angefochten  worden  ist  und  femer  weil  der  Kunstwerth  des  Portraits 
überhaupt  nicht  allzu  hoch  anzuschlagen  war.  Das  gegen  die  Inschrift  er- 
hobene Bedenken  weist  Michaelis  wie  uns  scheint  mit  vollstem  Rechte 
zurück.  Aus  der  Yerschreibnng  zweier  Buchstaben  (bei  dem  Namen  des 
Herodot)  folgt  noch  keine  Unächtheit.  Unsere  modernen  Urkunden  in 
Schrift  und  Stein  —  man  vei^leiohe  z.  B.  die  Inschriften  unserer  Grabsteine 
—  überragen  die  antiken  an  Genauigkeit  wahrlich  nicht  allzu  sehr. 
Entscheidend  übrigens  für  die  Aechtheit  der  Inschrift  ist  vor  allem  der 
paläographische  Charakter  des  K.  Die  Doppelbüste  selbst  lösst  sich  mit 
einiger  Wahrscheinlichkeit  bis  in  den  zwischen  den  Jahren  1570 — 1598 
liegenden  Zeitraum,  in  welchem  sie  Fulvio  Orsini  erworben  haben  wird,  su- 
rückverfolgcn.  Was  darüber  hinausliegt,  entzieht  sich  jeder  Gontrole,  und  wenn 
der  Herr  Verf.  die  Umgegend  Tivoli's  als  Proveuieuz  der  Büste  wahrschein- 
lich zu  machen  sucht,  so  kann  seine  Deduction  doch  nicht  als  mehr  denn  ein 
dankensworther  Beitrag  zur  Mnseographie  gelten.  Uebrigens  ist  die  ganze 
Frage  nach  der  Herkunft  der  Neapler  Büste  nicht  von  sonderlichem  Belang. 
Hauptsache  ist,  dass  wir  in  der  von  Michaelis  entdeckten,  in  Italien  er- 
worbeneu englischen  Büste  des  Schlosses  Holkham  (Grafsch.  Norfolk),  eine 
weit  bessere  Wietlorholung  des  Neapler  Thukydidesexemplares  besitsen. 
Michaelis  war  so  glücklich,  die  Gipsabgüsse  beider  Exemplare  mit  ein- 
ander vergleichen  zu  können,  und  so  darf  seine  Eutdeckimg  wohl  nicht  an- 
goxweifelt  wonleu.  Die  Darlegung  des  Verhältnisses,  in  welchem  beide 
Büsten  zu  einander  stehen,  besonders  aber  der  stilistischen  Eigeuthümlich- 


Adolf  Michaelis:  Dio  Bildnisse  des  Thukydidea. 


125 


keit  dea  englischen  Exempl&re,  bildet  dann  den  zweiten  Haupttheil  der  Ab- 
handlang,  die  auch  knnstgeBchicbtlich  zu  mancherlei  anregenden  Bemerkun- 
gen Veranlassung  bot.  Indem  der  Verfasser  den  Charakter  der  „FantaBiepor- 
traits"  der  hellenistischi-n Epoche  analysirt,  Poitraits,  in  donen  «ich  „maleri- 
acher  Effect  und  ein  natnralisti.tcher  Sinn  itir  die  {üuschende  Darstellung  alles 
Aeueserlichen"  vereinigen '),  indem  er  ferner  den  stilistischen  Gegensatz  des 
älteren,  strengeren  und  sich  mehr  auf  das  wesentlichste  beschränkenden 
Portraits  von  den  Bildnissen  dea  Pcrikles  an  bis  zu  denen  dea  Euripides 
hei-vorbebt,  kommt  er  dazu,  der  Thukydidephrnno  den  Platz  am  Schlüsse 
jener  älteren  Reihe  anzuweisen.  Damit  würde  die  Büste  nicht  nur  zeit- 
lich der  Lebenszeit  dea  Geschichtschreibcrs  naliegerückt,    sondern  auch  dio 

rKöglichkeit  gegeben  sein,  dass  in  ihr  eine  wirkliche  Tradition  von  dem 
Aeusseren  des  Mannes  steh  erhalten  habe.  Dass  das  von  Michaelis  an- 
jene  Citat  dos  Marcellinus  dazu  nicht  gerade  einen  Beleg  bildet,    dar- 

nbber  darf  man  sich  trüaten,  so  lange  überhaupt  ein  klarer  Sinn  in  die  bf- 
treffenden  Worte  nicht  gcbrncht  werden  kann.  Spcciell  in  dem  englischen 
Exemplare  will  Michaelis  den  Charakter  eines  ßronzeoriginala  erblicken, 
and  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Büste  wirklich  auf  das  pherne 
Standbild  dts  Tliukydides,  welches  später  nach  dem  Zeuxippos  von  Konstanti- 
nopel  verschleppt  war,  zurückgeht.  Der  ITr.  Verfasser  ist  vorsichtig  genug, 
diesen  z;weifelhftften  Pnnkt  eben  nur  leise  anzudeuten,  aber  das  können  wir 
ihm  xngestehen:  „ein  Zn.saTOuitnbang  zwischen  der  erhaltpupn  Rüste  und 
jener  Statae  ist  immerhin  mügUcb''. 


3.  IT.    Brnan.     Die  Scnlptnrcn  von  Olympia.     München  1B77. 

So  mancherlei  iinch  in  TagesbläWern  und  wiaBenschafllichen  Zeitschriften 
über  die  Fnnde  in  Olympia  geschrielien  worden  ist,  sind  wir  doch  bei  den 
liistorischen  Erört.enuig*:ti  und  Reconutructiotisveisttclion  der  Gicbetffrappen  ku 
einer  aeslhetischen  Würdigung  des  gesn  turnten  Fun  da  toff  es  noch  nicht 
gekommen.  Der  Hr.  Verf.  obiger  Schrift  iai  ei>,'oiitlich  der  erste,  welcher 
mit  gewohnter  Meisterschaft  eine  eingehende  künstlerische  Analyse  der 
Denen  Olympischen  Moniimente  vornimmt.  Nach  seinen  Auseinandersetzungen 
aber  „raicnios  und  die  nordgriechiacho  Kunst"  durfte  man  die  Rcsultato 
seiner  neuesten  Untorsuchung  fast  voraussehen.  Was  dort  nur  mehr  au- 
dentend  ausgesprochen  werden  konnte»    scheint  sich  ihm  jetzt  vor  d^n  neu 


1)  Zum  Belege  dafür  mag  auch  auf  die  in  der  Arcb.  Ztpf.  XXXV,  Taf.  9 
loltannt  geinachlo  und  ala  Portrait  des  Königs  Pyrrboa  in  Anspruch  genommene 
fiiiste  hingewiesen  werden  (vgl.  ebendaa.  S.  74). 


126  H.  Braon:  Dio  Soalptaron  von  Olympia. 

entdeckten  Werken  selbst  zu  zweifelloser  Oewissheit  zn  gestalten.  Indem  er 
die  Figuren  AeB  Ostgiebels  stilistisch  auf  das  schärTste  analysirt,  kömmt  er 
dazu,  den  „Mangel  speoifisch  plastischer  Gesetzmässigkeit"  die  „Natfirlich- 
keit'*,  das  „bewusto  Streben  des  Künstlers,  den  malerischen  Gesichtspunkten 
vollkommen  gerecht  zn  werden"  als  das  wesentliche  Merkmal  ihrer  künst- 
lerischen Seite  aufzustellen.  Dasselbe  Prinzip  wird  dann  auch  bei  den  filte- 
ren Metopeu  und  sogar  der  Nike  als  massgebend  bei  ihrer  Gestaltung  nach- 
gewiesen, dio  scheinbare  Abweichung  davon  aher  bei  der  Siegesgöttin  mit 
der  nothwendigen  stilistischen  Differenz  zwischen  Relief  und  freistehen- 
den Figuren  entschuldigt.  Ganz  conscquent  ist  es  demnach  auch,  wenn 
die  stilistisch  diesen  Werken  diametral  entgegengesetzte  Atlasmetope  dem 
Paionios  abgesprochen  nnd  als  ein  „Meisterstück  peloponnesischer  Scalptur, 
das  schönste,  welches  wir  bis  jetzt  aus  der  Zeit  vor  Polyklet  besitzen",  be^ 
zeichnet  wird.  Für  unser»  geistige  Aneignung  der  Kunstwerke  bt  viel- 
leicht nichts  so  fördernd  nnd  fruchtbar,  als  eine  derartige  künstleriBche 
Analyse,  die  historischen  Schlüsse  jedoch,  welche  der  Herr  Yerf.  daraus 
zieht,  vermögen  wir  wenigstens  nicht  zu  acceptiren.  Wo  kämen  wir  hin, 
wenn  wir  aus  der  stilistischen  Differenz  eines  „Sposalizio**  des  Rafael  und 
der  „Vision  des  Ezechicl"  —  da  der  Herr  Verf.  gerade  diese  Werke  er- 
wähnt —  einen  Schluss  auf  die  Lebenszeit  des  Künstlers  machon  wollten? 
Der  Et.  Yerf.  irill  den  Paionios  zn  einem  Vorgänger  des  Pheidias  machen, 
aber  dieser  Schluss  würde  doch  nur  dann  volle  Beweiskraft  haben,  wenn, 
was  bis  jetzt  nicht  der  Fall  zu  sein  scheint,  die  historische  Untersnchnng 
zu  demselben  Resultate  führte.  Dürfen  wir  aussprechen,  wie  uns  das  Ver^ 
hältniss  des  Paionios  zu  Pheidias  erscheint,  so  wäre  es  etwa  dies,  dass  wir 
jenen  mit  Giulio  Romano,  diesen  mit  Rafael  vergleichen.  Warum  sollte  es 
nicht  möglich  sein,  dass  der  Schüler  einen  Zug  des  Meisters  aufgegriffen 
und  einseitig  entwickelt  habe?  Doch  wie  dem  auch  sei,  in  der  Beurthei- 
lung  der  stilistisch  so  neuen  und  unerwarteten  Thatsachen,  wie  sie  die  in 
Olympia  gefundenen  Bildwerke  zur  Diskussion  gebracht  haben,  wird  auch 
die  Schrift  des  Hrn.  Verf.'s  wesentlich  zur  Klärung  der  Frage  beitragen. 


4.  L.  Urlichs,  Bemerkungen  über  den  olympischen  Tempel  und  seine 
Bildwerke.  Neuntes  Programm  zur  Stiftungsfeier  des  v.  Wagner'schen 
Kunstinstituta.     Würzb.  1877.  Mit  1  Tafel. 

Vorliegende  Schrift  behandelt  in  drei  Abschnitten  die  Zeit  der  Er- 
bauung des  Tempels,  Paionios  und  die  Nikeinschrift  und  endlich  die 
neuentdeckten  Bildwerke  selbst.  Das  Resultat  der  Untersuchung  über  die 
beiden   ersten  Punkte   lässt    sich    kurz    dahin    zusammen    fassen:     1.    Der 


L.  ürlicba:  Bemerk.  Qb.  den  olynipiflchen  Tempel  u.  seino  Bildwerke.     127 


olympische  Tempel  ist  nicht,  wie  0.  Müller  aad  Barsian  hehaup- 
teten,  Dach  Ol.  50  oder  52  begonnen,  so  dnss  seine  Bauzeit  mindestens 
100  Jahre  in  Ansprach  genommen  haben  würde,  Bondem  war  erst  i.  J.  470 
in  Folge  oinos  von  den  Eleern  errungenen  Sieges  in  Angriff  genoinraen 
and  nnch  einer  Banzeit  von  höchstens  24  Jahren  etwa  und  44!V  vollendet 
worden.  2.  Als  Veranlassung  f&r  die  Messenicr  und  Naiipukticr  dem 
olympischen  Gotte  eine  Nike  zu  weihen,  hält  der  Verf.  die  Retliciligung 
derselben  hei  der  Erüberung  von  Sphaltteria  oder  viclmohr  die  daran  sich 
flohliessendo  BedrüDguiss  der  Spartaner  im  eigenen  Lande  fest.  Die  Dedikatlon 
dos  Denkmals  fallt  demnach  in  die  Jahre  422 — 420,  und  mit  diesem  Zeit- 
punkt findet  der  Verf.  nicht  nur  die  s.  gen.  Nacheoklidoischc  Form  einiger 
Bachstahon  der  Inschrift  vcioinhar,  sondern  mich  den  Stil  der  Nike  selbst, 
welcher  in  der  schwiingvollon  Bewegung  ein  Motiv  derjenigen  Richtung 
zeigt,  die  von  Skopas  weiter  ausgebildet  ist.  Für  jene  Zeithestininiung  hat 
sich  inzwischen  nicht  nur  Michaelis  ontschiedeii  (Arch.  Zeit.  XXXIV,  170), 
sondern  dieselbe  ist  auch  wie  nns  scheint  durch  Schubrings  eingehende 
Untersuchung  (Arch.  Zeit.  XXXV  59—63)  ausser  Zweifel  gestellt,  und 
damit  endlich  ein  sicherer  Maestab  für  die  Abschätzung  der  Werke  des 
Paionios  gewomiuen.  Die  Deutung  der  axQ(oii^()ta  dagegen  als  „fastigiuni" 
resp.  „Figuren  des  Oslgiebols"  wird  der  Verf.  wohl  aufgeben  müssen;  die 
sprachlichen  Gründe  dafür  sind  nicht  nur  von  Michaelis  (a.a.O.),  sondern 
nachträglich  auch  von  Schubring  (a.  a.  0.  S.  64  f.)  dargelegt  worden.  — 
Nach  der  Fixirung  dieser  ZeitverhültniBse  wendet  sich  der  Verf.  zur  Be-' 
trachtung  der  Bildwerke.  Während  das  Urtheil  über  den  Stil  der  Giehel- 
fignren  sehr  zurückhaltend  ausgefallen  ist,  erscheint  die  Charakterisining 
der  Nike  um  ho  trefTender:  ,,Der  Stil  des  Werkes  ist  originell,  dem  der 
Kiobidin  des  Museo  Chiaramonti  wie  den  Gewnndstatuen  des  Parthenon 
ähnlich."  Der  Felsen,  auf  den  die  Göttin  herabschwebt,  wird  sinnig  als 
der  Kronionhügel  gedeutet,  was  durch  die  erkennbaren  Spuren  des  Adlers 
nuterstQUit  wird.  Der  Meisterschaft,  welche  diese  Arbeit  auszeichnet,  slehen 
die  Giebclßguren  nicht  unbeträchtlicb  nach :  „sie  machen  einen  gcftllligen,  aber 
keinen  idealen  Eindruck".  In  der  Erfindung  leuchten  hie  and  da  die  Vor- 
bilder der  Giebelßgnrcn  des  Parthenon  durch;  unverkennbar  sind  sie  vor 
ollem  bei  den  gelagerten  FlnssgötterD  der  Ecke.  Bei  dem  RecoDstructions* 
versuch  ihrer  Gruppirung  weicht  der  Verfasser  mehrfach  von  den  Angaben 
de»  Pansanias  ab.  Dass  der  sitzende  Greis  (Fig.  6.  der  Ililfstafel),  den 
auch  Treu  (Arch.  Zeit.  XXXIV  zu  Taf.  13)  als  Hippokora  hezeicliiiet,  ein 
Hellanodike  sei,  möchten  wir  doch  bezweifeln,  da  die  sorglose  Stellung  des 
Alten    mit   der  Würde   eines  üelknodikcn    uns    nicht   recht   vereinbar   er- 


118 


R.  Keknle:  GriechiBche  Thonfignron  aus  Tanagpra. 


scheint.  Ansprechender  dünkt  uns  die  Erklärong  der  jüngeren,  mit  anter- 
gelegtem  fieine  hockenden  Fignr  E  (bei  Treu  0  „Hippokom")  als  MjiTtiloa, 
,, welcher  trüben  Sinnes  noch  dem  Kladeos  binach&ute,  wo  eeino  Fahrt  ihren 
Anfang  tiehmon  sollte,  von  dem  Heros  und  seinem  Gespann  abgewendet, 
welche  er  vcrrieth".  Aber  womit  hat  sich  der  Herr  Verf.  gedacht,  den  so 
entstehenden  leeren  Raam  über  dem  sogenannten  Myrtilos  ausiüllcn  zu 
können  ? 


5.  R.  Kckn16,  Griechische  Tbonfiguron  aus  Tanagrn,  im  Auftrage  des 
Kais.  D.  Arch.  Instituts  hcrausgogeben.  Stuttg.  1878.  . 
Der  eriftuternde  Tett  des  Um,  Vcrf.'s  giht  uns  nach  einer  kurzen 
geographischen  und  hiHtoriachen  Einleitung  zunächst  nn  der  Hand  des 
Pseudodikniarcb  wie  des  Pausanias  vorgehend  eine  Schilderung  von  dem 
alten  und  neuen  Tanagra;  wir  hürcn  von  der  Sittenreinheit  seiner  Be- 
wohner, der  äusseren  Erscheinung  der  nöotcrinnen,  sowie  der  Tempel  and 
Kunstwerke  der  kleinen  Landstadt,  für  welche  die  Entdeckung  der  aus 
mehreren  Tausenden  von  Gräbern  bestehenden  Stätte  besonders  seit  dem 
Winter  1875  plötzlich  ein,  wie  man  weiss,  aasBerordentlich  rt^es  Interesse 
hervorgerufen  hat.  Diese  G  ruber  fanden  sich  tbeils  in  den  thonigeu  Boden 
eingegraben,  thdls  in  den  Felsen  eingehaucn,  oft  waren  sie  dachartig  durch 
Thonplatten  zugedeckt.  Ihr  Inhalt  bestand,  abgesehen  von  den  besonders 
zahlreichen  und  schonen  Terracotten,  meist  aus  Vasen,  Lampen,  Gläsern, 
Muscheln,  Schmucksachen  und  vcrschiedooca  Geräthen  aller  Art,  also  Gegen- 
Btändeu,  wie  sie  auch  in  andern  Grübcrn  gefunden  werden.  Außullig  war, 
dasa  die  neben  den  schönen  Terracotten  gefundenen  Vasen,  soweit  aas  den 
durch  die  athenische  archäologische  Gesellschaft  festgestellten  wissenschaft- 
lichen Resultaten  der  Aasgrabnngeu  zu  ersehen  ist,  nur  schwarz  oder 
schmucklos  waren.  Die  Terracotten  selbst  bieten  eine  stofflich  ungemein 
reiche  Auswahl  von  Darstellungen  dar,  uuter  denen  natürlich  die 
genrehaften  die  mythologischen  bei  weitem  übenviegeu.  Stilistisch  zeigen 
sie,  wenn  man  absieht  von  einer  Reihe  sitzender  Fraucnbilder  von  alter- 
thümlichem  Gepräge,  nicht  eben  sonderliche  Unterschiede,  so  dass  der  Hr. 
Verf.  geneigt  ist,  ihnen  allen  einen  kunstgeschicbtlichen  Flatz  zwischen  dem 
3.  und  4.  Jahrhundert  anzuweisen. 

Die  Abbildungen,  denen  besonders  eine  Anzahl  mehr  oder  weniger 
genrehafter  Mädcheofiguren  zu  Grande  gelegt  ist,  dürfen  in  jeder  Beüriehung 
ab  Muster  eleganter  und  sorgHiltiger  Publikationen  gelten.  Unklar  ist  uns 
dabei  nur  der  Ansatz  geblieben,  welcher  sich  an  dem  Kopfe  des  Ball 
schlagenden  Eroten  auf  Tafel  IV  befindet;  auch  der  Text  gibt  darüber  keine 
Auskunft. 


U.  HeydemBnn:  Die  Ko&oho\8pielerin  im  Palaxxo  Colonoa  eu  Rom.     129 


6.    U.  Heydemann:    ,,Dio  Knöclielspiolenn  im    Pnlazzo   Colonna  zu 

Rom."     Zweites  Halliscbes  Winkelmaunsprogratuni.  HaUe  1877.  M.  2 

Taf,  D.  2  Holzschn. 

Die  kleine  Marmorfigur  des  aoiQayctUtovaa  des  Palazzo  Colonna, 
die  bisher  mit  Unrecht  mit  den  übrigen  erhaltenen  DarstelluDgen  von  Knochel- 
spieteripnen  zusammengeworfen  wurde,  erhalt  durch  die  vorliegende  Unt-er- 
snchung  zum  ersteh  Mal  ihren  besondern  Platz  in  der  Kuustgeschichle  an- 
gewiesen. Indem  der  Hr.  Verf  das  Knöchelspiel  der  Alten  in  seinen  ver- 
schiedenen Abarten  untersucht,  stellt  sich  heraus,  dass  sich  dasselbu  nicht 
nur  der  grössten  Beliebtheit  zu  erJreueu  halte,  sondern  in  der  Dichtung 
wie  bildenden  Kunst  geradezu  zu  einem  ,, Symbol  kindlichen  Leichtsinnes 
und  der  sorglosen  glücklichen  Jogt'ndlichkeit  überhaupt*'  geworden  ist. 

Darstellungen  des  Kuöchelspiela  oder  Andeutungen  desselben  finden 
sich  daher  auf  den  verschiedenartigsten  Werken  der  Malerei  wie  in  Rand- 
werken, auf  Vasenbildem,  Wandgemälden,  einem  Sarkophagrelief,  Gemmen, 
Mfinxen,  Terracotten  und  Marmorfiguren,  von  welchen  letzteren  jedoch  leider 
keine  einen  Rückschluss  auf  das  von  Polyklet  geschaffene  kla<iBi8che  Vor- 
bild  der  „Knöchelspielergruppe"  erlaubt.  Sie  gehören  vielitielir  alle  der 
nach  Alexandrinischen  Epoche  an.  Aber  auch  der  in  mehreren  Exemplaren 
erhaltene  Typus  einer  Kuöchelspielerin,  der  eben  deswegen  auf  ein  im 
Alterthume  berühmtes  Original  zurückgehen  rauss,  lilsst  sich  '^leitlJch 
nur  allgemein  fixiren.  Die  ihm  kunstgeschichtlich  am  nächsten  stehende 
Figur  soll  nach  des  Ilru,  Verf.'s  Urtheil  die  zu  Tyndaris  gefundene, 
jetzt  verschollene  Neaplor  Figur  sein,  von  der  uns  der  kleine  Holzschnitt 
auf  S.  3  eine  Anschauung  giebt,  und  welche  der  Hr.  Verf.,  dem  Urtboile 
Gerhards  und  Panofka's  folgend,  in  die  Zeit  des  Praxiteles  zu  setzen 
geneigt  ist;  erat  der  hellenistischen  Zeit  sei  das  genrchafto  Motiv  hadernder 
Knöchelspieler  zuzuwelBen  und  in  diese  Kategorie  müsse  auch  die  auf  Taf.  I 
zum  ersten  Male  pnblicirte  Figur  des  Palazzo  Colonna  gehören.  —  Ea 
fällt  auf,  dass  der  Hr.  Verf.  die  so  nahe  liegenden  Parallele  mit  dem  nea- 
gefundenen  marmornen  Dornauszieher  (vgl.  Monum.  d.  Inst.  X,  XXX)  da- 
bei nicht  berücksichtigt  hat.  Hier  wie  dort  zeigt  sich  das  Bestreben,  eine 
Erscheinung  des  alltäglichen  Lebens  so  scharf  wie  möglich,  auch  uubc- 
kümmert  um  ftuasere  Eleganz,  zu  individualisiren;  daher  bei  beiden  Figuren 
der  bäurische  Gesichtsausdruck,  bei  dem  Müdchen  die  unschickliche,  aber 
durchaus  charakteristische  Entblüssitng  des  rechten  Beines,  hei  dem  Knaben 
die  gleichfalls  gegen  den  Anstand  verstossende,  wenn  auch  fiir  die  Situation 
bezeichnende  Lage  des  übergeschlagenen  Beines  (vgl.  hierzu  die  trefilichcn 
Bemerkungen  von  Robert  ülwr  den  Dornauszieher  Annali  d.  Inst,  arcli. 
>  9 


ISO    L.  Höleertnann:  Lokalfoncb..  die  Krieg«  der  Römer  a.  Franken  betr. 

1876,  p.  124  fr.).  Ist  aber  die  Knöchebpielenn  des  PaIozzo  Colonna  ein 
Prmluct  derselben  Kanstrichtnog  wie  der  mannonie  Dornaoezirber,  »o  liegt 
der  ScbluBB  nahe,  daaa  die  wenige^r  iDdiTidaalJBirten,  daher  aocb  weniger 
genrolmftcn,  aber  eleganteren  Stataett«n  der  KDöchelspielerinnen,  nicht  die 
Vorliluforinnen  jener,  sondern  jünger  sind.  Was  die  verschoUeae  Figtir 
Tön  Tyndariff  betrifft,  »o  reicht  ihre  Abbildung  doch  nicht  bin,  irgend  einen 
Gogonbcweis  gegen  diese  Annabrac  zu  liefern.  Die  übrigen  erhaltenen  Fi- 
guren crkl&rt  aber  der  Hr.  Verf.  selbst  ala  Productc  aas  römischer  Kaiaerzeit. 
Hanibarg.  Dr.  Dütschke. 

6.  Localforachaogen,  die  Kriege  der  Rötner  and  Franken  sowie  die  Bc- 
festignngsiDanieren  der  Germanen,  Sachsen  »owie  de»  späteren  MiUel- 
oUcrs  betreffend,  von  L.  HöUerinann,  Hauptmann  und  Compagnic- 
Chef  im  3.  niederschlesiscben  Infant erie-Regimente  Nr-  50.  Nach 
dessen  Tode  beransgegeben  von  dem  Verein  für  Geschichte  und  Alter- 
tbamsknnde  Westfalens.  Mit  2  Karten  und  51  litbograpbirten  Ztäch- 
nnngen.  Münster,  Druck  nnd  Verlag  von  Friedrich  Regensburg.  187P 

Der  K.  pr.  Hanptnuinn  Hölzermann,  welcher  in  der  Schlacht  bei 
Wörth  den  Heldentod  fand,  hat  in  den  Jahren  1867 — 70  im  Gebiet«  der 
Lippe  Localuntersucbangen,  betreffend  die  römisch-germaniachen  und 
fränkjach-s^hsischen  Kriege,  angestellt,  und  eine  grosse  Zahl  alter  Ver- 
scbanznngen  nntersncbt  und  aufgenommen.  Die  Ergebnisse  dieser  Unter» 
sncbungcn  sind  ans  dem  Nachlasse  des  Verstorbenen  mit  namhafter  Unter- 
stützung Sr.  Excellonz  des  Ministers  der  Geistlichen,  Unterrichts-  und 
Medidnal- Angelegenheiten,  Herrn  Dr.  Falk,  von  dem  Vereine  für  Gepchichto 
und  Alt«rthumskunde  Westfalens  herausgegeben  worden ;  auf  53  gut  aus- ' 
geftlbrten  lithographischen  Tafeln  sind  die  trefflichen  Uölzerinonn'schen 
Zeichnungen  wiedergegeben  und  von  einem  erklärenden  Text«  begleit«!. 
Da  die  Angaben  des  Verfassers  über  alte  Befestigungen  und  die  römisch- 
germaniachen  Kriege  im  Allgemeinen  meist  Auszüge  aus  dem  bekannten 
Werke  des  Generals  von  Peucker  „das  deutsche  Kriegswesen  der  Urzeiten" 
sind,  so  beschranken  wir  uns  in  der  Besprechung  auf  diejenigen  ResnltAte, 
welche  ans  den  eigenen  örtlichen  Untersuchungen  des  Verf.  hervorgegangen 
sind,  nämlich  die  alten  Grenzwehren,  Strassen  nnd  Befestigungen. 

Dio  Untersuchungen  über  die  Grenzwebren  sind,  sowohl  hinsichtlich 
dos  Laufes  als  der  Construction,  im  Ganzen  sehr  dürftig :  Der  Verf.  hat 
auf  der  luiken  Rbeinseite  nur  einzelne  Tbeile  bei  M. -Gladbach  kennen  ge^ 
Wnt,  nnd  auf  der  rechten  bloss  abgebrochene  Stücke  in  den  Umgebungen 
der  Lippe    nntersncht:    weder    ans    den  Ucbersichtskarton    noch    ans    dem 


L.  Hölzermann:  Localforach.,  die  Kriege  der  Römer  und  Franken  betr.    181 


Texta  geht  hervor,  dass  er  auch  mir  eine  einzige  Landwehr  bis  zu  ihrem 
Ende  verfolgt  bat.  So  dankbar  nun  jede  auch  noch  so  kleine  Mittheilung 
über  diese  Anlagen,  bei  der  noch  immer  anhaltenden  Unthätigkeit  in  der 
Erforschung  derselben,  ist,  ao  sehr  müssen  wir  uns  vor  den  aus  einzoluon 
ahgeriflsenen  Tbatsachen  gezogenen  Schlüssen  oder  ganz  allgemein  ohne  De* 
grfiodnng  hingestellten  Behauptungen  verwahren,  wie  sie  der  Verf.  zuweilen 
mit  grosser  Bestimmtheit  ausspricht.  S.  68  z,  B.  heisst  es:  , Dieselben 
(die  Landwehren  der  linken  Rheinseite)  darchschneiden  die  niederrheinische 
Ebene  noch  jetzt  in  mcilenlangen  geraden  Linien,  und  zwar  theils  in  der 
Richtung  West — Ost,  den  Rhein  mit  der  Maas  verbindend,  theils  aber  bo- 
gleiten dieselben  den  Lauf  des  Rheines  in  ziemlich  paralleler  Richtung". 
Wenn  es  schon  unzulässig  ist,  solcbo  weitgreifende  Aussprüche  ohne  jeden 
factischen  Nachweis  zu  thun,  dergleichen  Behauptungen  vielmehr  nur  die 
Schlassfolgerangen  ans  dem  vorher  detaiUirt  dargelegt«Q  Matorial  sein 
können,  so  wollen  wir  anderseits  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  die  von  uns 
auf  Grund  langjähriger  Forschungen  in  die  Generalstabskarten  eingotragenen 
Landwehren  keineswegs  gerade  Linien,  weder  mit  dem  Rheine  parallel  noch 
darauf  senkrecht,  am  wenigsten  den  Rhein  mit  der  Maas  verbindend,  auf- 
weisen, vielmehr  in  geschlossenem  Lanfe  entweder  vollständige  EioBchlüsse 
darstellen,  oder,  wo  sie  nnr  fragmeatarisch  untersucht  sind,  dus  ßestreben 
Beigen,  lolche  Einschlüsse  ^u  bilden.  Die  Landwehren  nördlich  der  Lippo 
glaubt  der  Verf.  zu  dem  Zwecke  angelegt,  einen  Landstrich  zwischen  Hamm 
und  Lippstadt  zu  befestigen  (S.  71),  wobei  er  freilich  die  von  ihm  aufge- 
funden Stücke  nur  so  weit  verfolgt  hat,  als  es  ihm  zur  Stütze  einer  solchen 
Meinung  nöthig  war.  Die  übrigen  dort  vorhandenen  Landwehren  bleiben  un- 
erklärt, dagegen  ist  der  Verf.  geneigt,  die  südwSrts  der  Lippe  vorhandene 
sogen.  Königslaudwehr  mit  dorn  römischen  Marechlager,  der  sogen,  liuumnns- 
burg,  in  Beziehung  zn  setzen  (S.  62).  Wir  haben  auch  hier  wieder  den 
bedenklichen  Fall ,  dass  aus  unvollkommen  erforschten  Tbatsachen  all- 
gemeine Schlüsse  gezogen  werden,  die  für  eine  richtiges  Auffassung  nur  nach- 
theilig wirken  können:  die  von  uns  in  die  Geueraletnhsknrten  gezeichneten 
Landwehren  an  der  Lippe  laufen  bald  dem  Flusse  parallel,  bald  unter  vcr- 
Rchicdenen  "Winkeln  auf  denselben  zu,  und  letztere  überschreiten  öfter  den 
FluBS,  am  sich  mit  den  landeinwärts  vorkommenden  Armen  aa  ver- 
hindeu,  ganz  so  wie  es  aller* arte  in  meilenweit  von  der  Lippe  entlegenen 
Gegenden  der  Fall  ist.  Demoach  kann  den  Landwehren  an  der  Lippe, 
da  sie  sich  weder  in  ihrem  Laufe  noch  der  Construction  von  den  übrigen 
unterscheiden,  ein  besonderer  Zweck  nicht  beigemesHen  werden,  lieber  die 
Bestimmung  der  linksrheinischen  Grenzwehren  können  wir  uns,    soweit 


1S2    L.  Hölsermann:  Localforsch.,  die  Kriege  der  Römor  and  Franken  betr. 

unsere  Uotersuchungeii    big  jetzt   reichen,    mit  dem  Verf.  im  Allgemeinen 
einverstanden  erkl&ren,  wenn  er  (S.  68)  sag^:    „Obgleich  diese  Linien  (die 
Landwehren)   aagenblicklich   hier  und  da   (gewöhnlich  nnr)  theilweise   als 
Grenzen  benatzt  werden,  sind  dieselben  im  Ganzen  doch  derartig  angelet, 
dass  sie  nicht  als  orsprünglicfa  zn  Landes- oder  Bezirksgrenzen  bestimmt  be- 
trachtet werden  können;   vielmehr  geht  ans  der  überall  gleichartigen  Gon- 
atniction  und  ausserordentlichen  Verbreitung  derselben  unzweifelhaft  hervor, 
dass   sie  nach   einem  einzigen  grossartigen  Plane  zum  Schutze  eines  weit- 
ausgedehnten Landstriches   erbaut   wurden.     Hierin    liegt  eine  wesentliche 
Verschiedenheit   dieser  tandwehren  und   der  des  Mittelalters,   welche  ans 
der  willkfirlichen  Anordnung  einzelner  selbstständiger  Bezirke    (st&dtischer 
oder  dynastischer)  hervorgingen."     Wir  wollen  Dem  nur  hinzulagen,    dass 
die  Landwehren  nicht  bloss  den  Zweck  des  Schutzes,  Sondern  auch  den 
der  Begrenzung    der    umschlossenen    Gebiete   hatten,    und    dass   dieser 
doppelte  Zweck  nicht  bloss  den  Grenzwehren  des  linken,  sondern   anch 
denen  des  rechten  Rheinufers,   soweit   sie   bis  jetzt  untersucht  sind,    xa 
Grunde  liegt.  Was  dieConstrnction  der  Grenzwehren  betrifft,  so  finden 
wir  auf  Taf.  VII  u.  VIII  30  Profile,    die  nur  1  oder  2  Wälle  mit  Gr&ben 
zeigen,  woraus  dann  ohne  Weiteres  der  Schluss  gezogen  wird,  dass  sowohl 
auf  der  rechten  wie  linken  Rheinseite  alle  Landwehren  nur  aus  zwei  oder 
einem  Walle  bestanden  haben,  was  aber  nicht  einmal  Ar  die  wenigen  von 
dem  Verf.  untersachten  F&lle  stichhaltig  ist,  viel  weniger  für  die  immense 
Zahl  derjenigen,  die  von  ihm  gar  nicht  untersucht  sind.    Jedermann  weiss, 
dass  die  noch  erhaltenen  Erdwerke  cur  die  sparsamen  Reste  der  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  mehr   oder  minder  stark  zerstörten  and  veränderten  ur- 
sprünglichen .\nlagcn  sind,  und  man  braucht  nur  kurze  Zeit  diesen  Ueber- 
resten  seine  Aufmerksamkeit  zn  widmen,   um  zu  erkennen,  dass  diese  Zer- 
störungen und  Yeränderangen  noch  jetzt  unter  unsern  Augen  in  sehr  merk- 
licher Weise  vor  sich  gehen.     Wenn  man  also  eine  Landwehr  antrifft,   die 
an  einzelnen  Stellen  nur  2  Wälle  hat,  so  wird  man  sie  nicht  ohne  W'eiteres 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  auf  nur  2  Wälle  beschränken  dürfen,  während 
sie  an  andern  nicht  untersuchten  Stellen  deren  mehr  aufweisen  kann,   und 
noch  unzulässiger  ist  es,  aus  einer  solchen  mangelhaften  Wahrnehmung  an 
einigen   wenigen  Exemplaren  auf   die   grosse  Zahl   aller  übrigen  schliessen 
zu  wollen.     Soll  die  Untersuchung   einer  Landwehr  correct  sein,    so  ist  es 
unumgänglich  erforderlich,  dass  sie  sich  auf  alle  noch  vorhandenen  Theile 
erstreckt,    an    den   besterhaltenon  Stellen    Profile    genommen    und    an    den 
übrigen  ermittelt  wird,    in  wie  fem  sie  nur  die  verstümmelten  Reste  vor- 
ausgegangener Zerstörungen    sind.     Wir    haben    nun  die  von    uns    in   die 


h.  Hölzertnaiiii;  lA>ciilfor8cli.,  die  Kriege  der  Kumer  und  Franken  betr.     Ili3 

Karten  eingetrageaen  Greozwehreu  (im  Ganzon  ISü  Meilen)  steU  SclirilL 
vor  Schritt  verfolgt  und  nicht  weniger  als  312  Proßlo  davon  nurgenoiunieo, 
aiu  denen  sich  ergibt,  doss  die  grüsserou  ans  vier  Wällen  bestanden  hüben, 
deren  Zweck  neliKt  der  BcschafiV>nheit  der  kleineren  Landwehren,  in  den 
Denen  Beiträgen  etc.  näher  angegeben  ist.  Uebiigens  Bei  nicht  unbe- 
merkt, dass  sich  aufTaf.  IX  der  Lauf  and  das  Profü  einer  „Landwehr  ans 
der  Urzeit"  gezeichnet  fiud&n,  die  ganz  deutlich  die  vier  Wälle  aufweisen, 
waa  mit  den  Angaben  im  Trxtc  nicht  im  Einklänge  steht.  Ueber  den 
Ursprung  der  Landwehren  können  wir  im  Allgenteineu  mit  dem  Verf. 
der  sie  in  das  Altertham  vet'setKt  (S.  71),  einverstandeii  sein,  vormissen 
aber,  eine  niihero  Begründung  ilieBcr  keineswegs  gangbaren  Meinung.  Aach 
stimmen  wir  dem  Verf.  bei,  wenn  er  sagt  (ä.  71),  es  sei  zu  bedauern,  „dass 
die  Landwehren  in  Wcätfaleit  bis  jetzt  von  Suiten  der  GeschichtBforscher 
iaat  gar  keine  Beachtung  gefiyiden  haben**.  Wir  haben  dasselbe  oft  genug 
ausgesprochen,  ohne  jedoch  bis  jetzt  eiue  Bereitwilligkeit  bei  den  Alter- 
tbumsforsohern  wahrgeuomuiüu  ku  haben,  sich  mit  uns  in  das  einmal  be- 
gODDene  mübsamc  Geschäft  (heilen  au  wollen. 

Noch  viel  ungenügender,  als  bei  den  Grenzwehren,  Bind  die  Forachungs- 
ergebnlsso  über  die  alten  Strassen  ausgefallen:  hier  bewegt  sich  der  Verf. 
offenbar  auf  einem  ihm  fast  ganz  fremden  Gebiete,  und  es  wird  genügen, 
die  ForschuDgsmethode  des  Verf.'s  mit  ihren  Resultaten  nur  in  den  Haupt- 
sögen  vorzuführen.  Wir  ünden  auf  den  beiden  UebersicLtskarten  eine 
sehr  grosse  Zuhl  „germanischer  VerkehrstraBsen"  gezeichnet.  S.  11  heisfit  e«: 
„Die  Germanen  kannten  weder  Strassen-  noch  Brückenbau".  Wenn  man 
oon  fra^,  durch  welche  Kennzeichen  der  Verf.  so  genau  die  Richtungen 
ao  xahlreicher  Strassen  aus  der  germanischen  Unieit  ermittelt  hat;  so  sind 
es,  ausser  germanischeu  Grübern,  kauptsächtich  die  mittelalterlichen 
Verkehrsstrassen,  die  er  mit  den  germanischen  für  identi.4ch  hält,  wobei 
freilich  der  sonderbare  Widerspruch  Übersehen  ist,  dass  einerseits  die  mit- 
telalterlichen Städte  ans  den  grosseren  germanischen  Ansicdlungeo  ent- 
standen sind  (S.  12),  und  dennoch  anderseits  die  „gerriianischcn  Verkehrs- 
strassen'*  um  diese  Städte  herumgeführt  haben,  und  erst  später  durch 
dieselben  gelegt  worden  sind.  (S.  14).  Nicht  besser,  als  mit  der  Begriiu- 
duog  der  „germanischen  Verkehrsstrassen^'  verhält  es  sich  mit  den  Auf- 
kl&rUDgen  über  die  römischen  Heerstrassen.  S.  69  wird  behauptet, 
ea  sei  für  die  römischen  MiHtärstrasaen  „characteristisch,  dass  der  Flusskies 
durch  Mörtel  stets  zu  einer  festen  Masse  verbunden  wurde'*,  und  doch  hat 
der  Verf.keino  einzige  Römerstrasse  von  solche  r  Beschaffenheit 
Aufgefunden.     Jener  Satz  ist  aus  Schmidt^s  Localuntersuchungen  ent- 


134     L.  Hölzermann:   Localforach.,  die  Kriego  der  Römer  und  Franken  betr. 

iiomnien,  and  hat  nor  für  die  von  Schmidt  gefundenen  Strassen  Gflltig- 
keit;  im  Allgemeinen  ist  er  nach  unsem  örtlichen  Ermittlangen  nicht 
richtig,  und  dasselbe  bestätigt  der  bedeutendstö  Forscher  römischer  Heer- 
strassen,  Finanzrath  E.  v.  Paulas  in  Stuttgart,  indem  er  sagt:  „Die  Ver- 
bindung des  Pflasters  (der  Römerstrassen)  oder  die  Ausfüllung  der  Fügen 
derselben  geschah  mit  Sand,  und  nur  bei  einigen  mit  Mörtel. 
Bei  minder  bedeatendon  Strassen  fehlt  auweilen  die  Pflasterung".  (Die 
Alterthümer  in  Wflrtemberg  S.  4.)  Obschon  nun  der  Verf.  keine  einzige 
Strasse  von  jener  „characteristischen"  Beschaffenheit  auffinden  konnte,  führt 
er  dennoch  sowohl  in  den  Karten  als  im  Texte  eine  Reihe  von  Bmch- 
stückon  römischer  Milit&rsträssen  auf;  so  sagt  er  S.  5:  „Nach  den  noch 
vorhandenen  Resten  römischer  Hilitärstrassen  und  Etappenlagor  an  der 
Lippe  führten  einst,  von  Castra  vetera  ausgehend,  zwei  gebahnte  Strassen 
die  Lippe  aufwärts  und  zwar  eine  am  nördlichen  nnd  eine  am  südlichen 
Ufer".  Doss  es  keine  Römerstrasson  aus  blossen  Erddämmen  (mit  Holz) 
gegeben  hat,  ist  für  den  Verf.  eine  so  ausgemachte  Sache,  dass  er  die 
von  dem  Ref.  in  den  neuen  Beiträgen  II  S.  33 — 41  beschriebenen  Heer- 
Strassen,  ohne  sie  auch  nur  untersucht  zu  haben,  rundweg  für  Landwehren 
erklärt.  Damit  steht  nun  in  grellem  Widerspruch,  dass  sich  in  der  Ueber- 
sichtskarte  ein  beträchtliches  Stück  Römerstrasse  bei  Wesel  gezeichnet 
findet,  das  nur  allein  aus  Erd  werk,  ohne  jede  Spur  von  Steinmaterial, 
geschweige  denn  von  Mörtelverband,  besteht ;  ein  zweites  StQck  findet  sich 
in  der  Richtung  nach  Bocholt,  ein  drittes  in  der  Richtung  nach  Borken, 
ein  vierteä  zwischen  Stadtlohn  und  Ahaus,  ein  fünftes  bei  Haltern,  ein 
sechstes,  siebentes  und  achtes  östlich  von  Halteren  und  Hallern,  und  alle 
diese  Strassenreste  bestehen,  sowohl  nach  Schmidt 's  als  unsern  eigenen 
Untersuchungen,  nur  allein  aus  Erdwerk,  ohne  jede  Spur  von  Stein- 
niatcrial.  Dasselbe  gilt  von  den  beiden  Stücken  der  Heidenstrasso  östlich 
von  Lisborn  und  Seh.  Waltrup,  nnd  wenn  der  Yerf.  seine  vorgeb- 
lichen germanischen  Verkehrsstrassen  näher  untersucht  hätte, 
so  würde  er  gefunden  haben,  dass  der  grössere  Theil  derselben 
aus  oben  solchen  Erddämmen  bestanden,  wie  die  von  ihm  als 
Rümerstrassen  aufgeführten  Stücke.  Endlich  hat  der  Verf.  bei 
Nouen-Ueerso  auch  ein  20  R.  langes  Stück  eines  alten  Weges  gesehen, 
dessen  c.  6  Fuss  breite  Steinbahn  aus  groben  Sandsteinblöcken  zusammen- 
gesetzt war;  aber  es  wird  doch  wohl  Niemand,  ausser  dem  Verf.,  einen 
nur  C  Fuss  breiten  Steinweg  für  eine  römische  Heerstrasse  ausgeben 
wollen. 

Wenn  wir  nun   hiernach   aus    den  von    dem  Verf.  aus  seinen  Unter- 


L.  Uül£orta»uu:  Luenlfuraoh.,  diu  Kriege  dei-  Küoicr  und  Fiaiikon  bi'tr.     lä'> 


sucbuugoD  aber  die  Lundwehreu  uud  UoerstraHaun  beigebrachten  Ile- 
sultAteu  leidur  wenig  Litilebruiig  2U  Btibü|>feD  vuriiiiigmi,  so  dürlt«  dies  aeiiu-n 
Gruod  in  der  su  b«6cbriiifl<tou  Zeit  lml)€i],  welche  er  auf  diese  so  ausge- 
deliuteu  und  nur  frngiucutMiiEicb  orhiiltent>u  Doukinnlor,  die  ein  langjähriges 
not]  eingebendes  Studium  eifurdcni,  vorwondun  kounte,  und  er  es  andern- 
tlieila,  den  auf  S.  3  uud  4  entbaltouen  giHleii  Lehren  zuwider,  nicht  vor- 
sichtig genug  vermieden  hat,  aus  mangelhaft  erforachleu  l'hatsacheu  all- 
Bincine  Schlüsse  ^u  zieheu  und  dnrch  vorgefiisüto  Meinungen  die  allein  bc- 
chtigteu  ThatsuchuJi  in  deu  Hintergrund  zu  drängen.  l>ugcgen  freuen 
wir  uns,  ea  auBspiechen  zu  dürfen,  dass  der  Verf.  durch  diu  Erforschung 
einer  grossen  Zahl  alter  B  efestigungen,  die  einen  Uaupltheil  des  Werkes 
aaBniachen,  der  Altertlmniskunde  einen  grossen  Dienst  geleistet,  um  so  mehr, 
als  die  meist  kurze  Beschreibung  dieser  Detikmälcr  durch  sehr  gcluugeno 
Zeichnungen  unterstützt  wird.  Wir  werden  die  einzelnen  Befestigungen, 
in  «o  weit  wir  sie  selbst  untersucht  haben,  der  lieiho  nach  durchgehen, 
und  die  aus  unsc-rn  Untersuchungen  hervorgegangenen  Resultate,  sofern 
sie  mit  denen  des  Verf.  nicht  übereinstimmen,  nebst  kurzer  Begründung 
hiuitufügeo. 

Die  Ilünenbnrg  an  der  Glenne.  Dieselbe  hat  die  Form  der 
römischen  Lager,  indem  sie  aus  einem  inneren  viereckigen  Einschluss  be- 
steht, umgeben  von  einer  äusseren  Umscbliessung,  die  jedoch  nur  mehr  an 
der  Nordseito  erhaUeu  ist.  Der  Verf.  ist  mit  der  Ansicht  Schmidt'», 
der  diese  Verschuuznug  für  ein  römisches  EtappenLiger  erklärt  hat,  nicht 
einverstanden,  sondern  hält  sie  für  germanischen  Ursprungs,  und  zwar  aus 
dem  Giiinde  „weil  die  Wälle  sehr  krummHnig  und  unegal  sind,  wobei  die 
Dimensionen  der  Süd-  and  Ostseite  in  Bezug  auf  Breite  und  Flühe  des 
Walles  bedeutend  grösser  sind,  als  die  der  West-  uud  Nordaeite".  Uns 
Bcheiueu  diese  Gründe  nicht  ausreichend,  um  der  Anlage  den  römischen  Ur- 
sprung abzusprechen,  wenn  mnu  berücksichtigt,  dass  wir  dieselbe  nicht 
mehr  in  ihrem  ursprünglichen  Zustande  vor  uns  sehen,  vielmehr  die  Wälle 
augenscbeinlicli  theils  gauz  vernichtet,  theils  erniedrigt  und  auseinatiderge- 
worfeu  sind.  Da  die  Befestigung  ganz  die  Construction  Jor  übrigen  Marsch- 
lager besitzt  und  an  einer  römiachon  MilitÄrgtrasso,  niimUeh  der  von  Dol- 
berg  über  Lisborn  nördlich  der  Uüneuburg  vorbeiziehenden  UeideuBtrasse 
liegt,  und  genau  einen  Tagemarsch  ^  4  Meilen  vou  dem  Etappenlagor 
zu  Dolberg  entfernt  ist,  so  aoheiiit  uns  kein  Zweifei,  dass  dieselbe  nichts 
anders,  als  das  auf  der  Route  von  Dolberg  auf  diesem  Strasseuarm  zu- 
DJtchst  gelegene  römische  Eiappenlager  ist. 

Das  römische  Lager  auf  dem  üoikenberg  beiLüuen.     Ueber 


186     L.  Hölzermann:  Localfonch.,  die  Kriege  der  Römer  und  Franken  betr. 

dieses  zaerst  von  Dr.  Hülsenbeck  nachgewiesene  römische  Lager  können 
wir  dem  Verf.  nicht  beistimmen,  wenn  er  es  als  ein  „Standlager"  bezeichnet. 
Hiergegen  spricht  entschieden  der  Umstand,  däss  bis  jetzt  auch  nicht  der 
geringste  Fand  römischer  Alterthümer  daselbst  constatirt  ist;  wir  halten 
es  violmehr  nur  ffir  ein  gewöhnliches  Etappenlager,  womit  auch  die  regel- 
mässige Entfemnng  von  den  übrigen  der  Lippestrasse  entlang  gelegenen 
Marschlager  übereinstimmt.  Eben  so  wenig  können  wir  die  kloine  vier- 
eckige Umwalinng  im  Innern  für  das  „Prätorium"  halten,  das  „die  höchste 
Stelle  des  Hügels  einnahm".  Sie  nimmt  keineswegs  die  höchste  Stelle  ein, 
sondern  liegt  aaf  der  östlichen  Neigung,  und  scheint  uns  ein  in  späterer 
Zeit  angelegtes  Redtiit  zu  sein,  wie  sich  ein  solches  auch  in  dem  Lager  bei 
ßonefeld  (Kr.  Neuwied)  findet;  hier  lässt  sich  aus  dem  Profil  der  Um- 
wallung, das  die  neuere  Befestigungsmanier  zeigt,  deutlich  der  spätere  Ur- 
sprung nachweisen,  während  auf  dem  Heikenberg  die  Wälle  nur  mehr  an 
einer  schwachen  Erhöhung  des  Bodens  zu  erkennen  sind. 

Die  Bnmannsburg.  Bei  der  bisherigen  Beurtheilung  dieser  Yer- 
Bchanzung  scheint  uns  übersehen  zn  sein,  dass  das  ursprüngliche  Bauwerk 
in  späterer  Zeit  zu  Kriegszwecken  benutzt  und  demgemäss  hergerichtet 
worden  ist.  Auf  eine  solche  spätere  Benutzung  weist  schon  die  Auffindung 
fränkischer  Alterthümer  hin,  und  wir  rechnen  hierher  namentlich  den  an 
die  Aussenseite  des  östlichen  Hanptwalles  angelegten  brustwehrartigen  Wall, 
wie  ihn  der  Grundplan  und  das  Profil  n  b  zeigt.  Nach  unsrer  Aufiiissnng 
war  das  Kernwerk,  wie  bei  den  übrigen  römischen  Lagern  von  einer 
äusseren  Umschliessung  umgeben,  deren  Ost-,  Süd-  und  Westseite  mit  den  ent- 
sprechenden des  inneren  Einschlusses  parallel  gingen,  während  die  nördliche 
Seite  fehlt,  und  hier  die  Lippe  den  vierten  Abschluss  bildete.  Wir  stimmen 
ganz  der  treffenden  Bemerkung  des  Verf,  bei,  dass  sich  an  der  Nordseite, 
wo  jetzt  die  sumpfigen  Wiesen  liegen,  ein  Hafenbassin  befand,  womit  nach 
unsrer  Ansicht  der  von  dem  östlichen  Hauptwnll  nach  der  EIcke  des  Prä- 
toriums  führende  Wall  in  Beziehung  stehen  wird,  den  wir  aber  keines  Falls 
mit  dem  Verf.  für  den  nördlichen  Abschluss  des  Lagers  halten. 

Das  Lager  an  den  Hünenknäppen  bei  Dolberg.  „Betrachtet 
man  das  Werk  als  Ganzes,  so  ist  die  Aehnlichkeit  desselben  mit  Bumanns- 
burg  in  Bezug  auf  die  Lage  und  Construction  unverkennbar."  Diese 
Aehnlichkeit  in  Bezug  auf  die  Construction  scheint  der  Verf.,  aus  der 
Zeichnung  der  muthraasslichen  Hauptumwallung  zu  schliessen,  in  dem  Um- 
stände zu  finden,  dass  das  Prätoriura  nicht  frei  innerhalb  der  Hauptum- 
wallung, sondern  dicht  an  der  südlichen  Seite  gelegen  hat.  Wir  haben 
aber  schon  oben  angeführt,    dass  bei  der  Bumannsbnrg  das  Prätorium  frei 


L.  Hölzcrtnana:  Localforaob.,  die  Krioge  der  Römer  und  FrankeD  betr.     137 


hn  Inaern  lag,  wie  dies  nach  aiulerwürt«  steta  bei  den  rüiuifichen  Lagern 
beobachtet  ist,  und  so  war  e*  auch  boi  dorn  Lager  zu  Dolbcrg:  dJo  Osl- 
aeit«  lief  nämlich  noch  über  die  Steinbruche  hinaus  bis  zum  Fade  des 
Wahles,  bog  hier  uva  und  man  kann  noch  deuth'ch  die  Spuren  des  Haupt- 
walles  am  Siidrande  des  GebüscheB  gegen  den  Bnch  hin  verfolgen,  bo  dass 
alao  das  Prätorium,  wie  auch  anderwärts,  genau  iu  der  Mitte  zwischen  dum 
nördlichen  und  südlichen  Theilo  der  Hauptaniwallang  liegt.  ,,Obgleich 
Hofrath  Ess eilen  die  Burg  bei  Dolberg  schon  seit  viek-n  Jahren  kennt 
und  selbst  angibt,  noch  einen  Rest  des  Uaupiwnlles  gesehen  zu  haben, 
wird  dieselbe  doch  in  keiner  seiner  Schriften  erwähnt.  Der  Gmud  dieses 
auffallenden  Schweigens  kann  nur  in  dem  Umstände  gesucht  worden,  dass 
derselbe  vielleicht  fürchtet,  den  itnhlreichen  Gegnern  seiner  seit  ülier  30 
Jahren  mit  einem  so  grossen  Aufwände  von  Scharfsinn  und  Gelehrstimkeit 
vertbeidigten  Hypothese  (dos  Yarianische  Schlachtfeld  und  das  Gnstell  Aliso 
betreffend)  durch  die  Darstellung  dieses  interessanten  Ijngers  eine  gewichtige 
Waffe  in  die  Iland  zu  geben."  Zu  Gunsten  des  Herrn  Hofrath  Ess eilen 
wollen  wir  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  diese  Bemerkung  nicht  zutreffend 
ist,  indem  Es  seilen  die  Verschanzung  auf  S.  22  und  23  seiner  Schrift: 
„Das  röm.  Castell  Aliso,  der  Teutoburger  Wald  und  die  Pontes  longi" 
deutlich  beschreibt. 

Die  Steeger  Burgwart.  Von  diesem  Lager  haben  wir  bereits 
Jahrb.  LTX,  Taf.  VII  eine  Aufnahme  veröffentlicht  und  unsre  Ansicht  über 
die  ursprüngliche  Anlage,  die  nur  mehr  in  sehr  verstümmeltem  Zustande 
erhalten  ist,  ausgesprochen.  Der  Verf.  adoptirt  die  bisherige  ganz  unhalt- 
bare Meinung,  die  Verschnnzung  sei  der  Brückenkopf  eines  hier  stattgefun- 
denen  Lippeüberganges  gewesen,  und  will  dieselbe  durch  den  Umstand  be- 
gründen, dass  ,,der  gegenüberliegende  Uferrand  gleichfalls  befestigt  ist". 
Von  einer  tolchen  Befestigung  des  gege  nübertiegenden  Ufer- 
randes  ist  aber  durchaus  keine  Spur  vorhanden.  Wir  haben 
hier  offenbar  nichts  anders,  als  eines  der  Marschlager  an  der  von  Castra 
vetera  nach  Aliso  führenden  Militärstrasse,  auf  welcher  es  von  Velera  aus 
die  erste  Etappe  bildete. 

Die  Hänenburg  bei  Boke.  Der  Verf.  hält  die  Verschanzung, 
gleich  der  Hünenburg  an  der  Glenne,  für  ein  ,. germanisch  es  Lager^';  indem 
wir  sogleich  von  den  ,,germanischen  Lagern"  reden,  wollen  wir  hier  nur 
bemerken,  dass  uns  diese  Anlage,  gleich  der  vorgenannten,  ein  römisches 
Etappeuloger  zu  sein  scheint,  welches  hier  einem  von  Süden  nach  Norden 
über  die  Lippe  gen  Delbrück  führenden  Heerweg  angehört  hat. 

Die  Burg  im  Haviibrock.     „Bei  Gelegenheit    der  Aufnahme   der 


188    L.  Ilölzermanii:  Localforscb.,  die  Kriego  der  Ilüuior  und  Franken   betr. 

Burg  war  die  Zeit  za  kurz  und  die  Witterung  zu  ungünstig,  um  weitere 
Untersuchungen  anstellen  zu  können.  .  .  So  weit  ich  das  Werk  jetzt  zu  be- 
urtheilen  vermag,  gehört  dasselbe  der  süclisischeu  Zeit  an  .  .  .  Für  die  An- 
nahme einer  römischen  AnInge  uder  mittulalterlicheu  Burg  ist  nicht  ein 
einziger  sicherer  Anhaltspunkt  aufzufinden/'  Wir  haben  bereits  in  der 
Jenaer  Literaturzeitung  1874,  No.  48  geäussert,  dass  wir  die  Verschanzung 
nicht  für  ein  römisches  Lager,  sondern  iiir  eine  germanische  Burg  halten. 
Später  haben  wir  die  Verschaiizung  in  Gemeinschaft  mit  Urn.  Dr.  Hülsen - 
beck  besichtigt,  wobei  jedoch  auch  die  Witterung  einen  längern  Aufent- 
halt nicht  gestattete.  Vorläufig  stimmen  wir  den  Aufuhrungeu  des  Verf. 
bei,  vorbehaltlich  einer  späteren  ausführlichen  Untersuchung. 

Der  Niemen-Wall  bei  Haltern.  Bei  der  ungenauen  Besohreibung, 
worin  der  „Niemon"  auf  dem  rechten  Steverufer  liegen  soll,  während  er 
auf  dem  linken  liegt,  und  der  Wall  auf  die  Ackerflur  versetzt  wird,  wäh- 
rend er  sich  durch  die  Haido  erstreckt,  beschränken  wir  uns  auf  die  Mit- 
theilung, dass  wir  auf  der  Ilaide  die  Ueberreste  eines  römischeu  Etappen- 
lagers aufgefunden,  wovon  noch  das  Prütorium,  mit  Ausnahme  der  Ostseite, 
und  die  West*  nebst  einem  Theile  der  Südseite  der  Hauptumwalluug  er- 
kennbar sind. 

Die  Hügel  bei  Oartrop  und  Schormbeck  und  die  Hohen- 
burg  bei  Hamm  (sowie  die  Hügel  beim  Günnewigshofe  and 
bei  Hünze).  Es  würde  kaum  verständlich  sein,  wie  ein  militärischer  For- 
scher bei  solchen  Anlagen,  deren  foi-tiücatorischer  Character  durch  die  sie 
umgebenden  Wälle  und  Gräben  so  offen  zu  Tage  liegt,  an  Opferhugel  oder 
gar  Ustrincn  denken  konnte,  wenn  man  sich  nicht  erinnerte,  dass  noch  vor 
nicht  langer  Zeit  die  altdeutschen  Burgen,  bei  denen  die  fortifikatorische 
Bestimmung  eben  so  leicht  zu  erkennen  war,  fast  allgemein  für  germanische 
Hciligthümer  angesehen  worden  sind.  Wir  haben  uns  über  diese  Wart- 
hügcl,  deren  wir  über  hundert  aufgefunden  und  vermessen,  in  den  neuen 
Beiträgen  etc.  ausführlicher  ausgesprochen,  und  wenn  der  Verf.  meint, 
dass  ihre  Lage  dem  Zwecke,  als  Wachtliügel  zu  dienen,  nicht  entspreche, 
so  erklärt  sich  diese  Meinung  daraus,  dass  er  die  Beziehungen  dieser  An- 
lagen zu  den  Grenzwehreu  und  Heerstrassen,  denen  sie  sammt  und 
sonders  anliegen,  unbeachtet  gelassen. 

Die  Burg  im  ßröggel.  „Die  Burg  im  Bröggel  ist  weiter  nichts, 
als  ein  einfacher  von  einem  Walle  umschlossener  Wachthügol"  (8.  116), 
Wir  sind  ganz  damit  einverstanden. 

Der  Verf.  theilt  auch  über  die  Lage  des  Gastells  Aliso  seine  An- 
sichten mit:   er  setzt  es  an  die  Stulle  des  Dorfes  Ringboke,    und  zwar 


L.  Hölzermann:  Looalfonoh.,  die  Kriege  der  Itömer  und  Franken  betr.      189 

aas  dem  Grunde,  weil  die  mittelalterliche  Befestigung  dieses  Dorfes  die  Ge- 
stalt eines  längUohen  Vierecks  hatte,  was  sich  nicht  anders  erklären  lasse, 
als  dass  das  Dorf  auf -den  Trümmern  eines  römischen  Gastclls  entstanden 
sein  müsse,  nnd  wegen  der  in  der  Mähe  vorkommenden  germanischen  Ver- 
schaniongcn  könne  dies  nur  das  Castell  Aliso  gewesen  sein  (3.  77).  Wir 
müssen  es  Andern  üherlassen,  das  Gewicht  dieser  Gründe  zu  heurtheilen, 
da  wir  bereits  die  Thatsachen  erörtert  (,,1)ie  röm.  Militärstrasten  a.  d. 
Lippe  nnd  das  Castell  Aliso*'),  welche  auf  eine  andere  Position  Aliso's  hin- 
weisen, nnd  beschränken  uns  auf  die  Bemerkung,  dass  die  Römerstrasse 
des  rechten  Lippenfers  nicht,  wie  es  8.  19  heisst,  „in  dem  alten  sandigen 
Glennebette  entlang"  führte,  welches  bei  Seh.  Nomke  „die  Strote"  (die 
Strasse)  heisst,  sondern  dass  diese  Vertiefung  nichts  anders  als  der  die 
dortige  Befestigung  umschliessende  Grahen  ist,  und  ihren  Namen  daher  hat, 
dass  man  eine  längliche  schmale  Vertiefung  bekanntlich  „Strasse"  oder 
„Gasse"  zu  nennen  pflegt. 

Unter  der  wenig  passenden  Ueberschrift  „Mittelalterliche  Dynasten- 
sitsse"  erhalten  wir  ferner  die  Beschreibung  von  22  Befestigungen,  be- 
gleitet von  27  Tafeln  Zeichnungen,  die  gleich  den  übrigen  alles  Lob 
▼erdienen. 

Es  ist  erstaunlich,  wie  gross  die  Zahl  der  noch  in  Deutschland  vor- 
handenen Reste  alter  Erdbauten  ist,  und  noch  erstaunlicher  die  Gleich- 
gültigkeit, mit  welcher  die  Geschichts-  nnd  Alterthumsforschung  über  diese 
so  wichtigen  nnd  grossartigen  Denkmäler  bis  jetzt  hinweggegangen  ist. 
Es  konnte  daher  nicht  ausbleiben^  dass  nnsre  Eenntniss  über  den  Ursprung 
und  die  Bestimmung  derselben  noch  immer  in  ihren  Anfängen  begriffen  ist. 
Wir  haben  damit  begonnen,  zunächst  ans  der  grossen  Zahl  die  römischen 
Lager,  die  sich  durdi  ihre  gleichförmige  regelmässige  Construction  er- 
kennen lassen,  auszusondern,  wie  auch  der  Verf.  mehre  derselben  richtig 
erkannt  hat.  Ebenso  stimmen  wir  mit  ihm  in  der  Unterscheidung  denjeni- 
gen Umwallnngen  überein,  „deren  Lage  und  Bauart  darauf  hinweist,  dass 
sie  lediglich  Znfluchtstätten.  einer  zerstreut  wohnenden  fast  wehrlosen 
Berdlkemng  waren".  Dagegen  müssen  wir  uns  gegen  die  vorgeblichen 
,,germamschen  Lager"  durchaus  ablehnend  verhalten,  schon  darum,  weil 
rieh  ans  den  alten  Schriftstellern  kein  einziger  Beleg  dafür  beibringen  lässt, 
dass  die  alten  Germanen,  gleich  den  Römern,  ihre  Lager  durch  Wall  und 
Chrmben  versohanzt,  wir  vielmehr  stets  und  bis  in's  vierte  Jahrhundert  die 
übfiche  Wagenburg  erwähnt  finden.  Ob  ein  Theil  der  alten  Umwallungen 
la  einer  Landesvertheidigang  bestimmt  und  hergerichtet  war,  bleibt 
•■De  oftne  Fngtf  za  welcher  wir  nur  bemerken,  dass  ein  bestimmter  Mach- 


140 


A).    Eokor:  üuber  ptähinlorisube  Kunst. 


weis  dafür  aus  dvn  alten  Sclirifisf  ellern  ader  den  noch  erhaltenen  Depkmälera 
bis  jetzl  nicht  geführt  worden  ist.  Gan?.  anders  verhalt  ca  sich  mit  den 
fränkiachen  und  sächsiBchen  Befestigangen  des  fröheeten  Mittelalters, 
bei  denen  wir  sowohl  die  Lagerhefestiiufungon  als  ancli  piTinanentc  Lande 
bargen  finden,  und  es  handelt  uicli  iu  dieser  noch  so  wenig  behandelten^ 
Frage  hauptsücblich  uro  die  Kennzeichen,  durch  welche  sich  die  liefcsti- 
gungaanlagen  des  frühesten  Mittelalters  von  denen  des  Alterthums  unter- 
scheiden lassen.  Hierzu  liefern  die  Holz  er  mann 'sehen  Zeichnungen  ein  vor- 
treffliches Hülfsniittel,  und  indem  wir  den  bedeutenden  Fortschritt  in  der 
Alterthumskunde  durch  Veröfifontliclmng  dieser  Zeichnungen  nochmals  her- 
vorheben, wünschen  wir  nicht  minder,  dass  der  Westphälische  Geschichts- 
und  AHerthumsvcrein  es  sich  angelegen  sein  lasse,  auch  die  übrigen  in 
seinem  Forschungsgebiete  noch  vorhandenen  Reste  alter  Verschanzongen, 
bevor  sie  der  gänzlichen  Zerstörung  anheimfallen,  durch  correcte  Auf- 
nahmen und  Beschreibung  für  die  Alterthumskunde  zu  sichern. 

J.  Schneider. 


7.    AI.  Ecker,    Ueber    prähistorische  Kunst,   in    der   Beilage    der   All- 
gemeinen Zeitung  vom  30.  und  31.  October  1877. 

Die  Verhandlungen  der  Anthropologen-Versammlung  au  Constanz  im 
September  1877,  wo  die  in  der  Thayiuger  Höhle  gefundenen  Ilennthicrgc- 
weihstUcke  mit  eingeritzten  Thierbildem  ein  Gegenstand  lebhaller  Erörte- 
rung waren,  gaben  dem  auf  dem  Felde  der  prähistorischen  Forschung  hoch- 
verdienten Verfasser  Veranlassung,  seine  Ansichten  über  die  Kunstleistungen , 
des  vorgeschichtlichen  Menschen  im  Allgemeinen  auseinander  zu  setzen  und' 
er  war  um  so  mehr  dazu  aufgefordert,  als  er  jener  Versammlung  bia  8um 
Schlosse  beizuwohnen  verhindert  war.  Die  Thierbiider  auf  Reunthier- 
knochen,  welche  die  Iluhlen  der  Dordogno  in  so  grosser  Zahl  geliefert 
haben,  wurdeu  zwar  Anfangs  mit  einigem  Misstrauen  aufgenommen,  aber 
das  Ansehen  berühmter  Forscher,  zumal  das  von  L artet,  sowie  die  Un- 
mög1ichkL<it,  einen  Betrug  im  einzelnen  Falle  sicher  nachzuweisen^  führten 
schliesslich  dazu,  an  der  Aechtheit  dieser  Fuudo  nicht  fcruer  zu  zweifeln  und 
mit  einem  gewissen  Selbstgefalleu  wie»  man  auf  die  so  früh  schon  ent- 
wickelte künstlerische  Begabung  der  Rennthier-Franzosen  hin.  Nur  wenige 
Forscher,  sagt  Ecker,  widerstanden  dieser  Bekehrung  und  blieben  hart- 
nackige Ketzer,  ao  vor  Allen  Lindensclimit,  dem  es  auch  gelaug,  zwei  der 
"   Uöblenseichnungen    als  Copien    aus   einem   bei  Spumer   erschie- 


AI.  Ecker:  üeher  prnhistoriacbe  Kunst. 


Ul 


Denen  illaetrirten  Bilderbache  nachzuweisen,  Archiv  für  Anthrop.  IX,  S.  173. 
Dieselben  waren  trotz  eines  Anfangs  gehegten  Zweifels  von  der  Züricher 
Antiquarischen  Gesellschaft  für  acht  erklärt  nnd  von  E.  Merk  in  seine 
Schrift:  Der  Höhlenfand  im  Kesalcrioch  bei  Thnyingen,  Zürich  1875,  anf- 
gtnomioen  worden.  L  indenschm  it  hatte  den  ßetrug  echonmigBloB  auf- 
gedeckt und  verhehlte  ancb  seinen  Zweifel  an  der  Aechtheit  aller  übrigen 
Hdhlenzeichnungen  nicht,  Bofern  diese  einen  vorgeschrittenen  Kunsteti! 
tcigen.  Merk,  der  Entdecker  und  Beschreiber  des  Thajinger  Höhlienfnndes 
bereute  es  nun,  seine  Bedenken,  in  Betreff  der  beiden  gefälschten  Zeich' 
nangen  nicht  sofort  selbst  ausgesprochen  zu  haben;  er  bestätigte  in  einem 
offenen  Briefe  an  Lindenschniit  die  Fälschung  der  Bilder  des  Büren  und 
des  Fuchses  und  gab  den  Namen  des  inzwischen  vor  Gericht  gestellten 
FBlschers  an,  Archiv  f.  Anthrop.  IX,  3.  269.  Die  Züricher  Antiquarische 
Gesellschaft  glaubte  aber  in  einer  im  Mai  1877  veröffentlichten  amtlichen 
Erklärung,  die  in  den  stärksten  Aasdrücken  abgefasst  war,  Lindenschmit's 
Zweifel  an  der  Aechtheit:  der  Rennthierzeichnniigen  überhaupt  abweisen  zu 
müssen,  sie  bestritt  ihm  das  Oberrichteramt  über  die  gesammte  antiquarische 
Forschung  und  hob  hervor,  dass  die  Aussprüche  der  französischen,  englischeu 
und  nordischen  Gelehrten  ihm  entgegen  ständen.  In  einer  rein  sachlichen 
„Entgegnung"  hat  darauf  Lindeuschmit  geantwortet  und  seine  Stellung 
gewahrt,  Archiv  f.  Anthropol.  X^  S.  323.  In  Folge  dieser  Geschichte  des 
Tbayinger  Fundes  stehen  sich  nnn  zwei  Ansichtefl  entschiedener  gegenüber 
gjs  es  früher  der  Fall  war.  Die  Anbänger  der  einen  halten  es  aus  Gründen, 
die  dem  Kunstwerk  selbst  entnommen  sind,  für  unwahrscheinlich,  selbst  für 
anroöglicb,  dass  die  vollendeten  unter  den  Thierzeichnungen  ans  den 
französischen  wie  aus  den  deutschen  Höhlen  von  denselben  Menschen  ver- 
fertigt seien,  wie  die  dort  gefundeneu  rohen  Stein-  nnd  Knochen- Werkzeuge, 
mifl  halten  jene  also  für  gefälscht.  Die'  Andern  stützen  ihre  Meinung  auf 
die  Umstände  der  Auffindung  und  sagen,  weil  diese  Sachen  in  denselben 
Schichten  gefunden  werden,  wie  die  Steingeräthe,  so  müssen  sie  mit  diesen 
gleichzeitig  sein,  sie  sind  also  acht.  Letztere  geben  freilich  die  Möglichkeit 
sr  F&lschung  zu,  berufen  sich  aber  auf  den  Grundsatz:  „quisque  prae- 
STunitur  bonns,  nisi  cüntrarinm  probetur^'.  Ecker  selbst  bekennt,  früher 
an  die  Aechtheit  dieser  Arbeiten  geglaubt  zu  haben.  Er  bemerkte  über  eine 
der  Zeichnungen :  ,iDas  grasende  Thier  ist  mit  einer  Überraschen  den  Natur- 
treue  dargestellt,  wie  sie  die  noch  nlJea  Idealismus  baaro  primitive  Kunst 
allerorta  zeigt  and  wie  wir  sie  z.  B.  auch  an  den  altägyptisclieu  Thier- 
zdchnangen  bewundern.  Das  Ge\Veih  mit  der  breiten  Augensprosse,  die 
Beluiamng,  die  Stellung  der  Beine,  alles  ist  vortrefflich  wiedergegeben  und 


143 


AI.  Ecker:  lieber  priluBtoriscbe  Kunst. 


an  dem  Original  flberrascht  natnentlich  auch  dns  Nasenloch,  das,  wie  man 
es  bei  einer  weidenden  Kuh  beobachten  kann,  weit  f^eöiTnet  ist*^*.  Vergl. 
Archiv  f.  Anthropol.  VII,,  S.  136.  Dagegen  erwiederte  die  Viorteljahrsrevne 
der  Nttturwiasenscbaften,  UrgeHchichte  II,  1874,  S,  6:  „Dieser  ßeschrei- 
bnng  entspricht  aber  die  Zeichnung,  wie  sie  nach  Kcller's  Lithographie 
gestochen  ist,  gar  nicht.  Jeder,  der  altägyptiache  Thiei7.eichnungen 
gesehen  hat,  erkennt  dort  allerding.?  eine  alles  Idealismus  haare,  primitive | 
Kanst  oder  auch,  wenn  man  will,  keine  Kunst  ira  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes  sondern  Naturversnche,  wie  sie  ein  Kind  macht.  Kann  man  dasselbe 
aber  auch  von  der  Zeichnung  aus  der  Höhle  bei  Thnyingen  sagen?  Ich 
glaube  schwerlich,  dase  ein  Maler  dazii  Ja  sagen  wird.  Im  Oegentheil 
zeigt  die  ganze  Darstellung,  dnss  sie  von  Jemanden  herrührt,  der  die  Ge- 
setze der  Perspective  ganz  genau  kennt  und  Unteiricht  ira  Zeichneu  ge- 
nosscn  hat.''  Auch  Rütinicyer  schreibt:  ,,Eine  Zeichnung  eines  Zebra 
ähnlichen  Tliieres  auf  Renntluerhorn  ist  sogar  so  vortrefiiich  erhalten  und 
BO  überaus  zierlich  ausgeführt.,  dnss  ich  zweifeln  möchte,  ob  ein  Schaitzler  im 
Berner  Oberlande  im  Stande  sein  würde,  mit  den  Meissein  jener  alten  Künstler 
solche  Darstellungen  zu  Hefern.'*  In  sehr  bestimmter  Weise  schlicsst  sich 
der  erfahrene  von  Bonstetten  dem  Urtheile  Lindonschmits  an.  Er  sagt 
in  einer  Zuschrift  an  denselben :  „Die  Zeichnung  des  weidenden  Renn* 
thiers  ist  von  einer  so  vollendeten  Ausführung,  dass  sio  einen  mit  guten 
stählernen  Werkzeugen  versehenen  Künstler  varräth.  Der  durch  eine  erste 
Fälschung  erreichte  Erfolg  rausste  den  Gedanken  eingeben,  den  Versuch  zu 
wiederholen,  sei  es  aus  Gewinnsucht  oder  aus  Eigenliebe.  Bekannt  eind 
die  iu  Poitiera  von  Herrn  M.  gemachten  Stücke,  Schlangen,  Drachen  n.  dgl., 
über  welche  derselbe  gelehrte  Abhandlungen  schrieb.  Der  zu  Sal^ve  hei 
Genf  gefundene  Commandostab  ist  von  einer  Person  gefunden,  die  mir 
wenig  Vertrauen  einÜösst.  Früher  fälschte  man  römische  InKchriften,  heute 
kommen  die  geritzten  oder  geschnitzten  Knochen  andie  Reihe.  Dies  alles  scheint 
mir  ein  schimpflicher  Humbug."  Des  oben  als  Commandostab  bezeichneten 
Rennthiergeweihstückea  gedachte  Prof.  Forel  in  der  Constanzer  Versammlung 
nnd  erzählte,  dass  er  selbst  die  Zeichnung  eines  gehörnten  Thieres  auf* 
demselben  nach  Entfernung  eines  Kalksinterüberzuges  entdeckt  habe;  au/ 
der  andern  Seite  ist  die  Zeichnung  eines  Pflanzenzweiges  mit  Blättern,  eine 
auf  Knochen  ganz  ongewöhnlicho  Darstellung.  Der  Knochen  gehört  der 
Sammlung  des  U.  Thioly  an  und  ist  abgebildet  im  Bullet,  de  Tlnstitut 
nation.  Genevois  T.  XV.  F'orel  thoilte  mir  noch  brieflich  mit,  dass  Thioly, 
der  vom  Gericht  in  Genf  wegen  Vertrauensbruch  verurtheilt  worden  ist, 
nJB  erwftbnt  bahn,  dnea  er,  Forel  di«  Zeichnong  entdeckt  and  docli  sei  es, 


AI.  Ecker:  Ueber  präbistorischo  Kunst. 


143 


im  Falle  hier  eine  TäuBohang  vorliege,  sein  Vortheil  gewesen,  fiir  die  Aecht- 
heit  der  Zeichnnng  einen  Zeugen  anführen  zu  können.  Wie  dem  auch  sei, 
die  Aeohthcit  dieses  geschnitzten  Knochens  ist  zweifelhaft,  denn  mich  eine 
Kalksinterdecke  lässt  sich  künstlich  darstellen,  Auf  der  Versonimliing  der 
0«8chiehtS'  xmd  Alterthnrnsvercine  in  Wiesbaden  am  26.  September  1876 
gedacht«  von  Cohausen  mit  grösstem  Misstrauen  der  im  J»  1867  voui 
AbM  Londesqae  in  der  Laiigerie  hasse  gemncbtcn  und  dem  Arcbneologischcn 
Coagresse  Frankreichs  im  J.  1874  mitgetheilten  Funde.  Da  zeigt  eich,  vgl. 
Gompte  rendn  du  Gongri^s,  Paris  1875,  p.  17,  auf  dem  Schulterblatt  eines 
PHanzenfressers  ein  Pferdekopf,  ferner  ein  von  einer  Frau  geführtes  Reuntbier, 
von  diesem  ist  nur  das  llinfertbeil'  vorhanden,  von  der  Frau  fehlt  der 
Kopf.  Da  der  ITmriss  der  weiblichen  Gestalt  unbestimmt  ist,  kam  Qiaii 
sogar  auf  die  Vermuthung,  dass  dieselbe  vielleicht  behaart  gewesen  sei. 
Eäne  kleine  Figur  ans  Rennthierhom  stellte  ein  Kind  oder  einen  Affen  dar! 
Kehren  wir  zu  dem  Aufsätze  Ecker 's  zurück.  Nachdem  er  die 
beiden  Meinungen,  jene  Arbeiten  seien  gefälsobt  oder  sie  seien  acht, 
gegeneinandergestellt,  sagt  er,  eine  dritte  Möglichkeit  sei  bis  jetzt  knuiu 
besprochen  worden;  er  finde  dieselbe  zuerst  vertheidigt  in  einem  Berichte 
ober  Urgeschichte  in  der  Virteljahrsrevno  der  Forschritte  der  Naturwissen- 
schaften III  1875,  S.  7,  woselbst  der  ungenannte  Verfasser  schreibe:  „Wer 
nicht  mit  einer  gewissen  Voreingenummenheit  an  diese  Suchen  herantritt, 
kann  nach  meiner  Meiimng  nicht  darüber  im  Zweifel  sein,  dass  alle  diese 
Knnstwerko,  weit  entfernt  in  eine  nebelhAfto  Vorzeit  hinaufzuragen,  a\if 
den  Einüaes  griechischer  Cultur  hindeuten.  Prophezeien  ist  immer  eine 
missliche  Sache;  ich  möchte  aber  trotzdem  die  Voraussagnng  wagen:  dase 
in  nicht  zu  ferner  Zeit  der  Tag  kommen  wird,  an  welchem  man  ane  einer 
mit  Rennthier-  und  Bürenknochon  gefüllten  Höhle  Bein-  und  Knochenstücke 
hervorziehen  wird,  auf  welchen  sich  Zeichnungen  mit  griechischen  Itucbstabcn 
fioden.'^^  Es  ist  dem  Schreiber  dieser  Zeilen  nicht  schwer,  auf  den  Ursprung 
dieser  Ansicht  hinzuweisen.  Derselbe  Berichterstatter  über  die  Fortschritte 
auf  dem  Gebiete  der  Urgeschichte,  Herr  Th.,  sagt  in  der  Vierteljahrsrevue 
der  Forschritte  der  Naturwissenschaften  I  1873,  S.  128:  ,,Die  Franzosen 
können  sich  noch  nicht  von  der  Ansicht  eines  unermesslich  hohen  Alters 
der  Ueberreste  aus  der  sogenannten  liennthierzeit  losmachen,  obgleich 
gerade  die  Tbatsache  bedeutsam  ist,  dass  besonders  im  südwestlichen  Frank- 
reich Thierknocben  mit  Zeichnungen  entdeckt  worden  sind,  die,  wenn  man 
ihre  Naturtreue  und  den  sich  darin  aussprocheuden  Kunst^eschmack  bedenkt, 
entehiedon,  wie  Prof.  Schaaffha  uacn  vor  Jahren  hervorhob,  anf  den  Kiofluss 
phdnicischer  oder  griechischer  Kolonieen  an  der  Mittehnoorküsto  hinweisen.** 


144 


AI.  Ecker:    über  prähiatorificbe  Kunst. 


Bei  den  Conatanzer  Verhandlungen  über  die  Äechtbeit  der  Thayinger 
Fände  fand  ich  mich  veranlasst,  daran  zu  erinnern,  dass  ich  bereits  1667 
und  Bpiiter  mehrmals  mich  gegen  die  allgemein  herrachende  Meinung  von 
dem  hohen  Alter  der  in  der  Dordogno  gefundenen  geschnitzten  Rennthier- 
knochen  ausgeaprochen  hätte,  indem  die  Ausführung  vieler  dieser  Arbeiten 
einen  so  ausgebildeten  Kunstsinn  verrathc ,  dass  man  dieselben  einem 
wilden  Volke  nicht  zuschreiben  könne,  sondern  den  Ursprung  derselben 
bei  einem  Culturvotke  suchen  müsse.  Auch  wies  ich  auf  wirklich  vorge- 
kommene Fälschungen  dieser  Art  hin  und  begründete  meinen  Verdacht 
Belbet  in  Bezug  nnf  die  Aochthcit  des  Lartet'schen  Mamumthbildes. 

Ecker  versucht  nun  eine  möglichst  objective  Darstellung  der  Streit- 
frage, indem  er  der  Reihe  nnch  die  artistische,  die  geologische,  die 
technische  und  die  zoologische  Seite  derselben  in  Erwägung  zieht.  Es  ist 
ein  bekanntes  Verfahren  der  Archaeologie,  aus  dem  Stil  der  Kunstwerke, 
aas  der  Form  der  Geräthe  imd  Wnffeu  auf  die  Zeit  zu  schliessen,  aus  der  sie 
Blammen,  auch  die  urgeschichtlicho  Forschung  darf  dasselbe  in  Anwendung 
bringen.  Diese  Methode  wird  von  der  letztern  desshnlb  aber  wohl  nur  in 
beschränkterer  Weise  angewendet  werden  können,  weil  hier  keineswegs  noch 
so  mustergültige  Erfahrungen  und  Beweisstücke  vorliegen,  wie  das  für  die 
späteren  Perioden  der  Kunstgeschichte  der  Fall  ist,  wir  vielmehr  noch  in 
der  Zeit  der  Entdeckungen  leben.  In  Bezug  auf  die  bekannten  ältesten 
Versuche  der  Darstellung  von  Thiergestalten  sagt  aber  Lindenschmit^  du8 
sie  den  Charakter  der  unbeholfensten  Barbarei  zeigen,  die  Pferde  der  alt- 
itaHachen  Erzarheit  gleichen  unsern  Ilonigkuchenfiguren,  nicht  besser  sind 
die  räthselhaften  Fabelthiere  gallischer  Münzen,  die  nur  aus  Kopf  und  Hand 
bestehenden  Reiterfiguren  der  germanischen  Goldhracteaten,  die  scheusalioh 
verzerrten  schnörkelhaften  2^icbnungen  der  irischen  Manuskripte  und  die 
meisten  Darstellungen  aus  weit  späterer  Zeit  noch,  sie  geben  eine  wild- 
phantastische,  völlig  willkürliche  Auifassung  der  Tbierwelt  kund.  Da  die 
übrigen  Bildungszustände  aolcber  Zeiten  eine  unermeasliche  Ueberlegenheit 
fiber  die  der  Höhlenbewohner  der  Rennthierzeit  zeigen,  so  raüsste  men 
einen  Rückschritt  nur  in  dieser  Art  von  Kunstthätigkeit  annehmen,  was  doob 
nnstatthaft  ist.  Archiv  f.  Atithrop,  ÜI,  S.  109.  Wenn  man  dagegen  be- 
haaptei,  dass  auf  einer  tiefen  Cultnrstufe  dennoch  eine  im  Vergleich  be- 
deutende Entwicklung  der  Kunst  bei  irgend  einem  Volke  stattfinden  köone» 
so  müssten  für  eine  so  auOTallendo  Annahme  doch  sichere  Thutaacben  bei- 
gebracht werden.  Wie  roh  sind  noch  die  von  Schliemann  in  Myconao 
gefiindenen  Thierbilder! 

Noch    nuffallcnder   als    das  frOhe  und   unvermittelte  Auftreten    einer 


AI.  Eoker:   lieber  prähistoriflche  Kunst. 


145 


Knnstperiode  iet  das  plötzliche  Wiederverschwinden  derselbGU.  Während 
von  der  Höhlenzeit  zar  Pfablbautcnzeit  in  jeder  andeni  Beziehung  ein 
eotschietlener  Fortschritt  stattfindet,  boII  der  Mensch  das  Zeichnen  und 
Bildscbnitzen  wieder  vollständig  vergessen  haben,  bis  viel  später  eine  auf 
aeiatischem  oder  ägyptischem  Boden  entsprossene  Kunst  wieder  neu  erstand. 
Mortillet  nimmt  dies  als  Th&tsacbe  ruhig  hin  und  spricht  nur  seine  Yer- 
Wanderung  darüber  aus,  Revue  scientif.  1877,  No.  38,  p.  892.  Bertrand, 
den  Ecker  nicht  anfährt,  sagt  in  seiner  Abhandlung:  Le  renne  de  Thay- 
ingen,  Extr.  de  la  Revue  arch^olog.  1874,  p.  19;  Die  Kunst  zu  zeichnen 
verschwindet  mit  dem  Zeitalter  der  geschnittenen  Steine,  um  erst  mit  der 
Einführung  des  Eisens  in  C^Uien  wieder  zu  erecheinon.  ][^ieBe  Thatsache 
erinnert  fast  an  religiöse  Glaubenssätze,  denn  noch  heute  giebt  ea  Völker, 
welche  die  Darstellung  lebender  Wesen  als  eine  Profanation  erachten. 
Es  scheint,  dass  die  Vorsehung  jedem  Menschenstamme  eine  Rolle  zuertheilt 
hat,  Qod  vielleicht  sind  wir  einmal  genöthigt,  anzuerkennen,  dass  bemi  Auf* 
baa  der  enropäischen  Civilisation  die  Höhlenbewohner  die  Lehrer  der  Zeichen- 
konst  gewesen  sind.  Wie  kann  aber  B  er  trän  d  im  Ernste  nur  behaupten, 
dass  die  Kunst  zu  zeichnea,  die  sich  ja  nur  in  Verbindung  mit  der  bildenden 
Kunst  überhaupt  später  in  Europa  entwickelt  hat,  ihr  Vorbild  oder  Musler 
in  jenen  Höhleubildern  gehabt  hat?  Wenn  Ecker  die  Ansicht  Kott* 
0 1  i  d  d  o  n  's  anführt,  dass,  wie  die  Begabung  für  die  bildende  Kunst  bei  ver- 
schiedenen Individuen  nicht  die  gleiche  sei,  sie  auch  bei  verschiedenen 
Völkern  verschieden  sein  küune,  so  ist  dies  seibat  in  Bezug  auf  civilisirte 
Völker  in  gewissem  Sinne  wahr,  passt  aber  auf  den  vorliegenden  Fall  nicht. 
Man  kaim  die  Engländer  anführen,  deren  Leiutungen  in  der  bildenden  Kunst, 
einzelne  Ausnahmen  abgerechnet,  unzweifelhaft  gegen  die  der  Italiener, 
Franzosen  und  Deutschen  zurückstehen,  wiewohl  dies  in  andern  geistigen 
Schöpfungen,  der  Dichtkunst  nnd  Wissenschaft  nicht  der  Fall  ist;  die  Ur- 
Mchen  dieses  Mangels  liegen  in  der  geschichtlichen  Entwicklung  des  eng* 
lischen  Volkes.  Wenn  wir  aber  jetzt  unter  ans  bei  einem  Individuum  ein 
•osgesprochenes  Talent  zum  Zeichnen  finden,  welches  bei  vielen  andern 
fSshlt,  so  ist  dasselbe  entweder  eine  ererbte  Anlage  von  den  Eltern  oder 
ea  ist  durch  eine  besondere  Anregung  und  früh  geweckte  Neigung  und 
Uebung  entstanden.  Beide  Ursachen  setzen  eine  im  Volke  schon  vorhandene 
Knnst  voraus,  können  also  bei  wilden  Völkern  gar  nicht  oder  nur  in  beschränk« 
tem  Sinne  wirksam  sein.  Wenn  P  ulsky  geradezu  artistische  und  unartistiscbe 
Rusen  unterscheidet,  so  sind  eben  jene  in  küustieriacher  Hinsicht  entwickelt, 
diese  zurückgeblieben.  Malerei  und  Skulptur  der  Aegypter  nnd  Griechen, 
der  Italiener  und  Deutschen    sind  aber    nicht    sowohl  das  Ergebuiss    einer 

10 


146  AI.  Eoker:  üeber  prähistorische  Kunst. 

besocdem  künstlerischen  Anlage  als  vielmehr  das  Maass  einer  gewissen 
Qeistesknltar,  welche  diese  Leistangen  mit  Notbwendigkeit  zur  Folge  hat. 
Diese  Fähigkeit  ist  deshalb  keineswegs  unabhängig  von  geistiger  Cultur 
und  Civilisation,  wie  Pulsky  will,  sondern  auf  das  innigste  damit  verbunden, 
wenn  auch  das  Geistesleben  eines  jeden  Volkes  sein  eigenthfimliches  Ge^ 
präge  hat.  Die  Anlage  zur  bildenden  Kunst,  wie  zur  Musik  und  Dicht- 
kunst ist  eine  allgemein  menschliche,  ob  sie  mehr  oder  weniger  sich  ent- 
wickelt, hängt  von  Naturverhältnissen  oder  geschichtlichen  Ereignissen  ab. 
Man  wird  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  einem  rohen  Volke  auch  nur  eine 
rohe  Knnstleistnng  zuschreibt.  Man  pflegt  wohl  als  auf  ein  Beispiel  jener 
launenhaften  Naturbegabuug  auf  die  Zigeuner  hinzuweisen,  die,  wie  man 
sagt,  geborene  Musiker  sind  und  ihren  Geigen  den  wunderbaren  Schmelz 
des  Tones  entlocken.  Aber  ist  es  so  auffallend,  dass  ein  zersprengtes  Volk 
von  anbekannter  Herkunft  und,  wie  seine  Schönheit  zeigt,  gewiss  einst 
von  einer  höheren  Cultur  berührt  sein  Schicksal  in  Klagetönen  besingt  mit 
jenem  Aufschrei  sinnlicher  Leidenschaft,  wie  sie  nur  der  Süden  entzündet? 
Und  doch  ist  es  nur  die  Melodie  des  Volksliedes  und  die  vollendete  Technik, 
weldie  wir  an  dieser  Musik  bewundem,  die  der  Cultur  des  Volksstammes 
ganz  entsprechend  ist.  Der  Zigeuner  wird  zu  einer  höhern  Leistung  in 
der  Tonkunst  erst  befähigt  sein,  wenn  er  sich  die  Gedanken  und  Empfin- 
dungen der  verfeinerten  europäischen  Bildung  angeeignet  hat.  Ecker  weist 
auf  eine  Schilderung  von  Wallace  bin,  nach  der  sich  eine  merkwürdige 
Verschiedenheit  der  künstlerischen  Anlage  bei  zwei  rohen  Naturvölkern 
finden  soll,  die  nngeblich  auf  ziemlich  gleicher  Culturstufe  stehen.  Der  ge- 
nannte Reisende  schildert  die  Australier  von  Dorey  an  der .  Nordküste  von 
Neu  Guinea  als  grosse  Holzschnitzer  und  Maler,  die  zumal  ihre  Kunst  an 
ihren  Schiffsschnäbeln  üben,  sie  sollen  eine  ausgesprochene  Liebe  zu  den 
schönen  Künsten  besitzen  und  in  ihren  Musestunden  die  zierlichsten  Arbeiten 
verrichten,  während  sie  in  Bezug  auf  ihre  elenden  NYohnungen  und  ihre 
übrige  Lebensweise  auf  derselben  tiefen  Stufe  ständen  wie  andere  Anstra- 
lierstämme.  Ecker  nimmt  diese  Darstellung  doch  nur  mit  einem  gewissen 
Vorbehalte  an  und  hebt  mit  Recht  hervor,  dass  die  blose  Ornamentik 
doch  nur  eine  niedere  Stufe  der  bildenden  Kunst  sei.  Dass  aber  die 
Papua's,  welche  die  Küste  bewohnen,  solche  Arbeiten  verrichten,  die  den 
im  Binnenlande  streifenden  Stämmen  unbekannt  sind,  erklärt  ^ich  vielleicht 
aTis  dem  Umstände,  dass,  wenn  das  Meer  die  Trümmer  eines  geschei- 
terten fremden  Schiffes  an  ihre  Küste  warf,  geschnitzte  und  gemalte  Holz- 
theile  ihre  Nachahmung  reizten  und  sie  dann  Aehnliches  zu  fertigen  ver- 
rachten.     Mit    einem  Hinweis    auf   die    rohen  Malereien   der  Buschmänner 


AI.  Ecker:  üeber  priih^^toriscbe  Kunst, 


147 


nach  Fritach,  die  Eingeborenen  Südafrikn'a,  Brealau  1872,  8.  126,  u.  Taf.  fiO 
and  die  Schnitzereien  der  Neger,  d)9  Seh  weinfurth,  Artes  africanae, 
LeiiOTg  1875,  Taf.  VIIl  a.  XIV  abbildet,  sclilieflst  sich  Ecker  der  An- 
sicht Lin  densch  m  it's  an,  der  in  ßezug  auf  die  Thicrzeicbnangen  der 
heutigen  Wilden  aagt:  alle  diese  Stämme,  insofern  sie  in  der  That  von  jeder  Be- 
rührung mit  den  alten  Culturvölkern  ansgeschloasen  waren,  erholten  sich  in 
ihren  Darstellungen  nicht  über  die  ersten  Versuche  unserer  Kinder  und 
den  Stil  des  bekannten  „Baches  der  Wilden"  des  11.  Abb6  Domenech. 
Diesen  Charakter  haben  in  der  That  sowohl  die  Malereien  der  Indianer, 
welche  Sohoolkraft  mittheilt,  als  auch  die  Menschen  und  Thiere  auf  den 
Bchwedischcn  Felsenbildem,  und  wiederum  finden  wir  ihn  in  der  Zeichnung, 
dieRugendas,  Malerische  Reise  iu  Brasilien,  Paris  1835,  PI.  IV  Figur  3, 
•Ja  ein  Muster  der  Kritzeleien  mittheilt,  die  Neger  auf  dem  Sklavenmarkt 
in  Rio  de  Janeiro  auf  die  Wunde  schreiben.  Dies  Bild  ist  vielleicht  um 
BO  smvcrläasiger,  da  Rugendae  selbst  Maler  war.  Vou  den  Zeichnungen, 
die  A.  Häbner  in  Transvaal  auf  einer  Felswand  eingegraben  fand,  ist 
das  von  W.  IJaer,  der  vorge»cbichtliche  Mensch,  Leipzig  1874,  S.  147 
wiedergegebene  Bild  einer  Hyäne  von  so  grosser  Naturwahrheit,  dass  man 
fragen  muss,  ob  nicht  holländische  CMonisten  die  Lehrmeister  der  Einge- 
borenen gewesen  sein  können.  Ich  habe  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
noch  mehr  wie  die  bloee  Naturwahrheit,  die  Anrauth  der  Daratellungoo  auf 
einen  höhern  Kunstsinn  hinweise  und  bezeichnete  als  ein  solches  Beispiel  den 
bekannten  von  L  a  rt  e  t  beschriebenen  Dolchgriff  aus  Laugerie  basso.  Dass 
selbst  die  Römer  Knochen  zu  Skulpturen  benutzten,  ist  bekannt.  Die 
ethnologische  Sammlung  in  Freiburg  im  Breisgau  besitzt  eine  auf  Knochen 
geschnitzte  weibliche  Figur  aus  Aegypten,  die  in  graziöser  Bewegung  eine 
Hand  an  das  Gesicht  lehnt.  Man  erkennt  an  der  nur  roh  angelegten 
Arbeit  sofort  die  klassische  Kunst.  In  vielen  Sammlungen  sieht  man  alte 
Skulpturen  angeblich  aus  Elfenbein,  die,  wie  die  Gefässlöcher  beweisen,  aus 
Knochen  geschnitzt  sind.  Wenn  man  noch  behauptet  hat,  dass  die  Zeichnung 
flberhaupt  nur  eine  spätere  Knnstübung  sein  könne,  der  die  Kunst  des 
Bildhauers,  also  die  Nochahraang  der  körperlichen  Formen  seihst  voraus- 
gegangen sein  müsse,  und  rohe  Versuche  dieser  Art  kommen  auch  in  Höhlen* 
fnnden  vor,  so  ist  diese  Behauptung  doch  sehr  zweifelhaft.  Auch  für  die 
Zeichnung  h%i  der  Mensch  ein  Vorbild  in  der  Natur,  es  ist  der  Schatten- 
risa  der  von  der  Sonne  beleuchteten  Gegenstände,  der  zur  Nachnhmnng 
auffordern  konnte.  Ecker  fügt  seinen  Bemerkungen  über  die  Schnitisereien 
der  Papaas  die  Bemerkong  hinzu,  dass,  während  die  Zeichnungen  der  wilden 
Völker  mehr   dem  Gebiet  des  Knnstgewerbee  angehören  und  eich  anf  dem 


146  AL  Ecker:  üe]>er  pr&historiBcbe  Kanst. 

Felde  der  Ornamentik  bew^en,  mit  dem  Rennihierbilde  von  Thayingen  das 
Gebiet  der  Knnst  betreten  sei.  Indflss  ist  dies  Bild  doch  nicht  fehlerlos, 
der  Hinterleib  des  Tbieres  ist  zu  BchmAchtig  nnd  die  Hinterbeine  sind  im 
Yerhältniss  m  den  vordem  zu  lang.  Bedeutsam  wird  der  Vergleich  der 
LetBtnngen  der  prähistorischen  Höhlenbewohner  mit  der  Ennstthätiglceit 
eines  Volkes,  das  anter  ähnlichen  klimatischen  Verhältnissen  wohnt  und 
merkwfirdiger  Weise  nicht  nur  Gsräthe  nnd  Waffen  fertigt,  die  mit  denen 
des  Torgeschichtlichen  Menschen  die  grösste  Uebereinstimmang  zeigen,  wie 
Boyd-Dawkins  neaerdings  bestätigt  hat,  sondern  auch  seine  Fertigkeit 
im  Zeichnen  an  denselben  G^renständen  übt,  es  sind  die  Eskimo's.  Ecker 
legte  in  Constana  Photographien  von  Eskimo- Werkzeugen  und  von  Thier- 
seichnungen,  auf  Treibholstäfelchen  geritzt,  vor,  die  er  dem  bekannten  Nord- 
pol-Reisenden H.  E.  Bessels  in  Washington  verdankt.  Darunter  befinden  sich 
auch  Figuren  von  Rennthieren.  In  Boyd-Dawkins  Werk:  Die  pöhlen- 
nod  die  Ureinwohner  Europa*s  F.  123  und  125,  in  Lnbbock's  Vorgc»- 
sehichtlichem  Menschen  II  F.  43 — 45.  im  Globus  B.  XXXI,  No.  7  finden 
sich  solche  Darstellungen.  Mit  Recht  erklärt  Ecker  diese  Arbeiten  filr 
viel  geringer  als  die  Funde  von  Thayingen.  Und  kämen  sie  ihnen  gleich, 
■o  wflrde  das  fUr  die  Aechtheit  def  letzteren  nichts  beweisen,  denn  man 
kann  nach  dem  Urtheil  aller  neuem  Forscher  die  Eskimo's  nicht  für  ein 
ursprünglich  wildes  Volk  halten,  sondern  sie  sind  ein  aus  Asien  einge- 
wanderter mongolischer  Stamm,  der  früh  übergesiedelt  und  lange  Zeit  von 
allem  Verkehr  abgeschlossen  seine  heutige  Heimath  bewohnen  mag,  der 
aber,  wie  er  Sitten  uud  Vorstellungen  ans  einem  andern  Lande  sich  erhalten 
hat,  auch  Fertigkeiten  bewahrt  haben  mag,  die  er  in  seinen  alten  Wohn- 
sitzen erworben  hatte:  man  vergleiche  die  Nachrichten  von  E.  Bessels  im 
Archiv  für  Anthrop.  VIII.  S.  107  uudPetitot,  Les  Esquimaux  Tschiglit 
1870:  dieser  theilt  auch  eine  Zeichnung  mit,  von  der  er  sagt,  dass  ein 
Indianer  sie  nicht  machen  könne. 

Mortillet,  a.  a.  0.  p.  890.  sagt  von  den  franzöbischen  Oüblenzeich- 
nungen,  si  o'est  Tenfance  de  l'art,  ce  n'est  point  l'art  de  l'enfant,  nur  1 
oder  2  mal  haW  man  solche  Dinge  &  l.<k  Domenech  gefunden  aber  sie  so- 
fort für  gefälscht  erkannt.  Also  von  den  ächten  verlangt  er  eine  gewisse 
Vollkommenheit.  F.  ck er  hält  nun  die  menschlichen  Figuren  auf  Rennt hicr- 
kmx'hen  der  Donlogne  nicht  für  besser  als  vlie  «Ut  Eskimo's  und  hat  ge- 
g»n»  Mortillet's  sonderWre  KrkUrung  Je»  Umstiiudes.  dass  die  Höhlenbe- 
wohner uackt  d.HrgestelIt  sind,  einiges  Bedenken.  Dieser  meint  nämlich,  schon 
die  or»ten  Künstler  hätten  es  vorgezogen,  wie  die  heutigen,  sogen.'uinte  Aka- 
demietm  lu  leichn^tn,  das  sei  eben  Geschmackssache!  Da  an  einigen  Figuren 


AL  Ecker:  Ueber  prähistorische  Kunst.  149 

die  £[ände  nar  4  Finger  haben,  so  scbliesst  er,  man  habe  damals  die  Ge- 
wohnheit gehabt,  den  Daumen  einzuschlagen,  und  gewisse  Striche  auf  dem 
Rücken  deutet  er  auf  eine  ungewöhnlich  starke  Behaarung,  also,  wie  Ecker 
hinzufugt',  auf  unsern  pithekoiden  Urahn!  An  zwei  aus  Rennthierhorn  ge- 
schnitzten Köpfen  sieht  Mortillet  spitzen  Bart  und  kurzes  Haar,  und  einen 
Typus  des  Gesichtes,  der  ihn  an  Mephistopheles  und  an  Fran^ois  I.  erinnert, 
der  aber  gewiss  nicht  prähistorisch  ist! 

Ecker  schliesst  aus  allem  von  ihm  bisher  Gesagten,  dass  die  Annahme, 
die  besprochenen  Kunstwerke  kämen  aus  den  Händen  derjenigen  Höhlenbe- 
wohner, welcbe  auch  die  rohen  Kiesel-  und  Knochenwerkzeuge  fortigten,  ernst- 
lichen Zweifel  hervorrufe.  Die  Behauptung,  dass  hierbei  das  artistische  Urthoil 
gar  keine  Berechtigung  habe,  sondern  nur  das  naturhistorische,'  weisst  er  mit 
Recht  zurück.  Wenn  der  Geologe  sagen  wollte,  der  Stil  dieser  Dinge  ist  mir 
vollkommen  gleichgültig,  wenn  ein  Kunstwerk  an  irgend  einem  Ort  in  einer  un- 
berührten Schicht  neben  den  rohesten  Werkzeugen  gefunden  wird,  so  ist  es  mit 
diesen  gleichzeitig,  so  vergisst  er,  dass  der  Beweis  der  unberührten  Schicht 
nach  gemachtem  Funde  oft  gar  nicht  mehr  zu  fuhren  ist,  und  dass  Gegen- 
stände, die  ganz  verschiedenen  Zeiten  «angehören,  in  den  Höhlenschlamm  ein- 
gebettet nnd  hier  ein  Jahrtausend  lang  unter  einer  Stalagmitendecke  ruhen 
können.  Die  aus  zahlreichen  Beobachtungen  abgeleiteten  Gesetze  der  Ent- 
wicklung menschlicher  Fertigkeiten  bieten  vielleicht  eine  grössere  Sicherheit 
als  die  noch  so  sorgfältig  aus  den  Umständen  eines  solchen  Fundes  ge- 
zogenen Schlüsse.  Zumal  fordert  die  Beurtheilung  des  Alters  von  Ein- 
schlüssen im  Boden  einer  Höhle  Vorsicht,  weil  diese  in  verschiedenen  Zeiten 
von  Menschen  bewohnt  gewesen  sein  kann.  Der  Entdecker  der  Höhle  sagt, 
dass  unter  einer  mächtigen  Schuttmasse,  die  den  Boden  bedeckte,  zwei 
Sinterschichten  vorhanden  waren,  aber  Ecker  wirft  mit  Recht  ein,  dass 
auch  das  Bedecktgewesensein  des  Fundstücks  mit  Kalksinter  nicht  gegen 
seine  Herkunft  aus  historischer  Zeit  spreche.  Wohl  zu  beachten  ist  ein 
Aussprach  des  Finders  der  Rennthierfigur,  Professor  Heim,  er  sagt:  „was 
ich  noch  als  Augenzeuge  zu  konstatiren  habe,  ist  die  ohne  alle  Sachkenntniss 
und  Sorgfalt  ausgeführte  Ausbeutung  der  Höhle".  Die  Boden-  und  Fund- 
verhältnisse  bilden  also,  um  mit  den  Worten  Lindenschmits  zu  reden,  nur 
einen  Theil  der  verschiedenen  Kriterien,  welche  für  die  antiquarische  For- 
schung die  Aechtheit  eines  Fundstückes  entscheiden.  Was  nun  die  Technik 
der  fraglichen  Arbeiten  betrifft,  so  müssen  sie,  wenn  ihnen  ein  prähistorisches 
Alter  zukommt,  mit  Kieselmessern  oder  Kieselsplittern  gemacht  sein.  Nach 
den  In  Frankreich  gemachten  Versuchen  schliesst  man,  daas  sie,  weil  beim 
blosen  Ritzen   das  Instrument  leicht  ausgleitet,  durch  eine  Art  von  Ein- 


IbO  AI.  üioker:  Uol)er  prähiBtorische  Kunst. 

fuiluug  hcrgostollt  sind.  \Viewohl  von  Bonstetten  glaubte,  daaa  das 
Uüitnthicr  von  Tbayiugou  mit  oiiicm  Werkzeug  von  Stahl  gemacht  sein 
mÜMo,  ahmt«  Graf  Wurmbraud  in  Constanz  die  Zeichnung  auf  frischem 
Knochen  mittolat  oiaes  Feuersteins  nach.  Dieser- Versuch  gelang  auch  mir. 
Als  nicht  unwichtig  ftthrc  ich  nach  einer  Mittheilung  von  Fraas  hier  an^ 
ilass  dio  hoidon  von  Linden^chuüt  entdeckten  gefälschten  Zeichnungen  nicht 
auf  Uowoihstttcko  sondern  auf  Knochen  geritzt  waren.  Fraas  fand,  dass 
dor  niilrbo  Kcnnthiorkuoclicu  unserer  Funde  nicht  geeignet  ist  für  solche 
lU«arlHutung,  man  muss  die  verwitterte  Htude  erst  abschaben,  bis  man  auf 
fMttt  Kuooheusuhstaux  kommt,  die  Thayiuger  Stücke  sind  aber  auf  der  ar- 
»prUngliohen  Ob^rfläoho  geritzt.  Dieser  Beobachtung  kann  man  aber  die 
.\nnahnio  ontfr(^ni»t«llou.  das«,  auch  zugegeben,  dass  v  or  2  bis  3000  Jahren 
das  Ktnmthier  nicht  mehr  lebte,  seine  zurückgelassenen  Geweihstücke  damals 
^wi«s  noch  nicht  so  mürlte  w:uvn.  «ie  sie  es  heute  sind.  Ein  erfthrener 
KUVuWinschintier ,  Uorr  Oldag  in  l^onn.  gab  mir  au,  dass  Knochen 
Uir  den  StahImei«sol  ixnt  hai'te:$ti:u  $ei,  daun  folgen  Wal! rosszahn.  Elfen- 
iHfin  und  Hirschhorn.  Der  frische  fettige  Knochen  verarbeitet  sich 
leichter  al$  der  au^gcliivhto.  welcher  sprv'de  « ird,  dessLalb  kocht  man  zu 
«eilen  er»t  deit  gwurWitcten  l\r.ivheu  aus.  u.uuit  er  weiss  wird.  Ecker 
nK>iut,  die  g«nauerv  rr.:c»^Ui-hi:ug  dor  Zcichnungsr-irchcng.  also  doch  wohl 
dio  mittolat    der  l.u(>o.    dürfe    :a  kün:\ig«a  F&IIea  lücit  cehr  ausser  Acht 


jr«":.*s»on   wccv;or. 

er   tAvU'.;«    »:.«s    ^:o    vor.   a«-a  r.i'.t.ux-ii'ru  der  Thsyinger 

Vx:-v.v     fss:    gs;-. 

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. -SS.-,-*  <,    ■'.->.  ,-  .     -i'   >,  ■  tj     >. '..-.,-.•.■ .- "'^  .-*.:«■  v.jr.-*   ;.i   .-   I;—  G:-~ie 
•».V  ■.  V»     ,;••■<  .-,  ■■•      .    ,••.,■.•-'■..  -.  «.-.«oi.  C'i'Cf'-r  ä  ;  Aiir  a  :  t:  :  ilzÄr 


AI.  Ecker:  Ueber  pr&historiscbe  Kunst.  161 

Ecker  bezeichnet  endlich  auch  die  Erwägung  zoologischer  That- 
eachen  als  von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Entscheidung  der  schwebenden 
Frage.  Er  sagt,  erst  in  neuester  Zeit  sei  der  Nachweis  geliefert,  daas  die 
Hehrzahl  der  in  prähistorischen  Zeichnungen  dai'gestellteu  Thiere,  die  jetzt 
erloschen  oder  ausgewandert  seien,  in  unsem  Gegenden  mit  dem  Menschen 
gelebt  hätten,  also  könnten  diese  Darstellungen  nicht  etwa  aus  der  grie- 
chischen Zeit  stammen,  welcher  diese  Thiere,  wenigstens  das  Rennthior  und 
der  MosohuBOchse  unbekailtit  waren,  sondern  sie  seien  entweder  von  den 
Zeitgenossen  gemacht,  oder  in  neuester  S^eit  gefälscht.  Dagegen  ist  zu  be- 
merken, dass  das  Rennthier  wahrscheinlich  noch  in  römischer  Zeit  in 
deutschen  Wäldern  gelebt  hat,  wenn  es  auch  dem  Aussterben  nahe  war; 
vgl.  Verb,  des  naturhist.  Y.,  Bonn  1866,  Sitzungsb.  S.  78  und  v.  Brandt, 
Zoogeogr.  n.  palaeootol.  Beiträge,  St.  Petersburg  1867,  S.  53  u.  Arch.  f. 
Anthrop.  VIII,  264.  Jene  Kunstwerke  können  aber  zweitausend  Jahre 
älter  sein.  Vom  Moschusochsen  sagt  aber  Ecker,  dass  sein  geschnitzter 
Kopf  nach  dem  Schädel  und  nicht  nach  dem  lebenden  Thier  gemacht  sei, 
denn  es  sind  nur  die  Knochenzapfen  dargestellt,  die  nach  unten  und  schwach 
Torwarts  gekrümmt  sind,  während  die  Homer  selbst  mit  ihren  Spitzen  an 
dem  heute  noch  im  Norden  lebenden  Thiere  sich  wieder  nach  oben  biegen. 
Dass  ein  Künstler,  der  das  lebende  Thier  sah,  das  Bild  nach  dem  Schädel 
gemacht  haben  soll,  ist  nicht  wohl  annehmbar,  aber  man  könnte  schliessen, 
dass  die  Krümmung  der  Hörner,  die  bei  den  übrigen  Ochsenarten  eine  so  ver- 
schiedene ist,  beim  vorgeschichtlichen  Moschusochsen  eine  andere  war,  als 
beim  heute  noch  lebenden.  Nach  Ecker  stösst  die  Annahme  einer  mo- 
dernen Entstehung  der  Zeichnungen  des  Pferdes  auf  erhebliche  Schwierig- 
keiten, denn  aus  den  massenhaften  Anhäufungen  von  Knochenresten  des 
Pferdes  bei  Solutr£,  man  hat  100,000  Thiere  geschätzt,  habe  man  die  Gestalt 
des  Wil9pferdes  mit  Sicherheit  wiederhergestellt,  die  Pferdezeichnungen  aus 
den  Höhlen  der  Dordogne,  die  mehrere  Jahre  irüher  gefunden  wurden,  stellten 
in  der  That  ziemlich  genau  dieses  Wildpferd  dar.  Toussaint  beschrieb 
merst  diese  Knochenreste  und  beklagt,  dass  die  Schädel  so  zu  sagen  fehlen 
und  desshalb  äne  sichere  Bestimmung  des  Thieres  fast  unmöglich  sei,  in- 
dem nur  die  Unterkiefer  und  Bruchstücke  des  Oberkiefers  und  einzelner 
Schädelknochen  sich  fänden,  doch  lasse  sich  erkennen,  dass  der  Kopf  gross 
gewesen  sei,  während  die  Gliedmassenknochen  auf  eine  kleine  Körpergestalt 
schliessen  lassen.  Auf  das  Pferdebild  von  Thayingen  passt  also  die  Gestalt 
des  Pferde  von  Solutr^  gar  nicht,  jenes  steht  auf  hohen  Beinen  und  hat 
einen  kleinen  Kopf.  Solche  Pferde  kommen,  wie  schon  bemerkt,  auf  antiken 
Vasenbildem  und  geschnittenen  Steinen  vor;  die  auf  dem  Fries  des  Parthe- 


in 


AI.  Ecker:  üeber  präbiatoriBche  Kaost. 


Don  aiud  klein.  Sowohl  dos  wilde  Pferd  der  ftsiatiscben  Steppen,  wie  dfta 
verwilderte  disr  Pampas  wird  als  klein  mit  verhältnissrntiBaig  grossetn  Kopfe, 
also  dem  Esel  näher  stehend,  gescbildert.  Sanson  and  Pietrement, 
welche  TonssAinta  Ansicht,  daas  die  Pferde  Ton  Solutre  als  Nahrunguthiere 
gesähmt  gewesen  seien,  mit  Grund  bestreiten,  und  sie  für  Jagdbeute,  von 
der  man  lebte,  halten,  haben  über  die  Gestalt  dieses  Wildpferdes  keine 
andere  Meinung  geäussert.  Der  erstero  findet  sie  mit  dem  heute  noch  in 
Belgien  gezüchteten  Ardennci pferd  übereinstimmend;  vgl.  Bull,  de  la  Soc. 
d'Anthrop,  Paris  1874,  p.  642  und  689. 

Ecker  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  vorläufig  in  Anbetracht  vieler 
vorhandenen  "Widersprüche  eine  Lösung  der  Frage  der  Aechtheit  d.  i.  de» 
hohen  Alters  der  Höhlenzeichnungen  aamöglich  sei  und  dass  die  Conetanier 
Versammlung  mit  Recht  einen  endgültigt^n  Spruch  von  sich  abgewiesen 
habe.  Er  hofft,  dass  die  göttliche  Kunst  damals  nicht  nur  in  wenige  bevor- 
zugte Höhlen  vom  Himmel  heruntergestiegen  sei,  sondern  sich  auch  noch 
anderswo  in  Deutschland  werde  fiudeu  lassen  und  erwartet  dann  vun  der 
deatfloben  anthrop,  Gesellschaft  die  Ernennung  einer  Gommission  von  Sach- 
verständigen zu  genauer  Untersuchung  des  Falles.  Mit  ähnlichem  Rathe 
schlosa  ich  mein  Urtheil  über  dio  Thayingcr  Funde  in  Constauz,  vgl.  Be- 
richt, S.  116  und  diese  Jahrbücher  Heft  LXI,  S.  164,  indem  ich  sagte, 
mau  müsse  weitere  Funde  abwarten,  die  Aechtheit  dieser  Kanstarbeiten 
sei  möglich,  aber  dann  habe  kein  rohes  Jägervolk  sie  gemacht. 

Am  Schlüsse  des  Constanzer  Berichtes,  dem  zwei  Tafeln  mit  Photo- 
gi-aphieen  der  bearbeiteten  Thayinger  Knochen  beigefügt  sind,  meldet  Dr. 
Mandacb  aus  Scbuffhausen,  dass  rann  nach  dem  Qnaterly  Jonrn.  of  the 
geolog.  Soc.,  Aug.  1877  in  der  knochenfahrenden  Höhle  von  Creswell  auf 
einer  Thierrippe  die  Zeichnung  des  Vordertbeiles  eines  Pferde«  entdeckt 
habe,  in  einer  Schicht,  deren  Einschlüsse  nicht  mehr  dem  rohesten  Typus 
der  Steingeräthe  angehören.  Das  Pferd  hat  eine  borstige  Mähne  und  einen 
kleinen  Kopf.  Dawkins  erkennt  in  der  Zeichnung  die  Gleichheit  des  Stiles 
mit  den  Funden  von  Thayingen.  Diese  im  Beisein  von  Prof.  Dawkins 
entdeckte  Zeichnung  ist  im  Constanzer  Bericht  auf  Taf.  1,  Fig.  20  wieder- 
gegeben. Schaaffhausen. 


Conze  o.  Hirschfeld:  Archael.-epigr.  Mittheil,  aus  Oesterreioh.        168 


8.  Archaeolügiach-cpigraphische  Mittheilangon  aus  Oester- 
reich,  herausgegeben  von  A.  Conze  und  0.  Hirschfeld.  Jahr- 
gang 1 .  Mit  8  Tafeln  und  2  Holzschnitten.  Wien,  Druck  und  Yer* 
lag  von  Carl  Gerolds  Sohn  1877.    IV  und  172  Seiten  8. 

Im  Kreise  des  Vereins  von  Alterihtunsfreunden  im  Rheidlande  wird 
ein  Unternehmen  leicht  empfohlen  sein,  dessen  Analogie  mit  den  Bestrebun- 
gen .  des  Vereins  auf  der  Hand  liegt.  Wie  die  Universitätsstadt  Bonn  schon 
längst  zu  einem  Mittelpunkte  der  Alterthumserforschung  für  die  Rheinlande 
sich  gemacht  hat,  so  hat  jetzt  die  seit  Langem  von  Wien  ausgehende  Be- 
schäftigung mit  den  römischen  Ueberresten  der  Österreichischen  Provinzen 
and  benachbarten  Länder  auch  an  der  Universität  Platz  gefasst.  Die  neue 
Zeitichrifl  ist  das  Organ  der  archaeologisoh-epigrapbischen  Arbeitsstelle, 
welche  das  k.  k.  Unterrichtsministerium  kurzlich  in  dem  Seminare  für  die 
genannten  Studien  an  der  Universität  Wien  begründet  hat.  Dem  Seminare 
stehen  die  Herausgeber  der  Zeitschrift  vor,  ihm  gehören  die  Mitarbeiter 
zum  guten  Theile  an  oder  stehen  ihm  nahe.  An  Stoff  fehlt  es  nicht.  Er 
wartet  in  reicher  Fälle,  dass  Hand  angelegt  werde,  zumal  da  die  heutigen 
politischen  Grenzen  keine  Schranken  ziehen  können,  sondern  namentlich  donau- 
abwärts  die  altrömiscben  Gebiete  in  den  Kreis  der  „Mittheilungen"  gezogen 
werden  müssen  und  sollen.  Aktive  Kräfte  werden  zu  solcher  Ausdehnung 
der  Erkundung  grade  dem  Seminare,  das  seine  Zöglinge  mit  eigenen  Reise* 
Unterstützungen  aussenden  kann,  zu  Gebote  stehen.  Dergleichen  Anfälle 
liegen  bereits  im  ersten  Bande  vor:  Reiseberichte  aus  Triest,  Pola,  Aqui- 
leja  und  über  eine  Reise  im  westlichen  Ungarn. 

Neben  den  einheimischen  Alterthümem,  durch  deren  sorgfaltige  Ver- 
zeichnung einerseits  epigraphisch  auf  dem  C.  I.  L.  weitergebaut,  andrerseits 
archaeologisch  für  eine  analoge  erschöpfende  Sammlung  vorgearbeitet  wer- 
den soll,  bietet  zumal  die  Hauptstadt  Wien  einen  nicht  verächtlichen  Vor- 
rath  von  Antiken  auswärtigen  Fundorts.  Bereits  vielfach  durch  Publikationen 
zugänglich  gemacht  ist  der  Besitz  des  kais.  Kabinets;  daneben  aber  ist 
mehr  als  man  meint  in  Privatsammlungen  vorhanden.  Diesen  Bestand  zu 
katalogisiren,  das  Merkwürdigste  auch  abzubilden  ist  eine  weitere  Aufgabe, 
welche  sich  die  „Mittbeilungen"  stellen.  Der  erste  Band  bringt  den  von 
6  Tafeln  begleiteten  Katalog  der  Sammlung  Millosich,  zumeist  Stücke 
griechischer  Herkunft  enthaltend;  Prof.  Gurlitt  ist  der  Verfasser. 

Die  zwei  übrigen  Tafeln  des  1.  Bandes  bringen  die  Abbildung  eines 
lange  verschollen  gewesenen  Monuments  aus  Aqoileja  mit  Inschrift  (G.  I.  L. 


164       Gonxo  u.  Uirsohfald:  ArulinooL-opigr.  Mittheil.  aus  Oesterreich. 

V.  883)  und  auf  zwei  andern  Seiten  mit  Reliefs,  Geburt  und  Kultus  des 
Priapos  darstellend.  Die  erschöpfende  Erläuterung  des  Herausgebers  Mi- 
chaelis bezieht  sich  vielfach  auf  Untersuchungen,  welche  0.  Jahn  zum 
Thoil  auch  in  dorn  Jahrb.  des  rheinischen  Vereins  (XXVIT,  S.  45  £f.)  ge- 
führt hat. 

Wie  Michaelis,  so  haben  auch  andre  ausserösterreichische  Gelehrte 
der  neuen  Zeitschrift  ihre  Mitwirkung  geschenkt.  Von  Bonn  kam  die  sach- 
kundige erklärende  Herausgabe  eines  Briefes  Winckelmanns,  der  sich  in 
Wiener  Privatbesitze  befindet.  Anderes  haben  Th.  Mommsen  and  R. 
Sohoell  bdigetragen. 

Das  Meiste  wird  immer  von  österreichischen  Mitarbeitern  kommen, 
unter  denen  neben  den  jung  zuwachsenden  Kräften  namentlich  der  verdiente 
Goos  aus  Siebenbürgen  reichlich  zum  ersten  Bande  beigesteuert  hat.  Dass 
die  Vorsteher  des  Seminars  und  Herausgeber  der  Zeitschrift  in  dieser  ihrer 
doppelten  Eigenschaft  namentlich  auch  gestaltend  auf  die  Beiträge  der  Zög- 
linge des  Seminars  wirken,  ist  selbstverständlich.  Mit  dem  zweiten  Bande 
beginnend,  soll  endlich  nach  Kräften  Sorge  getragen  werden,  dass  volistäa- 
digo  Auszüge  von  allem  Archäologisoh-epigraphischen,  was  in  den  Lokal- 
drucksohriften  Ocsterreichs  erscheint,  Kenntuiss  geben;  hierfür  ist  besonders 
von  Budapest  aus  Mitwirkung  gesichert. 

Zum  Schlüsse  hebe  ich  noch  ein  Unternehmen  hervor,  von  dem  Otto 
Hirschfeld  im  ersten  Bande  S.  130  ff.  Nachricht  giebt  und  über  das  fort- 
laufond  zu  boricliten  die  „Mitthoilungen*^  auch  ferner  sich  angelegen  lassen 
sein  werden,  die  von  der  östermchischen  Regierung  mit  dem  Vorsatze  um- 
fassender Durclifiihruug  begonnene  Ausgrabung  der  Ruinen  des  römischen 
l.ag«rs  von  Carnuutum. 

An  die  StoUo  des  Unterzeichneten  ist  in  die  Leitung  des  Seminars 
und  in  die  Retlaktion  der  ..Mittheilungen"  sehon  während  des  Druckes  des 
zweiten  Heftes  Otto  Benndorf  eingetreten.  Um  so  mehr  ist  der  Zeit- 
schrift ihr  Fortgang  gesichert.  An  ferner  guter  Aufnahme  bei  einem  Kreise 
von  Lodern  und  lu'nutwern  «ird  es  ja  auch  nicht  fehlen,  am  wenigsten  da, 
wo  dem  Krforsol'.er  und  Licbh.*l'cr  der  römischen  Aherthümer  im  Westen 
IVntvchl.'kuds  die  Tcukmaier  der  südöstlichen  Sohwesterlandschaft  von  ganz 
lv*onvierai  Interesse  sein  müsseu. 

Berlin.  Conze. 


III.  Miscellen. 


1.  Bacharach.  Bezüglich  dor  Baageschicbte  der  Wernerskirche  da- 
selbst wird  allgemein  angenommen,  dass  die  Gründang  dieses  Baues  in  das 
leiste  Jahrzehnt  des  13.  Jahrhunderts  zurückgehe  nnd  der  am  23.  August 
1293  vom  Bischof  Hermann  consecrirte  Altar  sich  innerhalb  des  Neubaues  be- 
fanden habe;  bis  zum  Jahre  1337  seien  zwei  Flügel,  der  östliche  nämlich  und 
der  südliche  bis  zur  Höhe  des  Daches  gediehen  und  dann  der  Bau  bis  gegen 
1430  ganz  in's  Stocken  gerathen.  So  Weidenbach,  Bacharach,  Stahleck  und 
die  Wemerskirche,  Bingen  1860,  S.  30  und  S.  38;  —  Eugler,  Gesch. 
d.  Bank.  HI,  S.  227  und  neuestens  Bock,  Bheinlands  Bandenkm.  d.  M.  A. 
I.  Serie.  Zu  diesen  Annahmen  bewog  bei  dem  Mangel  an  zutreffenden  ge- 
schichtlichen Nachrichten  die  oben  erwähnte  Angabe  über  die  Consecration 
eines  Altars,  sowie  die  Erzählung  von  der  Beraubung  des  Opferkastens,  in 
Folge  dessen  der  Bau  ins  Stocken  (ferathen  sein  soll.  Nun  beweist  aber 
die  Consecration  des  Altars,  welcher  in  der  zum  grösseren  Theil  zerfallenen 
Kuniberts-Kapelle,  die  ehedem  an  der  Stelle  der  Wemerskirche  gestanden, 
noch  keineswegs,  dass  mit  dem  neuerbauten  und  geweihten  Altare  ein  Theil 
des  heutigen  Eirchengebäudes  gleichzeitig  entstanden  sei.  Dass  ältere  Schrift- 
steller wie  die  Bollandisten  und  Brower  (bei  Weiden bach  a.  a.  0.  n.  86, 
S.  124)  der  einfachen  Thatsaohe  der  Altarweihe  eine  solche  Erweiterung 
gaben,  ist  nicht  eben  zu  verwundem.  Halten  wir  dagegen  heute  die  Er- 
gebnisse, welche  eine  kunstwissenschaftliche  Prüfung  des  Denkmals  selbst 
liefert,  mit  jener  Notiz  und  den  aus  der  anderen,  obenerwähnten  Erzählung 
über  die  Stöning  des  Weiterbaues  zusammen,  so  dürften  wir  zu  anderen 
Scblussfolgerungen  kommen,  als  die  älteren,  und  mit  ihnen  alle  neueren 
Schriftsteller,  welche  das  Baudenkmal  behandelten.  Vor  Allem  kann  näm- 
lich  aus    der    theilweisen  Erneuerung   der  alten  Eunibertskapelle  and  der 


166  MiBoellon. 

Errichtung  eines  neuen  Altars  nicht  ohne  Weiteres  auf  einen  so  umfäng- 
lichen Neubau  geschlossen  werden,  wie  ihn  die  Wernerskirche  darstellt. 
Schon  der  Umstand,  dass  bei  der  Weihe  des  neuen  Altares  die  alten  Patrone, 
nämlich  Kunibert  und  Andreas  beibehalten  wurden,  weisen  nicht  undeut- 
lich darauf  hin,  dass  die  früheren  Verhältnisse  der  Kapelle  im  Wesentlichen 
unverändert  fortbestehen  blieben. 

Fassen  wir  nun  die  zweite  Notiz  ins  Auge,  so  besagt  dieselbe  nur, 
dass  der  Bau  um  1337  im  Betrieb  war  und  durch  die  frevelhafte  Entzie- 
hung der  Baukasse  augenblicklich  ins  Stocken  gerieih.  Es  ist  nicht  ein- 
zusehen, wie  mau  auf  den  Gedanken  vei^allen  mochte,  so  unbedingt  den 
ganzen  Zeitraum,  welcher  zwischen  der  Altarconsecratiun  und  der  Beraubung 
der  Baukasse  liegt,  also  gegen  fünfzig  Jahre  als  wirkliche  Bauzeit  anzu- 
nehmen. Wer  je  das  kleine  Denkmal  gesehen  und  einige  Vorstellung  davon 
hat,  welche  Wandlungen  innerhalb  eines  halben  Jahrhunderts  die  Gothik 
am  Rhein  durchgemacht  hat,  dem  muss  es  räthselhaft  erscheinen,  wie  eine 
solche  Vorstellung  so  lange  festgewurzelt  sich  erhalten  konnte.  Es  kann 
vielmehr  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Wernerskirche  nicht  gar 
lange  Zeit  vor  dem  in's  Jahr  1337  verlegten  Raub  begonnen  und  in 
raschem  Anlauf,  wenigstens  in  dem  erhaltenen  Ost-  und  Südflügel  bis  zur 
Gesimshöhe  vollendet  worden  ist.  Die  Architekturformen  gehören  nicht 
mehr  dem  13.,  sondern  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  an;  es  srä 
ferner  auf  die  an  der  Aussenseite  des  Fenstormasswerks  eingeführten  Hohl- 
profile  verwiesen,  worin  die  jüngere  Richtung  so  unverkennbar  sich  aus- 
prägt. Für  einen  in  rascher  Folge  geführten  Baubetrieb  spricht  aber  die 
ganz  einheitliche  werkmänuischo  Ausstattung  des  Baues :  neben  einheitlichem 
Material,  dem  bunten  Main-Sandstein  ist  von  entscheidendem  Gewicht  das 
gleichmässige  Vorkommen  derselben  Steinmetzenmarken.  Wäre  längere  Zeit 
über  der  Vollendung  des  Baues  verflossen,  so  würde  neben  der  Vielheit  und 
Verschiedenheit  der  Marken  auch  noch  deren  ältere  und  jüngere  Bildung 
unzweifelhaft  sich  geltend  machen.  So  aber  sind  über  die  erhaltenen  Theile 
dieselben  Zeichen  vertheilt  und  stimmen  in  ihrer  eigenthümlichen  Ausbil- 
dung ganz  zu  jener  Zeit,  welche  oben  für  die  Erbauung  der  Kirche  in  An- 
spruch genommen  wurde.  Ich  habe  die  Steinmetzzeichen  rings  um  den 
Bau  aufgesucht  und  theile  dieselben  auf  Taf.  VII,  f.  2  mit,  um  die  Probe 
für  die  Richtigkeit  meiner  Annahme  zu  ermöglichen. 

Wer  die  Ausbildung  und  Verwendung  von  Steinmetzzeichen  verfolgt 
hat,  wird  die  Bedeutung  des  Argumentes  nicht  verkennen  und  dem  Schlüsse 
gewiss  zustimmen.  Es  darf  daher  als  sicher  betrachtet  werden,  dass  die 
Ostapsis    und    der   südliche    Kreuzflügel    nebst    der    Vierung    nach    einer 


MisoelIeD, 


157 


raschen  Bauzeit  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  14.  Jahrhanderts   vollendet 
worden. 

Es  erbebt  sich  nnn  die  Frage  nach  der  Glaubhaftigkeit  jener  Angabe, 
welche  von  einer  Einstellung  des  Baues  nach  dieser  Zeit  und  einer  fast 
hundertjährigen  Unterbrechung  des  Ausbaues  berichtet  (vgl.  Weidenbach, 
a.  a.  0,  8.  39  u.  44  ff.).  Genügende  Nachweise,  dass  der  nördliche  Krenzarm 
vor  Mitte  des  14.  Jahrhunderta  nicht  ausgebaut  und  erst  im  15.  vollendet 
worden  sei,  sind  meines  Erachtens  nicht  vorhnnden.  Leider  ist  jeuer  Bau- 
th«il  ganz  eingegangen,  so  dass  aus  dem  Denkmal  selber  eine  nnmittelbAre 
Beweisführung  nicht  geliefert  werdeu  kann.  Dass  der  westliche  Abschluss 
tiiatsäcblich  erst  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  hergestellt  wurde 
wird  in  keiner  Weise  angezweifelt').  Dagegen  zwingt  nichts  zur  Annahme, 
dass  auch  der  nördliche  Kreuzarm  damals  erst  ausgebaut  worden.  Man 
wird  vielleicht  auf  einen  kleinen  Rest  von  Quadermauerwerk  hinweisen,  der 
an  dem  ersten  uud  einzig  erhalteüen  Strebepfeiler  des  nördlichen  Kreujs- 
flfigels  sich  erhalten  bat  und  allerdings  von  jüngerem  Datum  zu  sein 
■ebeini;  allein  wer  beweist,  daes  dies  nicht  eine  spätere  Herstellung  sei, 
wie  deren  auch  sonst  noch  nachzuweisen  sind?  Ein  Blick  auf  die  Ge- 
sammtonlage  zeigt  vielmehr,  daas  die  Vollendung  des  nördlichen  Krouz- 
armes  eine  Elxistenzfrage  für  die  anderen  Theile  des  Baues  war.  Heute, 
wo  derselbe  der  Gewölbe  entbehrt,  mögen  freilich  Ostchor  und  Südüügel 
für  sich  stehen ;  ergänzen  wir  aber  die  Wölbungen,  wie  solche  doch  wohl 
(Düseen  vorbanden  gewesen  sein,  so  ist  nicht  abzusehen,  wie  das  Gebitudo 
ohne  verstrebenden  Abschluss  nach  Norden  soll  Bestand  gehabt  haben. 
Würde  der  Beweis  geliefei-t,  dass  der  Bau  fast  eiu  Jahrhundert  später 
diesen  Flügel  erhalten  hätte,  so  könnte  dies  nur  unter  dor  Voraussetzung 
gedacht  werden,  dass  der  nordwestliche  Eckpfeiler  der  Vierung  durch  starke 
VfltfBtrebnng  wäre  gehalten  gewesen,  oder  al)er,  dass  die  Viening  niemals 
wäre  eingewölbt  worden.  "  Ob  die  Schwierigkeiten  den  Bau  uach  dem  fa- 
baloB  aufgeputzten  Raub  der  Baukasse  weiterzuführen,  wirklich  so  nnüber- 
steiglich  sollen  gewesen  sein,  muss  gerechten  Zweifel  erwecken.    Steltt  doch 


1)  Der  von  Bock,  a.  a.  0.  S.  lö  mitgethcilte  Gnindriss  läast  die  Art  des 
«estlichen  Abschlusses  ganz  uDent^chicden;  er  gibt  weder  eine  Lösung  im  Sinne 
des  Vorhandenen,  was  eincZuthat  des  15.  Jahrhuudcrta  ist,  noch  eine  ideale  Er- 
gänzung. Es  ist  vielleicht  nicht  ülierflfissip  darauf  liinzuw^iBen,  dass  King, 
Stndybook  IV,  pl.  28  einen  restaurirtcin  (trnndrisa  gibt,  welcher  eine  auf  zwei 
ineinandergeschobenen  Dreiecken  ruhende  Empore  mit  westwärts  vorgelegtem 
Stiegenthurnie  aufweist  und  darin  an  die  noch  Bichtbaren  Reste  anschliesst. 


168  Misoellen. 

die  ganze  Erz&hlnng  de8  Raubes  auf  so  schwachen  Fassen,  dass  bereits 
Weidenbach  (a.  a.  0.  S.  40)  sich  zar  Aensserang  veranlasst  sieht,  es 
könne  eben  nicht  einmal  als  erwiesen  angenommen  werden,  ob  das  von 
Brower  hiefür  angegebene  Jahr  1337  das  richtige  sei.  Viel  wichtiger  far 
die  Bangeschichte  sind  offenbar  die  1320  von  Erzbischof  Peter  von  Mains 
und  eine  vom  Jahr  1824  datirte  Urkunde  des  Erzbischofs  Boemnnd  von 
Trier,  welche  Ablässe  für  Leistungen  zum  Bau  der  Kirche  ertheilen  bezw. 
bestätigen.  Im  Hinblick  auf  die  ganze  Haltung  der  Architektur  der  Wer- 
nerskirche möchte  ich  darum  gerade  den  Zeitpunkt  von  1320 — 24  als  die 
eigentliche  Oründnngs-  und  Bauzeit  derselben  ansehen.  Wo  das  urkund- 
liche Beweismaterial  so  mangelhaft  ist,  wird  eine  unzweifelhafte  Fest- 
stellung kaum  möglich  sein ;  es  schien  mir  jedoch  angezeigt,  die  Frage  aufs 
Nene  anzuregen  und  das  Meinige  zur  Lösung  beizutragen. 

Mainz.  Friedrich  Schneider. 

2.  Bonn.  Ueber  die  gewundenen,  sogenannten  celtischen 
Ringe  oder  Tor ques.  Am  neunten  November  1876  wurde  bei  dem  Aus- 
baggern des  Fundamentes  für  einen  der  Strompfeiler  der  grossartigen  Rhein- 
brUcke,  welche  oberhalb  Coblenz,  zur  Durchführung  der  Berlin-Metzer 
strategischen  Eisenbahn,  beide  Rheinufer  nebst  der  Insel  Oberwerth  über- 
spannen soll,  mitten  im  Flusse,  unter  Sand  und  Geröll,  ein  Armreif  ge- 
funden, der  aus  vier  strickformig  zusammengewundenen  Drähten  des  feinsten 
Goldes  besteht.  Dieser  Armreif,  gegenwärtig  im  Besitze  der  Kaiserin 
Angusta,  wurde  von  Herrn  Geheimrath  Professor  Dr.  Schaaffhausen  in 
der  Niederrhein.  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Bonn  vorgezeigt 
und  gab  demselben  zu  einem,  später  in  dem  Sitzungsberichte  der  genannten 
Gesellschaft  vom  19.  Febr.  1877  S.  34 — 37  mitgetheilten  Vortrage,  sowie 
auch  zu  einem  Berichte  in  diesen  Jahrbüchern,  LXI,  S.  147,  Veranlassung. 

Herr  S.  ist  der  Meinung,  da.ss  dieser  Ring  ein  celtischer  oder  galli- 
scher sei,  dass  derselbe  aus  vorrömischer  und  zwar  aus  einer  Zeit  stamme, 
wo  die  Anwohner  beider  Rheinufer  Gelten  gewesen  wären  und  dass  aus  dem 
Rheinsande  gewaschenes  Gold  wahrscheinlich  das  Material  zu  demselben  ge- 
liefert habe.  > 

Mit  Bezugnahme  auf  das  über  diesen  Ring  Mitgetheilto  glaube  ich  zu 
der  Annahme  berechtigt  zu  sein,  dass  man  den  gewundenen  oder  ge- 
drehten Ringen  gegenwärtig,  wo  die  Bestrebungen  der  modernen  ethno- 
graphischen Forschung  so  sehr  auf  die  Feststellung  der  geographischen 
Grenze  zwischen  Germanen  und  Galliern  in  vorgeschichtlicher  Zeit  gerichtet 
sind,  häufig  eine  Bedeutung  und  Wichtigkeit  für  das  specifischo  Celtenthum 
beilegt,  welche  ihnen  gar  nicht  zukommt. 


Miflcellen. 


169 


Hai«-  und  Armringe  dieser  Art,  Bogenannta  Torques,  sind  näinlioh 
für  die  Gelten  keineswegs  in  dem  Masse  bezeichnend  nnd  das  Verferügen 
and  Tragen  derselben  stellt  darchans  nicht  eine  sie  von  anderen  Völkern 
so  sehr  nnterscheidende,  gewissennassen  für  sie  cbarakteristische  Volks- 
eigentbümlichkeit  dar,  wie  jetKt  vielfach  angenommen  wird. 

Der  Gedanke,  sowohl  viereckigen  Metallstäben  von  geringeni  Durch- 
messer als  anch  anfcinander  gelegten  Stücken  Drahtes  dorch  Drehen  nm 
ihre  Achse  eine  zierlichere  Form  und,  was  die  Drähte  betritlt,  zugleich  auch 
eioea  festeren  Zasammenhalt  zn  verleihen,  liegt  zu  nahe  nnd  die  hierfür 
erforderliche  Technik  ist  eine  zu  einfache  und  wenig  mühsame,  als  dass 
nicht  die  verschiedensten  Völker,  schon  im  Anfangsstadium  ihrer  Kultur, 
unabhängig  von  einander,  anf  diese  Art  der  Ornamentik  gekommen  sein 
sollten.  Gedrehte  Ringe  sind  daher,  ausser  in  den  Ländern,  welche  be- 
wieMoermasBen  von  celtischen  Volksstämmen  bewohnt  gewesen  sind,  wie 
die  |iyrenäieche  Halbinsel,  Frankreich,  die  Schweiz,  Oberitalien,  Belgien  und 
Theile  des  linken  Rheinafera,  auch  in  Ländern  gefunden  worden,  wo  nie- 
mals Gelten  sesshaft  waren,  wie  z.  ß.  in  Mittel-  und  ünteritalien,  Griochen- 
buid,  verschiedenen  Gegendon  von  Deutschland  und  Skandinavien. 

In  den  altnordischen  Heldensagen^  ja  schon  in  der  Edda,  spielen 
Armringe  eine  grosse  Rolle.  Montelius  bildet  in  seinem  Werke  aber  die 
Vorzeit  Schwedens  —  Sveriges  fomtyd  —  gedrehte  Finger-  and  Armringe 
von  Broiice,  Silber  nnd  Gold  ab,  und  anch  das  königliche  Museum  für 
nordische  Alterthumskuude  in  Kopenhagen  enthält  nicht  wenige  solcher 
Ringe.  In  allen  genannten  LUndern  aber,  die  coltischen  nicht  ausgenommen, 
waren  gedrehte  Ringe  und  glatte  nebeneinander  in  Gebrauch.  Auf  Sumatra 
nnd  Java  habe  ich  Aehnliches  beobachtet.  Jedes  malaiische  und  javanische 
M&dcben  trägt  nämlich  von  seiner  frühesten  Jagend  an  Armbänder,  die 
nach  den  Vennögensverhnitnissen  der  Eltern,  entweder  aus  Gold  oder  Silber, 
ans  Gold  nnd  Silber,  aus  Gold  und  Kupfer,  sogenannter  Souassa,  oder  nur 
ans  Kupfer  bestehen.  Diese  Ringe  aber  sind  von  dreifacher  Gestalt  und 
stellen  entweder  spiralförmig  gewundene  Schlangen  dar,  oder  sie  sind  ganz 
glatt,  oder  sie  bestehen  aug  zusammengedrehten  Drähten  der  genannton 
Metalle  nnd  Metallverbindungen. 

Die  letzteren  habeu,  um  zusammengehalten  zu  werden,  an  dem  einen 
verdünnten  EInde  einen  kleinen  Elaken,  an  dem  anderen  eine  Oese.  Man 
könnte  auf  den  genannten  Inseln  ohne  Mühe,  in  ganz  kurzer  Zeit,  sich 
Hunderte  von  diesen  gedrehten  Armringen  verschafFen,  welche  dem  bei 
Obcrwerth  gefundenen  zum  Verwechseln  gleichen.  Wie  allgemein  auf  den 
indischen  Inseln    der  Gebrauch    ist,    nicht   nur   den    für  Ringe  bestimmten 


160  Misoellen. 

Drähten  and  dünnen  viereckigen  MetaUstäben,  sondern  auch  für  andere 
Zwecke  dienenden  Stangen  anderen  Materials,  durch  Drehen  um  ihre  Achse 
eine  zierlichere  Form  zu  geben,  zeigen  verschiedene  Gegenstände,  welche 
ich  aus  Sumatra  und  Bomeo  u^itgebracht  und  in  der  allgemeinen  Sitzung 
der  niederrheinischen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  am  5.  November 
1877  vorgezeigt  habe,  wie  z.  B.  ein  Uautkratzer  und  zwei  Haken  zum  Offen- 
halten der  Bettvorhänge  aus  Hörn. 

Bei  den  Römern  waren  goldene  Armringe,  —  Armillae,  —  Amts-  and 
Standeszeichen  der  Senatoren  und  Ritter.  Hannibal  liess  nach  der  Schhicht 
bei  Gannae,  wo  die  Römer  eine  so  furchtbare  Niederlage  erlitten,  den  ge- 
fallenen Rittern  und  Senatoren  diese  Ringe  abstreifen  um  sie  nach  Kar- 
thago zu  senden.  Die  Zahl  derselben  war  so  gross  dass  sie,  wie  Liviua 
bemerkt,  drei  Scbe£felma8se  fQllten. 

Ob  diese  Ringe  immer  glatte  oder  auch  schlangenförmig  gewundene 
und  auch  gedrehte  waren,  lässt  sich  jetzt  nicht  mehr  ermitteln.  Unter 
den  Kaisem  wurden  auch,  als  Belohnung  für  kriegerische  Verdienste,  an 
Soldaten  Armringe  vertheilt.  Auffallend  aber  ist,  dass  fast  nie  auf  bild- 
lichen Darstellungen  aus  dem  römischen  Alterthume,  sowohl  auf  Statuen 
als  auf  Reliefs,  geschnittenen  Steinen  oder  Münzen  Römer  mit  Armbändern 
erscheinen.  Nur  Frauen,  hauptsächlich  auf  Frescobildern,  zeigen  sich  mit 
denselben  geschmückt,  entweder  blos  am  Vorder-  oder  zugleich  auch  am 
Oberarme.  Auch  die  Aphrodite  Kallypygos  in  Neapel  trägt  am  linken  Ober- 
arme sowie  am  rechten  Vorderarme  ein  Armband.  Auf  den  Darstellungen 
aus  dem  griechischen  Altcrthume  findet  dasselbe  statt  und  nur  Frauengc 
stalten  tragen,  wiewohl  nur  selten,  doch  hiu  und  wieder  Armbänder. 

Was  nun  die  gewundenen  oder  gedrehten  Halsringe  betrifft,  denen 
man  gegenwärtig  eine  noch  grössere  charakteristische  Bedeutung  für  das 
specifische  Gcltenthnm  zuspricht  als  den  gedrehten  Armreifen,  indem  von 
Vielen  alle  mit  solchen  Ilalsringen  versehene  Gestalten  auf  Bildwerken  des 
Alterthums,  für  Gelten  (Gallier)  angesehen  werden,  so  lüsst  sich  auch 
hiergegen  nicht  Weniges  einwenden.  Die  Anhänger  dieser  Ansicht  berufen 
sich  in  erster  Stelle  auf  das  von  Livius  —  L.  VII  C.  X  —  so  malerisch 
beschriebene  Zweigefecht  zwischen  einem  vornehmen  Gallier  und  dem  da- 
mals noch  jugendlichen,  später  so  berühmt  gewordenen  Titus  Manlius. 

Dasselbe  fand  im  Jahre  358  v.  Chr.  auf  einer  Brücke  über  den  Anio 
statt,  indem  die  Gallier  auf  dem  einen,  die  Römer  auf  dem  anderen  Ufer 
des  Flusses  ihr  Lager  aufgeschlagen  hatten.  Um  nicht  Furcht  vor  dem 
Feinde  zu  verrathcn,  hatte  keines  von  den  beiden  Ileeren  die  Brücke  ab- 
gebrochen.    Da  betrat  ein  gallischer  Krieger  von  riesenhaftem  Körperbau, 


Miscellen. 


161 


in  bantfarbigen  Kleideni  tiDcl  mit  bemalten,  reich  mit  Gold  eingelegten 
Waffen  —  auro  caelntia  refulgens  armis  —  jene  Brfick«,  mit  lauter  Stimmo 
die  tapfersten  Römer  zum  Zweikampfe  lierausfordomd.  Manlins,  |,Ton  nor 
mittlerer  Stator  für  einen  Krieger  and  mit  weniger  prunkenden  als  für  den 
Gebrauch  geschickten  Waffen  versehen",  nahm  die  Ausforderung  an  und  das 
Gefecht  zwischen  ihm  und  dem  Gallier  fand  im  Angesichte  beider  Fleere 
statt.  Manlins  erlegte  seinen  Gegner,  nahm  ihm,  als  derselbe  todt  hinge- 
streckt lag,  ohne  der  Leiche  in  irgend  einer  anderen  Weise  Schmach  zuzu- 
fügen, blos  das  Halsband  ab  und  that  dasselbe,  noch  mit  Blut  bespritzt, 
um  seinen  eigenen  Uals.  Die  Gallier,  mit  Schrecken  und  Bewundevang 
flher  den  Ausgang  dieses  Zweikampfes  erfüllt,  hlicl)on  dem  Boden  ange- 
heftet, stehen.  Die  Römer  aber  führten  den  Sieger  jubelnd,  unter  Glück- 
wünschen and  Lobeserhebungen  zu  dem  Diotator  hin.  In  ihren  kunstlosen, 
lieder ähnlichen  Scherzen  hörte  man  sie  dem  Manlius  auch  den  Bninamen 
,, Halsbandträger"  —  Torquatus  —  geben,  welcher  bald  allgemein  üblich  und 
ein  ehrenvoller  Beiname  seines  Geschlechtes  und  seiner  Nachkommen  wurde. 
LiviuH  bedient  sich  für  den  Halsschmuck,  welchen  Manlius  dem 
erschlagenen  Gallier  abnahm  und  um  seinen  eigenen  Hals  that,  des  Aus- 
druckes Torques.  In  diesem  Worte  liegt  aber  durchanE  nicht  begriffen, 
dass  das  betreffende  Halsband  ein  um  seine  Achse  gedrehtes  gewesen  sei. 
Torquea  ist  nämlich  mit  den  Ausdrücken  collare,  monile  und  catelia  völlig 
gleichbedeutend  und  liezeichnet,  wie  letztere,  blos  einen  Halsschmuck,  ohne 
Räcksicht  darauf,  ob  dersolbo  eine  einfache  oder  künstlicher  verschlutigeno 
Kette  und  mit  Perlen  oder  Edelsteinen  verziert  ist,  oder  aber  aus  strick- 
formig  zosammengedreblen  Metalldrähtcn  besteht.  Ohne  das.s  im  entfern- 
testen dabei  von  einer  Beziehung  auf  die  Gallier  Rede  sei,  gebrauchen, 
gleichwie  Livius  an  einer  anderen  Stelle  als  der  erwähnten  —  Lib.  44 
Cap.  14  — ,  auch  andere  Schriftsteller  vor  and  nach  ihm,  wie  Sueton  — 
Vita  Aognsti  43  — ;  Properz  —  4.  10.  44  — ;  Ovid  —  Fast.  6.  ßOl  — ; 
Cice  ro  —  Disquis.  academ.  3.  80.  185  — ;  Horaz  —  3.  R.  12  —  ;  Quin  c- 
tilian  —  6.  3.  79  —  das  Wort  „Torques"  einfach  für  Halsband.  PH- 
niua  —  10.  42.  (68)  —  bezeichnet  mit  diesem  Worte  den  Kreis  oder 
Ring  an  dem  Halse  verschiedener  Vögel  und  Virgil  —  Georgic.  4.  276  — 
Blumenguirlanden.  Das  Substantiv  ptorques",  in  alterer  Form  „torquia",  ist 
von  dem  Zeitworte  „torqnere'^  abgeleitet,  dessen  erste  und  Uaupthcdeatung 
drehen  und  winden  ist,  welches  aber  eine  Menge  abgeleiteter  Nebt-nbe- 
deatnngen  hat,  wie  z.  B. :  Oculos  torquere,  die  Augen  verdrehen;  Se  m 
terra  t.,  sich  auf  der  Erde  wälzen;  Capillos  t.,  die  Haare  kräuseln;  Pul- 
terem  t.,  Staab  aufwirbeln;    lue  t,   das  Recht   verdrehen;    Talum  t.,   den 

11 


162  Mkcellen. 

Fqbs  verstaachen;  Saxa  t.,  Steine  wälzen;  Tela  s.  Jacalum  t.  in  aliquem, 
Geschosse  nach  Jeniandem  werfen;'  Bellum  t.,  den  Krieg  leiten;  torqoere 
aliqnem,  Jemanden  martern  oder  quälen;  torquere  rem,  eine  Sache  genau 
untersachen  n.  s.  w. 

Das  Wort  „torqnes"  muss  aber  auf  das  Participium  praesentis  de« 
Activums  von  torquere  n&mlich  das  Wort  „torqnens",  d.  h.  drehend, 
windend  und  nicht  auf  das  Participium  praeteriti  des  Passivums,  das  Wort 
„torlum"  d.  h.  gedreht  oder  gewunden,  eurOckgeführt  werden.  Der  Sab- 
stantivform  „torques"  liegt  daher  der  active  Begriff  des  Drehens,  Windens, 
sich  Herumwindens,  nicht  aber  der  passive  des  Gedreht-  oder  Gewunden- 
seins zu  Grande.  Das  A^jectiv  „torquatus"  ist  von  dem  Substantiv  „torques" 
und  nicht  unmittelbar  von  dem  Zeitworte  , .torquere"  abgeleitet.  Es  be- 
deutet nichts  anderes  als  mit  einem  „torques"  umgeben  oder  umwunden  sein. 
Der  active  Begriff  des  Drehens  oder  Windens  ist  diesem  Adjectiv  geblieben. 

Das  Beiwort  „Torquatus"  bezieht  sich  desshalb  auf  den  Hals  des 
Manilas  und  nicht  auf  die  Art  des  Halsbandes.  In  ganz  derselben  W' eise 
nennt  Ovid  —  Herold.  2.  119  —  die  Alekto:  „Alecto  colubris  torquata" 
d.h.  die  Schlangen  als  Halsband  Tragende  oder  von  Schlangen  Umwundene; 
Martial  —  13.  66  —  die  Ringeltaube  „Columbus  torquatus"  d.  h.  dieHala- 
band- Tragende  und  Virgil  —  Georgic.  4,  276  —  spricht  von  einer  „Ära 
torquata'*  d.  h.  von  einem  mit  Blumen  umwundenen  Altar.  Der  Umstand 
selbst,  dass  Manlius  die  Halskette  des  erschlagenen  Galliers  anlegte,  masste 
die  zusehenden  Krieger  in  Verwunderung  setzen.  Denn  wenn  auch  in 
späterer  Zeit,  namentlich  unter  den  Kaisern,  Halsketten  eine  Belohnung  f&r 
militärisches  Verdienst  wurden,  so  haben  die  Römer  doch  die  Ansicht  von 
Quinctiliau  —  11.  1.  3  —  „Monilibus,  quao  sunt  ornamenta  foeminaram, 
deformentur  vir!"  zu  allen  Zeiten  getheiit  und  selbst  niemals  allgemeinen 
Gebrauch  von  Halsbändern  gemacht,  sondern  das  Tragen  derselben  Frauen 
und  Barbaren  überlassen. 

Wenn  nun  auch  aus  dem  von  Livius  für  das  Halsband  jenes  alten 
Galliers  gewählten  Worte  „torques"  keineswegs  die  Gewissheit  hervorgeht, 
dass  dieser  Ring  ein  gedrehter  gewesen  soi,  bo  ist  die  Möglichkeit,  dass 
derselbe  ein  solcher  war,  doch  nicht  ausgeschlossen.  Da  nämlich  erwiesen 
ist,  dass  die  alten  Gallier,  im  G'egcnsatze  zu  den  Römern  und  Griechen, 
Halsbänder  trugen,  so  lässt  sich  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  letztere,  in 
ähnlicher  Weise  wie  die  celtischen  Armringe,  in  verschiedener  Gestalt  vor- 
kamen und  bald  glatte  bald  gedrehte  waren.  Es  ist  selbst  nicht  anwahr- 
Bcheinlich,  dass  die  Gallier,  welche  frühzeitig  in  der  Bearbeitung  des 
Goldes  erfahren  waren  und  bei  denen  die  Neigung  zu  glänzendem  Körper- 


Miaoellen.  168 

schmucke  so  sehr  vorherrschte,  zur  Zeit  von  Manlius  auch  schon  knnst- 
rdchere  und  zusammengesetztere,  mehr  kettenartige  Halsbänder  besassen. 
» Eine  unbestreitbare  Thatsache  aber  ist  es,  dass  ausser  bei  den 
Galliern  auch  noch  bei  anderen  Völkern  des  Alterthums  strickförmig  ge* 
drehte  HalM'inge  in  Gebrauch  waren.  Zu  diesen  aber  gehören  in  erster 
Stelle  die  alten  Germanen  und  die  Perser. 

Gerade  aber,  weil  gewundene  oder  gedrehte  Halsringe  den  alten 
Galliern  nicht  ausschliesslich,  sondern  erwiesenermassen  auch  anderen  Volks- 
st&mmen  zuzusprechen  sind,  so  dürfen  auf  Kunstwerken  des  Alterthnms 
vorkommende,  mit  solchen  Halsringen  geschmtickte  Männergestalten  nur 
mit  grosser  Vorsicht  und  nicht  bloss  dieser  Ringe  wegen,  von  vornherein 
ftr  Gelten  gehalten  werden.  Jedenfalls  aber  muss  zuerst  festgestellt  wer- 
den ob  dasjenige,  was  den  Hals  dieser  Gestalten  als  strickförmig  gedrehtes 
Halsband  nmgiebt,  auch  wohl  ein  echtes  Halsband  —  Monile,  Catella, 
Collare,  Torqnes  —  oder  nicht  ein  wirklicher  Strick  —  Laqueus,  Restis, 
Fnnis  —  ist.  Diese  Frage  aber  scheint  mir,  namentlich  mit  Bezug  auf  die 
weltberühmte  Statue  des  sterbenden  Fechters  im  capitolinischen  Museum,  noch 
nicht  zur  GenSge  beantwortet. 

FrOher  nannte  man  dieses  Meisterwerk  der  Skulptur  den  sterbenden 
Gladiator.  Winckelmann  sah,  wunderbarer  Weise,  in  ihm  einen  Herold~der, 
nach  Sitte  damaliger  Zeit,  einen  Strick  um  den  Hals  trug  um  das  Bersten 
seiner  Halsadern  bei  dem  Blasen  seines  Hornes  zu  verhüten.  Gegenwärtig 
aber  will  man  in  dieser  Statue,  nicht  allein  aus  dem  gedrehten  Halsringe 
mit  der  knopfförmigen  Anschwellung  an  beiden  Enden  desselben,  sondern 
auch  aus  der  Gtosichts-  und  Scbädelbildung,  dem  struppigen  Haar  und  dem 
Schnurrbarte,  mit  grösster  Bestimmtheit  einen  Gelten  und  zwar  einen  Ga- 
later  erkennen. 

Man  hält  diese  Statue  -«o  wie  die  Gruppe  in  der  Villa  Ludovisi  in 
Rom,  welche  früher  für  Arria  und  Paetas  galt,  später  aber  von  Glarac 
für  Macarius  und  Ganace  erklärt  wurde  und  in  der  man  jetzt  ebenfalls 
einen  Gelten  sieht,  der  zuerst  sein  Weib  getödtet  hat  und  sich  nun  selbst 
ersticht,  sowie  auch  den  sogenannten  Borgbese 'sehen  Fechter  von  Aga- 
sias,  dem  Sohne  des  Dositheus,  im  Louvre  zu  Paris  für  Nachbildungen  in 
Marmor  von  Standbildern  ans  Erz,  welche  sich  auf  die  Siege  über  die  Ga- 
later  von  König  Attalns  dem  Ersten  von  Pergaraum  bezogen  und  von  diesem 
knnstliebenden  Fürsten  nach  Athen  geschenkt  und  dort  in  der  Akropolis 
aofgestellt  wurden.  Die  Gruppe  in  der  Villa  Ludovisi  und  der  Bor- 
ghese'sche  Fechter  zeigen,  bei  aller  Natnrwahrheit,  eine  eigenthümliche, 
idealistische  Auffassung  und,  man  könnte  sagen,    gewisse  Manierirtheit,  die 


164  Mifloellen. 

ihnen  eine  anverkennbare  innere  Uebereinstinimang  verleiht  und,  wenn  auch 
nicht  auf  denselben  Künstler,  doch  auf  dieselbe  Kunstschule  hinweist.  Anoh 
sind  die  Köpfe  und  Gesichter  dieser  beiden  Standbilder  keinem  barbarischen, 
sondern  dem  weicheren  und  schöneren  griechischen  Typus  nachgebildet  und 
beide  Männergestalten  bartlos.  , 

In  demselben  Maasse  aber,  wie  sich  in  diesen  beiden  Statuen  eine 
innere  üebereinslimmung  ausspricht,  unterscheiden  sie  sich  von  der  des 
sterbenden  Fechters.  Es  erscheint  beinahe  unbegreiflich,  wie  man  glauben 
kann,  dass  alle  drei  ans  derselben  Kunstschule  hervorgegangen  seien.  Die 
Auffassung  in  dem  sterbenden  Fechter  ist  eine  viel  derbere,  realistischere 
und  gibt  sich  in  demselben  nichts  zu  erkennen  als  das  der  Wirklichkeit 
abgelauschte,  mit  unübertrcffbarer  Natnrgetreuheit  wiedergegebene  Erlöschen 
des  Lebens,  an  Verblutung  aus  einer  tödtlichen  Brnstwunde,  bei  einem  schön 
und  kräftig  gebauten  Manne. 

Sehr  wahrscheinlich  stammt  dieses  Standbild  von  einem  römischen 
Bildhauer  her ;  so  gut  wie  gewiss  aber  ist,  dass  es  nicht  den  Kunstschulen 
zu  Pergamnm  oder  Ephesus  angehört.  Unzweifelhaft  stellt  dieses  Standbild 
einen  Barbaren  vor,  aber  dieser  Barbar  kann  ebensowohl  ein  Germaue  als 
ein  Gelte  sein.  Weder  das  strickförmige  Halsband  noch  die  Kopf-  undGe- 
sichtsbildung  dieser  Statue  giebt,  trotz  der  Meinung  von  Nibby  und  An- 
deren, welche  dieselbe  für  die  specifisch  celtische  erklären,  hierüber  sicheren 
Aufschluss.  Die  römischen  Künstler  kannten  noch  nicht  die  feineren,  cra- 
niologischen  Unterschiede,  welche  die  moderne  Ethnographie  zwischen  den 
Schädeln  der  Gelten,  Romanen  und  Germanen  aufgestellt  hat.  Sie  hatten 
sich  aber  eine  bestimmte,  typische  Barbarenphysiognoniie  gebildet,  welche 
hauptsächlich  durch  starken  Bart-  und  Haarwuchs,  eine  niedrige  Stirn, 
eine  tiefe  Einbiegung  über  der  Nasenw^urzel,  stark  entwickelte  Augenbrauen- 
bogen  und  die  über  die  senkrechte  Stirnlini^  mehr  oder  weniger  hervor- 
tretende Nase  bedingt  wird.  Diese  typische  Barbarenphysiognomie  aber 
zeigen,  ausser  dem  sterbenden  Fechter,  bald  schärfer  bald  schwächer  aus- 
geprägt, auch  die  Abbildungen  der  Dacier  auf  den  Reliefs  der  Trajanssänle; 
die  drei  sitzenden,  den  gedrehten  Ilal&reifen  tragenden  Markomannen  auf 
dem  Sarkophagrelicf  von  Amcndolu ;  die  Germanen,  von  denen  einer  gleich- 
falls einen,  wie  es  scheint  gewundenen  Halsring  trügt,  auf  der  unter  dem 
Namen  „Gonima  Augustea'*  bekannten,  neun  Zoll  breiten  und  acht  Zoll 
hohen,  die  Apotheose  des  Augustus  vorstellenden  Camce  in  Wien;  der 
jugendliche,  schnurrbärtige,  eine  gewisse  Aehulichkeit  mit  dem  des  sterben- 
den Fechters  besitzende  Kopf  im  britischen  Museum,  den  man  jetzt  nicht 
ohne  Grund  für  den   des  Thumelicuü,  des  Sohnes  von  Hermann  und  Thns- 


Miecalleä. 


166 


ni.-lda  hält,  welchen  Tiberiu»,  nach  einer  allerdings  unverbürgten  üeberlie- 
ferung,  in  Ravemm  zum  Gladiator  ensiehen  licse,  und  pndüch  auch  dio  80 
»ehr  merkwürdige  in  Flerculanura  gefundene  eherne  Büste  des  Hannibal. 
Wahrscheinlich  besitzt  die  letztere  oine  grosse  Portrnittihnlichkpit.  Per 
Künstler  hat  aber  derselben  in  dem  dicht'n,  wild  dnrcheinandc-r  wogenden 
Haupthaar  und  dem  starken,  angeordneten  Barte,  wahrscheinlich  mit  Abnicht, 
sogleich  den  spccifi!<chcn  Barbarenausdruck  gegeben. 

Sogar  die  schönen  und  edlen  GesichtHz.üge  germanischer  Frauen  auf 
römischfn  Bildwerken,  zeigen  diesen  allgemeinen  Barbarentypus,  wie  z.  B, 
die  Kolossalst atae  in  der  Loggia  dei  Lanzi  zu  Florenz,  welche  nach  Gött- 
ling  Thusnelda  vorstellt,  sowie  auch  die  beiden  Frauengestalten  auf  der 
schon  erwähnten  Gcmma  Äugustea,  Dass  aber  die  auf  der  unteren  Ilülfte 
dieses  geschnittenen  Steines  dargestellten  Barbaren  wirklich  Germanen  und 
keine  Gelten  sein  sollea,  trotjsdem  dass  der  eine  der  Männer  einen  Torques 
trügt,  bedarf  kaum  noch  des  Beweises.  Kriege  mit  den  Galliern  kamen 
während  der  Herrschaft  von  Augustus  nicht  mehr  vor  und  gehörten  über- 
hsnpt  schon  einer'  längst  verflossenen  Vergangenheit  an,  wührcnd  Kriege 
mit  den  Germanen  gerade  für  seine  Regierung  so  sehr  bedeutsam  waren, 
unter  ihm  unterwarfen  Drusus  und  Tiherius  einen  grossen  Tlieil  Deutsch- 
lands der  Herrschaft  der  Römer  und  wenn  diese  sich  auch  später,  nach 
der  Niederlage  des  Vams,  wieder  aus  der  Wesergegend  westwärts  zurück- 
ziehen muBsten,  so  wurde  doch  gerade  unter  Augustus  an  beiden  Rhein- 
ufern die  Romerherrschftft  fest  begründet.  Es  kann  daher  wohl  kaum  be- 
sweifelt  werden,  dass  die  auf  dieser  Camee  abgebildeten  Barbaren  Gor- 
manen sind  und  dnss  die  Siegessäule,  welche  römische  Krieger  auf  derselben 
anfricbten,  die  Eroberungen  in  Deutschland  unter  ÄugustuB  verherrlichen 
soll.  Da  aber  einer  dieser  unterworfenen  Germanen  den  Torques  trägt,  so 
ist  die  Gemroa  Äugustea  für  den  Beweis,  dass  nicht  bloss  Gallier  von 
dieser  Art  des  Halsschmuckes  Gebrauch  machten,  von  besonderer  Wichtigkeit. 

Ebensowenig  schwer  aber  ist  die  Beweisführung,  das»  auch  die  auf 
dem  Basrelief  des  in  der  Vigna  Amendola  bei  Rom  ausgegrabenen  und 
jetait  im  capitolinichen  Museum  befindlichen  Sarkophages  abgebildeten  Tor- 
qncsträger,  keine  Gelten  sondern  Germanen  vorstellen  sollen.  Für  diese  An- 
sicht spricht  nämlich  sowohl  der  Umstand,  dnss  sich  in  dem  Sarkophage 
keine  Ueberresto  von  verbrannten  Knochen,  sondern  vom  Fener  unversehrte 
Theile  eines  Skelettes  befanden,  als  auch  der,  dass  die  auf  dem  Reliefbilde 
dargestellten  Römer  Schnurr-  und  Kinnbärte  tragen. 

Die  älteste  Weise  der  Leichenbeatattung  bei  den  Römern  war  aller- 
dings das  Begraben  io  die  Erde;    dasselbe  wurde  aber,  wie  Pliaius  mit- 


166  Miücellsn. 

theilt,  schon  zur  Zeit,  als  die  Repablik  anfing  Krieg  zu  fähren,  allmälig 
durch  das  Verbrennen  der  Leichen  verdrängt,  namentlich  bei  den  Vorneh- 
meren, den  Reicheren  und  den  Kriegern  im  Feld«.  Nur  einige  wenige  sehr 
vornehme,  an  den  alten  Gebräuchen  festhaltende  Familien,  wie  namentlich 
die  Gens  Cornelia,  fuhren  fort  ihre  Leichen  zu  begraben.  Von  Sulla  an 
wurden  aber  auch  die  Leichen  der  Cornelier  verbrannt.  Diese  letzte  Sitte 
blieb,  das  ärmere  und  niedrigere  Volk  ausgenommen,  bis  in  das  zweite  Jahr- 
hundert nach  Christus  vorherrschen.  Erst  unter  den  Antoninen  kam  das 
einfache  Begraben  der  Leichen,  auch  der  von  Vornehmen  und  Begüterten, 
wieder  in  Gebrauch  und  gab  selbst  zum  Aufblühen  eines  neuen  Zweiges 
der  Kunstindustrie,  dem  Verfertigen  von  Steinsärgen  und  dem  Verzieren 
derselben  mit  mythologischen  oder  historischen  Beliefbildern,  Veranlassung. 
Ein  solcher  Steinsarg,  höchst  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  von  Mark  Anrel 
herstammend,  ist  der  zu  Amendola  gefundene.  Es  liegt  nahe  anzunehmen, 
dass  derselbe  die  Ueberreste  eines  vornehmen  Römers  in  sich  schloss,  welcher 
an  dem  Kriege  jenes  Kaisers  gegen  die  Markomannen  Theil  genommen  hatte. 
Das  Relief bild  stellt  ein  Gefecht  zwischen  Römern  und  «Barbaren  vor.  Je 
wahrscheinlicher  es  aber  ist,  dass  dieser  Sarkophag  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  zweiten  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung  herstammt,  um  so  unwahr- 
scheinlicher ist  es,  dass  die  auf  ihm  abgebildeten  Barbaren  Gelten  und  keine 
Germanen  sein  sollten.  Wenn  schon  in  den  ersten  Jahren  nach  Christus, 
wie  ich  bemerkt  habe  als  von  der  Gemma  Augustea  die  Rede  war,  Kämpfe 
zwischen  Römern  und  Gelten  (Galliern)  einer  halbvergessenen  Vergangen- 
heit angehörten,  so  war  dieses  anderthalb  Jahrhunderte  später,  zur  Zeit  von 
Mark  Aurel,  noch  in  viel  höherem  Masse  der  Fall.  Gallien  war  damals 
schon  längst  völlig  romanisirt  und  Niemand  dachte  mehr  an  die  Kämpfe 
und  Mühen,  welche  die  Unterwerfung  dieser  Provinz  den  Vorfahren  ge- 
kostet hatte.  Dagegen  aber  gefährdeten  gerade  unter  Mark  Aurel  ger- 
manische Stämme,  wie  die  Markomannen,  Quaden  und  andere,  das  römische 
Reich  in  sehr  bedenklicher  Weise.  Sie  waren  schon  bis  an  die  Grenze  von 
Italien  vorgerückt  und  wurden  von  den  Kömern  nur  mit  vieler  Mühe  über 
die  obere  Donau  zurückgetrieben. 

Der  Bildbauer,  von  welchem  dieses  Sarkophagrelief  hen-ührt,  würde 
auch  wohl  schwerlich,  wenn  er  nicht  mit  Germanen  kämpfende  Zeitgenossen, 
sondern  mit  Galliern  streitende  Kömer  der  Vorzeit  hätte  darstellen  wollen, 
dieselben  bärtig  abgebildet  haben.  Nur  während  der  Regierung  der  Könige 
und  in  der  allerersten  Zeit  der  Republik  Hessen  die  Römer  den  Schnurr- 
und Kinnbart  wachsen.  Später  aber,  während  der  ganzen  übrigen  Dauer 
der  Republik   und  der  ersten  Hälfte    des   Kaiserreichs,    scheren   sie  Kinn, 


MiBoellen.  167 

Wftpgen   völlig  glatt,    tragen    anch  sehr  knrzgeschmtteneg 

erscheinen  noch  Trajan  nnd  alle  übrigen  Römer  anf  den 

^janssäale.     Erst  nnter  lladrian  kam  das  Tragen  der  Barte 

blieb  bis  auf  Konstantin  den  Grossen  herrschende  Sitte. 

|ke  den  Bart   ab,    Jnlian  der  Abtrünnige  gab  ihm   aber 

T  wieder   zurück.     Das  Volk,    namentlich  die  Vornehmen  nnd 
Mi*  i 

tid,  folgte  aber,  mit  Bezug  auf  das  Tragen  oder  Abscheeren 

Üiier  dem  Beispiele  der  Cäsaren.     Der,    wie  in  hohem  Orade 

^'^  ,iat,  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Christus  lebende  Verferti- 

""^     Mif  dem  Sarkophage   von  Amendola,    konnte   und   musste 

10^H  Tragen  .des  Bartes  eine  damals  noch  verhältnissmässig  neue 

■rtV'  vüi'de  sich  dessbalb,    gegen  besseres  Wissen,    eines  groben 

t0mf  schuldig  gemacht  haben,  wenn    er    mit  Galliern  kämpfende 

j^g0i.  ihcren  Zeit  bärtig  dargestellt  hätte. 

^gg^  kte  schon  dass  die  Frage,  ob  die  auf  Bildwerken  des  Alter- 

^^^'i enden   gedrehten  Halsringe,    auch   wohl  immer  aus  Metall 

^^^  liilnder    nnd    nicht    mitunter    auch    wirkliche    Halsstrioke 

_  gs  schon  abthuend  beantwortet  sei.      Man  hat  früher,    als 

)nch  nicht  zu  ihrer  gegenwärtigen  Bedeutung  gelangt  war, 

"""^  '.Inband   des    sterbenden  Fechters   für  einen  der  einfachen 

U8  —  gehalten,    deren    sich   nackt   kämpfende  Barbaren, 

Gladiatoren,    bedienten  um  ihre  Hals-  und  Schultergegend 

iregen  Schwertesstreiche  zu  schützen.  Diese  Ansicht  scheint 

:'^n  von  der  Nationalitätsfrage,  mit  ßezng  sowohl  auf  den 

T,   als  auf  die  zwei,  anf  dem  Sarkophagrelief  von  Amen- 

Scit«  des  Anschauers  sitzenden  nackten  Barbaren,  durch- 

'  sein.     Das  Halsband  dos  auf  diesem  Bilde  links  Sitzen- 

.:bes    vorne    geöfinet   und    an    seinen   beiden  Enden   mit 

rsehen  ist,    dürfte  eher  ein  wirklich  metallener  Torques 

lär  meine  Meinung  liefert  die  schon  erwähnte  Grappe  in 

Der   sich    den  Tod   gebende  Mann    hat    sich    nämlich 

seines  Halsstrickes  entthan  und  beide  liegen  zu  seinen 

triok  aber  zeigt  eine  gerade  Linie.      Bestände  derselbe 

ten  Metalldrähten,  so  würde  er,  von  dem  Halse  abgethan, 

haben  annehmen  können.     Wahrscheinlich  aber  waren, 

von  Amendola   hervorblickt,    diese  wirklichen  Stricke, 

■»..iilegens  wegen,    an  ihren  Enden  mit  knopfförmigon  Me- 

im.  Dass  aber  römische  Frauen  strickförmig  gewundene 

wird  durch  eine  der  weltberühmten,  so  überaus  schönen 


168 


Miacellen. 


pompeJaniBchen  Tänzerinnen  bewiesen.  Eine  dieser  schwebenden  Gestalten, 
die  gelbbloudu  in  gelbem,  blaugc&äuniten  Gewände,  trägt  einen  aolcben 
TorqueB.  Nieaiand  aber  ist  bis  jetzt  auf  den  Gedanken  gekommen,  sie  aat 
dieseni  Grunde  für  eine  Celtiii  zu  halten. 

\\'irklichc  strickfönuig  aus  Golddrähten  zuBammcngedrehto  Halaringe 
waren,  sogleich  mit  glatten  und  achlangenförmigeu,  wie  ich  schon  oben  be- 
merkte, bei  den  alten  Persern  allgenvein  im  Gebrauch.  Den  Beweis  hier- 
für liefern  longo  lieihcn  von  ReliefUildern  auf  di-n  inneren  Wangen  der  scu 
der  Terrasse  von  Persepolis  hinanff&hrenden,  aus  Marmorblöcken  gebaueoea 
RieKentreppcu.  Diese,  der  Zeit  von  D.trinB  Hyataspcs,  Xerxes  und 
Artaxerxes  Longiraanus  angehörenden  Relief»  stellen  ganze  Aufzüge  von 
Kriegern,  tlof-  und  St^iatsbeamten,  Tribut  and  Gcacbenke  bringenden  Ab- 
gesandten aus  den  yerschiedenen  Satrapien  des  Reiches  u.  b.  w,  vor.  Schon 
Engelbert  Kämpfer  in  seinen  „Amoenitatibu»  exoticis"  apüter  Cnraien 
Nie  bahr,  in  neuerer  Zeit  aber  Ker  Porter,  Flandin  und  Coste, 
Texier  u.  A.  haben  in  ihren  Reisewerken  Abbildungen  von  den  meisten 
dieser  Reliefs  mitgetheilt. 

Bätte  Theodor  Dergk  nur  einen  einzigen,  ganz  kurzen  Blick  auf 
diese  altpereischen,  in  Stein  gehauenen  Costürobilder  geworfen,  so  wäre  er 
ohne  Zweifel  niemals  auf  den  in  der  That  Verwunderung  erregenden  Ge- 
danken gekommen,  das  prachtvolle,  eilf  Fuse  hohe  und  zwanzig  Fuss  breite 
Moaaikgemiilde,  welches  am  vierundzwanzigsten  October  1831,  in  Gegenwart 
von  dorn  Sohne  Goethe'a  in  dem,  nach  der  gleichfalls  daselbst  gefundenen 
Erzstatuelte  des  , .tanzenden  Faunen'*  Casa  dcl  Fauuo  genannten  Hause  ent- 
deckt und  augenblicklich  für  din  Darstellung  einer  Scene  ans  der  Schlacht 
bei  Isaos  zwischen  Alexander  dem  Grossen  und  dem  letzten  Achäme- 
nidenkönige  Darius  Kodomannus  erkannt  wurde,  nicht  auf  diese,  sondern 
ftuf  die  Schlacht  zu  beziehen,  welche,  im  Jahre  246  vor  Christus,  bei  Delphi 
zwischen  Griechen  und  einer  in  Griechenland  eingedrungenen  Galaterhorde 
stattfand.  Bergk  beruft  sich  darauf,  doss  einige  der  auf  diesem  Schlachten- 
bilde dargestellten  Nicbtgriecben  gedreht«  Halsbänder  tragen,  also  Gelten 
■ein  miissen,  Barte  zeigen,  also  keine  Perser  sein  können  nnd  endlich  dass 
der  im  Hintergrande  stehende  entlaubte  Baum  mit  grüsster  Bestimmtheit 
beweise,  dass  hier  keine  andere  Schlacht  als  die  bei  Delphi  gemeint  sein 
könne,  weil  dieselbe  gerade  zur  Winterzeit,  während  einea  Scbneegestöbera 
stattfand. 

Alle  diese  Argumente  sind  aber  sehr  wenig  stichhaltig.  Dass  die 
Perser  wirkliche  Torques  trugen,  erwähnen  schon  Herodot  —  Lib.  VUI,  113; 
Lib.  IX,  80  —  und  Curtiua  —  Lib.  lU,  3.  13;  und  geht  solches  auch  schon 


Miscellen. 


169 


ana  den  Reliefs  von  Persepolis  hervor;  dasB  der  cntlBHlite  Daum  aber 
Veineawegft  auf  die  Schlacht  bei  Delphi  bicweist,  findet  seine  Beatütigung 
darin,  das«  die  Schlacht  hei  Tssos,  nach  Arrian  zwischen  dem  nchtund- 
swanzigsten  October  und  aiebenundzwunzigniien  November  d.  J.  33B  v.  Christus 
stattfand,  also  zu  einer  Zeit,  wo  auch  in  Citicien,  zwinchen  dem  37.  und 
38.  Breitengfrade^  wo  der  Schauplatz  diefcr  Schlacht  war,  die  für  die  Flora 
dieser  Gegend  charactenRtitchen  Eichen,  denn  eine  solche  ist  der  auf  dem 
MoaaikgeraAlde  abgebildete  Raum,  schon  entlaubt,  waren.  Von  Schneege- 
stöber findet  sieb  auf  diesero   Bilde  nicht  die  geringste  Andeutung, 

E«  bleibt  nnr  noch  zu  erörtern,  dans  die  Perser  zu  jener  Zeit  keine 
Bftrte  getragen  haben  sollen,  auf  dem  Gemülde  aber  bärtig  dargestellt  sind. 
Cjms  und  seine  Nachfolger  bis  auf  den  ersten  Artaxer x es,  trugen  jeden- 
falls Barte,  denn  sie  sind,  mit  solchen  veisohen,  auf  den  Reliefs  von 
Paaargadne  und  Peraepolis  abgebildet.  Auch  die  Parthisch- Persischen 
Könige  der  Arsaciden-Dynastie,  deren  Macht  im  zweiten  Jahrhunderte  vor 
Christus  anfing  den  Römern  so  gefährlich  zu  werden,  und  ebenso  die  Sassa- 
niden-Könige  in  Persien,  deren  Reich  im  Jahre  226  nach  Christus  gestiftet 
warde,  trugen  Bärtc. 

Dieses  geht  ans  den  Rasreliefs  von  Firuzabad,  auf  welchen  der  her- 
vorragendste Herrscher  dieser  Dynastie,  Sapor  der  Erste,  abgebildet  ist, 
wie  der  tod  ihm  gefangene  römische  Kaiser  Valerian  zu  seinen  Füssen 
begt,  auf  das  unzweideutigste  hervor.  Es  ist  mir  sehr  wohl  bekannt,  dass 
eine  historische  Anekdote  besteht,  nach  welcher  die  Perser  zur  Zeit  von 
DariQS  Kodomannua  ihre  Rärte  aollen  abgeschoren  Imben.  In  der  auf 
die  bei  Issos  folgenden  Schlacht  bei  Arbela  hätten  nämlich,  wie  erzählt 
wird,  die  unbärtigen  Persei-  die  laugbärtigen  Macedonier  bei  den  Barten 
ergrifFen  und  sie  auf  diese  Weit^e  zu  Boden  geworfen  j  in  Folge  hiervon 
ober  habe  Alexander  seinen  Soldaten  befohlen,  sich  noch  während  der 
Schlacht  die  Barte  abzuschneiden.  Diese  Erzählung  gehört  aber  in  das 
Gebiet  der  historischen  Märchen.  Hätten  wirklich  die  letzten  Könige  ons 
der  Dynastie  der  Achämeuiden  das  Tragen  der  Barte  untersagt,  so  wäre 
dieses  Verbot  mit  allen  Sitten  und  Gewohnheiten  des  Orients,  welche  sich 
immer  gleich  gebliehen  sind,  durchaus  in  Widersprach  gewesen. 

Man  braucht  nur  die  Beschreibung,  welche  J.  G.  Droysen  in  seiner 
im  vorigen  Jahre  neu  aufgelegten  Geschichte  Alexander  des  Grossen, 
Band  I,  Seite  254 — 262,  von  der  Schlacht  bei  Issos  entwirft,  mit  jenem 
Mosaikgemälde- zu  vergleichen,  um  zu  der  Ueherzougung  zu  gelangen,  dass 
das  letztere  gewissermassen  nur  eine  Illustration  zu  dieser  Beschreibung 
bildet.      Droysen    sagt  nämlich  Seite  262:   ,, Schon  sab  Alexander  des 


.170  Miaoellen. 

Perserkönigs  Scblachtenwagen;  er  drang  auf  diesen  vor;  es  entsptum 
sich  das  blutigste  Handgemenge  zwischen  den  edlen  Persern,  die  ihren 
Eöni^  vertheidigten  and  den  macedonischen  Rittern  die  ihr  König  führte; 
es  fielen  Arsaces,  '  Kheomitres,  Atycyeg,  der  egyptiache  Satrap 
Sabacas  u.  s.  w." 

Gerade  diese  Soene  giebt  das  Gemälde  von  Pompeji  wieder.  —  Den 
Mittelpunkt  desselben  nimmt  der  reichverzierte,  mit  vier  prachtvollen,  reich- 
geschmückten  Pferden  bespannte  Streitwagen  des  Königs  ein,  umgeben  von 
lanzentragenden  Kriegern  zu  Pferde  und  zu  Fnss.  Rechts  neben  dem 
Wagen  ist  ein  vornehmer  Perser,  dessen  Pferd,  von  einem  Dreizack  ge- 
troffen, sich  auf  der  Erde  windet,  zu  Boden  gesunken.  Derselbe  will  sicli 
aufraffen  und  ein  anderer  Perser  ist  schon  von  seinem  Pferde  gesprungen, 
um  dieses  dem  unberitten  Gewordenen  anzubieten,  als  Letzterer  von  der 
Lanze  des  heranstärmenden  Alexander  durchbohrt  wird.  Darias 
sieht  den  Tod  dieses  Persers,  der  ihm  jedenfalls  sehr  theuer  war,  mit  dem 
Ausdrucke  höchsten  Schmerzes  und  Entsetzens  an,  während  die  Pferde 
seines  Wagens  angepeitscht  werden,  um  den  König  so  schnell  wie  möglich 
dieser  gefahrvollen  Lage  zu  entrücken.  Dass  hier  von  keinen  barbarischen 
Galaterhorden  die  Rede  sein  kann,  geht  schon  aus  der  prachtvollen  Klei- 
dung und  Bewaffnung  der  Nichtgriechen  auf  diesem  Bilde,  ihren  reichver^ 
zierten  Pferden  u.  s.  w.,  auf  das  bestimmteste  hervor.  Auch  tragen  die- 
selben jene  eigenthümliche,  hohe,  unter  dem  Kinn  zugebundene,  Kirbasia  ge< 
nannte  Kopfbedeckung,  welche  sich,  zugleich  mit  der  übrigen  Kleidung, 
schon  auf  deu  erwähnten  Reliefs  von  Persepolis  und  Firuzabad  findet. 
Der  helmlose  Kopf  von  Alexander  gleicht  ausserdem  durchaus  den  von 
ihm  erhalten  gebliebenen  Rüsten. 

Es  liisst  sich  auch  kaum  annehmen,  dass  der  gebildete  Römer,  welcher 
die  B^lur  seines  Hauses  mit  diesem  prachtvollen  Mosaikgemälde  schmücken 
liess,  hierzu  das  Motiv  gerade  aus  der  Schlacht  von  Delphi  gewählt  haben 
sollte.  Denn  diese  Schlacht  war,  im  Vergleich  zu  der  bei  Issos,  von  so  gut 
wie  keiner  welthistorischen  Bedeutung  und  halte,  namentlich  auf  die  Römer, 
gar  keine  Beziehung.  Die  Schlachten  Alexander  des  Grossen  mit  den 
Persern  dagegen  w^aren  zu  der  Zeit,  wo  jenes  Gemälde  wahrscheinlich  ent- 
standen ist,  nämlich  in  den  letzten  50  Jahren  vor  oder  den  ersten  50  Jahren 
nach  Christ  US,  jedem  gebildeten  Römer  ebenso  bekannt,  wie  sie  es  gegen- 
wärtig noch  einem  Jeden  von  uns  sind. 

Ich  glaube  das  hier  Gesagte  wird  für  den  Beweis  genügen,  dass  man 
mit  der  Bedeutung,  welche  man  den  gedrehten  Arm-  und  Halsringen,  den 
sogenannten  Turcjues  mit  Bezug  auf  das  specitische  Celtenthum  gegenwärtig 


MiaeeUea. 


171 


zuerkennt,  häofig  viel  zu  weit  geht  und  dasa,  auB  diesen  Ringi-n  allein,  nur 
mit  grosser  Vorsicht  historisch-ethnographische  Schluecfolgerungen  gezogen 
werden  dürfen.  I>r.  M»bnike. 

3.  —  Schalensteine.  In  der  Sitzung  der  Niederrh.  Gesellschaft 
vom  18.  Februar  1878  sprach  Prof.  Schaftffhausen  über  diese  mit 
runden  Höhlungen  versehenen  Stoinblöcke,  deren  symbolische  Bedeutung 
wir  noch  nicht  kennen,  und  legte  zwei  neuere.  Scliriften  darüber  vor: 
Rtvett-Gai-nac,  On  anoient  rock  sculpturings  in  Kamaon,  Journal  of  the  As. 
Soc  ofBengal,  1877  und  E,  Desor,  Les  pierres  k  dchelles,  Genöve  1878. 
Die  erste  Beschreibung  eines  solchen  Schalensteins,  des  Steins  von  Muni- 
laville  im  Jura  gab  Troyon  1849.  Jetzt  kennt  man  deren  in  der  Schweiz 
mehr  als  fünfzig.  DeCanraont  hielt  sie  fär  Opfersteine,  von  Bonstetten 
will  die  Böhlungen  gar  nicht  für  künstlich  halten,  sondern  lässt  sie  durch 
Auswitterung  Ton  Sphaerolitfaen  entstanden  sein.  Beide  Ansichten  sind 
widerlegt  dnrch  die  Entdeckung  Rivett-Carnacs,  der  sie  in  Indien  auf 
Felsw&nden  fand,  wie  vor  10  Jahren  Verchfere  im  Kaschniirthale  auf 
erratiechen  Blöcken.  Keller  beschrieb  die  der  Schweiz  in  den  Mttth.  der 
»ntiqnar.  Gefiellsch.  zu  Zürich  XVII  1863.  Simpson  gab  eine  Zusnmmen- 
stellang  derselben  in  seinem  Werke:  Archaic  sculpturea  of  oops,  circles  etc. 
opon  stones  and  rocke  in  Scolland,  England  and  other  coiintries,  Edinb. 
1867.  Merkwürdig  ist,  dass  diese  Denkmäler,  die  den  Weg  der  Indoger- 
manen  zn  bezeichnen  scheinen,  im  südlichen  und  westlichen  Deutschland, 
im  östlichen  Frankreich  und  in  Italien  fehlen  odA*  doch  bisher  nicht 
beobachtet  sind.  I'agegen  sind  sie  schon  in  Brandenburg  und  Holstein  auf- 
gefunden, vgl.  Zeitschrift  für  Ktbnol.  Berlin  1872,  S.  223.  Wahrscheinlich 
haben  diese  Zeichen  eine  religiöse  Bedeutung.  Rivett-Carnac  bringt  sie 
mit  dem  noch  heute  bei  den  Indern  sehr  verbreiteten  Phallus-  und  Cannas- 
Dienst  in  Verbindung. 

4.  Bonn.  Bei  Erdarbeiten  wurden  in  letzter  Zeit  wieder  verschiedene 
Stempel  anf  terra  sigillata  Scherben  gefunden,  von  welchen  ich  zwei  hier 
mittheile,  weil  dieselben  in  Bonn  bis  jetzt  nicht  vorgekommen  sind,  and 
überhaupt  zu  den  seltenen  gehören.  Im  Rheindorfer-Pelde  wurde  das 
Bruchstück  eines  sehr  grossen  Tellers  mit  dem  Stempel  MINVTVS  '  F 
ausgraben,  welcher  obgleich  V  and  T  etwas  gelitten  haben,  deutlich  zu 
lesen  ist  (vergl.  Schuermans  3612 — 14.  Fr.  1589).  Beim  Legen  der  neuen 
Gasröhren  in  der  Beerstrasse  fand  man  das  Bruchstück  eines  kleineu  fassen- 
f&rmigen  Napfes  mit  dem  Stempel  CILSIV^VS  •    (vergl.    Seh.     1236     und 


Tr.  623). 


172  Miaodlen. 

Ob  der  sweite  Bachatabe  E  oder  I  za  lesen,  ist  nicht  klar  zu  sehen, 
näher  steht  er  dem  I.  Der  dritte  Bnchstabe  L  hat  beinahe  die  Form  eines 
C.  Der  Mittelstrich  des  N  steigt  fälschlich  von  der  nntem  Ecke  des  ersten 
senkrechten  Striohes  znr  obem  Ecke  des  zweiten.  Eine  ebendaselbst  ge- 
fundene Lampe  mit  dem  häufigen  Stempel  EVCARPI  hat  als  Yersierong 
einen  kleinen  Kopf  (Maske),  welcher  anscheinend  die  Zunge  herausstreckt, 
eine  Darstellung,  welche  mir  bis  jetzt  auf  Lampen  noch  nicht  bekannt 
geworden.  y.  Yleuten. 

5.  Cfiln.  Einer  brieflichen  Mittheilnng  unseres  geehrten  Mitgliedes 
des  Herrn  Wolff  in  Cdln  entnehmen  wir  Folgendes: 

Ende  Januar  d.  J.  wurde  hier  in  Cöln  angeblich  in  der  Nfthe  der 
Altenburg  ein  kleiner  Sarg  aus  Tuffstein  gefunden,  in  welchem  sich  folgende 
römische  Gefösse  befanden: 

1.  Eine  römische  Flasche  in  Form  eines  Fässchens  19  cm  hoch  und 
88  cm.  im  Umfang;  oben  und  unten  je  fünf  Reifen  im  Glase  ausgeprägt; 
an  dem  oben  angesetzten  Halse  zwei  Henkel. 

2.  eine  Glasschale  von  seltener  Dflune,  40  cm  Umfang  und  6  cm  Höhe ; 
dieselbe  hut  10  Einbauchungen. 

S.  eine  kleinere  Schale,  ohne  Einbauchungen,  SO  cm  Umfang;  6  cm 
Höhe;  mit  Linienverzierungon. 

4.  eine  terra  aigillata  Schüssel  mit  Blatt ornfunenten. 

Tn  domsoUxM)  Sarge  wurden  nngeblich  46  Münzen  gefunden :  1  Denar 
von  Julia  Mt\m«'rt,  1  Hilloii  M.  von  Tost uiuus.  dann  Kleinerze:  1  von  Probiis, 
1  von  MaxiniinnuH  Iloro.,  1  von  Maxiininuü  II,  3  von  Licinius,  26  von  Con- 
HluntinuM  M.,  2  (\)nHtnntinopoliM,  1  l'rbs  Roma,  1  von  Fansta,  3  von 
(ViHpiiN  und  n  von  Constnntius  II.  lliernnch  würde  der  Fund  etwa  iu  das 
Jnlir  3rtO  zu  Motron  sein. 

r>.  Koruich.  Kino  Stunde  unterhalb  Andernach,  in  der  Nähe  von 
Iti'ohl,  liogt  unniittolhnr  nut  Hhoin  das  Pörfchen  Fornich.  In  Mitte  der 
wonlf^on  (\\)  MiuiMor  ragt  das  Thürmchon  einer  kleinen  Capelle  hervor, 
wololio  Üliil*  v«>n  d«Mn  ohoniali^on  Andernaohor  Pastor  Johannes  von  Irlich 
KONlirjot  und  dotirl  wurde.  Am  l>.  I>oc.  dessolbon  Jahres  genehmigte  der 
l''.ry'.liiNcliof  von  Trioi',  ('uno,  juif  Kruuclu'n  dor  Kxecutoreu  des  Testamentes, 
uiilor  wi'li-liiMi  li«tHond«>rN  nanilmft  ^tMuni'ht  wird  der  Pastor  in  Kempen, 
•loliannoH  von  Urolo,  d<<r  lutoh  (>  Mitrk  oon!«u(t  ^H^rpetui  und  einiges  Acker- 
land d<<r  l'undittion  liinvut'n^^lo.  dio  Stiitunt;  und  Errichtung  der  Capelle 
nchnt  ilor  NVolninnK  di<»  Kootttri«  und  dio  Uoatauration  des  daselbst  schon 
lionloltondon  llonpiliuniii  i'itr  Anno  itn«l  Koisondo  mit  der  Bestimmung,  dass 
dti|-  (}ii|atliohi>  iliM-  t'tipoUo   au  droi  Taiton  jtHK-r  Woche  und  zwar  so  früh- 


Misc&lleo. 


173 


zeitig  daa  b.  Meseopfer  darbringen  aolHo,  dasa  die  EiowobDer  tod  Fomicb 
bequem  demselben  beiwobnen  köontec,  dass  derselbe  dagegen  an  allen  Fest- 
tagen an  dem  Gottesdienste  in  der  Mutterkircbe  zu  Andernacb  tbeiku' 
nehmen  und  den  dortigen  Pnator  als  seinen  näcbatea  Vorgesetzten  zu  be- 
trachten habe '). 

Die  fundirten  Güter  bestanden  anaeer  den  zwischen  Ebein  und  der 
Strasse  gelegenen  Häusern  des  Testators*)  aus  W<'iiibergen  bei  War  (oder 
Mar),  in  Kunigadail  (jetzt  Künigstbal),  an  der  Helden  (j.  Helder),  an  der 
Haien,  an  der  Lantzajl,  am  Weinberge  des  Jac.  Elaenson,  gen.  Ludes- 
halveratucke,  und  aus  theilweise  mit  Nuss-  und  Birnbäumen  bfepßanztem 
Ackerland  und  Waldung  an  dem  Wyger,  uff  dt'm  Gerne,  am  Erfcndal  (j. 
EIrfenthal),  an  dem  Bücbnrt,  am  Bach  (j,  Uelkbach),  am  Wascnbulen,  beim 
Hof  Alkorn  (j,  Alkenerhol),  in  den  Dörfern  Nombdey  (Namedy)  und  Ketge 
(KetUg),  im  Gebiet  von  Brüle  (Brobl)  and  Ilojnchein  (HönningonV). 

Vorstehende  Nachrichten  entnehme  ich  der  auf  Schweinsleder  ge- 
schriebenen lateinischen  Stiftunga- Urkunde,  welche  sich  in  der  Nacblosaeu- 
Bchaft  dea  kürilich  hier  verlebten  Eentners  Hahn  vorfand  und  folgender- 
maasen  lautet: 

In  nomine  Christi.  Amen.  Cuno  dei  gratia  sanctae  Treverensis  ec- 
desiae  Archiepiscopua,  sancti  Imperii  per  Galiiam  Archicaucellariua.  Ad 
perpetuam  rei  memoriam.  Digne  pastoralis  ofßcli  debitum  ezequi  tu.no 
credimua,  cum  Domini  uominis  cultum  püa  adaugere  votis  pauperumque 
calamitatibus  subvenire  cupientibus  dcsiderabiliter  occurrimus  nostracque 
cooperante  altissimo  sollicitudinia  ad  haoc  operam  favorabiliter  impertiniur. 
Oblatae  siquidem  nobis  devotorum  viromm  lohannis  de  Brole  pastoria  in 
Kempen  Coloniensis  didcesis  et  aliorum  Executorum  testameati  seu  ultinme 
voluntatia  quondam  luhnnnis  de  Irlich  plebani  ADdernacetislB  nostrao  Tre- 
verensis  diöcesis  petitioois  series  continebat,  quod  ipai  secundum  piain 
voluntatem,  quam  idem  quondam  lobannes  testator  in  vita  et  uaqiie  ad 
finem  vitae  suae  gerobat»  Intendant  Deo  auctore  in  villa  dicta  fornich  sita 
in  littore  reni  infra  limitea  parochiae  dictae  ecclesiae  ADdernaccnais,  de 
bonifl    per  praefatum  qaondam  lobannem    reUctis  de  novo  erigere,    fundare 


1)  Noch  jetzt  ist  Fornich  Filiale  von  Andernach  und  der  hiesige  Pastor 
gebalten,  wenigstens  einmal  im  Jahre,  am  Patronsfeste  sa.  trinitatis  in  dortiger 
Capelie  zu  oelebriren. 

2)  Das  ganze  Terrain  ist  seitdem  bis  unmittelbar  au  die  Etappenstrasse 
von  den  Fluthen  daa  Rheines  verschlungen,  so  dos«  eätnmtliobe  Wohnungen  auf 
der  linken  Seite  dea  Weges  liegen,  ein  Umstand,  dem  dos  bon  mot:  In  Fornich 
wird  der  Pfannkuchen  nur  auf  einer  Seite  g«bftckeii,  seinen  Ursprung  verdankt. 


174  MiseeUen. 

et  dotare  anam  capellam  ac  domnm  habttationis  pro  nno  sacerdote  ipsain 
capellain  officiataro  pro  tempore  ac  etiam  reformare  et  aptare  domnm  hoapi- 
talariam  in  eadem  villa  sitam  dadam  depatatam  et  donatam  per  qnosdam 
christifideles  pro  recipiendis  peregrinis,  advenis  ac  aliis  utriasque  sexna 
hominibos  panperibns  transitaris  dictam  villam,  hospitam  in  illa  deaide- 
rantibofl  propter  Deum. 

Sapplicato  quoque  nobis  per  dictos  Executores,  qaatenns  nos  erectionif 
fandationi,  dotationi  et  resignationi  haiusmodi  autorizationem,  approbationem 
et  confirmationem  anctoritate  ordinaria  adhibere  et  interponere  dignareinnr, 
Nos  de  huiasmodi  erectioois,  fundationis,  dotationis  et  reformatioois  negotio 
eiasque  circumstantiis  pro  tuac  notitiam  non  habentes,  sed  postmodnm  de 
bis  per  certos  nostros  in  hac  parte  ccmmisBarios  plenins  informati  quam 
reperimns,  qaod  locus,  bona  redditusqne  subscripta,  snnt  in  plena,  pacifica 
et  libera  dispositione  et  potestate  Executornm  praedictornm  qnodqne  locna 
per  dictOB  Executores  ad  hoc  depatatns  in  contiguo  dictae  domos  hospita- 
lariae  sitaatan  et  ad  ipsam  domum  spectans  satis  aptos  et  convenienter 
spatioBus  est  ad  fandendum  capellam  et  domnm  habitationis  pro  sacerdote 
et  ad  reformandum  eandem  domnm  hospitalaiioe^)  pro  panperibns  prae- 
scriptis  in  dicta  villa  fornich,  pront  supius^)  est  expressnm  qnodqne  bona 
et  redditus  pro  sustentatione  nnius  sacerdotia  congrna  et  decenter  snffici- 
entes  depntati  sunt,  quae  bona  et  redditus  noroinatim  et  specifice  inferios 
describuntar,  erectioni,  fundationi,  dotationi  et  reformationi  praedictia  sd 
laadem,  gloriam  et  honorem  I)ei  omnipotentis  castissimaeque  genitricis  eins 
virginis  Mariae  necnon  omnium  sanctorum  interveniente  consensu  et  volan- 
tate  lohannis  de  Hexhera  nunc  plebani  dictae  parocbialis  ecciesiae  in  Ändei" 
naco  nostrujn  adhibuimus  et  tenore  praesentium  beniguum  adhibemus  con- 
sensum,  ipsasque  auctoriisavimus,  approbavimus,  confirmavimus  ac  in  bis 
scriptis  auctorizanms,  approbamns  et  anctoritate  ordinaria  in  Dei  nomine 
conßrmamus.  Indulgentes  ut  in  loco  antescriplo  in  dicta  rilla  fornich 
capella  ac  donius  sacerdotia  libere,  sed  absque  cniuscunque  alieni  Iuris 
praeindicio  per  Executores  praedictos  et  eorum  coadiutores  seu  cooperator^s 
erigi  valcnt  et  fuudari  et  domus  hospitalaria  reforraari  ad  usus  panperum 
praedictoruni  quodque  ipsa  cupella,  postquam  ereeta  et  constructa  seu  fun- 
data  fuerit,  possit  per  quemcunque  Archiepiscopuiu  vel  episcopum  catholi- 
cum  notum  graiiam  sodis  npostulicae  et  executioneni  sui  officii  obtinentem 
debito  ot  ad  hoc  Statute  tempore  secundum   ritnm  sanctae  raatris  ecciesiae 


1)  Soll  wohl  hcisscn  „hospiialariam". 

2)  supiua,  ist  vioUeicht  ^  supra?     Oder  sacpius? 


MiscelleD. 


175 


oooaecrari,  quam  etiam  capellam  extonc  pröut  exnnnc  et  nnnc  prout  ex- 
tanc  io  peqi«tDum  beneficium  eocleeitisticnin  distinctnm  erigitnus  et  oreamas 
ipsamqae  cam  suis  bonis,  luribus  et  redditibua  Bubscriptis  a  mstrice  ec- 
deaia  praedicta  distingainms  et  perpctuo  separamas,  bona  quoque  et  redditas 
ipsias  iaferius  designaoda  sea  deBJgnandos  et  si  qaa  ah'a  in  futQro  pia 
christifidelium  largitione  ad  CApellnm  et  domo»  praedictas  contigit,  nniver- 
sia  ac  aingalia  privilegiis,  luribas,  bbertalibus  ac  bonia  consnetudinibas, 
qnibus  bona  ecclesioatica  de  Iure  et  cousuetudine  iaaigairi  et  libertär!  con* 
Bueverant,  adacribimus  per  praesentea. 

Vemm  quia  ius  patroDatua  seo  collatio  ecclesiae  parocbialia  in  Ander- 
Da£o  praedictae  ad  Archiepiscopos  Treverenaes  pro  tempore  pertinuit  et 
pertinet,  volumua,  Bt^taimus  et  ordinatnua,  qnod  etiatn  cullatio  dictae  ca- 
pellae  hac  vice  et  exnunc,  quotiena  eam  vacare  contigit,  ad  noa  nostrosqoe 
SQcceasorea  Archiepiacopos  Trevefenaes  apeutare  debeat  pleno  Iure.  Ita 
videlicet,  qood  noa  et  idem  noatri  anccessores  babeamns  perpetuo  ipaam 
cnpellam  conferre  peraonae  idoneae,  nctu  aacerdoti  vcl  quae  infra  annum  a 
tempore  collationis  eibi  factae  in  aacerdotera  promoveatur ;  quod  ai  legitimo 
impedjmento  et  dispenaatione  canonica  cessaiitibuB  non  fecit,  ipaara  capellam 
▼acare  statuiraus  ipso  Iure.  Rector  quoqae  aaepe  dictae  capellae  pro  tem- 
pore ipaam  capellam  in  diviuia  devote  officiabit  aut  olficiari  procuraliit,  in 
qualibet  aepiimana  tribaa  dieboa  non  festivia  miasam  celebrando  absque  nota 
adoo  mane  poat  ortnm  diei,  ne  incolne  dictae  villae  fornich  ipeaa  tnisBaa 
auditori  a  auia  cultnris  et  negotüa  nimium  retardentur.  Ordinamus  insuper, 
quod  aacerdoa  capetlanua  pro  tempore  aupradictae  capellae  plebano  Ander- 
nacenai  debitara  tamquam  auo  anperiori  aicnt  alii  aui  capellani  exbibeat 
revereotiam  quodque  io  festivitattbua  praecipuis  et  festivia  diebua  legitimo 
OeasaDte  impedimenlo  intersit  divinis  oniciis  iu  parochiali  ecclesia  supradicta. 
Fraeterea  volamoa  et  ordinamus,  quod  oblationea,  si  quae  in  misfBis  in  dicta 
capella  Deo  auciore  diceudis  ad  altare  obvenerint,  cedant  plebano  eccleBiae 
Aodernacensis  pro  tempore  quodque  capcUnnuB  eiasdem  capellae  pro  tem- 
pore in  aua  cuatodia  et  clausam  teneat  dictam  domum  hoapitalariam  et  per 
w  ant  per  aliam  honestam  peraonam  paopereset  peregrinos  inibi  hospitari 
deaiderantea  recipiat  et  admittat,  dumtaxat  hoapitio  nee  tenebitur  eis  de 
victualibua,  sed  tantum  de  atramentis  et  lectls  terniis,  qaaedicti  Executores  et 
alii  Deo  devoti  ad  domum  hospitalariam  aapradictam  deputaverunt,  providere. 

Bona  vero  et  redditua  ad  dictam.  capellani  deputata  seu  depotatos,  de 
qmbus  saepinB*)  fit  mentio,  htc  duximus  subnotanda.      In  primia  siquidcm 


1)  of.  4.  deutlioh  iat  geschrieben  supitis. 


176 


MisoeUen. 


una  cum  area  sea  loco  fandaudae  capellae  et  domoa  Baoerdotalis  necnon 
domuB  hospitalariae  reformaDdae  et  meliorandae  Executores  praedicti  depn- 
tarunt  et  dcputant  omnia  et  Bingnla  bona  haereditaria  Immobilia  quondaxn 
lobanuis  testatoris  praedicti  sita  in  villa  foruich  et  eias  bannia  sea  ter- 
minia  et  confiniis  videlicet  domoB  eiusdem  conivinctim  et  ad  iavicem  eitaataa 
inter  renum  et  plateam  oommanem  tranaeuotem  villain  foruich  valentea  ad 
oensum   anauum  coiumunibus    annis    decem    marcas  Golonlensis    pagameoti, 

n 

qoae  aolvQDt  fiingatie  annis  .  .  Sucgyius ')  de  Rynecko  duas  roarcae  per- 
petui  cenauB.  Item  ncam  peciam  vinearuni  aitam  apud  war  continentem 
unnm  qaartale  apad  vineam  lobannis  geil  de  weyeo.  Item  unam  peciam 
in  loco  dicto  Kunigdatl  apud  viueam  lohannis  geil  supradicti  continentem 
ununi  quartale.  Item  unnm  pecinm  an  der  beiden  sitam  apud  vineam  loh. 
geil  antedicti  continentem  unum  quartale  cum  dimidio.  Item  unam  peciam 
«Q  der  baelen,  per  quam  tranait  ripa  prope  Ernestum  carpen  de  foruich 
continentem  unum  qnartale.  Item  unam  peciam  inferius  der  halen  sitam 
iufra  rineas  beredum  dicti  Zeynmarx  continentem  unnm  quartale,  quae  sol- 
vit  fratribns  domus  Theuthouicae  in  Confiueua  septem  solidos  perpetoi  cen- 
BOB  Colonienais  pagamenti.  Item  nnam  peciam  <an  der  Lantzayl  iuzta 
vineam  heredum  dicti  Zeynmarx  praedictomm  continentem  unum  quartale. 
Itetn  unam  peciam  dictam  LndeBbalveratucke  iuxta  vineaiu  lacobi  dicti 
Elaensoo  ab  una  parte  versus  nemus  babentem  quaadam  arbores  oactun 
continentem  nnmn  ipartale,  quae  septem  quartali  cum  dimidio  quartali  vino- 
arum  praodictarum  communi  aestimatione  et  largc  aestimata  sunt  singuUa 
annia  deductis  expenais  ad  tres  amaa  vini  et  arapliua.  Item  in  agria  ara- 
bilibuB  primo  anam  peciam  agri  an  dem  groaBennussbanm  in  loco  dioto  an 
dem  Wyger  com  arboribus  iiucuni  propo  Gobelitium  dictum  Nambdey.  Item 
unam  peciam  agri  aitam  utF  dem  gerne  cum  arboribus  nucam  et  pirorom 
continentem  tria  quartalia  Bolventem  ad  curtem  decialem  in  Brisicb  tree 
aolidoa  bereditarii  cenaus  Colonienais  pagamenti.  Item  unam  parvara  peciam 
agri  cum  arborjbus  nucum  et  pirorum  an  dem  Erfendal  iuxta  agium  moni- 
alium  Andernacensium.  Item  unam  peciam  nemoria  an  dem  Erfendal  aitam 
prope  nemoB  Erneati  supradicti  continentem  unuui  lurnale.  Item  unam 
peciam  nemoris  an  dem  BQcbart  infra  neniua  lohannis  dicti  Nambdey  supra- 
dicti continentem  tria  quartalia.  Item  unam  peciam  nemoris  an  der  baoh 
in  Buperiore  parte  prope  nemua  monialtum  de  Nambdey  continentem  tria 
lurnalia.  Item  unam  peciam  nemoris. an  Wasenbulen  prope  beinriuum  dictam 
mort  continentem  unum  lurnale.     Item  unam   peciam  nemoris  apud  aikom 


1)  Waa  bedeutet  daj  u  über  iu? 


MUcellen.  177 

prope  nemu8  Arnold!  dicti  Swynde  contioentem  tria  lurnalia,  qnae  qnidem 
pedae  agrornm  et  nemorom  praedictorum  commnni  aestimatione  singulis 
aonis  dednctis  expensis  large  valere  potemnt  doodecim  marcas  pagaraenti 
Coloniensis,  ultra  competentiam  lignomm  cremabilium  et  ad  stipandas  vineas 
Bupradictas  et  ad  vineaa  inferins  designandas.  Item  in  territorio  villae  dictae 
Nambdey  deputarunt  et  depntant  doas  pecias  vinearum,  quas  praenotninatus 
quondam  lohannes  plebanoB  Andernaoenais  emit.  erga  Wilbelmum  filiam  qaon- 
dsm  Hoydemici  de  Hachem  militis  sitas  ex  opposito  rabeae  lanaae  continentes 
anam  larnale  cam  dimidio,  de  quibos  sunt  litterae  emptionis,  taxatas  coininuni 
aestiniatione  singulis  annis  ad  dnas  amas  vini.  Item  unam  peciam  nemoris  uff 
dem  alkom,  quam  idem  quondam  plebanus  emit  erga  Thilronnnum  de  Leemen 
et  katherinam  eins  nxorem  continentem  undecim  lurnalia  secundum  tenorem 
Utteframm  emptionis  desuper  constarum  taxatam  singulis  annis  large  ad 
valorem  undecim  maroarum  pagameuti  praedicti.  Item  in  villa  Ketge  in 
nna  pecia  vinearum  tria  lurnalia  cum  dimidio  lurnali  communi  aestimatione 
et  large  faciente  et  valentem  singulis  annis  deductis  expensis  novem  amas 
vini.  Item  lohannes  de  Brule  pastor  in  Kempen-  testamentarius  seu  testa- 
menti  execntor  praedictns,  de  suis  propriis  bonts  addidit  primo  sex  marcas 
perpetui  ceusus  Goloniensis  pagamenti,  quas  Eruestns  Karpe  praedictus  solvit 
singulis  annis  erga  ipsum  Ernestum  compaias '),  de  quibus  sunt  litterae 
emptionis.  Item  idem  lohannes  de  Brüle  de  suis  propriis  bonis  hereditariis 
dedit  et  depntat  ad  usus  sacerdotis  et  capellae  fundandae  ut  proferiur  sex 
Jnrnalia  agrorum  arabilium  in  territorio  de  Brüle  et  hoyncbem  situatis 
valentia  singulis  annis  aestimatione  commnni  deductis  expensis  tria  maldria 
siliginis.  In  quorum  omnium  praemissorum  evidens  et  perpetuum  testi- 
moninm  ac  robur  sigillum  nostrnm  praesentibus  est  appensum  nna  cum 
rigillo  lohannis  de  Hexheym  plobani  ecclesiae  Andernacensis  praedictae.  Et 
ego  lohannes  de  Hexhem  plebanus  ecclesiae  Andernacensis  recognosco,  quod 
fondationi,  erectioni,  reformationi  necnon  coUationi,  ordinationibus  et  sta- 
tatis  ac  aliis  omnibus  et  singulis  supratractatis  meum  consilium  pro  do- 
uüni  cnltus  augmento  adbibui  et  adhibco  per  praesentes,  Kt  quod  in  huius 
rei  testimoninm  et  firmitatem  perpetuam  sigillum  meum  bis  litteris  est 
appensum.  Datum  Erembrechtstein  Anno  Domini  millesimo  trecentesimo 
sexagesimo  nono,  die  IX.  mensis  Decembris. 

Andernach.  Dr.  G.  Terwelp. 

7.  Ein  Steinring  auf  dem  Hohenseelbacbkopf.  Prof. 
Scbaaffhansen    legt   in    der    Sitzung    der    Niederrh.   Gesellschaft    vom 


1)  ooniputata8(?) 

12 


178  Miscellen. 

18.  Febr.  einen  Bericht  des  H.  Bergraths  Hundt  in  Siegen  über  eine  auf 
dem  genannten  Basaltkopf  aus  Basaltsäulen  ohne  Mörtel  anfgerichteta 
3  bis  3  M.  breite  und  ursprünglich  wohl  ebenso  hohe  Ringmauer  vor,  die 
Hundt  dem  celtischen  Alterthume  zuweist.  Innerhalb  dt-rselben  findet  sich 
ein  Braunen,  in  dem  das  Tagewasser  zusammenläuft.  Pie  bisher  dort  ge- 
fundenen Pfeilspitzen  und  Streitäxte  gehören  dem  Mittelalter  an. 

8.  Kessenich.  Im  Anschluss  an  die  Miscelle  Ilefl  LVII.  G  n.  LVIII.  7 
sind  Fnndo  römischer  Gef&sse  und  Mauerfundamente  auch  an  dem  Theile 
dos  Kessenicher  Rheinwegs,  welcher  über  die  Coblcnzorstrasse  hinaus  zum 
Rhein  rcsp.  zur  Schneidmühle  führte,  zn  verzeichnen.  Es  scheint  demnach 
dass  dieser  Weg  vom  Rhein  bis  auf  das  Vorgebirge  und  vielleicht  über 
dasselbe  hinweg  ging.  Die  Mauerfundamente  wurden  beim  Baue  eines 
kleinen  Hauses  des  Ziegelbesitzer  Eich  aufgedeckt  und  scheinen  im  Znsam- 
raenhang  mit  einem  grösseren  Bau  auf  der  südlich  vom  Wege  belegten 
Höhe  zu  stehen.  In  Aassicht  genommene  Ausgrabungen  werden  hoffentlich 
bald  Weiteres  feststellen.  E.  aus'ro  Weerth. 

9.  Kirn.  Briefliche  Mittheilung  des  Hrn.  Dr.  med.  Bntry  d.  d. 
7/12  7T.  In  Bezug  auf  den  im  vorigen  Hefte  8.  172  beschriebenen  Gräber- 
fund ist  noch  Folgendes  zu  melden:  Im  Spätherbst  sind  in  dem  Pr&sens- 
acker  noch  mehre  Altert humsfunde  gemacht  worden;  unter  anderem  eine 
stark  abgonntzto  (röm.)  Münze  und  ein  kleines,  wohlerhaltenes  Glasfläsch- 
chen.  woK'hos  auf  einem  nngofahr  6  Cm.  im  Quadrat  messenden  Steine  stand. 
Aussorvloin  wurJon  lUH'h  grossoio  kohisolie  l'ruen,  so  wie  viele  kleinere 
römisohe  rriioii  nusjiojrraben.  Für  don  Winter  hören  die  Nachgrabungen 
auf.  Viooh  wervleu  dieselben  mit  beginn  des  Fnihlings  wieder  aufgenommen. 

10.  Königs  Winter.  In  der  Gemarkung  von  Mehlem  wurde  un- 
längst eine  i'iemlioh  gut  erhaltene  rCimisohe  Münze  di^s  Kaisers  Antoninns 
Tiu!«  in  (ir\v>iser.'.  gotunJon  wul  von  meinem  Sohne  Pr.  med.  Franz  Fr.  er- 
wvubon.  K#  ist  eine  von  den  s«"g.  Consecratiorsmünzen .  liergleichen 
ii!»eh  «1er  Ver;;ottiiv'h«ng  der  K.-»iser  durih  Sen.itslvsohluss  geschlagen  wur- 
\U-\\.  Julius  t\is.'»r  w.-^r  vier  «rste.  dem  naoh  seinem  T<.dc  diese  Ehre  zu 
Vheil  >\ui\le,  ilnn  to'g?o  ui'nntro'.lMr  sein  .Vdoptivsoha  C.'ksar  Augustus. 
Wir  geben  «l-.o  rnisv-Iirilt  un<ere!-  M'.:«.-e  n.'iv'h  Cohev.  Autov.iiius  Pins  No. 
M;.  .V  ^  OIWS  ANTONINVS.  J^.»  teto  o-.;  soa  baste  nu  ji  droite. 
U^  i'l^NSEC RATIO  S.C  .  l'vWhi:  ä  viv..s:re  ö:ages  en  pyramide.  ome 
de  »;mrUn>les,  »le  di.ijviies.  et  vie  st.-4tue*  stjMVxos  viir  de  colonnes;  an 
uuliru.  mie  jvrte.  !«;ir  le  sonnv.*:,  Autor.;::  vi.^::s  ;::•.  iju.iJ.rige  tFrappee 
njMi^!«  H,k  iiKM't  ^  l  olvr  xue  tV:e> .  oho  d  ivv.  v^i.ie  äiestr  Heiligsprechung, 
«vivlie  u\  -WO»  .Vvte.i  l^•^tel»t .    l^  «Uv  >seK-ut.»g.«,v:v  .V,".s*t»Iluüg  des  iu  Wjurhs 


Misoellen.  179 

nachgebildeten,  auf  einem  elfenbeinernen  Paradebett  sitzenden  Kaisers  vor 
dem  kaiserlichen  Pallast,  wo  der  einem  Schwerkranken  gleichende  von  den 
Senatoren  und  courfäbigen  Damen  Coudolenzbesuche  erhält,  und  i)  in  der 
Verbrennung  der  Leiche,  die  im  2.  Stockwerk  des  pyramidal  in  4  Etagen 
sich  erhebenden  Holzbaus  (rogus)  auf  dem  Marsfelde  aufgestellt  ist,  begnügen 
wir  uns  der  Kürze  wegen  auf  „Rieh,  illustr.  Wörterbuch  d.  rüm.  Alterth. 
übers,  von  Karl  Müller  s.  v.  consecratio"  und  auf  Guhl  und  Koner,  d. 
Leben  d.  Griechen  und  Römer  2.  Aufl.  S. .  7  38  ff.  zu  verweisen,  wo  nach 
Herodianus  (IV,  ^)  die  Gebräuche  einer  solchen  Consecratio  ausführlich  be- 
schrieben werden.  J.  Freudenberg. 

11.  Niedermendig.  Das  sog.  Höhtges-Krenz.  An  der  von  An- 
dernach  nach  Niedermendig  führenden  Actienstrasse,  zwischen  dem  Dorfe 
Thür  und  Niedermendig  erhebt  sich  ein  altes,  der  frommen  Andacht  ge- 
weihtes Denkmal,  das  aus  Mayener  Stein  gefertigte  Höhtges- Kreuz, 
das  sowohl  durch  seine  eigenthümliche  Form  wie  auch  besonders  wegen 
einer  darauf  eingehauenen  ungewöhnlich  grossen  Inschrift  imsor  Interesse 
in  Anspruch  nimmt. 

Hr.  Rector  Dr.  Kruse  hat  mir  bereits  im  Sommer  1876  von  diesem 
Monumente  eine  nähere  Beschreibung  übermittelt,  jedoch  fehlte  es  ihm  an 
der  erforderlichen  Masse,  um  die  sehr  schwer  z»  lesende  Inschrift  genau 
zu  enträthseln.  Mit  mehr  Erfolg  bemühte  sich  um  die  Entziifei'ung  der- 
selben der  Pastor  von  Niedermendig,  Hr.  Definitor  Nörtersheuser, 
welcher  die  Entdeckung  machte,  dass  die  vorliegende  Inschrift  eine  lieber- 
Setzung  des  bekannten  alten  lateinischen  Gebetes:  Salve  regina  sei. 
Abe  rauch  seine  in  dem  Mayener  Sonntagsblatt  vom  22.  Oct.  1876  anonym  und 
jüngst  in  Pick 's  Monatsschrift  f.  rhein.  Geschieh tüforschung  III  S.  596  unter 
seinem  Namen  veröffentlichte  Wiedergabe  der  Inschrift  entspricht  nicht  den 
strengern  Anforderungen  der  Kritik.  Mein  geschätzter  Freund,  Dr.  Pohl, 
hat  sich  auf  meinen  Wunsch  in  den  verflossenen  Herbstferien  der  mühe- 
vollen Arbeit  unterzogen,  au  Ort  und  Stelle  den  Text  der  so  schwierigen 
Inschrift  diplomatisch  genau  festzustellen.  Doch  ehe  wir  zur  nähern  Be- 
sprechung der  Inschrift  schreiten,  erscheint  es  augemessen,  eine  eingehendere 
Beschreibung  des  ganzen  Monuments  nach  dem  uns  vorliegenden  sorgfältigen 
Berichte  des  Hrn.  Dr.  Kruse  vorauszuschicken.  . 

Das  Denkmal  besteht  ans  einer  75  cm.  hohen,  52  cm.  breiten  Stein- 
nische, welche  dachförmig  ausläuft  und  von  einer  l'-^l  cm.  hohen,  32  cm. 
breiten  Säule  getragen  wird,  die  auf  einem  breitern  Sockel  ruht.  Dieser 
hat  die  Form  einer  sechsseitigen  Pyramide,  deren  Spitze  parallel  der  Basis 
abgeschnitten  ist;  die  hierdurch  gebildeten  Trape^ie  sind  unten  47,  oben 
46  cm.  breit. 


180  Miicelleo. 

In  der  Nische  befindet  sich  ein  kanstloses  Holzbildchen,  Maria  mit 
dem  todten  Heiland  auf  dem  Schosse,  an  den  Aussenseiten  der  Nischenwäude 
sind  einander  gleiche  Kreuze  angebracht,  welche  an  ihren  Spitzen  mit  drei 
rhombischien  Verzierungen  versehen  sind  and  eine  Hähe  von  46  cm.,  eine 
Breite  von  30  cm.  haben.  Diu  Rückwand  trägt  ebenfalls  ein  Krenz,  welches, 
abgesehen  von  dem  in  die  Länge  gezogenen  Stamme,  die  Form  eines  Malr 
teser-Erenzes  zeigt  aud  bei  gleicher  Höhe  40  cm.  breit  ist.  Auf  die  Ränder 
der  Nische  findet  sich  nach  vorne,  sowohl  an  den  beiden  Seiten  wie  auch 
unten  die  Angabe  der  Jahreszahl  und  des  Monats  in  folgender  Weise  ver- 
theilt:  Datü  anno  dui  |  jUCCE^CCCXXll  |  IUI  Aust.(?),  woraus  sich  für  die 
Errichtung  unseres  Denkmals  das  Jahr  1472  ergibt. 

Das  Ganze,  auf  welchem  die  Nische  ruht,  hat  die  Gestalt  einer 
kreisrunden  Säule,  bei  welcher  an  der  Hinterseite  in  der  ganzen  Länge 
durch  eine  ebene  Fläche  die  Rundung  unterbrochen  wird.  Der  Rnndtheil 
der  Säule  trägt  vorne  die  in  zwei  Golumnen  stehende  Inschrift  mit  gothi- 
sehen  Schrifteeichen : 

gegrotzet  schrien  '  vnd 

•  sis  tu  '  maia  weine  '  i '  disme 

koenne  '  d'  dal  '  d'  '  trene 

barhtzuet  och  '  dar  '  vmb 

5  leve  •  ind  *  tot        du  '  vs  *  vspch 

sicher  *  ind  "  vs      erien  '  kere 

hoffe  '  gegrotz        di  '  barm 

sis  tu  '  zo  di '  rof     htzne  '  au 

f e  '  m  *  elledich      ge  '  zo  "  vns 
10   eue  ■  knd'  '  zo        und  *  nach  *  d 

di  ■  suftzte  ■  m      iesme  "  elled  * 

bewis  vs  '  ihosum  cristu 

die  ■  gebenedide  "  frucht  din(esV) 

liebes  o  barmhtzno  M(aia?) 
d.  h.  mit  Auflösung  dor  Abbreviaturen:  gegrotzet  sis  tu  maria  "  koenigino 
der  barmhertznet  '  leven  ind  tot  sicher  '  ind  nn8(er)  hoffen  "  gegrotz  sis  tu  * 
zo  dir  roffen  mir  ellendich  cven-kinder  '  zo  dir  suftzten  (sie)  mir  schrien 
vnd  weinen  in  dismc  dal  der  trene  "  och  darvmb  du  vns  vur  Sprech  erien  kere 
din  barmhertzne  augcu  zo  vns  und  nach  diesme  eilend  bewis  vns  ihesum 
cristum  die  gebenedide  frucht  dines  liebes  o  barmhertzne  Maria. 


MiBcelleo.  181 

Um  die  Vergleiohang  der  Tontchenden  üebertragting  mit  dem  Ori- 
giual  zn  erleichtern,  lassen  wir  den  Text  desselben  folgen: 

Salve  R^ua,  raater  miserieordiae,  Tita,  dulcedo  et  spes  nostra,  salve. 
Ad  te  clamamus  exnlcs  filii  Evae.  Ad  te  suspiramus  gementes  et  flentes 
in  hac  laorimamm  valle.  £ia  ergo,  advocata  nostra,  illos  tuos  misericordes 
oculos  ad  nos  oonyerte  et  Jesnm,  benediotum  fructuni  ventria  tui,  nobis 
post  hoc  exilium  ostende.     0  clemeos,  o  pia,  o  dulcis  virgo  Maria! 

Gleich  aus  den  4  ersten  Zeilen  der  1.  Columne  unserer  Inschrift  er* 
sehen  wir,  dass  dieselbe  dem  Original  nicht  gonau  entspricht,  indem  da8 
Wort  mater  ausgelassen  ist,  und  der  Genetiv  der  barmhertznet  mit 
koenigine  verbunden  wird.  In  der  Form  barmhertznet  steht  die  Endung 
et  für  hot  =  heit,  keit,  da  das  ganze  Wort  mittelhochdeutsch :  barm- 
herzekeit  lautet.  Als  Ac^ectiv  findet  sich  zweimal  die  Form  barm- 
hertzne.  Noch  mehr  aber  weicht  die  Uebcrtragung  in  der  5.  und  6.  Zeile 
ab,  wo  die  Prädikate  vita,  dulcedo  durch  leven  ind  tot  wiedergegeben 
sind,  die  kaum  einen  Sinn  zulassen,  wenn  man  nicht  etwa  das  folgende 
Wort  sicher  als  Imperativ  fasst.  Vielleicht  stand,  wie  Prof.  Alex.  Reif f er- 
scheid mir  brieflich  mittheilt,  in  der  Vorlage  des  Steinmetzen:  leven  ind 
Botichet  (=  sflssigkeit).  — Z.  9  finden  wir  das  mundartliche  mir  für  ,wir^ 
dus  bei  schneller  Aussprache  sich  zu  mer  abschwächt.  Bemerkenswerth 
ist  der  Gebranch  des  Pronomen  poss.  vs  =  vns  ohne  Endungssilbe  sowohl 
iilr  das  Neutrum  (Col.  I,  Z.  6)  als  auch  für  das  Femininum  (Gol.  II,  Z.  5), 
80  wie  das  Schwanken  in  einzelnen  Formen;  so  in  ind,  vnd,  und;  disrae 
und  diesme,  vs,  vns;  och  (Gol.  II,  Z.  4)  steht  für  hochdentsches  ach. 
Als  Interpunction  hat  das  Punctmn  durchweg  folgende  Gestalt:  i 

An  der  Rückseite  der  Halbsäule   steht  der  Name  des  Werkmeisters: 

bclteit 

▼on  welchem  im  Folgenden  noch  die  Rede  sein  wird.  Was  den  Namen  des 
Kreuzes  betrifft,  so  hat  derselbe  mit  hob  =  hoch  nichts  gemein,  vielmehr  ist 
er  als  Deminutiv  von  Hut:  Hütchen,  mundartlich  Höhtchen,  zu  betrachten, 
eine  naive  Bezeichnung  der  Nische,  mit  welcher  das  Steindenkmat  gekrönt  ist. 
Der  vorstehenden  Besprechung  des  sog.  Höhtgeskreuzcs  reihen  wir 
eine  kurze  Notiz  über  ein  ganz  ähnliches,  noch  älteres  Kreuz  von  demselben 
Meister  an,  welches  an  dem  Ausgang  von  Obermendig  nach  Andernach 
neben  der  neuerbauten  Kapelle  steht.  Dieses  hat  nach  der  gerälligen  Mittheilung 
des  Hrn.  Rector  Pohl  ebenfalls  als  Aufsatz  eine  jetzt  leere  Nische,  in  der 
sich   früher  offenbar   eine   mater  dolorosa,  wie  in  der  des  Höhtges-Kreuz, 


182  Miacellen. 

befanden  hat,  und  dieselben  Kreuze  als  Verzierungen  aaf  den  Seitenflächen. 
Der  Text  der  darauf  eingehauenen  Inschrift  lantet: 
»^^(t(LUii  (also  1462) 

0  füiidier  ntedi  (sie) 
fidf  ä  mi  i^ait 

in)  sin  müh' 
marin 

darunter  ein  Rad  mit  Anspielung  auf  St.  Katharina  als  Patronin  der  Stein- 
metzen, femer  ein  Mühlstein,  dann 

einis 
brligrn  (sie) 

Auf  der  linken  Seite  der  Nische  steht 

s.  Innrrn(üus) 

rechts:  $.  gmtftua       (die  Schutzpatrone  von  Obermendig). 

Was  den  hier  abweichend  von  der  Schreibung  anf  dem  Höhtgeskrena, 
wo  er  bellen  lantet,  vorkommenden  Namen  beiigen  betrifiFt.  so  ist  an 
der  Idontität  beider  Formen  nicht  zu  zweifeln :  die  Schwankung  in  der 
Orthogrjkphie  des  angelehrten  Meisters  findet  ihre  Erklärung  in  der  Aas- 
sprache des  g.  das  auch  jetzt  noch  in  niederrheinischer  Mundart  wie  j  lantet. 
Der  Name  belien  erinnert  an  belivn,  den  Widder,  in  Reineke  Fachs, 
schwerlich  »tilit  er  ;:n  dorn  n;\ho  bei  Obornienaip  gelegenen  Dorfe  Bell  in 
Po."!ohv.r.j:.  von  dorn  Dr.  l\^hi  den  Namen  als  Deniinutivform  »Beliehen) 
abcu!o:t<?".  ceaeict  ist. 

K::.i".:ch  ccge  noch  eine  mir  Vv->:i  l>r.  Pohl  zur  Disposition  gestellte 
Mitfhor.unjT  ulvi-  eiiie  iiirsichtlioh  vier  Sprache  '.ind  hohen  Alters  beachtens- 
wertr.e  Ir.sohr:::  P'.a:.-.  rlaiea.  vi:c  sich  ii:'.  einen  Hef-icicbänschen  zwischen 
Obtr>»;=:tr  u.-.d  Rtr.:ai:fr.  da.  wo  sich  der  We^:  r.ao'r.  Vnkelbach  abzweigt, 
f.r.ie:.  I'arA:::  is:  :v.::  i:v"t";".:<vr':5e:i  B;:>:hs:Abx:'.  :o'.*:ei:.ies.  ;t>iooh  nicht  ohne 
Mür.f  ".:  ".i-sfi:.  d*  i:e  l>-.:>-V.s:j»bia  ir.  r.t-uircr  Zc::  ül-erpinselt  und  aus 
M:<<v;rj:,V..ir.:s*  .-r.u:  Tr.c"'.  cr-t*:-.!".:  sir.vi: 

A-^r.;  —  .;:"::  -  r.i  —  OvW  v.oa-  -r  ir.  -r  die  —  s.-:  -r  "Är-'-bert:  -~  do  dede  + 
aru, ':  —  Ar:-:  .:c»>#  —  su"  —  va  ♦  v/k«'.'  •.•h  —  dit  "^»che  —  io:  —  geoe-i-de-i- 
*::•.  —  t-w\-"-.  —  '.t",:«'  —  df  —  fir  —  hv.'.ye  -  r.f:::  —  *i::t-  !•:?  r*e:  letrten  Zeilen 
-- c :•■.:.•  — v.  *.  w  —  jTv-:  ^CTe."'  df  .-c  •  sir  s*"!?.  ewig  levea  de 
.'.::■  ::r  ■Tf  r-.:':";-  :•..".:>  h;".  fo  'r-:-:-:s'  »:eT;-s  <?r.t£:a'.ter.  in  ge- 
ri.r:*"  fuv. ?.:<<-,.: ;r.  .'ar.-.V;r.  t->.:er  Se^rs" :■".*»."•-■■*«■  5  i'-r  die  WoV.".th  iter,  die 
dfr  A-.:*:-h.r-.::-i  dc#  iro-arsea  Werk«  ib:*   Hul:e  iUi*w»adi  haben. 


•     -  MlMoUen.  188 

Die  Jahreszahl  1409  ist  nicht  in  Zweifel  zn  ziehen,  ohschon  das  letzte  o 
vonnon(o)  nicht  mehr  sichtbar  ist.  Es  bedarf  kaum  der  Andeutung,  dass  Ar- 
noltges  der  G«netiy  dee  Deminutivs  Amoltge  ist.  —  Zum  Schluss  wollen  wir 
die  Bemerkung  nicht  unterdrücken,  dass  die  am  Niederrhein  an  den  Wegen 
zur  andächtigen  Erinnerung  für  die  Wanderer  errichteten  und  grosstentheils 
noch  erhaltenen  Kreuze  aus  Holz  wie  aus  Stein  grössere  Beachtung  ver- 
dienen möchten,  als  ihnen  bisher  zu  Tlieil  geworden.  So  finden  sich  in 
Königswinter  au  Strassenfibergängen  zwei  aus  älterer  2^it  stammende 
Steinkreuze,  auf  denen  bei  den  Namen,  sei  es  der  Widmenden  oder  der 
Werkmeister  Steinmetzzeichen  und  Hausmarken  eingehauen  sind,  die  abge- 
zeichnet und  pablizirt  zn  werden  verdienen.  Einem  anderen  Denkmal  be- 
gegnet man  gleich  unterhalb  Königswinter,  an  dem  nach  Niederdollendörf 
führenden  Fusspfad.  Von  demselben  ist  jetzt  nur  noch  der  schwere  und  ziem- 
lich hohe  Sockel  vorhanden  mit  der  eine  Jahreszahl  enthaltenden  Inschrift: 

OeCVbVIt  CLeMens 
Unter  dieser  Inschrift  befindet  sich  das  kurfürstliche  Wappen  mit  dem 
verzierton  Namenszuge  CA>  Wir  haben  hier  offenbar  ein  Chronicon  vor 
uns  mit  der  Jahreszahl  1761,  die  sich  auf  keine  geringere  Persönlichkeit 
bezieht,  als  auf  den  durch  seine  Prachtliebe  und  g^rossartigen  Bauten,  von 
denen  wir  bloss  das  Schloss  Clemensruhe  in  Poppeisdorf  erwähnen  wollen, 
berühmten  Ghnrfürsten  Clemens  August  von  Köln,  dessen  Tod  in  das  Jahr 
1761  fSkUi.  lieber  die  Yeranlassuog  zur  Errichtung  des  Denkmals  ist  die 
Kunde  in  Königswinter  selbst  fast  ganz  verschollen,  nur  durch  Hrn.  Sani- 
tfttsrath  Dr.  Schaefer  in  Bonn,  der  in  Königswinter  geboren  ist,  erfuhr 
ich,  dass  nach  der  Erzählung  seines  Grossvaters  das  Denkmal  an  der 
jetzigen  Stelle,  nur  etwas  näher  dem  Rheine  zu,  dem  Umstände  zn  ver- 
danken sei,  dass  der  Churfürst  Clemens  August  bei  einer  Lustfabrt  nach 
dem  Siebengebirge,  die  er  in  einer  prachtvoll  ausgestatteten  Yacht  mit  seinem 
Hofstaat  von  der  Vinea  Domini  aus,  wo  das  Schiff  ankerte,  machte,  hier 
ausgestiegen  sei,  um  auszuruhen.  Erscheint  es  bei  dieser  Version 
auch  sonderbar,  dass  der  Kirchenfürst,  der  ja  auf  der  Fahrt  von  Bonn  der 
Buhe  pflegen  konnte,  beim  Aussteigen  schon  wieder  das  Bedürfniss  danach 
gef&hlt  haben  soll,  so  schwindet  doch  einigermassen  das  Auffallende,  wenn 
wir  annehmen,  dass  der  Churfürst  an  der  Stelle  zum  letzten  Mal  gelandet 
and  dem  herbeigeströmten  Volke  seinen  Segen  ertheilt  habe.  Sowohl  zum 
Andenken  an  diese  letzte  Beg^^nng  wie  zur  Erinnerung  an  seinen  in  dem- 
selben Jahre  erfolgten  Tod  mögen  die  zahlreichen  Steinhauor  des  Ortes, 
welchen  die  Baulust  des  KirchenfQrsten  reichliche  und  lohnende  Arbeit  bot, 
das  Denkmal,    auf  dessen  Postament  vielleicht  noch  ein  Kreuz  stand,    ans 


184  Misoellen. 

dankbarer  Pietät  gesetzt  haben,  nm  den  vorübergehenden  Wanderer  daran 
zu  erinnern,  dem  geliebten  Kirchenfärsten  ein  kurzes  Memento  zu  widmen. 

Königswinter.  J.  Freudenberg. 

12.  Oberbilk.  Einer  brieflichen  Mittheilung  des  Herrn  Wolff  in 
Cöln  entnehmen  wir  Folgendes :  Auf  dem  Grundstücke  des  Ziegelei-Besitzen 
Fücker  in  Oberbilk,  südwestlich  von  dem  Kommuualwege  nach  Eller,  wurden 
kürzlich  4  Terra  sigillata  Schalen  ausgegraben,  welche  mit  verbrannten 
menschlichen  Enochenresten  gefüllt  waren. 

Leider  ist  der  hochrothe  glänzende  Ueberzug  der  Schalen  in  Folge 
der  lehmigen  BodenbeschafTenheit,  so  wie  einer  vom  Finder  vorgenommenen 
Reinigung  hier  und  da  etwas  verwischt,  dennoch  sind  sämmtliche  Darstel- 
lungen auf  der  äussern  Gefasswand  deutlich  za  erkennen. 

1.  Terra  sigillata  Schale  von  dem  bedeutenden  Umfange  von  83  cm 
nnd  15  cm  Höhe.  Unter  dem  oberen  Rande  beginnen  die  Ornamente  mit 
dem  römischen  Eierstabe,  darunter  ein  Wellen  Ornament,  zwischen  letzterem 
fliehen  ein  Wolf  nnd  ein  Eber  vor  Hunden.  Zwischen  denselben  hin  nnd 
wieder  vereinzelte  Palmblätt6r.  Leider  ist  der  Töpferstempel  nicht  zu 
erkennen. 

2.  Schale  72  cm  Umfang  und  12  cm  Höhe.  Unter  dem  oberen  Rande 
beginnt  wieder  der  Eierstab,  dann  9  grosse  Medaillons  in  welchen  sich  ein 
ßär  in  springender  Stellung  befindet,  zwischen  diesen  6  kleineren  Medaillons 
mit  Eicbenlaubkränzchen,  unter  diesen  je  ein  Blatt.  Die  Schale  trägt  an 
der  äusseren  Wandfläche  den  Stempel  AITIMOO  (COMITIAlis.  vergl. 
Scheuermanns  1538  ff.  und  Fr.  778  ff.),  ausserdem  befindet  sich  in  der 
Rundung    des  Fusses   ein  eingekratztes  V. 

3.  Schale  von  feinerer  Terra  Sigillata  wie  die  beiden  ersteren,  42  cm 
im  Umfang  und  10  cm  Hübe.  Zuerst  der  Eierstab,  dünn  10  Bogen,  iu  9 
derselben  befindet  sich  ein  nicht  erkennbarer  Gegenstand,  zwischen  den 
Bogen  je  ein  grosses  Blatt  und  hierunter  ein  Kranz  schöner  Arabesken. 
Der  deutliche  Stempel  CNSOR  befindet  sich  in  dem  zehnten,  dem  An- 
scheine nach  zu  diesem  Zwecke  von  sonstigen  Verzierungen  frei  gebliebenen 
Bogen.  Dieser  Stempel  zeichnet  sich  durch  besonders  grosse  Buchstaben  aus. 
ONSOR  ist  ein  unbekannter  Töpfername;  Fröhner  erwähnt  No.  2020 
(Seh.  5291 )  einen  SOR.  Sollte  der  erste  Buchstabe  nicht  ein  O  sondern 
ein  C  sein  und  mit  dem  N  verbunden  eine  Abkürzung  für  CNAEVS  »ein? 
oder  Zusammenziohung  von  CENSORINVS  (Seh.  1474  CNSORINF.  nnd 
1257  CENSORiNFj?  Sämmtliche  Schalen  befanden  sich  in  einer  Tiefe  von 
ca.  1  m    in  der   Mitte  einer  Braudlage  von  ca.    1  '/« m  im    Quadrat.     Ich 


Miscellen.  186 

war  BO  glücklich   drei  dieser  Schalen    fOr    meine  Samodlang  za  acquiriren, 
eine  vierte  soll  nach  Dässeldqrf  verkauft  worden  sein.        F.  H.  Wolff. 

13.  Raversbearen.  Aas  dem  Schatt  der  im  vorigen  Jahre,  be- 
schriebenen römischen  Villa  erhielt  ich  nachträglich  den  Terra-Sigillata* 
Stempel  PECVLIA  FE,  den  Schnermanns  4256  ans  Mainz  anfahrt. 

E.  aas'm  Weerth, 

14.  HQgelgr&ber  im  Sponheimer  Walde.  In  der  Sitzung  der 
Niederrhein.  Gesellschaft  vom  16.  Juli  1877  berichtet  Prof.  Scha  äff  hausen 
Aber  die  auf  der  Berghöhe  zwischen  Nahe  und  Rhein  in  den  Gemeinde- 
w&ldem  von  Sponheim,  Mandel,  Bitesheim,  Weinslieim,  Langenlobnsheim 
noch  zahlreich  vorhandenen  germanischen  Grabhügel.  Im  Sponheimer  Walde 
liess  sich  an  2  Gruppen  dieser  Gräber  feststellen,  dass  immer  3  Hügel  in 
einem  regelmässigen  Dreieck  standen ;  von  diesen  waren  2  in  der  Richtung 
von  N.  nach  S.  orientirt.  Eine  gleiche  Beobachtung  hat  bereits  Wächter 
gemacht,  vgl.  Hannoversches  Magazin  1841,  No.  84. 

15.  Trier.  Die  Trierische  Zeitung  vom  25.  März  1878  schreibt: 
In  Oberweis  bei  Bitbarg  ist  in  den  letzten  Wochen  auf  Kosten  des  hiesigen 
Provinzialranseums  eine  römische  Villa  aufgedeckt  worden.  Dieselbe  liegt 
auf  einem  der  die  Prüm  westlich  einfassenden  Hügel  320  Meter  nördlich 
von  der  Kirche.  Die  Villa,  deren  Front  nach  Süden  gewendet  ist,  besteht 
ans  einem  60  Meter  langen  und  einem  16  Meter  tiefen  Mittelbau  und  zwei 
etwa  1 2  Meter  breiten  Seitenflügeln,  welche  um  10  Meter  über  die  Mittel- 
facade  hervorspringen.  Unter  allen  in  den  Rheinlanden  bis  jetzt  aufge- 
deckten römischen  Villen  steht  das  Gebäude  nur  dem  Nenniger  an  Um- 
fang nach. 

Die  Mauern  sind  meist  noch  gut  erhalten;  ia  den  am  Abhänge  des 
Hügels  gelegenen  Theilen  des  Gebäudes  stehen  sie  noch  zwei  Meter  über 
dem  alten  Estrich.  Aber  die  ursprüngliche  Anlage  hat  unter  einem  spä- 
teren Umbau,  der  in  die  spätrömische  oder  vielleicht  in  die  fränkische  Zeit 
fallen  mag,  stark  gelitten,  und  an  vielen  Stellen  war  es  erst  nach  Abbruch 
der  obem  Mauern  möglich,  die  darunter  liegende  ursprüngliche  Anlage 
wiederzufinden. 

Die  ganze  südliche  Front  des  Mittelbaues  nimmt  eine  grosse  Halle 
ein.  Die  Wände  derselben  waren  mit  gewandt  gemalten  Amoretten  geziert, 
von  denen  einige  Bruchstücke  noch  in  gutem  Zustande  sind.  Hinter  der 
Halle  befinden  sich  die  Wohnzimmer.  In  zwei  derselben  liegen  noch  Mosaik- 
böden,  welche  beide  durch  später  aufgesetzte  Mauern  in  der  Mitte  zerstört, 
im  übrigen  aber  gut  erhalten  sind.  Der  eine  Boden  ist  von  schlechter 
Technik,  das  Master  einfach :  auf  schwarzem  Grunde  weisse  Sternchen,  nur 


186  Miaeellen. 

in  der  Mitte  ein  Quadrat  von  bnnten  Ornamenten.  Der  andere  Boden  dar 
g^^en  hat  hoben  Werth.  Er  ist  von  ausgezeichneter  Arbeit  und  zeigt  auf 
weissem  Grunde  Fische  und  Vögel  und  Btilisirte  Blumen  mit  Steinchen  aller 
Farben,  welche  eine  getreue  Natnrnachabmung  fordert.  In  dem  Zimmer, 
wo  dieser  Boden  liegt,  ist  auch  die  Wandmalerei  noch  etwa  einen  halben 
Meter  hoch  erhalten:  sie  stellt  Blumen  und  Fröchte  dar.  —  Auch  die  De- 
koration der  anderen  Zimmer  lässt  sich  meist  noch  erkennen;  in  der  Art 
der  pompejanischen  Dekorationsmalerei  sind  die  Wände,  deren  Grundfarbe 
sehwjurz,  roth  oder  gelb  ist,  durch  aufsteigende  Streifen  in  Felder  getbeilt. 

In  den  Nebenflägeln  lagen  die  Schlafzimmer,  sie  sind  gekennaeichnet 
durch  die  Heiaeinrichtungen;  im  östlichen  Flügel  befinden  sich  ausserdem 
noch  ein  Keller  und  Wirthschaflsräume:  hierselbst  ist  ein  Backofen  Ton 
guter  Erhaltung  von  besonderem  Interesse.  Neben  dem  östlichen  Flügel 
li^^u  die  Badeanlagen. 

Um  diese  Ausgrabungen  hat  sich  Herr  Pastor  Orth  ans  Wismanna- 
dorf  ein  ganz  besonderes  Verdienst  erworben,  indem  er  zuerst  die  Anf> 
merksamkeit  auf  die  betreffende  Stelle  gelenkt  und  mit  grosser  Umsicht 
die  Voruntersuchungen  geleitet  hat.  H. 

IG.  Wir  lesen  in  der  Konstanzer  Zeitung  vom  16.  Februar  1878  aoa 
Ueberlingen.  Der  unermüdliche  Pfahlbauten- EIrforscber  unserer  Gegend, 
Herr  Ullesberger,  hat  auch  in  den  letzten  Jahren,  trotzdem  die  Wasser- 
stande des  See's  nicht  besonders  günstig  waren,  seine  Untersuchungen  fort- 
gesot/.t  und  mauolie  Fundstücke  aus  den  Pfahlbau-Stationen  Sipplingen, 
Nussdorf,  Maurach,  Untoruhldingen  etc.  erworben.  Bei  Sipplingen  nament- 
lich wurden  in  diesem  Winter  mehrere  Artefakte  aus  Stein  und  Knochen, 
Meissel.  Beilchen,  durchbohrte  Aextcben  etc.  zu  Tage  gefördert ;  ferner 
Spinuwirtel  aus  Thou.  Scherben  von  Thongeiassen.  seltsam  geformte  Glas- 
schorben mit  lÄtchern  und  Schildern,  endlich  ein  durchbohrter  Höhlenbären- 
zahn. Aehu liehe  Getronstiinde  aus  der  Sreinperiode  fanden  sich  an  den 
andern  Strttionen  vor ;  ausseid«m  in  UniernhKlingen  Werkzeuge  aus  Bronze, 
wie  Nadeln,  .\ii»reln  etc.  besonders  erw;ihnen»weith  i<t  noch  ein  Beilchen 
aus  Jadeit  von  4.;>  cm.  l.aniro,  ;>."jr>  cm.  I>reite  und  3.3-10  spez.  Gew., 
welches  —  wie  Professor  Dr.  Fischer  von  Freiburg  in  seiner  Monographie 
„Nephrit  und  Jadeit"  schreibt  —  ..im  Aeussern  sich  von  allen  andern  be- 
kannton Jadeiibeilchcn  untei-scheidi t.  indtui  in  dem  licht^rasgrür.en  Grunde 
ausser  den  reichlichou,  in  Striemen  angeordneten  kleinen  weissgelblichen 
Fhvkeu  noch  auf  seiner  Breittlachc  etwa  10  mehr  oder  weniger  regel- 
uiMssige.  viel"-  oder  niebreckijje,  meist  oMoi'gw,  trubgrüne  oder  schwärzlich- 
griino  Stellen    »von  einjiew achsenon  HrvstaUen^   zeigt;    diese  Durchschnitte 


Miioellen. 

Bind  vertieft  in  dorn  sonst  glatt  polirten  Grund  bezw.  nahmen  keine  Poli- 
tur an." 

17.  .Schienerberg  bei  Wangen.  Auf  diesem  Berge,  welcher  die 
b«den  westlichen  Ausläufer  des  Unter-  oder  Zellersees  trennt  und  der  Insel 
Beichenau  gegenüberliegt,  wurden  L  J.  1876  oder  inoch  etwas  früher,  an 
einer  Halde  im  Sand  von  einem  Manne  aus  Wangen  zwei  Thonge fasse 
ausgegraben:  eine  Yase,  etwa  20  ctm.  hoch,  mit  zwei  Henkeln,  auf  der 
einen  Seite  ein  Tänzer,  auf  der  andern  eine  Tänzerin,  beide  Figuren,  wie 
gewöhnlich,  roth  auf  schwarzem  Grund;  sodann  ein  hohes  Fläschchen  mit 
«ngcr  Oeffiiung,  aber  breitem,  horizontalem  Rand,  statt  der  Henkel  auf 
beiden  Seiten  nur  Ansätze  zum  Halten.  Von  grösserem  Interesse  aber  sind 
neunzehn  am  gleichen  Ort  gefundene  Gemmen,  die  in  Gold  gefasst 
waren.  Unter  denselben  zeichnet  sich  durch  vortreffliche  Arbeit  ein  Achat 
(oder  Gameol?)  mit  einem  männlichen  Kopf  aus  (1);  dieser  ist  bartlos,  hat 
kiurz  geschnittenes  Haar,  ziemlich  gefurchte,  ein  reiferes  Alter  zeigende, 
ernste,  ruhige,  fast  milde  Gesichtszüge;  um  die  Schultern  ist  derObertheil 
einer  durch  eine  Fibula  zusammengehaltenen  tunica  sichtbar.  Ein  Gott  ist 
es  jedenfalls  nicht,  aber  auch,  soweit  meine  Eenntniss  reicht,  keine  historisch 
bekannte  Person.  Von  den  andern  weniger  gut  gearbeiteten  gebe  ich  ein 
kurzes  Yerzeichniss :  2 — 4)  gelbe  Glaspasten;  2)  ein  bärtiger  Eopf,  viel- 
leicht Bacchus ;  3)  jugendlicher,  gelockter  Kopf  mit  einer  Binde  ums  Haupt 
und  einer  Andeutung  von  Hörnern,  also  ein  Satyr;  4)  ein  geflügelter  Amor 
ein  Tropäon  oder  eine  Priapusherme  bekränzend.  5)  und  6)  blaue  Glas- 
pasten:  5)  mit  einer  obscönen  Sceoe,  6)  mit  zwei  nackten  männlichen  Ge- 
stalten, von  welchen  die  eine  (links)  sitzend  dargestellt  ist,  die  andere 
(rechts)  stehend,  mit  einem  Zweig  in  der  Linken;  beide  scheinen  in  leb- 
hafter Spannung  nach  rechts  zu  blicken  (schlechte  Technik).  7)  und  8) 
Lapis  lazuli :  7)  schreitender  Amor,  den  Bogen  spannend,  8)  ähnliche  Figur, 
aber  mit  der  Lanze  in  der  Linken  und  einem  Dreizack  (?)  in  der  Rechten. 
9)  Heliotrop  (dunkelgrün  mit  rotben  Punkten) :  weiblicher  Kopf,  vielleicht 
Isis.  10) — 12)  drei  kleine  Köpfe  auf  einer  künstlichen;  dunkelfarbigen 
Masse.  Alles  bisherige  sind  Intaglios;  dazu  kommen  nun  noch  sieben 
Cameen:  13)  gelbe  Glaspaste  in  Form  eines  Käfers,  darauf  zwei  unten 
zusammenlaufende  Füllhörner,  in  der  Mitte  ein  Schlangenstab.  14)  in 
weisser  Masse  ein  männlicher  Kopf  mit  stark  gefurchtem  Gesiebt  und 
krausem  Haar.  15)  ein  kleiner  Frauenkopf  mit  langen  Locken,  weiss  auf 
dunkler  Masse.  16)  sitzende,  nackte,  jugendliehe  Figur  mit  Flügeln  und 
reichem  Lockenhaar,  mit  der  Linken  sich  aufstützend,  mit  der  Rechten  eine 
Schlange  am  Schwanz  haltend,   welche  aus  einem  Gefäss  trinkt,    weiss  auf 


188  Miscellen. 

« 

hellgelber  Masse.  17)  männlicher  Kopf  mit  Schnnrrbart,  stark  gebogener 
Nase  and  kahlem  Vorderkopf  (antik?)  aus  blaugrüner  Masse.  18)  nnd  19 
Bwei  winzige,  nor  5  mm.  hohe,  jugendliche  Köpfchen  in  hocherhabener 
Arbeit,  ans  brauner  Masse. 

SSfnmtliche  genannten  Gegenstände,  wozu  auch  noch  ein  Stück  von 
einem  Pferdebügel  gehört,  wurden  im  Frühjahr  1877  vom  Zeichenlehrer 
Seder  hier  dem  Finder  abgekauft  uud  befinden  sich  jetzt  im  Rosgarten- 
Museum  in  Constanz.  Yon  sonstigen  römischen  Fanden  auf  dem  Schiener- 
berg ist  bis  jetzt  nichts  bekannt.  F.  Hang. 

18.  Welschingen.  In  dem  Berichte  Leiners  über  die  alemannische 
Begräbnissstätte  (Heft  LX,  S.  171)  füge  ich  nachträglich  hinzu,  dass  die 
dort  erwähnte  Speerstange  nach  einer  durch  mich  eingeschickten  Zeichnung 
yon  Lindenschmit  als  Angon  bestimmt  worden  ist,  und  zwar  al.s  das 
best  erhaltene  BIxemplar  dieser  Waffe,  welches  bisher  überhaupt  gefunden 
wurde.  Dasselbe  wird  daher  gegenwärtig  im  Römisch-germanischen  Cen- 
tralmusenm  abgeformt  und  soll  auch  in  den  „Alterthümeru  unserer  heid- 
nischen Vorzeit"  bildlich  dargestellt  werden.  —  Aus  der  genannten  Grab- 
stätte kam  aber  auch  noch  eine  Goldbracteate  zum  Vorschein.  Dieselbe 
befindet  sich  mit  den  andern  Wolschinger  Funden  im  Rosgarten-Museum 
in  Constanz.  F.  Hang. 


UniTersitäte-BuchdruckeKi  Ton  Carl  Georgi  In  Boun. 


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Verlag  von  Wilhelm  Engolmann  in  Leipzig. 

Griechische  Kunstmythologie  - 

von 

J.  0?erbeek. 

Besonderer  Theil. 

1.  Band.    1.  Buch:  Zeus.    Mit  14  lithographirten  Tafeln  nnd  17  Holz- 

schnitten.   Lex.-8.    1871,    c/Ä^  20. 

2.  Band.    2.  Buch:  Hera.    Mit  5  lithographirten  Tafeln  und  6  Holz- 

schnitten.   Lex.-8.    1873.    Jti  11. 

2.  Band.  3.  Bach:  Poseidon.  Mit  7  lithographirten  Tafeln  und  5  Holz- 
schnitten.   1875.    ^  11. 

2.  Band.  4.  Buch:  Demeter  und  Kora.  Mit  4  Lichtdruck-Tafoln  und 
2  Holzschnitten.    1878.    ^  12. 


Alle  für  iinsorc  Bibliothek  iinrl  den  Verein  überhaupt  bestimmten  Sendungen  er- 
suchen wir,  um  Irrthümorn  vorzubeiiffen.  nicht  an  einzelne  Personen,  sondern  an  die 
Adresse:  Verein  von  Alterthuuisfronndon  zulJonn,  Coblonzor-Strasse  75,  zu  richten. 


UnlversitätR-Bnclidruckerci  von  Cnrl  OeorRl  in  Bonn. 


JAHRBÜCHER 


DES 


VEREINS  VON  ALTERTHUMSFREUNDEN 


IM 


RHEINLANDE. 


HEFT  LXin. 


HIT  5  TAFILN. 


AUSGEGEBEN  AM  20.  ADGUST. 


BONN. 

GEDRÜCKT  AUF  KOSTEN  DES  VEREINS. 

BOKir,  BU  A.  MABCD8. 

1878. 


Inhaltsverzeichniss. 


I.    Geschichte  und  Denkmäler. 

Seit* 

1.  Die  romischen  MiliiäntrasBen  des  linken  Rheinufers,    c.  Von  Cöln  bis 

Bingen.    Hierzu  Tafel  I.    Von  J.  Schneider 1 

2.  Der  römische  Grenzwall  in  Deutschland.  Hierzu  Tafel  H.  Von  E.  Hübner      17 
8.  Inschriftliches  aus  Heidelberg  unter  besonderer  Berücksichtigung  kel- 
tischer Namen   auf  rheinischen   Inschriften.     Hierzu  Tafel  IH.     Von 
Karl  Christ 67 

4.  Beschreibni^  der  in  der  Hamburger  Alterthumer-Sammlnng  befindlichen 
griechischen,  römischen  u.  etruskischen Gregenstände.  I.  YonH-Dütschke      88 

5.  Komische  Gläser,  a.  Altchristliche  Goldgläser  vom  Rhein.  Hierzu  Tafel  lY 
und  V.    Von  E.  aus'm  Weerth 99 

6.  Das  Haus  des  Herzogs  von  Brabant  zu  Cöln.    Yon  J.  J.  Merlo  .   .   .     116 

n.   Litteratur. 

1.  Die  Chroniken  der  niederrheinischen  Stödte.    Zweiter  und  dritter  Band. 
Angez.  von  H.  Düntzer 142 

2.  F.  Kraft,  Geschichte  von  Giessen  und  der  Umgegend  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  zum  Jahre  1266.    Angez.  von  Pfarrer  Seeger 166 

8.  Friedrich  Schneider,  der  karolingische  Thorbau  zu  Lorsch.  Angez. 
von  van  Yleuten 168 

in.  Miscellen. 

1.  Besseringen:  Funde.    Yon  Jost 164 

2.  Bonn:  Kirchhof  der  alten  Remigiuskirche.    Yon  Schaaffhausen  .   .  164 

3.  Cobem  a.  d.  Mosel:  Funde 166 

4.  Coblenz:  Funde.    Yon  Schaaffhausen 167 

5.  Erbenheim:  Fränkisches  Todtenfeld.    Yon  demselben 167 

6.  Gohr:  Ein  fränkischer  Steinbau.    Yon  Koenen 168 

7.  Gondorf  a.  d.  Mosel:  Funde 170 

8.  Köln:  Die  Marienkirche  auf  dem  Capitol.    Yon  J.  B.  D.  Jost.    .    .   .  171 

9.  Limburg  in  der  Pfalz:  Ausgrabungen  auf  derselben 174 

10.  Mettemich:  Funde  in  der  Römischen  Yilla.    Yon  Schaaffhausen     .  176 


Satte 

11.  Mittenberg:  Berichtlgaspn  eo  den  Jahrb.  LX,  S.  70  Itesprocheaeo  In- 

ichriften^    Yoa  Carl  Cbrtet     .>......    ., t7fi 

Erwidentng  daraof  von  EofmÜi  ürliohs  .   .   , 160 

12.  Nettersbeimr  Grabftmde.    Von  Seh a»ff hausen    .   .   , ISl 

19.  Keaas:  Bömische  Gräber  nordwestUch  vom  Münsterpktxe.  Von  Koeaea  181 

14.  Neuss:  Eid  Meravmger-Grab.    Von  demselben  ,,.,......  188 

1£.  Der  Grenz^ttsi  Obriuga  tind  die  Einthetlung  Genxi&nieiis.    Yon  Meblie  188 

16.  Trier:   Bt.  Weudeler  Älterthiiiner-Saiiunlaiig  dem  Provinxi^- Mofieum 
tibergehon.    Ton  Heitner  *  ......  .,.'..,. .     189 

17.  Wurtemberg :  Altgarmaaisclifi  JLti£g1^&Dädjpnl*DDd  E&tdecknngeii  in  den 
Jahren  1876  und  1877.    Von  Prof.  Paulua    .   .  . .     190 

r?".  Jahresbericht  für  i»t  Tereinnjahr  1877  (resp.  Pfiagstcai   1877—76)     190 

Y,  Venecidmm  der  Mi^Heder   .*.....*.',,.,.....     90S 

•        I.     :  -.         .      /     -    .  • 

,A]Ia  Ar  unsere  Bibliothek  und  den  Verein  überliatipt  beBlimmten  Setidtmgen 
emiclißii  wir,  um  Irrthümem  vorÄubeugen ,  niofat  ao  eimaJne  Personen,  aondem 
an  die  Adresse:  Towi  von  Altortfaomelreaaid^ä  sa  Bonn,  CoblenKK^Sü-asee  75, 
KU  richten.  • .  .*' 


Beriohtignngen. 


S.  16  Z.  3  T.  u.  lies:  Angriff  statt  Aussicht. 
S.  108  Z.  1  T.  0.  lies:  S.  Gereon  statt  S.  Ursula. 
S.  141  füge  am  Schlüsse  hinzu:  J.  J.  Merlo. 


L   ÖeHchicIite  und  Denkmäler. 


I.  Die  römischen  Militärstrassen  des  linken  Rheinufers, 
c.  Von  Cöln  bis  Bingen. 

Hiercu  Tafel  I. 

Die  römische  Heerstrasse  zieht  von  Cöln  rheinaufwärts  wieileruin 
in  drei  Armen  ^),  von  denen  der  mittlere  mit  der  heutigen  Chnuasee 
bis  Godorf  geht;  zwischen  diesem  Orte  und  Wcsseliug  ist  er  von  dem 
etwas  westwärts  vorgedrungenen  Rheine  unterbrochen,  und  gf^ht  dann 
mit  der  Chaussee  bis  Widtlig,  wo  er  bis  nach  Hersel  vi>u  dem  jetzigen 
Rheinlaufe  nochmals  durchbrochen  ist.  Von  hier  bis  Bonn  zieht  die 
Strasse  mit  der  Chaussee  weiter  durch  die  Stadt  bis  etwa  1000  Schritt 
vor  dem  Coblenzerthor,  wo  sie  rechts  ab  über  Kesspnich,  Friesdorf, 
Godesberg  und  Muffendorf  dem  Gebirge  entlang  durch  die  Ebene  bis 
Lannesdorf  führt.  Von  da  wendet  sie  sieh  in  sndliclifr  lüchtung  die 
Höhe  hinauf,  wo  sie  eine  siidwestliclie  Richtung  annimmt,  und  über 
die  Hüchfiäche  an  Gimmersdorf  und  Berkum  vorbei  bis  Fritzdorf  gelit, 
dann  aber  in  sadlicher  Richtung  nach  Ahrweiler  hinabsteigt.  Hier 
überschreitet  sie  das  Ahrthal,  zieht  sich  jenseits  die  Hohe  hinan  und 
läuft  in  der  Ijisherigen  Richtung  bis  Ramersbach ;  dann  wendet  sie  sich 
mit  grosser  Ge^chickiichlceit,  nördlicli  von  lUasweiler,  durch  ein  kleines 
Thal  die  Höhe  hinan  in  nordöstlicher  Richtung  bis  Schalkenbacli,  von 
wo  sie  wieder  südwestlich  über  Dedenbach  und  Oberzissen  nach  Glees 
führt;  von  da  über  Wassenach  bis  Andernach  behält  sie  die  östliche 
Richtung  bei.  Dann  geht  sie  von  Andernach  durch  das  Rheinthal  mit 
der  jetzigen  Chaussee  bis  Coblenz,  das  sie  etwas  östlich  der  Mosel- 
brQcke  erreicht.    Von  Coblenz    steigt   die  Strasse   über  die   Kartliaus 


1)  In  Cöln   worden   in  der  Umgebung  der  Severinakirche  viele  römiscbe 
Gr&ber  an  der  Strasse  gefanden. 

1 


Die  römtacben  Militärstressen  des  linken  Rheinafert. 


auf  flen  IlunsrOck,  führt  über  Waldesch,  östlich  an  Udentausen  vorbei, 
durchscbneidet  dann  die  Chaussee  von  Simmern  nach  Boppard,  und 
gellt  fortwährend  in  südhcher  Richtung  über  die  Hochflüche,  alle  die 
zahlreichen  nach  dem  Rheine  mündenden  Thäler  vorsichtig  vermeidend, 
westlich  an  Laudert  vorbei  über  Kisselhach  und  zuletzt  in  südöstlicher 
Richtung  über  Rheinböllen  nach  Bingen  hinab. 

Von  Cüln  bis  Bonn  ist  die  Cliaussee  auf  die  Römerstrasse  gelegt 
und  nur  zwischeo  Godorf  und  Wesseling,  sowie  zwischen  Widdig  und 
llersel  geht  die  Chaussee,  der  dortigen  Rheiudurchbrüche  wegen,  in 
einem  westlichen  Bogen,  während  die  Strasse  geradeaus  ging.  Von 
Bonn  bis  Lannesdorf  bildet  sie  einen  alten  Fahrweg,  zuweilen .  mit 
sliirkeu  Böschungen,  der  sich  bei  letztcrem  Orte  in  einen  tiefen  Hohl- 
weg verlängert  und  erst  auf  der  Höhe  fleutliche  Kiesreste  zeigt.  Jen- 
.seits  des  Wegweisers,  wo  sie  das  Dorf  Liessem  rechts  liegen  lässt,  er- 
scheint sie  eine  kurze  Strecke  als  dammartiger  Weg  von  1  m  Höhe, 
und  von  Gimmersdorf  bis  Bcrkum  als  Hohlweg.  Von  dem  letzteren 
Orte  rechts  führt  sie  durch  die  Felder  weiter  als  eine  mit  Gras  be- 
wachsene Vertiefung,  bis  sie  alsbald  in  den  Aeckern  verschwindet;  dann 
aber  erscheint  sie,  die  Chaussee  von  Mehlem  nach  Meckenheim  bei 
Nr.  19,  2  durchschneidend,  wieder  als  alter  Grasweg  und  führt  in 
wechselnder  Breite  bis  nach  Fritzdorf.  Von  hier  ist  sie  als  Communal- 
weg  erneuert,  und  zieht  dann  als  alter  Fahrweg  über  Ringen  in's  Ahr- 
thal  hinab.  Von  Bonn  bis  hieher  führt  sie  den  Namen  „alte  Bonner 
Strasse".  Von  Ahrweiler  aus  trifft  man  neben  der  neuen  über  Ramei-s- 
bach  führenden  Strasse  die  Reste  der  alten  im  Walde  meist  als  Hohl- 
weg an;  von  letzterem  Orte  aber,  wo  die  Römei'strasse  in  ein  coupirtes 
Terrain  eintritt,  zeigen  sich  den  Abhang  hinunter  bis  zu  der  Mühle  im 
Thale  die  Ucberreste  eines  der  Strasse  angehorigen  Steindammes,  wo- 
von man  auch  einzelne  Reste,  nebst  Kieslagen,  zwischen  Schalkenbach 
und  Dedenbach  trifft;  auch  fand  ich  hier  einzelne  Haufen  grösserer 
Steine  am  Wege,  die  aus  dem  Strassendaanm  ausgebrochen  waren. 
Zwischen  Dedenbach  und  Niederzisseu  ist  der  Steindamm  der  Strasse, 
besonders  auf  der  Haide  in  der  Gegend  des  Rodder  Maares,  nebst  der 
Kieslage,  auf  längere  Strecken  deutlich  erkennbar.  Von  Oberzissen 
erscheint  die  Strasse  theihveise  nur  mehr  als  Pfad,  zwischen  Glees 
und  Wassenach  aber  kommen  wieder  Reste  des  Steindarames  zum  Vor- 
schein, während  weiterhin  bis  Andernach  nur  ein  Communalweg  vor- 
handen ist.  Ebenso  liegt  von  hier  bis  Coblenz  die  Chaussee  auf  der 
Römerstrasse.    In  der  Strecke  von  Coblenz  bis  Bingen  bildet  dieselbe 


Jie  röiDiacfae'i  Militär  Strassen  des  linken  RheinuferB.  S 

meist  einen  alten  Fahrwt'g;  man  gewalirt  aber  an  mehren  SteKen, 
z.  B.  südwärts  von  Dörth  und  Hangenroth,  den  Kiesdamm  deutlich, 
auch  liegen  bei  Dörth  beiderseits  des  Weges  die  alten  Strassengräben 
in  der  liaide,  und  in  dem  nördlichen  Theile  besass  die  Strasse,  nach 
Mittheilung  des  Herrn  Oberst  Sehe ppe  in  Boppard,  auch  einen  Unter- 
bau von  grösseren  Steinen,  Sie  beisst  in  dem  südlichen  Theile  „die 
alte  Strasse"  oder  „Heerstrasse",  in  dem  nördlichen  fdhrt  sie  den 
Namen  „Rümerstrasse". 

Aus  den  noch  erhaltenen  Resten  ergibt  sich,  dass  die  Strasse  da, 
wo  sie  durch  die  Uheiuebene  und  über  tlache  l'lateaus  führte,  nur 
aus  einem  Erddammc  mit  einer  oberen  Kieslage  bestand,  wo  sie 
aber  durch  coupirtes  Terrain  mit  starken  Steigungen  ging,  ausser  der 
Kiesdecke,  noch  einen  Unterbau  ans  grösseren  Steinen  besass. 

Die  Strasse  ist  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von  Alterthilmern 
der  verschiedensten  Art  begleitet.  So  kamen  zwischen  Cöln  und  Bonn 
römische  Funde  bei  Wesseling,  Hersel  und  vor  dem  Cölnthor  bei  Bonn 
wiederholt  zum  Vorschein;  in  Bonn  fülirti'  die  Strasse  durch  eine  grössere 
römische  Niederlassung  und  an  der  Südseite  der  Stadt  ist  sie  von  vielen 
römischen  Gräbern  begleitet.  Römische  Alterthüraer  wurden  ferner  gefun- 
den bei  Kessenich,  Frifsdorf  und  Godesbcrg,  und  bei  Dottendorf  Hegt 
eine  Warte  an  der  Strasse,  bestehend  aus  dnera  viereckigen  von  einem 
Wassergraben  umschlossenen  Erdhügel ;  ein  dicht  anstossendes  Feld 
ist  mit  zahlreichen  Ziegelf ragmentcn  bedeckt.  F'ernere  Aiterthiimsfuiide 
an  der  Strasse  wurden  gemacht  bei  Ahrweiler,  Schalkenbach.  Ober-  und 
Niederzissen,  sowie  zwischen  diesen  Orten  und  Glees  am  lleidenkirch- 
hof  und  bei  Wassenach.  Zu  Andernach  lag  ein  römisches  Castell  nebst 
Ansiedlung,  und  in  der  Nähe  der  Stadt  wurden  viele  römische  Gräber 
an  der  Strasse  gefunden.  Zu  L'oblenz  lag  wiederum  ein  römisches 
Castell  nebst  Ansiedlung,  und  von  hier  über  den  Huusrück  bis  in  die 
Gegend  von  Rheinbüllen  ist  die  Strasse  von  zahlix'icben  Schanzen  und 
Gräbern  begleitet,  von  denen  ein  Theil  durch  den  Obersten  v.  Cohausen 
beschrieben,  ein  anderer  in  neuester  Zeit  von  dem  Obersten  Schepi^e 
in  Boppard  untersucht  ist  und  hotTentlich  bald  verötTcnllicht  wird^). 

Der  östliche  Arm  geht  nahe  am  Rheine  über  Ba^'enthal  nach 


1)  Jahrbb.  XVm  27,  VIII  174,  XXXn  137,  XXVI  1,  1»0,  XXXVII  260, 
XXXI  65,  113,  XXV  207,  XLI  183,  LVni  205,  222,  XV  224.  Auf  die  Schanw 
bei  Dottendorf  wurde  ich  durch  Hm.  KroisachnUnvpeotor  Dr.  R  eine  kons  in 
Bonn  aufmerksam  gemacht. 


Die  römischon  Militärstrasaen  des  linken  Rheinufers. 


Rodenkirchen,  folgt  hier  der  Krütiimiing  des  Rheines,  der  ehedem  emen 
mehr  westlichen  Lauf  hatte,  über  Weiss  und  Sürth  bis  südlich  von 
Godorf,  wo  er  mit  dem  vorigen  zusammenfällt.  Von  Wesseling  geht 
er  wiederum  eine  kürzere  Strecke  mit  der  Rheiokrümmung  bis  Widdig, 
dann  mit  dem  vorigen  Arme  liis  Hersel,  wo  er  nach  Graurheindorf  ab- 
geht. Bei  letzterem  Orte  theilt  er  sich  iu  zwei  Arme,  die  sich  wieder 
in  Bonn  vereinigen,  und  läuft  dann  mit  der  Chaussee  bis  2500  Sehr. 
vom  Coblenzerthor,  wo  er  links  nach  dem  Rheine  abgeht  und  an 
Plittcrsdorf  und  Hängsdorf  vorbei  bei  Mehlem  mit  <ler  Chaussee  zu- 
sammenfällt bis  nach  Remagen.  Hier  geht  die  Strasse  links  ab  nach 
dem  Rheine,  überschreitet  etwas  westlich  von  Kripp  die  Ahr,  und  ver- 
einigt sich  etwas  vor  Niederbreisig  wieder  mit  der  Chaussee.  Mit  dieser 
geht  sie,  südlich  von  Fornich  etwas  westlich  abweichend,  bis  Ander- 
nach, von  wo  sie  wieder  links  nach  dem  Rheine  abweicht  und  dessen 
Krümmungen  in  geringer  Entfernung  bis  nach  Coblenz  folgt.  Voi 
hier  fällt  die  Römerstrasse  bis  na('h  Bingen  ihrer  Richtung  nach  mit" 
der  Chaussee  zusammen. 

Von  Bayenthal   an   erscheint  die  Strasse  gegenwärtig  als  alter 
Grasweg  mit  Kiesresten,  ist  vor  Rodenkirchen  ganz  verschwunden  und      ' 
geht  jenseits  des  Ortes  als  alter  Weg  mit  Kiesrejjten,    die  sich  auch 
beiderseits  in  den  Feldern  finden,   weiter,   erscheint  dann  als  dämm-      , 
artiger  Weg,  hierauf  nur  als  Grasrain,  und  zuletzt  in  den  Feldern  al^H 
blosser  Pfad  bis  Weiss.    Von  Hersei  läuft  die  Strasse  rtber  die  Höhe^^ 
zum  Theil   als  alter  Grasweg  von  wechselnder  Breite  und  wiederholt 
unterbrochen.     Zwischen   Bonn    und   Plittersdorf   zeigt   sie   von   der 
„Ruine"'  an  sehr  starke  Böschungen,    und  erscheint  sonst  meistens  als      1 
alter  Fahrweg.     Aber  sehr  deutlich  tritt   der  Strassendamm  mit  Kies- 
resten jenseits  Remagen  in  der  Ahrniederung  auf,  wo  die  Strasse  über 
den  Fluss  setzt.    Bei  Andernach  kam    der  Kiesdamm  unter  der  Erde 
zum  Vorschein,   und  jenseits  des  Ortes  gewahrt  man  denselben  noch      j 
deutlich  auch  theilweise  über  dem  Boden.    Derselbe  besteht  hier  aus 
zwei  Steinlagen,  von  denen  die  untere  grössere  zerschlagene  Steine,  die 
obere   feineren  Kies  enthält.    Wo    der  Damm   zerstört  ist,   sind   die 
Felder  ganz,  mit  Kies  oder  gröberen  Steiofragmenten  erftlllt.    Zwischen 
Coblen/,  und  Bingen  ist  der  Steindamm  gleichfalls  an  mehren  Stellen, 
bei  Coblenz,  Oberwesel,  zwischen  Salzig  und  Hirzenach,  im  Boden  auf- 
gefunden worden. 

Dieser  Arm  bestand  aus  einem  Damme,   der  oben  eine  Kieslage 
und  darunter,  wenigstens  streckenweise,  eine  zweite  Lage  aus  gröberen 


M  römiBchen  Militäratrassen  des  linken  Hbeinufen. 

zerschlagenen  Steinstücken  besass;  bei  Bonn  zeigte  sich  auch  ein 
Mörtelverband. 

An  der  Alteburg,  V'4  M.  von  Cöln,  trifft  die  Strasse  auf  ein 
römisches  Lager,  vou  welchem  zahlreiche  Alterthümer  im  Boden 
gefunden  wurden.  Nördlich  von  Bonn  führt  der  eine  Ann,  an  welchem 
bei  Rheindorf  verschiedene  römische  Alterthumsreste  gefunden  wurden, 
durch  ein  zweites  Lager,  während  der  andere  unter  dem  Namen  „Reiter- 
weg" an  der  Westseite  vorbeigeht;  aurh  führte  die  Strasse  durch  die 
dortige  römische  Ansiedlung,  und  ist  vor  dem  Coblenzertbor  auf  eine 
lange  Strecke  von  römischen  Gräbern  begleitet.  Bei  Rolandseck  und 
Oberwinter  wurden  römische  Alterthümer  gefunden,  und  in  Remagen 
lag  eine  grössere  römische  Ansiedlung.  Rom.  Alterthümer  wurden  ferner 
gefunden  zu  Niederbreisig,  auf  Schloss  Rheineck  und  am  Budelberge. 
Auch  führte  die  Strasse  an  dem  CastcU  und  der  Ansiedlung  zu  Ander- 
oach  vorbei.  Bei  der  Kapelle  „zum  guten  Mann",  gegenüber  Neuwied, 
lag  ein  drittes  römisches  Lager  an  der  Strasse,  die  von  hier  bis  Coblenz 
an  mehren  Stellen  vod  Alterthümern  begleitet  ist.  Zu  Coblcnz  ging  sie 
an  dem  dortigen  Castell  und  der  Ansiedlung  vorbei  nach  dem  Castell 
und  der  Ansiedlung  zu  Boppard,  und  es  finden  sich  weiterhin  bis 
Bingen  viele  Alterthümer  an  mehren  Orten  der  Strasse,  unter  denen 
besonders  Salzig,  Oberwesel,  Bacharach  und  Trechtlinghausen  zu  nennen 
sind '). 

Der  westliche  Arm  geht  „am  todten  Juden"  von  der  Chaussee 
rechts  ab  durch  die  Felder,  westlich  an  Rondorf  und  Berzdorf,  ostlich 
an  Sechtem  vorbei  über  Bornheim  und  Roisdorf  nach  Bonn,  fällt  dann 
mit  dem  mittleren  Arm  zusammen  bis  V*  M.  westlich  vqh  Eich,  wo 
er  rechts  abzweigt  und  über  die  Hochfläche  bis  Miesenheim  zieht.  liier 
überschreitet  er  die  Nette,  und  geht  über  Kehrlich  und  Rübenach  nach 
Gfllz  in's  Moseltbal  hinab,  das  er  bei  Lay  überschreitet.  Dann  steigt 
er  die  Hübe  hinan  und  vereinigt  sich  nördlich  von  Waldesch  wieder 
mit  dem  mittleren  Arm. 

Die  Strasse  durchschneidet  in  der  Nähe  von  Rondorf  den  nach 
der  Älteburg  führenden  Röniercanal,  von  welchem  an  dem  dort  ange- 


1)  Jahrbb.  XXXVüI  168,  XXXIX  u.  XL  387,  XX  181,  XXVII  145,  XLVn 
u.  XLVUI  1  fi*.  Ich  wage  nicht  zu  entacheidtio,  ob  dio  unter  der  jel^igeu  Cob- 
lenzerstrasse  1  m  tief  im  Boden  Bufptefundeneii  StrnssenreBto  (Jahrbb.  LY,  LVI 
243),  die  „ein  schweres  PÜaflter  von  Basallsteinen"  zeigten,  einer  RömerstraBBe 
oder  aber  der  alten  ehurfüratlicfaen  Strasse  angeliörtea. 


Dia  röanüdien  MUiUmtnawn  det  Uaken  Bbdnafen. 


l^ten  Fort  riele  Ueberreste  gefunden  worden  sind,  und  bildet  bald 
einen  alten  Grasweg  oder  einen  blossen  Grasrain  von  wechselnder 
Breite,  bald  einen  Damm  mit  Kies  und  gröberen  Steinfragmenten, 
bald  ist  sie  durchackert  oder  nur  ein  schmaler  Pfad  geblieben,  bald 
zeigt  sie  starke  Bösebungen  bis  zu  2  m  Höhe.  Auch  wo  die  Strasse 
weiter  aufwärts  als  Communalweg  erneuert  ist,  wird  noch  die  damm- 
artige Anlage  bemerkt  Von  Eich  bis  zur  Mosel  bildet  sie  einen  alten 
Fahrweg,  der  nach  Röbenach  zu  öfters  unterbrochen  ist,  zwischen 
diesem  Orte  und  der  Mosel  eine  schöne  dammartige  Anlage  von  1  m 
Höhe  hat,  und  jcnseit  des  Flusses  auch  wiederum  Steinmaterial  auf- 
weist. 

Nach  den  erhaltenen  Resten  scheint  der  Strassendamm  bald  eine, 
bald  zwei,  bald  auch  drei  Steinlagen  besessen  zu  haben. 

Bei  Rondorf  kamen  römische  Gräber  und  1000  Schritt  südlich 
des  Ortes  römische  Gebändereste  neben  der  Strasse  zum  Vorschein; 
bc!  Berzdorf,  wo  mehre  Gräber  gefunden  wurden,  liegt  westlich  der 
Strasse  ein  Warthiigel,  und  bei  Sechtem  wurden  mehre  römische 
Gräber  gefunden.  Südlich  von  Eich  helsst  eine  Stelle  der  Hochfläche, 
über  welche  die  Strasse  führt,  ,,der  Burgberg",  und  ein  in  der  neueren 
Zeit  dort  errichtetes  Gebäude  ,,das  Burgener  Hans".  Bei  Eettig  und 
Kebrlich  wurden  Gräber  aufgefunden  und  zwischen  der  Mosel  und 
Waldesch  ist  sie  von  mehren  Schanzen  begleitet  *)• 

Ausserdem  sind  noch  drei  Verbindungsstrassen  zu  erwähnen,  die  von 
dem  westlichen  Arme  auf  dem  Hunsrück  nach  Boppard  hinabführen.  Der 
eine  führt  von  der  Hauptstras.«;e  in  nordöstlicher  und  nördlicher  Richtung 
links  am  Grosskopf  und  rechts  am  Müllerberge  vorbei  nach  Boppard,  und 
von  da  der  andere  in  nordwestlicher  Richtung  über  den  Kreuzberg  und 
durch  die  Walddistricte  Hohesgalgen  und  Hellerwald  auf  die  Haupt- 
strasse zurück,  während  der  dritte  von  Letzterer  in  östlicher  Richtung 
direct  nach  Boppard  hinabgeht  Die  Kenntniss  dieser  Strassen  ver- 
danke ich  der  gef.  Mittheilung  des  Obersten  Scbeppe  in  Boppard,  wel- 
cher dieselben  genau  untersucht  hat  Ferner  ist  eine  Zweigstrasse  zu 
erwähnen,  die  bei  Rolandseck  von  dem  östlichen  Arme  die  Höhe  hinan- 
steigt uud  über  Bandorf,  wo  bedeutende  römische  Alterthümer  gefun- 
den wurden ,  und  ünkclbach ,  wo  römische  Gräber  zum  Vorschein 
kamen,  nach  dem  Röhlerhof,  die  dortigen  kleinen  Thäler  umgebend, 
dann  über  Bodendorf  nach  Sinzig  und  Niederbreisig  führt,  wo  sie  sich 


1)  Jabrbb.  XXXIX  a.  XL  375,  XXVI  6,  XXXVH  262,  XXYIU  198. 


Die  römischen  MilitärBtrasien  dea  linken  Bkeinufen. 


mit  der  Hauptstrasse  vereinigt.  Von  Andernach  endlich  führte  eine 
•  Verbindungsstrasse  nach  dem  westlichen  Arme  bei  Kehrlich'). 

Die  Hauptverkehrsstrasse  bildete  anch  hier,  wie  von  Cöln  rhein- 
abwärts,  der  mittlere  Arm,  der  auch  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  unsres  Jahrhunderts  den  Hauptverkehr 
am  Rheine  auf  sich  eoncentrirte.  Der  östlicJie  Arm,  welcher  sich  stets 
in  der  Nähe  des  Stromlaufes  hielt,  und  daher  allen  Krümmungen  des- 
selben folgte,  diente  zur  Sicherung  der  Rheinschifffahrt,  die  Anlegung 
des  westlichen  Armes  dagegen  scheint  zwischen  Cöln  und  Bonn,  wie  so  oft 
am  Niederrhein  geschehen,  durch  die  Neigung  des  Rheines,  nach  Westen 
überzuöuthen  und  die  dortigen  Strassenstrecken  ungangbar  zu  machen, 
hervorgerufen  zu  sein.  In  der  Strecke  zwischen  Eich  und  Waidesch 
aber  scheint  er  nur  zur  Abkürzung  des  Weges,  um  den  über  Cohlenz 
gehenden  Bogen  abzuschneiden,  angelegt  zu  sein.  Interessant  ist  das 
Vorkommen  der  drei  Verbindiingsstrassen  auf  dem  Hunsrück,  um  das 
nahegelegene  Boppard  gewissermassen  mit  an  die  Strasse  zu  ziehen, 
in  gleicher  Art,  wie  wir  am  Niederrhein  ebenfalls  drei  Verbindungs- 
wege von  der  Hauptstrasse  nach  Gellep  kennen  gelernt,  um  diesen 
etwas  abseits  gelegenen  Ort  an  die  Strasse  heranzuziehen.  Die  von 
dem  östlichen  Arme  bei  Rolandseck  über  die  Höhe  nach  Sinzig 
führende  Zweigstrasse  scheint  zu  dem  Zwecke  angelegt  zu  sein,  um 
die  Verbindung  für  den  Fall  wiederherzusteUen,  wenn  die  Strasse  unten 
im  Thale,  die  dem  Strome  ganz  nahe  liegen  musste,  da  sowohl  hei 
Rolandseck  als  vor  Remagen  die  Felsen  sehr  nahe  ans  Ufer  treten, 
von  dem  Rheine  überfluthet  und  ungangbar  geworden  war. 

Von  dem  mittleren  Arme  kannte  der  Oberstlieutenant  Schmidt 
die  Strecke  zwischen  Cöln  und  Hersei,  wo  die  heutige  Chaussee  auf 
der  Römerstrasse  liegt;  die  Fortsetzung  von  da  nach  Lanuesdorf  utnjl 
über  das  Gebirge  ist  ihm  unbekannt  geblieben.  Auch  die  Strecke  von 
Andernach  bis  Coblenz,  wo  die  Chaussee  wiederum  auf  die  Strasse 
gelegt  ist,  war  ihm  bekannt,  sowie  die  Fortsetzung  von  Coblenz  über 
den  Hunsrück  bis  jenseits  Waidesch;  von  der  ferneren  Fortsetzung 
aber  bis  Bingen  hat  er  keine  Spuren  gefunden,  und  zweifelt  an  dem 
römischen  Ursprung  „der  alten  Landstrasse",  weil  „sich  im  dieser 
wenig  angebauten  und  bewaldeten  Gegend  gewiss  Ueberreste  erhalten 
haben  würden,  wenn  es  eine  Rönierstrasse  gewesen  wäre ".  Es  erklärt 
sich  aber  die  allerdings  einer  so  hewaldeten  Gegend  nicht  entsprechende 


1)  Jshrbb.  Lni  u.  LIV  100. 


Die  römischen  MilitärstrasBen  des  linken  Rheinufers. 


geringe  Zahl  der  noch  erhaltenen  Ueberreste  einfach  aus  dem  Um- 
stände, da  SS,  bevor  die  neue  Chaussee  unten  am  Rheine  angelegt  war, 
das  gesammte  Fuhrwerk  zwischen  Bingen  und  Coblenz  auf  dieser 
Strasse  ging,  wodurch  die  alten  Reste  not h wendig  sehr  reducirt  werden 
mussten.  Von  dem  östlichen  Arme  kannte  Schmidt  zwischen  Cöln 
und  Boppard  bloss  die  Strecke  zwischen  Hersei  und  Remagen;  da- 
gegen hat  er  das  Dasein  der  Römerstrasse  von  Boppard  bis  Bingen 
unten  am  Rheine  unzweifelhaft  nachgewiesen.  Auch  ist  ihm  das  Vor- 
hamlensein  einer  der  Verbiudungsstrassen  bei  Boppard  nicht  entgangen, 
nur  glaubte  er,  die  Uauptstrassc  habe  von  Cobicnz  über  das  Gebirge 
nach  Boppard  geführt,  wogegen  Archivrath  v.  Eitester  dieselbe  unten 
im  Thale  deutlich  nachgewiesen  hat.  Der  westliche  Ann  ist  Schmidt 
gänzlich  unbekannt  geblieben;  dagegen  hat  bereits  Oberst  v.  Cohausen 
den  vom  Remsteckcr-Hof  bis  Waldesch  reichenden  Theil  desselben 
aufgefunden.  Die  durch  das  Lager  bei  Bonn  führende  Zweigstrasse 
hat  General  v.  Ve  1 1  h  aufgedeckt  und  beschrieben.  Bezüglich  der  von 
Rolanriseck  bis  Sinzig  führenden  Zweigstrasse  ist  zu  bemerken,  dass 
schon  Dr.  Rein  eine  von  Rolandseck  über  das  Gebirge  führende 
Römerstrasse  vermuthet  hat,  ohne  jedoch  ihren  ferneren  Verlauf  zu 
untersuchen  '). 

Wenn  wir  nun  die  an  den  verschiedenen  Strassenarmen  gelegenen 
Mansionen  und  Mutationen  aufsuchen,  so  finden  wir  zuerst  andern 
mittleren  Arme  von  Cöln  aus  die  Ansiedlung  Bonn  als  die  erste 
Mansion,  und  auf  der  Mitte  der  Entfernung  liegt  Wesscling,  wo 
römischo  Altertliünier ,  namentlich  die  auf  ein  grösseres  Gebäude 
hiüweisonden  Mauerreste  nebst  römischen  Gräbern  die  zugehörige 
Mutation  deutlich  erkennen  lassen.  Von  Bonn  aus  finden  wir  die 
zweite  Mansion  zu  Ahrweiler,  worauf  die  dort  gefundenen  römischen 
Alterthümer  hinweisen ;  die  zugehörige  Mutation  würde  auf  der  Höhe 
in  der  Gegend  von  Liessem  zu  suchen  sein.  Die  dritte  Mansion  lag 
zu  Andernach,  und  auf  der  Mitte  des  Weges  lag  die  Mutation  bei 
Ober-  und  Niederzissen,  wo  Reste  römischer  Gebäude  gefunden 
wurden.  Von  Andernach  aus  finden  wir  als  vierte  Mansion  Boppard, 
welches  mit  der  Strasse  durch  Seitenarme  verbunden  war;  die  zuge- 
hörige Mutiition  lag  zu  Coblenz.  Für  die  letzte  Mansion  Bingen 
würde  die  zugehörige  Mutation  vielleicht  bei  Kisselbach  zu  finden  sein. 
An  dem   östlichen  Arme  von  Cöln  resp,  dem  Lager  an  der  Alte- 


1)  Jahrbb.  XXXI  65  ff.,  113  fi.,  LIX  32,  XXVD  146,  XXVI  6,  L  u.  LI  59. 


Die  römischen  Militärstraasen  des  Itnlccn  Rheinufers. 


bürg  war  die  erste  Mansion  das  Lager  am  Wicheishofe,  und  die 
Mutation,  wie  bei  dem  vorigen,  zu  Wesseling,  Die  zweite  Mansion 
war  das  Lager  gegen  über  Neuwied,  die  zugehörige  Mutation 
lag  zu  Remagen.  Für  den  bei  RoUindseck  abgehenden  Seitenarm 
lag  die  Mutation  zu  Eandorf.  Die  dritte  Mansiüu  war  ßoppard 
und  die  zugehörige  Mutation  lag  zu  Coblenz.  Bei  der  letzten 
MansioQ  Bingen  ündcD  wir  die  Mutation  zu  Oberwesel.  Bei 
dem  westücheu  Arme  lag  die  betrefl'ende  Mansion,  statt  zu  Ander- 
nach, wahrscheinlich  auf  der  HochHüche,  wo  jetzt  das  Uurgener- 
haus  steht 0- 

Von  den  verschiedenen  Marschrouten,  die  auf  den  verschiedenen 
Strassenarmen  möglich  waren,  sind  vier  in  den  römischen  Ileisever- 
zeichnißscn  enthalten.  Die  Peutinger'sche  Tafel  hat  folgende  Angaben: 

Agrippina 

Bonnae  XI 

Rigomagus  VIll 

Antunnaco  Villi 

Confluentes  Villi 

Bontobrice  VIll 

Vosavia  Villi 

Bingium  Villi 

Es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  diese  Reiseroute  auf  dem  östlichen 
Strassenarm  stattfand.  Von  Agrippina,  Oiln,  bis  Bonna,  Bonn,  trifft 
die  Entfernuagsangabe  der  Tafel  auf  der  Strasse  zwischen  dem  Lager 
der  Alteburg  und  dem  am  Wtcheishofe  gemessen,  vollkomnieu  zu; 
ebenso  die  von  Bonn  bis  Rigomagu?,  Remagen;  von  Remagen  bis  An- 
tunnacum,  Andernach,  sind  der  Tufe!  entsprechend  genau  9  g.  M., 
and  von  Andernach  bis  Conäuentes,  Cobleiiz,  wiederum,  auf  unsrer 
Strasse  gemessen  2700  Sehr,  =  9  g.  M.,  wie  die  Tafel  angibt.  Von 
Coblenz  bis  Bontobriee,  Boppard,  gibt  die  Tafel  nur  8  g.  M.,  wahrend 
die  Entfernung  dem  Rhein  entlang  l'/ag.  M,  mehr  beträgt,  daher  mit 
Schmidt  anzunehmen,  dass  hier  auf  der  Strasse  über  das  Gebirge 
gemessen  ist,  wo  die  Entfernung,  mit  der  Tafel  übereinstimmend, 
genau  8  g.  M.  beträgt.  Von  Boppard  bis  Vosavia,  Oberwesel,  sind 
26000  Sehr.  =  8»/8  g-  M.,  was  mit  der  Tafel  hinreichend  stimmt,  und 
von  Oberwesel  bis  Bingium,  Bingen,  28800  Sehr,  =  9^6  g.  M.,  gleich- 
fi&lls  mit  der  Tafel  hinreichend  übereinstimmend. 


1)  Für  die  Route  rheinaufvärts  waren  zuRemaffBD,  Coblenz  undOber- 
WqmI  gl«ichf&lla  Manaionen. 


10 


Die  römiachen  Militärttrassen  des  linken  Rbeinufen. 


Das  AotoDinische  Itinerar  bat  rheinaufwärts  folgende  Angaben: 

Colonia  Agrippina 

Bonna         mpm  XI 
Antunnaco     „     XVIII») 
Contiuentibus  „     Vill») 
Vinco  „     XXVI 

Diese  Roatc  fand  auf  dem  iDittleren  Strassenarrae  statt,  mit  Aus- 
nahme der  Strecke  zwischen  Bonn  und  Andernach,  welche  unter  Be- 
nutzung der  Zweigstrasse  von  Kolandseck  bis  Niederbreisig,  auf  dem 
östlichen  Arme  ging.  Die  Entfernung  von  11  g.  M.  zwisdien  Cüln 
and  Bonn  stimmt  mit  der  Tafel  überein,  ebenso  die  Entfernung  von 
18  g.  M.  zwischen  Bonn  und  Andernach,  gemessen  auf  dem  östlichen 
Arme  und  der  bei  Rolandseck  abgehenden  Zweigstrasse.  Femer  stimmt 
nicht  minder  die  Entfernung  von  8  g.  M.  zwischen  Andernach  und 
Coblenz,  gemessen  auf  dem  mittleren  Arme,  und  auf  dessen  Fort- 
setzung über  den  Huosrück  die  Angabe  von  2G  g.  M.  zwischen  Coblenz 
und  Bingen,  welche  80000  Sehr.  =  26«/»  g.  M.  beträgt. 

Die  dritte  und  vierte  Reiseroute  liefert  das  Itinerar  in  folgenden 
Angaben  von  Strassburg  nach  Xanten  rheinabwärtf : 

Vingiu 

Antunnaco  mpm  XXVIII'J 

Baudobriga    „     XVI III 

Bonna  „     XXII 

Colonia  Agrippina  leugas  .... 
Man  hat  diese  Route  meistens  übergangen,  weil  man  nichts  damit 
anzufangen  wusäte,  donn  hier  steht  Antunnacum  (Andemacli)  vor 
Baudobriga  (Boppard),  während  es  in  der  Wirklichkeit  erst  darnach 
folgt,  und  eben  so  wenig  stimmten  die  Entfernungen.  Wir  haben  aber 
hier  denselben  Fall  vor  uns,  wie  zwischen  Cöln  und  Neuss,  wo  auch 
Duniomafius  (Dormagen)  vor  Buruncum  (Worringen)  steht,  während 
in  der  Wirklichkeit  das  Umgekehrte  stattfindet ,  und  wir  haben  also 
hier,  wie  dort^  offenbar  zwei  verschiedene  Routen,  die  von  einander 
getrennt  geben: 

1)  Die  Zahl  XVIl,  welche  die  meisten  Codices  haben,  stimmt  für  den  öab- 
lichon  Ann;  hier  kann  aber  nur  die  Zahl  XYIII,  welche  ein  Codex  hat,  richtig 
sein,  da  die  Route  nicht  über  Remagen  ginK- 

2)  Die  Zahl  Villi,  welche  die  meisten  Codices  haben,  stimmt  für  den  öet- 
liohen  Straasonarm. 

3)  Diese  Zahl  hat  einer  der  ältesten  und  besten  Codicee. 


Die  römiflohen  Milit&rstrasMD  des  linken  RboinuferB.  11 

Vingio 


Baudobriga     Äntunnaco 
XVmi  XXVIII 


Bonna 

XXII 
Colonia  Aj2:rippina. 

Die  eine  Route  ging  von  BiDjiien  auf  dem  westlichen  Arme  über 
Andernach  nach  Bonn,  die  andere  auf  demselben  Arme  nach  Boppard. 
Die  erstere  führte  also  von  Bingen  über  den  Hunsrück  nach  Waldesch, 
dann  über  die  Mosel  nach  Gills,  Rübenaeb,  KetticL  und  Andernach, 
hierauf  von  Andernach  über  Ahrweiler  nach  Bonn.  Die  Entfernung  von 
Bingen  nach  Andernach  beträgt  '.i3  g.M.,  daher  statt  XXVIII  zu  lesen  ist 
XXXIII;  die  Entfernung  von  Andernach  nach  Bonn  beträgt  26  g.  M.,  daher 
XXII  in  XXVI  zu  verbessern  ist.  Die  andere  Route  ging  von  Bingen 
gleichfalls  über  den  Hunsrück  und  auf  dem  Seitenarme  nach  Boppard, 
dann  auf  dem  nördlichen  Seitenarme  auf  die  Hauptatrasse  zurück  und 
über  die  Mosel  nach  Rübenach,  Miesenhcim  und  Ahrweiler  bis  Bonn. 
Die  Entfernung  von  Bingen  nach  Boppard  beträgt,  übereinstimmend 
mit  dem  Itinerar,  10  g.  M. 

Von  den  drei  römischen  Lagern,  welche  an  dem  östlichen  Strasscn- 
arm  lagen,  sind  uns  ausserdem  auch  die  Namen  aus  dem  Alterthum 
erhalten  geblieben:  in  dem  Lager  der  Alteburg  stand  der  bekannte 
Altar  der  Ubier,  weswegen  das  Lager  die  Bezeichnung  „Ära  übiorum" 
erhielt,  und  da  es  die  Mansion  für  den  östlichen  Strassenarm  war, 
gleichwie  Agrippina  die  entsprechende  Mansion  für  den  mittleren  Arm 
bildete,  so  fallen  z.  B.  bei  Tacitus  die  Mansionen  „Col.  Agrippina"  und 
„Ära  übiorura"  zusammen.  Das  Lager  am  Wiclielshofe  führte,  eben  so 
wie  die  in  der  Nähe  gelegene  Ansiedlung,  bekanntlich  den  Namen 
„Bonna"  oder  „Castra  Bonnensia",  und  das  Lager  gegenüber  Neuwied 
wird  von  Ptolemäus  unter  der  Bezeichnung  „Legio  Trajana"  auf- 
geführt. 

Von  dem  Geographen  von  Ravenna  wird  unter  den  Ortschaften 
zwischen  Coblenz  und  Bingen  noch  ein  Ort  „Boderecas"  angeführt, 
worunter  gememlich  „Boppard"  verstanden  wird. 

Aus  den  vorstehenden  Ermittelungen  dürfte  sich  zur  Genüge  er- 
geben, wie  nützlich ^^  ja  nothwendig  die  Aufsuchung  der  noch 
vorhandenen   Strassenspuren   für  die  Aufklärung  uusrer   alten 


12 


Die  römiscbcn  MUitärstrasaen  des  Unken  Rheinufen. 


Geographie  ist,  weshalb  wir  dieselbe  auch  bei  dieser  Gelegenheit  den 
Alterthuinsfürschei'n  wiederum  angelegentlichst  empfehlen. 

d.  Scbluss. 

Aus  den  in  den  vorigen  Al>schnitten  dargelegten  Thatsachen  er- 
geben sich  sein"  bedeutsame  Aufklärungen  über  das  römische  Strassen- 
und  Befestigungswesen  auf  der  linken  Rheinseite. 

Während  man  bisher  nur  eine  einzige  dem  Rheine  entlang  laufende 
Heerstrasse  im  Auge  hatte,  finden  sich  in  der  Strecke  von  Bingen  bis 
Xanten  hinab  deren  zwei,  und  streckenweise  sogar  drei  vor.  Die  eine 
derselben  zieht  sich  von  Dingen  bis  Coblenz  dicht  am  Flusse  entlang, 
und  weicht  auch  in  der  Strecke  von  Coblenz  bis  Cöln  nur  höchstens 
einige  hundert  Schritte  du  von  ab;  ebenso  schmiegt  sie  sich  von  Cöln 
bis  Xanten,  mit  Ausnahme  einiger  kurzen  Strecken,  durchweg  dem 
Flussr  an,  so  dass  sie  in  der  ganzen  Entfernung,  von  Bingen  bis  Xanten 
hinab,  fast  all  den  zahlreichen  Krümmungen  des  Rheines  nachfolgt  und 
daher  vielfache  Umwege  macht.  Diese  Strasse  war  hauptsächlich  zu 
militärischen  Zwecken  angelegt,  unter  denen  insbesondere  die  Sicherung 
der  freien  Schifffahrt  auf  dem  Rheine  hervorzuheben  ist.  Die  zweite 
in  geringer  Entfernung  daneben  her  laufende  Strasse  hielt,  unbekümmert 
um  die  verschiedenen  Flusskrümmungen,  durchweg  die  gerade  Richtung 
bei  und  deutet  ihren  Zweck  für  den  militärischen  und  bürgerlichen 
Verkehr  längs  des  Strontes  deutlich  an.  Einen  dritten  Strassenarm 
finden  wir  erst  aus  der  Nähe  von  Coblenz  bis  in  die  Gegend  von 
Andernach,  wahrscheinlich  zur  Abkürzung  des  Weges,  angelegt.  Häutiger 
kommt  dieser  dritte  Arm  weiter  rljeinabwarts  vor,  und  zwar  hier  zu 
dem  Zwecke,  wenn  durch  Ausschreitungen  des  Rheines  die  vorgenann- 
ten Strassen  ungangbar  waren,  den  Verkehr  auf  einem  höher  gelegenen 
und  sicheren  Terrain  wiederberzustellcB.  Wir  finden  einen  solchen 
dritten  Strassenarm  zuerst  zwischen  Sinzig  und  Rolandseck,  sowie 
zwischen  Bonn  und  Cöln.  Von  letzterem  Orte  abwärts  ist  der  dritte 
Arm  der  so  häufigen  in  dieser  Strecke  vorkommenden  Rheindurch- 
brüche wegen,  ununterbrochen  bis  fast  nach  Xanten  vorhanden,  jedoch 
so,  dass  da,  wo  eine  Parallelstrasse  die  angemessene  Richtung  dar- 
bietet, diese  mittelst  Verbind imgsstrassen  zu  dem  angegebenen  Zwecke 
benutzt  ist,  wie  wir  dies  zwischen  Neuss  und  Xanten  gesehen  haben. 

Wels  die  Bauart  der  drei  Strassenarme  betrifft,  so  ist  dieselbe 
nicht  bloss  bei  den  eiuzehieu  Armen,  sondern  in  den  einzelnen  Theilen 
einer   und   derselben   Strasse   sehr  verschieden.     Auf  ebenen   Hoch- 


Die  römischen  Militäratraseen  des  linkeu  Rheinufers. 


13 


flächen,  wie  von  Bingen  über  die  Wasserscheiile  de^  Hunsrück,  zwischen 
der  Mosel  und  Andernach,  sowie  zwischen  der  Aar  und  der  Gegend 
von  Bonn  finden  wir  ebensowohl  einen  Idoss  nus  Sand  und  Lehm  nuf- 
geworfenen  Damm  mit  einer  einfachen  Kiesdecke,  wie  in  der  Rliein- 
ebene  zwischeu  Bonn  und  Xanten;  dagegen  besass  die  dem  Rheine 
zunächst  gelegene  Strasse,  obgleich  sie  ebenfalls  nur  durch  die  Ebene 
führte,  von  Bingen  bis  Bonn,  wahrscheinlich  wegen  der  Nähe  des 
Wassers,  eine  stärkere  Besteinung,  indem  sich  unter  der  oberen 
Kieslage  durchweg  noch  eine  zweite  Lage  aus  gröberen  zerschlagenen 
Steinen  vorfindet.  Wo  aber  die  Strasse  duich  coupirtes  Terrain  zog, 
wie  auf  dem  nordlichen  Ausläufer  des  Hunsrilck,  und  in  der  Strecke 
zwischen  Andernach  und  Ahrweiler,  findet  sich,  aussser  den  beiden 
genannten  Steinlagen,  noch  ein  unterer  fester  Bau  aus  grossen  llruch- 
steinen  vor.  Auch  ein  Mörtelverband  erscheint  abwechselnd  bald  an 
dem  einen,  bald  an  dem  andern  Thcile  der  einzelnen  Strassenarme; 
jedoch  sind  die  Fälle,  ,wo  derselbe  fehlt,  am  häufigsten. 

Betrachten  wir  nun  die  militärischen  Anlagen,  welche  sich  an 
unseren  Strassen  aneinanderreihen,  so  zerfallen  dieselben  zunächst  in 
drei  Classen:  1)  Lager,  2)  Castelle  und  3)  Warten.  In  der  Strecke 
von  Neuwied  bis  Xanten  finden  wir  nicht  weniger  als  sechs  grosse 
römische  Standlager,  und  zwar  in  der  Entfernung  eines  Tagemarsclies, 
durchschnittlich  vier  Meilen,  neben  einander:  das  erste  lag  gegenüber 
Neuwied  an  der  Kapelle  zum  guten  Mann,  das  zweite  am  Wichels- 
hofe  bei  Bonn,  das  dritte  an  der  Alteburg  bei  Cöln,  das  vierte  zu 
Grimlinghausen  bei  Neuss,  das  fünfte  auf  dem  Burgfelde  bei  Asberg 
und  das  sechste  auf  dem  Fürstenberge  bei  Xanten.  Sämratliche  Lager 
befinden  sich  an  der  Hauptmilitärstrasse,  die  dicht  am  Rheine  den 
Krümmungeil  des  Flusses  nachfolgte,  und  deuten  auf  eine  hier  ge- 
legene Militärmacht  hin,  wie  sie  wohl  im  ganzen  römischen  Reiche 
nicht  zum  zweiten  Male  auf  einer  so  kurzen  Strecke  nachzuweisen  ist. 
Zwischen  den  Lagern  befinden  sich  in  geringern  Entfernungen  von 
einander  die  Castelle,  deren  nach  der  Angabe  des  Florus  mehr  als 
fünfzig  von  Drusus  dem  Rheine  entlang  angelegt  waren.  Man  hat 
diese  Zahl  öfters  für  übertrieben  erklärt;  aber  nicht  die  Angaben  des 
alten  Schriftstellers  über  die  Zahl,  sondern  die  Vorstellungen  seiner 
Interpreten  über  die  Beschaffenheit  dieser  Castelle  sind  übertrieben,  indem 
man  sich  dieselben  als  solide  in  Stein  aufgeführte  Befestigungen,  wie 
wir  die  römischen  Castelle  aus  der  spätem  Zeit  am  Rheine  finden, 
gedacht  hat.    Aber  diese  Castelle  waren  nur  kleine  und,  wie  alle  von 


14 


Die  römiscfacQ  Mi  litärstrauen  d«8  linken  Kheinufers. 


Drusus  dies-  uml  jenseits  des  RheiDes  angelegten  Fortificationen,  bloss 
aus  Erde  mit  Holzwerk  construirte  Schanzen,  die  erst  viel  spater  theil- 
weise  durch  Mauerwerk  verstärkt,  dann  auch  zuweilen  mit  Ansied- 
lungen  verbunden  wurden,  bis  zuletzt  der  ganze  Complex  durch  eine 
BefestiguQgsmauer  eingeschlossen  wurde.  In  ganz  gleicher  Art  waren 
die  Warten  nur  kleine  Erdscbanzen,  die  wahrscheinlich  einen  hölzernen 
Thurra  trugen,  der  vielleicht  auch  später  zuweilen  in  Stein  aufgeführt 
wurde;  wenigstens  hat  man  hier  und  da  solche  steiiienie  Wartthurme 
am  Rheine  zu  finden  geglaubt,  ohne  dass  es  mir  bisher  gelungen  ist,  mich 
selbst  davon  zu  überzeugen.  Unter  den  bürgerlichen  Anlagen  finden  wir 
eine  grössere  Colonialstadt,  Cdln,  und  sonst  nur  Dörfer,  von  denen 
einige,  wie  Bingen,  Andernach,  Bimn,  Neuss  und  Birten  in  der  letzten 
Zeit  der  Kömerherrschaft  zu  kleinen  Landstädten  herangewachsen. 
Sämmtliehe  kleine  Ansiedlungen  verdanken  ihre  Entstehung  haupt- 
sächlich den  Mansionen  und  Mutationen,  mit  denen  sie  verbunden  sind. 
Betrachten  wir  nun  die  rümischen  Reiseverzeichnisse,  in  denen 
unsre  Strassen  und  Ansiedlungen  enthalten  sind;  so  begegnen  wir 
zunächst  der  sehr  verbreileten  aber  irrigen  Auffassung,  dass  die 
Peutinger'sche  Tafel  eine  Strassenkarte  sei,  welche  den  Lauf  der 
bedeutenderen  Heerstrasseu  darstellen  soll,  während  sie  doch  nur  eine 
Anzahl  von  Reiserouten  enthält,  die  auf  sehr  verschiedenen  Strassen 
stfitttindeii  konnten  und  grossentheils  stattgefunden  haben.  Dies  tritt 
sehr  deutlich  auch  bei  unsern  rheinischen  Strassen  hervor.  Die  Reise- 
route, welche  die  Tafel  von  Bingen  deu  Uheiu  hiaab  angibt,  geht  bis 
Cöln  im  Ganzen  auf  dem  östlichen,  dem  Rheine  zunüchst  gelegenen 
Arme,  lia  sie  über  die  Orte  Oberwesel,  Boppard,  Coblenz,  Andernach 
und  Üona  führt,  welche  sämmtlich  an  diesem  Strasscnarme  liegen;  von 
Cöln  bis  Neuss  aber  führt  die  Route  über  den  westlichen  Ann,  indem 
die  Orte  Worringen  und  Dormagen,  die  an  den  beiden  andern  Armen 
liegen,  nicht  genannt  werden,  und  von  Neuss  geht  sie  auf  dem  mittleren 
Arme  über  Asberg,  indem  sie  die  Orte  Calone  und  Gelduba,  die  an 
den  beiden  andern  Armen  liegen,  nicht  berührt.  Da  man  in  der  Tafel 
bisher  nur  eine  einzige  dem  Rhein  entlang  führende  Strasse  sah,  so 
hat  man  nicht  erklären  können,  woher  es  kommt,  dass  die  Tafel  die 
vier  genannten  Orte,  die  doch  in  dem  Antoninischcn  Itinerar  an  dieser 
Strasse  aufgeführt  werden,  Obergeht;  der  Grund  aber  liegt  offenbar 
darin,  dass  die  in  der  Tafel  aufgezeichnete  Route  nicht  über  diese 
Orte  geführt  hat.  Das  Antoninische  Itinerar  enthält  die  Reiseroute 
der  Peutinger'scheu  Tafel  nicht,  dagegeu  aber  drei  andere,  die  in  den 


Die  römLachen  Militäratntssen  des  linken  Rheinufers. 


früheren  Abschnitten  bereits  angegeben  sind.  Indem  man  nun  diese 
verschiedenen  Routen,  die  auf  verschiedenen  Strassenarmien  stattfanden, 
auf  ein  und  dieselbe  Strassenlinie  verlegte,  blieb  es  einerseits  uner- 
klärt, warum  das  Itinerarium  die  in  der  P.  T.  genannten  Orte  Vosavia, 
Rigomagam  und  Asciburgium  nicht  enthält,  und  anderseits  konnten 
die  Entfernungsangaben,  die  sich  auf  die  an  den  verschiedenen  Strassen- 
armen  gelegten  Orte  beziehen,  nicht  mehr  auf  diese  an  ein  und  die- 
selbe Strasse  gelegenen  Orte  stimmen.  Daher  kommt  es,  dass  die 
Itinerarien  angeblich  so  viele  Fehler  enthalten  sollen,  die  gevi'öhnlich 
den  Abschreibßrn  zugeschoben  werden,  aber  in  ganz  andern  Umständen 
zu  suchen  sind.  Für  völlig  fehlerhaft  wurde  das  Antoinnische  Iti- 
nerarium besonders  da  erklärt,  wo  die  Reihenfolge  der  Orte  mit 
der  Wirklichkeit  nicht  stimmte :  wir  haben  aber  gesehen,  dass  die  Un- 
richtigkeit wegfällt,  sobald  man  die  Orte  nicht  auf  dieselbe  Linie  be- 
sieht, sondern  zwei  verschiedene  Routen  darin  erkannt  werden.  Wir 
wollen  bei  dieser  Gelegenheit  eine  andere  nicht  weniger  verbreitete 
Meinung  zu  verbessern  suchen,  dass  nämlich  die  Itinerarien  die  an  den 
Strassen  gelegenen  Mansionen  und  Mutationen  enthalten  sollen.  Dies 
ist  nur  insofern  richtig,  als  die  dort  aufgeführten  Ortschaften  zugleich 
Mansionen  und  Mutationen  enthielten,  oder  mit  andern  Worten,  dass 
diejenigen  Mansionen  und  Mutationen,  welche  zugleich  mit  grösseren 
Ansiedlungen  verbunden  waren,  in  den  Itinerarien  aufgeführt  sind, 
während  alle  übrigenj  die  bloss  aus  einigen  Gebäuden  bestanden,  darin 
fehlen,  sowie  in  gleicher  Art  alle  diejenigen  Lager  und  Castelle  darin 
fehlen,  welche  nicht  zugleich  auch  mit  Ansiedlungen  verbunden  waren. 
Die  Itinerarien  tragen  daher  einen  hervorstechend  geographischen  Cha- 
racter,"  indem  sie  nur  die  Namen  der  auf  den  Reiserouten  gelegenen 
Städte  und  Dörfer  enthalten,  ja  wahrsdieinlicher  Weise,  soweit  meine 
Kenntniss  bis  jetzt  reicht,  überhaupt  nur  diejenigen  Routen  angeben, 
welche  über  grössere  Ansiedlungen  führen,  woraus  sich  erklären  würde, 
dass  so  viele  andere  Routen,  die  über  nicht  minder  bedeutende  lleer- 
strassen  ziehen,  darin  ganz  übergangen  sind. 

Werfen  wir  schliesslich  einen  Blick  auf  die  Gesammtheit  der 
rfimischen  Anlagen,  wie  sie  sich  aus  den  schriftlichen  Ueberliefcriiugen 
und  den  aufgefundenen  Älterthurasresten  kundgeben,  um  uns  ein  Cultur- 
bild  von  unserm  linksrheinischen  Landstreifen  in  der  Römerzeit  zu 
vergegenwärtigen,  so  finden  wir  dicht  am  Strome  in  durchschnittlich 
regelmässigen  Entfernungen  eine  Reihe  grosser  Heerlager,  zwischen 
denen   in   geringen  Abständen   eine  Anzahl  kleinerer  Castelle  postirt 


16 


Die  römischen  Militärstrassen  dea  linken  Rheinufürs. 


war ;  an  den  Heerstrassen  aber  treffen  wir,  wiederum  in  regelmässigen 
Entfernungen,  zunächst  die  Mansionen^  d.  h.  öffentliche  Gebäude  zur 
Beherbergung  der  reisenden  Staatsbeamten  sowie  der  Truppen  beim 
Marsche,  verbunden  mit  grossen  Magazinen,  Stallungen  und  Remisen; 
dazwischen  die  Mutationen,  d.  h.  öffentliche  Gebäude  mit  den  nöthigen 
Vorkehrungen  zum  Wechseln  der  Pferde  und  Wagen  '),  Ein  Theil  dieser 
Mansionen  und  Mutationen  war  mit  kleineren  und  grösseren  Ansied- 
lungen  verbunden,  unter  denen  sich  auch  eine  grössere  8tadt(Cö!n)  befand. 
Sämnitliche  Anlagen  aber  waren  von  ihrer  Entstehung  an  bis  zu  ihrem 
Untergange  einem  stetigen  Wachsthuni  unterworfen :  die  Lager,  ur- 
sprünglich in  Erde  und  Holz  aufgeführt  und  in  ihrem  Innern  mit 
hölzernen  Baracken  versehen,  erhielten  alsbald  steinerne  Urafassungs- 
niaucru  mit  Thürnieii  und  im  Innern  steinerne  Gebäude;  die  Castelle, 
im  AoJ'unge  blosse  Erdschanzen,  wurden  später  mit  Mauern  und 
steinernen  Gebäuden  versehen,  und  in  der  letzten  Zeit  erhielten  auch 
die  grösseren  Ansiedjungen  Umfassungsmauern  und  Thürme;  die  römische 
Gobnialstadt  aber  erweiterte  sich  auf  das  Doppelte.  Die  römische 
Culturentwickelung  in  diesem  Landstriche  beruhte  demnach  ganz  auf 
staatlichen  Einrichtungen  und  hatte  ihren  Anfang  in  rein  militärischen 
Aulageo*).  J.  Schneider, 


1)  Zwischen  zwei  Munsionen  la^en  in  der  Regel,  ausser  der  grösseren  in 
der  Mitte,  auch  noch  mehre  kleinere  Miitntioncn. 

2)  4)ie  gleiche  Auffassung  und  die  d&raus  hervorgehende  grosse  Bedeut- 
samkeit der  methodischen  Erforschung  der  Rümerstraasen  diesseits  der  Alpen, 
ist  bereits  in  unserer  „Äu  ffo  rderuug  zur  Betheiligung  an  der  Revision 
der  Uömcrstrassen"  im  LVIJ.  Heft  der  Jahrbücher  ausgesprochen  .worden. 
Wir  können  es  de-sshalb  nur  mit  Freude  begrüsBcn,  wenn  das  Bonner  Provininal- 
museum,  wie  wir  vornehmen,  die  Aufdeckung  der  grossen  Heerlager  auf  dem 
Ffirstenberg  bei  Xanten,  am  Wicheishof  bei  Bonn,  und  gegenüber  Neuwied 
an  der  Kapelle  zum  guten  Mann  in  Aussicht  genommen  hat.  Die  im  vorigen 
Jahre  begonnenen  und  in  diesem  Augenblick  wieder  in  Aussicht  genommenen 
Bonner  Ansgrahuugen  werden  stets  nach  Massgabe  der  zu  Gebote  stehenden 
Grundstücke  fortgesetzt.  D.  Red. 


Der  römische  Grenzwall  in  Deutscblanrl. 


17 


2.   0er  römische  Grenzwall  in  Deutschland '), 

Hierzu  Tafel  U. 

Seit  geraumer  Zeit  sind  wir,  Dank  den  eifrigen  Remöliungen  (1(t  Römische Be- 
englischen  und  schottischen  Antiquare,  wie  des  Henn  John  tk>llingwnodj^ß^j^^j^ 
Bruce  in  Newcastle  und  seiner  Vorganger,  some  des  verstorbenen 
Generals  William  Roy,  und  Dank  vor  allem  der  Muniticenz  englischer 
Patrioten,  wie  der  Herzöge  von  Northumberland  und  des  Herrn 
John  Claytoü  voo  Ches.ters  Hall,  so  genau,  als  vielleicht  überhaupt 
möglich  ist ,  unterrichtet  tiber  die  gewaltigen  doppelten  Grenzbe- 
festigungen, durch  welche  die  höchst  unterrichteten  und  einsichtigen 
Offiziere  der  Kaiser  Hadrian  und  Antoninaa  Pius  die  Provinz  Britannien 
von  Meer  zu  Meer  gegeu  das  liürdliche  Bnrbarenland  gesichert  haben'). 
Die  langgestreckten  Anlagen,  ein  vollständig  durchgeführtes  System 
von  Wällen,  Gräben,  Thürmen,  Thoren  und  gröfseren  und  kleineren 
Castellen,  zugleich  defensiv  und  offensiv,  ein  Wunderwerk  der  mili- 
tärischen Technik,  sind  wegen  ihres  einheitlichen  Plans  und  ihrer  gleich- 
mäfsigen  Ausführung  vielleicht  als  einzig  in  ihrer  Art  zu  bezeichnen. 
Aber  es  fehlte  doch  nicht  ganz  an  wenigstens  annähernd  ähtilichen 
Grenzbefestigungsanlagfn  in  anderen  Theilen  des  römischen  Reiches, 
welche  zur  Vergleichung  herangezogen  werden  können.  Die  berühmte  OrientaliBchB 
chinesische  Mauer,  welche  die  englischen  Antiquare,  wie  der  vortreffliche 
John  Hodgson,  mit  dem  Wall  des  Hadrian  in  England  in  Parallele 
gestellt  haben,  ebenso  wie  die  aus  Xenophon  bekannte,  aber  in  Bezug 
auf  ihren  monumentalen  Charakter  etwas  zweifelhafte  medische  Mauer, 
welche 'Mesopotamien  zwischen  Euphnit  und  Tigris  abgeschlossen  haben 
soll,  können  dabei  füglich  ausser  Betracht  bleiben.  Der  alte  Orient 
hatte  jedoch  manche  anderen  Anlagen  aufzuweisen,  welche  den  späteren 
Werken  der  rümischen  Kaiser  möglicher  Weise  als  Vorbild  gedient 
haben  können.    Bekannt  ist  die  Mauer,   welche  der  ägyptische  Kiiuig 

1)  Gin  kurzer  Abrise  der  nachfoljsrrndoffriarleprung  hi  der  arohäoloniftcbeii 
Gesellschaft  zu  Berlin  am  9.  Deconber  1877,  unter  Vorlegung  der  nachher  zu 
erw&haendei)  grofsen  Kiepertachen  Karte,  vorgetragen  worden. 

2)  Ich  darf  für  allefl  Detail  über  diese  berühmten  Werke  der  römischen 
Befestigungskunsl  auf  die  im  Corpus  inscriptiounm  I.atimtrmn  Bd.  Vll  (1873) 
S.  99  ff.  und  S.  191  ff.  gegebenen  Ausführungen  verweisen.  Eiue  auf  nllga- 
meincres  Verständniss  berechnete  Sohildenmg  derselben,  ohne  die  Belege,  ist  im 
Maibeft  der  dcuiachen  Rimdscbau  von  diesftm  Jahre  (1878)  S.  221  FT.  erschienen. 


Mauern 


18 


Der  römische  GreazwsU  in  DeutaoUand. 


Africa 


Sesostris  (Bamses  H.)  von  Ileliapolis  nach  Pelusion,  fünfzehnhundert 
SUuiion  laut;,  gegen  die  Einriillv  von  Osten  her  erbaut  hatte*).  Aul' 
dein  Wege  von  Syene  nach  l'hilae,  an  der  südlichen  Grenze  Aegj-ptens, 
läuft  den  Fluss  entlang  im  Thale  eine  Mauer  uus  ungebranuten  Biick- 
Bteinen ;  sie  ist  etwas  mehr  als  zwei  Meter  breit  und  stellenweise  nod> 
in  einer  Höhe  von  vier  Meteni  erhalten.  Für  eine  Anlage  der  römi- 
schen Zeit,  und  2war  zum  Schutz  der  Grenze,  hielt  sie  der  Engländer 
James  Yates*).  R.  Lepsius,  dem  ich  die  genaueren  Nachweisungen 
über  diesen  eigentbünilichen  Bau  verdanke'),  glaubt  dagegen  mit  den 
älteren  Reisenden,  dass  diese  Mauer  nur  zur  Sicherung  der  Stra&e  die 
Katarakte  entlang  gedient  habe,  weil  man  auf  dieser  Strafe  die 
Waaren  zu  Lande  transportieren  rausste,  während  sie  unter-  und  ober- 
halb derselben  zu  Wasser  gingen;  Wachen,  am  nördlichen  sowie  am 
südlichen  Ende  der  Mauer  aufgestellt,  schützten  dann  die  den  Fluss 
entlang  geführte  Strafse  hinlänglich  gegen  Ueberfülle.  Feber  das  Alter 
der  Anlage  ist  nichts  bekannt;  dass  sie  bei  Strabo  nicht  erwähnt  wird, 
beweist  jedoch  nicht,  dass  sie  jüngeren  Ursprungs  sei  als  die  Zeit,  in 
welcher  er  schrieb  (die  des  Tiberius);  eine  Auslassung  solcher  Art  ist 
bei  diesem  Schriftsteller  keineswegs  auffällig.  Auch  in  anderen  (iegen- 
den  des  Ostens  gab  es  gewaltige  und  ausgedehnte  Befestigungsanlagen, 
wie  der  von  Antiochos  Soter  erbaute  Grenzwall  der  Margiana")  und 
eine  Mauer  von  unbckannleni  Ursprung  im  Kaukasus  bei  Derbend'). 
Mit  Unrecht  hat  man  geglaubt,  auch  die  römische  Provinz  Africa  sei 
im  Süden  durch  Wall  und  Graben  gegen  die  Wüste  abgesclüossen  gt^ 
Wesen''),    Es  liegt  dieser  Annahme  nichts  That sächliches   zu  Grumle; 

3)  Nach  dem  Zeugnisse  bei  Diodoros  I  57. 

4)  In  der  unten  (Anu.  14)  zu  npnnonden  Ahhandliionr  S.  W  (S.  10  der 
deutschen  Ueberaetzung) ;  er  berief  sich  dafür  auf  oitiudliche  Angaben  des  jüngst 
verstorbenen  Aegyptolo^n  Joseph  Bonomi. 

6)  Er  wird  beschrieben  iu  der  discription  de  l'L'gt/pteBd.  1  (Paris  1821  8.) 
8.  6  f.  und  in  G.  Parthey 's  de  Philis  insuln  dusque  monumeutis  amtmcntatio 
(Berlin  1830  8.)  S.  9  f.  Im  Atlas  der  dhcription  Inf.  I  und  iu  Ritters  Erd- 
kunde 1  S.  660  ijit  die  Mauer  abg«bildet. 

C)  Naoh  Strabu's  Zeugniss  XI   10,  2  S.  516  C. 

1)  Auf  sie  machte  II.  Kieport  mich  aufmerknam. 

6)  J.  Yates  hat  diese  Notiz  nach  den  Angaben  des  vor  einigen  Jahren 
in  hobont  Alter  verstorbenen  John  Konrick  von  York  in  der  oben  sobon  ange- 
führten verdienstlichen  Abhandlung  niedergelegt.  Damit  sie  nicht  obno  Prüfung 
weiter  verbreitet  werde,  gebe  ich  die  von  Amw  uns  jüngst  entrisseneu  (iu9tit%' 
^Vilmauns   mitgetheilte  Berichtigung. 


Der  römüche  Greazwall  ia  Deutachland. 


19 


sie  scheint  auf  Grund  eini},'er  missverstan<lener  Schriftstellerzeugnisse 
UDil  falscher  Etymulugieeu  nur  in  den  Korden  solcher,  welche  jene 
Gegenden  nicht  aus  eigener  Anschauung  kennen,  entstanilen  zu  sein. 
Aber  auch  jene  ügyjdischen  und  persischen  Bauten  zeigen,  soweit  sie 
überhaupt  genuuer  bekannt  sind,  nur  sehr  entfernte  Analogieen  mit  den 
romischen.  Alle  jene  alturientalische»  Anlagen  sind  nändich  von  diesen 
wc^ntlich  vorschieden.  Sie  waren  säuimtlich,  soviel  ich  .sehe,  massive 
Bauten  au.s  Stein ;  auch  die  griechist-heri  liefestigurigsbaiiten,  soweit 
ich  sie  kenne,  trugen  den.selben  Charakter  {•£.  B.  die  langen  Mauern 
von  Athen).  Die  rönii.schen  Anlagen  sind  in  ihrer  Grundlage  Erd- 
WL-rke,  hervorgegangen,  wie  wir  das  an  den  beiden  britannischen  Wällen 
deutlich  erkennen,  aus  dem  röniisclieu  Lager.  Man  kann  sie  füglich  als 
in  die  Länge  gestreckte  Lager  bezeichnen,  nur  da.sb  sie,  statt  vun  allen 
vier  Seiten  durch  Erdreich  abgeschlossen  zu  sein,  au  zweien,  den  kurzen 
Querlinien,  vom  Wasser  (Meer  oder  Fluss)  begrenzt  werden.  Soersjchei- 
nen  sie  als  eine  nationale,  aus  der  römischen  Kriegsweise  hervorgegangene 
Erfindung.  Aus  der  neueren  Kriegsgeschichte  kann  mau  ihnen  vielleicht 
Wellingtons  bekannte  Linien  von  Torres  Vcdras  an  die  Seite  stellen. 

Im  stidüchen  Pannonien,  in  dem  Winkel  zwischen  Donau  und  Fannonien 
Theiss  nördlidi  von  Peterwaidein^j,  ebenso  wie  im  nordlichen  Dacien, 
an  der  Grenze  zwischen  Ungarn  und  Siebenbürgen  bei  Porolissum  •<'),  Dacien 
sind  vermuthlich  die  rümisclien  Castelle  durch  Wullanlagen  unterein- 
ander verbunden  gewesen.  Diese  Anlagen  zeigen  schon  eher  eine  ge- 
wisse Verwandtschiift  ndt  dt;n  britannischen  Befestigungshnieu;  aber  sie 
entziehen  sich  der  Vergleichung,  da  sie  bis  jetzt  nur  ganz  lückenhaft 
bekannt  siiid'V). 

Allein  mindestens  zwei  den  britannischen  ähnliche  Anlagen,  tlieil- 
weise  auch  aus  fast  gleicher  Zeit  und  mit,  wie  es  scheint,  völlig  gleichem 
Zweck,  lassen  sich  ausserdem  mit  Bestimmtheit  an  den  europäischen 


9)  Yates  erwähnt,  nach  Angaben  des  Grafen  Franz  PuUaky,  dieser 
Anlage  als  auf  einer  grüfsen  Strecke  siidöttlich  von  Pent  gegen  Siiolnak  hin,  auf 
der  Wasserscheide  zwischen  den  Flüsson  Ktiriis  und  Maros,  noch  sichtbar;  sie 
föhre  im  Volkamund  dea  Namen  <)rdöq  drok  und  C}MTae{7}  drok;  das  »ei  so  Tiel 
als  Teufelsmauor. 

10)  Vgl.  C.  I.  L.  III  867. 

11)  Dio  biB  jetzt  bemerkten  Rest«  deraelhnn  sind  auf  der  Kart«  zu  C.  I. 
L.  III  von  II.  Kiepert  verzeichnnt  worden.  Yates  citiert  (S.  lül)  eine  knrze 
SobilderuDg  derselben  aus  dem  Bucli  von  W-  beattie  the  Danvhe  (LoudoD 
1644  4.)  S.  228. 


20 


Der  römiBche  Grenzwall  in  Deutachland. 


Grenzen  des  römischen  Reiches  nachweisen.  Die  eine  jener  beiden 
Anlagen  ist  die  in  jüngster  Zeit  häufig  genannte  doppelte  Befestigungs- 
Hoesien  linie  In  Moesien  am  unteren  Donaulauf,  in  der  heutigen  Dobrudja» 
zwischen  Tonii-Constantia  (jetzt  Köstendje)  und  Capidava,  einem  römi- 
schen Castell  am  südltciien  Donauufer.  Von  der  Ausdehnung  und 
Bedeutung  der  militärischen  Aulagen  der  Homer  in  jenen  Gegenden 
beginnen  wir  jetzt  erst  nach  und  nach  durch  die  dorther  in  steigender 
Zahl  bekannt  werdenden  inschriftlichen  Ileste  eine  deutlichere  Vor- 
stellung zu  erhalte»  5  an  genauerer  Kenntniss  der  Wallanlagen  am 
Germanien  unteren  Donaulauf  fehlt  es  aber  noch  durchaus.  Die  andere  jener 
Anlagen  ist  der  weit  ausgedehntere  Complex  von  Grenzbefestigungen, 
in  der  That  das  grö&te  überhaupt  bekannte  Werk  der  Art,  welches 
die  beiden  germanischen  Provinzen  sowie  das  nördliche  Rätien  gegen 
die  germanischen  Feinde  zu  schützen  bestimmt  war.  Wenn  ich  es 
unternehme  über  dfu  wohl  nur  Wenigen  genauer  bekannten  jetzigen 
Stand  uQseier  Kenntniss  dieser  letztgenannten  Werke  un  diesem  Orte  in 
zusammenfassender  Kürze  zu  bertchten,  so  mag  diefs  eine  Kntscliuldigung 
auch  darin  fiitden^  dass  in  diesem  Falle  mit  dem  allgemeiucn  sich  ein 
vaterländisches  und  speciell  rheinläudisches  Interesse  verknüpft.  Es 
handelt  sich  dabei  um  ein  historisches  Denkmal  von  solcher  Aus- 
dehnung und  Bedeutung,  dass  es  sich  wohl  lohnt,  die  neben  Rom  und 
Athen  nach  allen  äussersten  und  entlegensten  Enden  der  antiken  Welt 
gerichtete  Äuiiiierksamkeit  der  Archäologen  auch  einmal  auf  diese 
näherliegpnden  hebnatlichen  Gegenden  zu  lenken.  Mich  hat  das  be- 
schämende Gefühl  der  Unwissenheit  über  diese  uns  räumlich  nächsten 
Ueberreste  der  römischen  Welt,  während  so  viel  weiter  entfernte  fremde 
Denkmäler,  wie  die  englischen,  uns  so  genau  wie  überhaupt  möglich 
bekannt  sind,  zunächst  dazu  geführt,  mich  über  sie  aus  dem  vorhan- 
denen Material  zu  unterrichten,  Ich  darf  wohl  voraussetzen,  dass 
mit  der  nachfolgenden  üebersicht  auch  für  Andere  etwas  nicht  Un- 
nützes geliefert  wird.  Dazu  verbindet  sich  mit  der  Geschichte  der 
römischen  Befestigungsanlagen  in  Deutschland  noch  ein  besonderes 
historiHelies  Interesse.  Sie  scheinen  nämlich,  wenn  man  von  Caesars 
doch  immi^rhin  verschiedenen  Befestigungen  des  KhünelHufs  und  seinen 
späteren  Belagerungsarbeiten  vor  festen  Plätzen  absieht,  die  ältesten 
uns  bekannten  römischen  Werke  der  Art  überhaupt  zu  sein.  Zur  Be- 
zwingung unserer  germanischen  Vorfahren  und  zur  Occupation  der  von 
ihnen  bewohnten  weiten  Länderstrecken  sind  die  römischen  Lageranlagen 
zum  ersten  Mal  in  dieser  Weise  in  die  Länge  hin  vervielfältigt  worden. 


Der  römiache  Grenzwall  in  Deiitschtand. 


21 


Fast  schon   seit  der  Zeit,   in  welcher  man  überhaupt  begonnen  Vorarbeiten 

hat  den  Resten  des  römischen  Alterthums  in  der  Heimat  ein  Interesse 
zuzuwenden,  also  schon  seit  dem  Anfange  des  sechzehnten  Jahrhunderts, 
ist  man  auch  hier  und  da  auf  die  besonders  in  Süddeutschland  damals 
noeh  besser  als  jetzt  erhaltenen  StraTsen  und  Befestigungslinien  auf- 
merksam geworden,  welche  die  grüfseren  römischen  Niederlassungen 
daselbst  mit  einander  verbantieu.  Damit  hat  man  denn  die  auch  hier- 
über, wie  über  alle  ähnlichen  Anlagen  der  Kaiserzeit,  nur  äusserst 
spärlich  erhaltenen  Nachrichten  bei  den  alten  Schriftstellern  und  die 
geographischen  Daten  zu  comhinieren  gesucht,  und  so  ist  eine  —  mit 
einigen  ohrenwerthen  Ausnahmen  —  mehr  umfang-  als  inhaltreiche 
Litteratur  über  diesen  Gegenstand  entstanden.  Diese  ganze  Litteratur 
in  erschöpfender  und  methodischer  Weise  auszunutzen  hat  noch  Nie- 
mand versucht.  In  übersichtlicher  Kürze  haben  über  die  wichtigeren 
Ergebnisse  derselben  zuletzt  berichtet  zwei  deutsche  und  zwei  englische 
Gelehrte.  Die  Deutschen  sind  Friedrieh  August  Ukert,  welcher  im 
Jahre  1843  in  seinem  Handbuch  der  alten  Geographie")  die  germani- 
schen Grenzbefestigungen  verfolgt,  und  fa.st  Rleichzeitig  Adolf  Baum- 
stark in  einem  Artikel  über  das  alte  Germanien");  die  Engländer, 
welchen  die  Vergleichung  mit  den  britannischen  Befestigungen  das  In- 
teresse an  den  germanischen  gegeben  hatte,  sind  James  Yates**)  und 


12)  Geographie  der  Griechen  und  Römer  III  1  (Weimar  1843  S)S.  278— 85. 
Ich  gebe  in  den  nacbfolgenden  Aumerkungea  eine  Uebersicht  über  das  Wichtigste 
aus  der  auBgedehnten  Litteratur  über  den  germaniBchen  LimcB,  ohne  dieselbe 
eraohöpfen  lu  wollen.  Ich  vermuthe,  daaa  solche  NachweiAungea  nicht  Wenigen 
erwünscht  sein  werden,  da  es  an  einem  Repertorium  für  dieselben  durchaus  Fehlt. 
Auch  das  wäre  eine  dankenswertho  Aufgabe,  welche  der  Verein  von  Altortbums- 
irennden  im  Rbeinlande  auf  sein  Programm  setzen  soilte,  wie  er  das  Register 
zn  seinen  eigenen  Pubticationen  in  Angriff  genommen  hat:  uns  mit  der  Zeit  eine 
allgemeine  Litteraturübersicbt,  eine  Regiatrandc,  topographisch  und  sachlich  ge- 
ordnet, für  die  Alterthümer  der  Itbeintando  zu  schafTen. 

13)  In  Faiily'a  Beal-Encyklopädie  Ili  (Stuttgart  1844  6.)  8.  827—29. 
Der  Artikel  »Pfahlgraben i  in  der  Encyktopädie  von  Ersob  und  Gruber  (Sect.  III 
Bd.  20,  Leipzig  1845  4.,  S,  144 f.)  von  G.  M.  S.  Fischer  enthält  nur  eine  gane 
kurso  Ueberaicht  über  die  früheren  Arbeiten. 

14)  In  dem  Aufäats  on  the  Limes  Shaeticus  and  Limes  Transrhenanus  of 
ihe  Roman  Empire,  publiciert  in  den  Memoirs  chiefly  illustrativs  of  the  History 
and  Antiquities  of  Northumherland ,  welche  bei  Gelegenheit  der  im  Jahre  1852 
zu  New^castle  gehaltenen  JahresverBammluag  dai  Archaiological  Institute  ofGreat 
Britain  and  Jreland  in  2  Bänden   (London   1858  8.)  erschienen,  Bd    1  S.  97  ff. 


22 


l>cr  römisehe  Gfenr,wall  in  Deutschland 


William  Bell").  Die  Arbeit  von  Yates  ist,  trotz  ihrer  Kürze  und 
mancher  augenfälliger  Mängel,  jedenfalls  die  weitaus  beste  über  den 
Wall  als  Ganzes,  welche  bisher  existiert.  Herr  Yates,  vor  wenigen 
Jahren  in  London  in  hohem  Alter  verstorben,  hatte  seine  gelehrte  Bil- 
dung in  Berlin  empfangen  und  bewahrte  BÖckh  und  Trendelenburg 
als  seinen  Meistern  ein  dankbares  Andenken.  Der  gelehrten  Welt  hat 
er  sich  durch  sein  treflfliches  leider  unvollendetes  Buch  über  die  antike 
Webekuust  bekannt  gemacht*«);  dem  Alterthum  bewahrte  er  bis  an 
sein  Ende  (im  J.  1867  habe  ich  ihn  öfters  in  I^ondon  gesehen)  das 
regste  Interesse.  Ausgehend  von  den  Nachrichten  tiber  die  seit  dem 
dritten  Jahrhundert  bekannten  duces  limifanei  und  die  milites  riparienses 
und  limitanei  bezeichnet  Yates  zunächst  als  Zweck  des  germanischen 
Limes  zwischen  Donau  und  Rhein  die  Umgrenzung  des  Decuraalen- 
landes  und  giebt  dann,  auf  Grund  einer  sorgfältigen  Benutzung  der 
Speciallitteratur  "),  ein  Bild  seines  urspriünglkhcn  Zustandes  (wozu  er 
die  Darstellungen  der  Trajanssäule  benutzt,  in  welchen  die  Truppen 
Bäume  fällen,  um  Pallisaden  zu  errichten,  sowie  die  der  hökernen 
Wartthürme  mit  Fackeln  und  ähnliches)  —  Graben,  Wall,  Waldes- 
lichtung —  mit  Profilen  aus  verschiedenen  Thejlen  der  Anlage  und 
Ansichten  der  für  römisch  gehaltenen  steinernen  Wartthürme  von 
Sternsberg  bei  Sinsheim"),  von  Besigheim,  die  aber  weit  hinter  der 
Limeslinie  liegen,  und  von  Donau-Stauf  bei  Regensburg,  welche  er 
vorsichtiger  Weise  für  nichtrömisch,  aber  für  theilweise  auf  römischen 


(mit  einer  üeberaichtakarte),  vom  Vorfasser  selbst  ans  dem  in  Doutachland 
sehr  Bflltenen  Original  ins  Deutsche  übersetzt  und  aus  den  Mittheilungen  den 
historischen  YcrciDS  für  Schwaben  und  Neubnrg  bes.  abgedruckt  (Augsburg 
1858  8.  mit  einem  K&rtchen).  loh  citiere  im  Folgenden  nach  dem  englischen 
Original,  auch  die  Uebersetziiug  ist  sehr  wenig  bekannt. 

15]  In  Charles  Roach  Sraith'a  Cotlectanea  antiqua  IV  (Lundou  1854  8.) 
8.  210  ff. 

lö)  Texlrinum  antiquorum,  an  account  of  the  art  of  weaving  amotvj  ihr 
ancienU  London  1848  8. 

17)  S.  181  ff.  giebt  er  ein  noch  immer  brauchbares  chronologisch  geord- 
notea  Verreichniss  der  auf  den  Limos  bezüglichen  Schriften  von  Job.  Just 
Winkolmann's  Beschreibung  von  Hessen  {Bremen  1697  fol.)  und  Job.  Alex. 
Döderlein's  aeludiatma  historicum  (Nürnberg  1728  4.)  an  bis  auf  seinen  nächsten 
Vorginger  und  Landsmann  W.  Bell  (1854),  der  nur  referiert. 

18)  Yates  könnt  ihn  aus  K.  Wil helmi's  Beschreibung  im  1. — 12.  Jahres- 
bericht an  die  Mitglieder  der  Sinsheimer  Gesellschaft  zur  Erforschung  der  vater- 
ländischeu  Denkmale  der  Vorzeit  (Sinsheim  1831  —  46  8.)  S.  45  ff. 


I 


W  römische  GreoEwall  in  Douischland. 

Substructioiien  erbaut '"),  erklärt,  währeml  er  die  viereckigen  Warten 
auf  der  würtenihergischen  Strecke  mit  Itec-fat  für  römisch  liält,  und 
Bchiidert  dünn,  überall  auf  (Jniuii  der  altern  Arbeiten  und  aus  eigner 
Anschauung,  die  Reste  des  Limes  bis  zur  Ems. 

ükert's  und  mehr  noch  Baumstjuk's  Bericht  ist  ganz 
suniniariseli  gehiilten;  etwas  eingehender  und  zum  Theil  de  insti  ur- 
thcilen  die  Kngländer,  aber  doch  auch  olme  über  das  Thatsächliche 
hinreichend  unterrichtet  zu  sein.  Seitdem,  also  seit  über  zwanzig 
.lahren,  ist  kein  Vorsuch  ^^emacht  worden,  über  das  Ganze  der  Anlage 
im  Zusammenhange  zu  berichten.  Inzwischen  haben,  wie  natürlich, 
nieist  zufällige  Funde,  besonders  bei  Straföen-  und  Eisen  bahn  bauten, 
nur  in  den  seltensten  Füllen  ad  hoc  angestellte  Ausgrabungen,  manchen 
unsicheren  Punkt  aufgehellt,  manches  Neue  zu  Tage  gefördert,  wahrend 
andererseits  die  fortschreitende  Cultur,  wie  überall,  nivellierend  gewirkt 
hat  und  die  schon  geringen  Reste  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  bis  zu 
völliger  Unkenntlichkeit  entstellt.  Um  so  mehr  erscheint  es  geboten, 
«ich  zu  besinnen  auf  dasjenige  was  man  wirklich  weiss,  und  Hand  an- 
zulegen an  die  Beschaffung  des  zur  "Vermehrung  der  Kenntniss  ni5thigen 
Materials,  ehe  es  überhaupt  zu  spät  ist. 


In  der  langen  (Jrenzlinie  des  einst  römischen  Gebietes  beider 
Germanien  und  Rätiens  nördlich  von  der  Donau  und  östlich  vom  Rhein 
lassen  sich  sechs  Hauptabschnitte  unterscheiden,  welche  in  der 
Hauptsache  mit  den  alten  Grenzen  der  Provinzen  und  den  modernen 
Territorialtheilungen  correspondieren. 

I. 

Ich  beginne  im  Süden  an  dem  Punkte,  von  welchem  aus  die  Bayern 
natürliche  Nonlgrenze  der  zwar  nicht  zu  den  germanischen  gehörigen, 
aber  durch  die  gleichen  strategischen  Rücksichten  mit  ihnen  eng  ver- 
bundenen rätischen  Provinz,  die  Donau,  wohl  zuerst  eine  Verbindung 
mit  der  natürlichen  Ostgrenze,  dem  Rhein,  erhielt.  Dieser  erste,  der 
grofsentheils  bayerische  Abschnitt  des  Grenzwalls,  der  seit  dem 
dritten  Jahrhundert  so  genannte  limes  JlaetmtSy  ist  im  allgemeinen 
verhältnismässig   am    besten  bekannt.     Dank  den   aufopfernden  Be- 


19)  Daas  dicfs  in  der  Tbat  bei  den  rheinischen  mittelalterlichen  Burgen 
vorgekooimea  sei,  hat  der  bndiache  General  Krieg  von  Hocbfeldcn  in  seiner 
Geschichte  der  Miiitärarchitektur  des  früheren  Mittelalters  (Stuttgart  1869  8.) 
«ahrsobeinlich  zu  machen  gesucht. 


24 


Der  römische  Gruiizwall  Id  DeutschUnd. 


niühuDgen  einiger  sorgFältiger  Localforseher,  wie  des  Dr.  Anton 
Mayer,  dessen  Arbeiten  iu  die  beiden  ersten  Decennien  unseres  Jahr- 
hunderts fallen -*>),  und  vor  allem  Dank  der  genauen  Aufnahme  vieler 
Reste  der  römischen  Befestigungen  in  die  topographischen  Karten  des 
bayerischen  Generalstabs,  deren  betreffende  Abschnitte  in  den  droissiger 
Jahren  ausgeführt  worden  sind.  Der  Wall  ist  auf  dieser  Strecke 
oft  mit  einem  gemauerten  Kern  von  Gusswerk  stellenweis  noch  in  der 
Höhe  von  drei  bis  fünf  Fufs  erhalten,  der  etwa  fünfzehn  Schritt  davon 
liegende  Graben  ist  durchschnittlich  zehn  Fufs  breit.  Von  der  für  die 
ganze  Anlage  charakteristischen  Pallisadenreihe  ist  natürlich  keine  Spur 
mehr  vorhanden.  Er  beginnt  südwestlich  von  Regensburg,  südlich  vom 
Einfluss  der  AltnUihl  in  die  Donau  bei  Kclh'eim,  und  schreitet  rler  Haupt- 
sache nach  in  stets  westlicher  Richtung  fort,  in  einer  Bogenlinie  von 
der  Ausdehnung  von  etwa  dreiundzwanzig  deutschen  Meilen.  Bei  Kipfen- 
berg  schneidet  er  die  Altniühl  und  geht  über  Weissenburg  und 
Gunzenhausen,  wo  er  seinen  nördlichsten  Punkt  erreicht,  weiter  im 
würtembergischen  Gebiet  nördlich  hei  Aalen  vorbei,  bis  er  unweit  Lorch 
und  Welzheim  plötzlich  die  westliche  Richtung  verlüsst,  um  in  beinahe 
rechtem  Winkel  zu  der  bisherigen  Richtung  nun  von  Süd  nach  Nord 
zu  gehen.  Hier  also,  an  der  Grenze  der  beiden  Provinzen  Rätien 
und  Obergermanien,  nicht  weit  vom  Hohenstaufen,  beginnt  der  zweite 
Abschnitt  der  Befestigungslinie,  der  erste  der  eigentlich  germanischen 
Ostgrenze. 

Der  architektonische  Charakter  der  Anlage  —  Graben,  Pfahl- 
reihe, Wall  uml  dahinter  Thürrae  und  Castelle,  aber  keine  fortlaufende 
Mauer  au£  Stein,  ähnlich  als».»  dem  Walle  des  Pius  in  Schottland,  nicht 
dem  des  Hadrianus  in  England  —  scheint  auf  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung, wenigstens  bis  zur  Sieg,  streng  festgehalten  zu  sein.  Nur 
die  nördlichsten  rechtsrheinischen  Strecken  der  Anlage  weichen  davon 
ah.  Dieffe  ist  ein  Umstand,  der  für  die  Annahme  der  Planmäfsigkeit 
und  wesentlichen  Gleichzeitigkeit  der  Anlage  in  ihrer  gesaramten  Aus- 
dehnung natürlich  schwer  ins  Gewicht  fällt.  Schon  hier,  in  dem  ersten 
und  wahrscheinlich  auch  der  Zeit  nach  frühesten  Abschnitt  des  Walles, 
begegnet  die   später,    besonders   am    unteren   Rhein  lauf   beobachtete 


20)  Siehe  bes.  dessen  genaue  BMchruibung  der  uoter  dem  Namen  dar 
TeofeUmauer  bekannlen  Landeamarkung  (aus  den  AbhaudluDgen  der  Müncbener 
Akademie)  1  Abtheil unitec  München  1821—38  4.  Yates  giebt  8.  lU  ff.  eine 
kurze  Uebersicht  über  die  Arbeiten  dieses  begeisterten,  wenn  auch  nicht  hin- 
l&Qglich  kritischen  Forschers. 


Der  römiaahe  Greazwall  io  Deutschland. 


95 


ErecheinuDg,  dass  nicht  eine,  sontlerii  zwei  und  sogar  mehrere  wesent- 
lich paralk'l  laufcode  oder  in  spitzeu  Winkeln  sich  schneideiKic  Linien 
des  Limes  erkennbar  sind.  Ob  hier  gleichzeitige  complicierte  Anlagen 
vorliegen  (auch  die  Linie  des  Hadnanswails  in  England  ist  in  ihrer 
ganzen  Ausdehnung  eine  doppelte)  oder  ob  ein  Vorschieben  oder 
Zurückrücken  der  Linie  in  verschiedenen  Zeiten  stattgefunden  hat, 
entzieht  sich  vorläufig  noch  durchaus  unserer  Beurtheihmg. 

Die  Befestigung  ist  auf  dieser  ersten  Strecke,  auf  welcher  sie 
bekanntlich  den  Naraen  der  Teufelsmauer  fuhrt,  soweit  erhalten  und 
auftindhar  gewesen,  dass  sie  danach  ziemlich  genau  in  die  Karten 
hat  eingetragen  werden  könuen.  Aber  genau  erforscht  und  syste- 
matisch aufgegraben  ist  noch  keines  der  gröfseren  Castellc,  welche 
südlich  von  Wall  und  Graben  gelegen,  wiederum  ebenso  wie  in 
England  und  Schottland  einen  integrierenden  Fiestandtheil  der  Be- 
festigungslinie  bilden,  so  wenig  wie  die  Warttbürme  und  Ausfall- 
thore.  Hierauf  aber  beruht  erst  der  wissenschaftliche  Gewinn  sol- 
cher Untereuchungeu:  aus  Zahl  und  Lage  der  Castellc  können  erst, 
wie  es  in  England  geschehen  ist,  ihre  Naraen  mit  Hülfe  der  Angaben 
in  den  Quollen,  wie  den  Listen  der  Garnisonen  in  den  sogenannten 
Militärdiplomen,  den  Rcichsitinerarien,  dem  der  sogenannten  Peutinger'- 
schen  Tafel  und  dem  antoninischeu ,  und  dem  Staatshandbuch ,  der 
notitia  digniiatum,  festgestellt  werden,  zumal  wenn  iuschriftliche  Funde 
die  gewonnenen  Resultate  bestätigen  und  ergänzen.  Nur  die  genaueste 
Beobachtung  der  Befestigungsanlagen,  der  Art  des  Mauerwerks  und 
der  sammtlichen  daselbst  gemachten  Funde  schafft  hier  die  nothwt'n- 
dige  Grundlage ;  meist  ist  nur  durch  Ausgrabungen  zu  der  erforder- 
lichen Sicherheit  zu  gelangen.  Mit  daukenswerthem  P^ntgegcukommen 
hat  die  bayerische  Regierung  auf  Ansuchen  der  Münchener  Akademie 
und  besonders  auf  Betrieb  ihres  Mitgliedes,  des  Professors  Wilhelm 
Christ,  seit  einer  Reihe  von  Jahren  einen  Münchener  Gelehrten,  den 
Gymnasiallehrer  Herrn  Friedrich  Ohlenschlagcr,  bei  der  topographi- 
schen Aufnahme  der  römischen  Ueberreste,  der  er  mit  Förderung  von 
Seiten  des  militärisch-topographischen  Bureaus  all  seine  Müsse  gewidmet 
hat,  und  der  damit  verbundenen  Ausarbeitung  einer  Karte  der  sogenannten 
prähistorischen  Funde  im  südlichen  Bayern  mit  einer  freilich  nur  sehr 
unbedeutenden   Summe   unterstützt.      Seine  Vorarbeiten  »^)*  sind  jetzt 

31}  Von  welchen  die  HerAuagabe  dreier  römischer  Intchriflon  aas  Pfiin», 
Denkm&ler  der  ersten  Cohorte  der  Brouci,  in  den  Bonner  Jahrb,  43  (1867) 
8.  147  ff.  eine  Probe  bietet. 


26 


Dor  röinisfhe  tirenKwall  iti  lAuitnohlund.' 


Würtom- 
berg 


(SO  siiirieb  er  mir  im  Aupiust  187ti)  soweit  geclieheu,  daas  alles  vor- 
liegende gedruckte  und  handschriftliche  iMaterial  am  gehörigen  Orte 
eingereiht  ist;  im  Herbst  1877  ist  das  Dreieck  Ulm-Augsburg-Donau- 
W('irth  nuch  einmal  genaiv  abgesucht  worden.  Heber  fünfhundert  topo- 
graphische Aufiialnnen,  alle  in  dem  gleichen  Maafsstabe  von  1  :  5<)0<\ 
machen  es  möglich,  die  einzelnen  lieresligungen  au  die  rechte  Stelle  zu 
setzen  und  so  ihren  früheren  Zweck  erkennen  zu  la^'sen.  Sechs  gröf}<ere 
Castclle  (statira)  ausser  Ilegensburg  (den  licgina  Castro)  und  Augsburg 
[AugmUi  Vinäelicum)  hat  Herr  Ohlenschlagcr  bis  jetzt  sicher  er- 
mittelt. Leider  konnte  keines  derselben  volli^tändig  aufgegraben  und 
ausgebeutet  werden;  nur  hier  und  da  haben  zufällige  Funde  von  Zie- 
geln der  Triiiipentheilc,  wie  z.  H.  in  Ilegensburg  selbst,  die  Unter- 
suchung gefördert ").  Herr  Ohlenschlager  hat  das  bescheidene 
tiefilhl,  dass  seine  Arbeit  den  Erwartungen,  welche  mau  von  ihr  hegt, 
nicht  ganz  entsprechen  wird;  allein  er  bemerkt  mit  Reclit,  dass  das 
mühevolle  Stichen  nach  Material,  welclies  sie  voraussetzt,  und  das  er 
theilweis  duich  zweckinäfsig  eingerichtete  und  in  jenen  Gegenden  ver^ 
breitete  Fragebogen  zu  erlangen  gewiisst  hat,  die  Kräfte  eines  einzelnen 
Mannes  fast  (Ibersteigt,  und  vor  allem,  dass  ihm  die  Mittel  gefehlt 
haben,  an  den  wichtigsten  Punkten  die  Arbeit  des  Sammeins  von  Nach- 
richten und  des  Anschauens  der  meist  unbedeutenden  erhaltenen  Reste 
durch  Spaten  und  Schaulel  zu  ergänzen.  Immeihin  aber  wird  das 
von  ihm  Gebotene  unzweifelhaft  alle  bisherigen  Arbeiten  über  den  be- 
zeichneten Tenainabschoitt  des  (.irenzwalls  weit  hinter  sich  lassen 
und  in  seinen  Resultaten  auch  l\ir  die  übrigen  Abschnitte  der  Anlage 
rnafsgebcnd  sein. 

IL 
Der  zweite  grö listen  Theils  würtembergische  Abschnitt  be- 
ginnt, wie  gesagt,  ungefähr  mit  jenem  fast  rechten  Winkel,  welchen 
der  Wall  an  der  Grenze  der  rätischen  und  germanischen  Provinz 
bildet.  Dicfs  ist  die  Strecke,  welche  nach  dem  bekannten  Zcugniss  des 
Ammianus  Marcellious  (XVIII  U,  15)  bereits  im  vierten  Jahrüundert 
als  regio  cui  CapcUalii  vel  Palas  nornen  est  bezeichnet  wird ;  Namen, 
über  die  viel  gestritten  worden  ist,  deren  Zusammenhang  aber  mit  dem 
noch  heute  üblichen  des  Pfahlgrabens,  der  schon  in  einem  Weistlumi 

23)  lieber  die  Ausgrabungren  in  Regeaaburg,  welche  das  Ostthor  des  Castellg 
und  eine  daraiit*  besügliche  Inschrift  des  Kaisers  M.  Aurelius  eti  Tage  gebracht 
haben,  berichtet  Ohlenschlager  in  den  Sitzangsborkbten  der  Mttnchener 
Akademie  vo«  1874  phil.  bist.  CK  3  S.  218  ff. 


Der  rAmisolie  Grenzwali  in  Deutschland. 


» 


des  Jahres  812  als  Phal  vorkoinnit,  wohl  feststeht.  Auch  für  Würtem- 
berg  liegfn  mancherlei  sor^fültige  Voruiliteitcn,  besonders  von  Christian 
Krnst  Hanssei  mann -•■'),  Julius  Leichtlen"),  Fiiedr.  von  Stalin**), 
J.  A.  Huchncr")  und  Kduanl  Paulus"),  vor.  Der  eben  verstorbene 
Paulus  der  Vater,  der  Verfasser  der  vuitreftlichen  archäoloRischen  Karte 
von  Würtoniherg,  war  es.  dor  im  Jahri'  li^<U  den  grön^teii  Tliril  dieses 
Abschuittfs,  eine  Strecke  von  etwa  vierzehn  geographischen  Meilen,  von 
der  nördlichen  Hohe  des  Remsthales  bei  Welzheim  bis  zum  Main  bei  Freu- 
denberf»  im  Spesshardt  zu  Fiifs  beging  und  danach  ihre  fast  schnurgerade 
Richtung  von  Süd  nach  Nord,  mit  geringer  Abweichung  nach  Nordwest, 
ohne  Winkel  und  Bogen  streng  eingehalten,  über  Berg  und  Thnl.  durch 
Wiese  und  Wald,  behauptete.  Diese  Annahme  stiess  auf  mannigfaltigen 
W^idei-spruch;  aber  sie  hnt  sich  bei  erneuter  Untersuchung  glänzend  be- 
stätigt. Es  ist  den  Bemühungen  des  Professor  Herzog  in  Tübingen 
gelungen,  besondei-s  naclulem  er  auf  der  Philolugenversanimlung  in 
Tübingen  im  Jalire  1876  einen  darauf  bezüglichen  Vortrag  gehatten 
hatte**),  die  dortigen  Staatsbehörden  zur  KewilHgung  der  erforder- 
lichen Mittel  für  eine  vollstäntiige  topugrnphische  Auhiahrne  des  in 
würtembergisches  Gebiet  fallenden  Theiles  des  Grenzwalls  zu  veran- 
lassen. Am  22.  August  des  Juliros  1877  ist  in  Stuttgart  eine  Coni- 
mission  zusammengetreten  unter  Leitung  der  Directoreu  von  Silcher 
und  von  Riecke  aus  dem  Finanz-  und  dem  Cultusministerium.  Sie 
bestand  aus  den  beiden  Paulus,  Vater  und  Sohn,  dem  Major  Finck 
von  der  kartographischen  Abtheilung  des  würtembergischen  statistisch- 
topographischen  Bureaus,    dem  Professor  Hartmann    von  demselben 


23)  Deasen  eiwu  zopfige  Bcbrifteo  mit  ihrem  umsläadlicbua  Titel  'Beweifs 
wie  weit  der  Komer  Macht  ti.  s.  w.  auch  in  die  nunmehrige  Ost-Fränkische, 
sonderlich  Hohenlobische  Laude  eingedrungen  u.  a.  w.'  Schwäbisch  Hall  1768 
mit  der  Fortsetzung  eheudaa.  177S  kl.  fol.  noch  immer  nicht  gane  yeralttit  sind. 

24)  In  den  Abhandlungen 'über  die  römischen  Altertbümer  in  dem  Zehend- 
luide  u.  8.  w."  und  'Schwaben  unter  den  Römern'  F'reiburg  i.  B.  1818  u.  1625  8. 

25)  Im  ersten  Bande  seiner  bekannten  wirtembergischen  Geschicble  Stutl- 
gmrt  1841  6. 

26)  J.  Andreas  Büchner'«  lleiee  auf  der  Tenfelsmauer  Regensburg  I  — III 
1818—1831  8.,  dessen  Arbeit  sich  jedoch  gröfstentheils  auf  die  bayerische  Strecke 
besieht.  Ilini,  sowie  J.  D.  G.  tod  Memminger's  Beschreibung  von  Wnrtemberg 
3.  Ausg.  Stuttgart  1843  8.  S.  5  ff.  ist  Yatea  S.  120  ff.  besonders  gefolgt. 

27)  Besonders  in  der  Schrift  'der  römische  Grenzwall'  ßimes  transrhenamu) 
vom  Hobenstaufep  bis  zum  Main  Stuttgart  1863  8.  mit  Karte. 

28)  Bonner  Jahrb.  59  (1876)  S.  48  ff. 


38 


Der  römische  Grenswall  iu  DcutBchknd. 


Bureftu,  der  in  den  Ortsurkunden  Bescheid  weiss,  und  Prof.  Herzog; 
dem  Major  Finck  hat  Oberst  vüu  Co  hausen  auf  die  Bitte  der  Com- 
mission  besondere  Mittlieilungcn  aus  seinen  Erfahrungen  zur  Ver- 
fügung gestellt.  Sie  hat  den  ihr  von  Prof.  Herzog  vorgelegten  Plan 
der  Arbeit  angenommen.  Im  September  ist  der  gröffeere  Theil  der  ersten 
Strecke,  die  südnördliche  Linie  von  Lorcli  im  Remsthal  (südlich  von 
Welzheim)  bis  zur  badischen  Grenze  bei  Jagsthausen,  von  der  Coni- 
raission  begangen,  vermessen  und  in  die  Flurkarten  im  Maafsstab  von 
1:2500  eingetragen  worden.  Im  September  1878  soll  das  Gleiche  für 
die  Strecke  von  Lorch  bis  zur  bayerischen  Grenze  bei  Thannhausen 
geschehen.  In  einer  Breite  bis  theilweis  zu  zwanzig  Metern  ist  auf 
diese  Weise  zunächst  das  Terrain  der  Befestigungslinie  selbst  und  das 
der  filnf  gröfseren  Casfelle  auf  dieser  Strecke  festgestellt  worden,  Mit 
Benutzung  aller  erreichbaren  Daten  aus  Flurbüchern  und  anderen  Ur- 
kunden (der  Grenzwall  bildet,  wie  einst  zwischen  Alamanneo  und  Bur- 
gundern ,  so  noch  heutiges  Tages  nicht  selten  die  Grenze  der  Ge- 
markungen), aus  der  Erinnerung  alter  Leute  und  jeder  Art  von  Auf- 
zeichnung soll  dann  eine  topographische  Veröffentlichung  mit  Terrain- 
bild im  Maafsstab  von  1  :  TiOOnO  erfolgen  nach  vorhergehenden  Aus- 
grabungen, wo  immer  sie  nöthig  und  möglich  scheinen.  Herr  Herzog 
hat  über  diese  Arbeiten  im  würtem bergischen  Staatsanzeiger"*)  und 
in  Briefen  an  mich  berichtet.  So  scheint  also  dort  für  eine  sachgem&fse 
Lösung  iler  Aufgabe  ebenfalls  ein  guter  Grund  gelegt  zu  sein.  Eines 
der  auf  dieser  Strecke  liegenden  Castelle,  der  alte  vicus  Aurelii,  das 
heutige  Oehringen,  ist  bekanntlich  von  0.  Keller  in  einer  besonderen 
Monographie  behandelt  worden*"),  der  einzigen  fast,  welche  bisher  einem 
Liraescastell  gewidmet  worden  ist.    Für  die  Aufhellung  der  Geschichte 


29)  Vom  7   Oktober  1877  No.  232  S.  1683. 

80)  0.  Keiler  Viotis  Aurelii  uder  Oehringen  eur  Zeit  der  Römer,  mit 
1  Karte,  2  Plänen.  2  Phnlotypiecn,  52  Lilhographieen  und  einigen  Holzschnitten 
(WinckelmannBprogramra  des  Bonner  Vereins)  Bonn  1871  4.  Sie  ist,  aiifHer  von 
Anderen,  besonders  Buaführlioh  hnsprochen  worden  von  Hrrrn  Carl  Christ  in 
Heidelberg  in  dem  Aufsatz,  'zur  Geschichte  des  römischen  Dekumatenlandes, 
bauptMohlich  der  Gegenden  dos  heutigen  wirtembergisohen  Frankpos  zur  Romer- 
zeit"  in  den  Heidelberger  Jahrbüchern  1872  8.  562—677,  worin  ein  eigener  Ab- 
schnitt den  rheinischen  Grenzwall  bebandelt  |S.  567 (T.).  Christ  berichtet  dabei 
zugleich  über  F.  Haug's  römische  Inschriften  in  Wirtembergisch  Franken  (Hetl- 
bronn  1670  and  1871,  bus  der  Zeitschrift  'Wirtembergisch  Franken  Bd.  8  S.  331  ff. 
und  Bd.  9  S.  148). 


Der  römische  Grenzwall  in  Deutscbland. 


29 


des  allmälichen  Vordringens  der  römischen  Besatzungen  von  der  zuerst 
befestigten  Rlieinliuie  zwischen  dem  Bodensee,  E-5ftsel  und  Mainz,  sind 
neuerdings  durch  schweizerische  Forscher  werthvolte  Beiträge  geliefert 
worden  ")y  Die  Geschichte  dieses  das  Dtjcuniateuland  umgebenden 
Theiles  des  Limes  hängt  mit  der  Erforschung  der  von  jenen  Castellen 
am  Rhein  ausgehenden  Strafsen  natürlich  auf  das  Engste  zusammen**). 
Für  die  kurze  Strecke  auf  badischem  Gebiete,  welches  der  Wall 
ungefähr  von  Jagsthausen  in  Wüitemberg  an  in  iler  Richtung  von 
Osterburken  (Lopodunum)  und  Walldürn  am  Odenwald  hin  bis  nach 
Freudenberg  in  Bayern  schneidet,  ist,  soviel  ich  weiss,  noch  keine  neue 
Aufnahme  desselben  erfolgt  oder  in  Aussicht.  Die  Strecke  ist  neuer- 
dings besonders  in  den*  Buch  des  Staatsraths  von  Becker'^)  be- 
schrieben worden.  Nützliche  Beiträge  zur  Kenntniss  der  römischen 
Niederlassungen  und  Strafsen  snwie  der  Limesstrecke  hat  seit  einigen 
Jahren  C.  Christ  geliefert**).  Die  im  Herbst  1876  zu  Wiesbaden  tagende 
Versammlung  der  deutschen  Alterthumsvereine  hat  an  die  Regierungen 
von  Baden  und  Hessen  rlie  Bitte  gerichtet,  es  möchten  die  hinter  dem 
Limes  liegenfien  römischen  Befestigungen  im  Odenwald,  die  sogenannte 
Mümlingalinie  "J,  neu  untersucht  werden,  und  zwar  unter  der  Leitung 


Baden 


91)  Ich  meine  z.  B.  dio  Ahbandliing  von  Charles  Morel  über  'Castell  und 
Yicaa  T&scactium  in  Rätien'  in  dun  commentationes  Mommaenianae  ^Berlin  1877  8.) 
8.  153  if. 

82)  In  der  Schrift  von  A.  Pauly  über  den  Strafsenzug  der  tabula  Peu- 
tingeraua  von  Vindoniaaa  nach  Sumlacenis  und  von  da  nach  Regiuo  (Stuttgart 
1836  8..I  ist  dieser  Gedanke  richtig  zu  Grunde  guiegt  worden. 

33)  K.  von  Becker  Geschichte  des  hadiachen  Landes  zur  Zeit  der  Eümer 
I.Heft  Karlsruhe  1876  (69  S.  8.^ ohne  Karte);  dazu  F.  Hawg  Bonner  Jahrb.  68 
(I876J  S.  195  ff. 

34)  In  diesen  Jahrbüchern  &2  (1872)  S.  62  iT.  'datierbare  Inschriften  aus 
dem  Odeuwalde'  (fortgesetzt  ebendas.  62,  1878  S.  51  ff.)  und  in  einem  sehr  oin- 
gehendeu  Aufsatz  'zur  älteren  Gencbichte  des  untern  Neckarthals,  besonders  von 
Wimpfou'  in  den  Heidelberger  JaLibücheiii  1872  S.  241  — 3<M,  worin  über  Frohn- 
bäuscr's  Gi'schichte  der  Iteichastadt  Wimpfeii  (Darmxtudt  1870  8.)  und  eine 
ansfölirliche  Besprechung  dieses  Werkes  durch  11.  Bauer  im  IX.  Bd.  von  '  Wir- 
tembergi  seh  Pranken,  sowie  über  A.  von  Lorent's  Schrift 'Wimpfea  am  Neckar, 
geschichtlich  und  topographisch  dargestellt'  (Stuttgart  1870  8.1'  berichtet  wird. 

35J  Eine  augenscbeintich  wenig  genaue  Aufnahme  findet  sich  in  dem  Buch 
ron  J.  F.  Knapp  römische  Denkmale  des  Odenwalds  u.  s.w.  Heidelberg  1813  8. 
[2.  Aufl.  mit  Zusätzen  von  U.E.  Scriba  Darmstadt  1854  6.{.  Knapp,,  sowie  den 
•jÄteten  Arbeiten  von  Fr.  Creuver  («eit  1820,  stehe  diesaea  deutsche  Suhriften 


30 


Der  römische  Gronzwall  in  Deutachland. 


des  Obersten  vou  Cohausün;  es*  wäre  hier  hesonders  wichtig  aus 
der  Art  der  Anlaj^ieu  selbst  lestzustellen,  ob  sie  älter  nls  die  weiter 
westlich  gehende  Limeslinie  sind  oder  jünger-  Die  Luoeslinie  selbst 
wurde  dabei  zunächst  nicht  in  Aussiclit  genommen.  Die  .beideu  He- 
gierungen  haben  in  der  That  zu  diesem  Zwecke  die  Summe  von  zu- 
sammen 900 Mark  bewilligt;  auch  sind  Fragcbogeu  auaii^esendet  worden. 
OberiStudienroth  Wagner,  der  I.andesconservator  der  badischen  Alter- 
thümer,  nimmt  sich  dem  Vernehmen  nach  der  Sache  eifrig  au;  es 
sollte  im  Lauf  des  September  v.  .T.  eine  ISegehung  der  bezeichneten 
Linie  stattfinden.  An  die  auf  batlischem  boden  erhaltenen  oder  voraus- 
gesetzten lieste  der  römischen  Zeit  knüpft  sich  bukiinntlicli  viel  Streit. 
An  die  Stelle  der  übertreibenden  und  kritiklosen  Ueberschätzung  aller 
in  Namen  und  Ueberlieferungen,  in  der  oft  zufälligen  H(»denbeschaffen- 
heit  und  in  den  uni)edcutendsten  Funden  liegenden  Zeugnisse  durch 
F.  Mone  i.st  jetzt  kühle  Negation  und  nüciiterner  Zweifel  getreten'"). 
Die  zusammenhiingende  Erforschung  des  Strafseunetzes  und  der  Limes- 
linien wird   hier  allein    den  richtigen  Mittelweg   zu  zeigen   vermögen. 

In  der  Nähe  des  Odenwaldes  mnss  z.  B.  das  unter  Traian  an- 
gelegte Castell  gelegen  haben,  dessen  Ammianus  Marcellinus  in  der 
Schilderung  vun  Julians  Feldzug  gegen  die  Alamannen  erwähnt"''); 
vielleicht  gelingt  es  auf  dem  angezeigten  Wege  seine  Lage  zu  ermitteln. 

Das  neueste  Heft  die.ser  Jahrbücher  bringt  unerwartete  weitere 
Beiträge  zur  Keuntniss  der  römischen  Niederlassungen  im  OdenwahP"*). 
Die  MuralingsÜMic,  oder  die  Linie  tibernburg-Mudau,  stellt  sich  hier- 
nach immer  deutlicher  als  eine  Reihe  einzelner  Castelle  heraus,  welche 


n>  2  DarraBtadt  uni!  Leipzig  18-16  8.  S.  371  ff.)  und  J.  W.  Chr.  Stoiner  (üe- 
Rchichte  imJ  Topographie  iles  Maiiigebieta  uud  S{>ea8arts  unter  den  Römern, 
Darmstadt  1834  8.  und  deaatilbou  das  System  der  römincheu  Wehren  ia  An- 
wendung auf  das  alte  Neckargobiet  in  der  Bergstrarse,  Scligensladt  185Ö  8.|  hat 
Yates  S.  123  ff.  seine  Schildorung  dieser  Strecke  des  Walls  entnommen. 

30)  Man  vergleicho  dazu  W.  Hrambach  Iladeu  nuter  lömiachrr  Herr- 
schaft Freiburg  i.  Br.  1807  (31  S.)  i.  mit  einer  lilhogr.  Tafel,  bos.  S.  lö. 

37)  XVll  1,  11  munintmtum  qttod  in  Alamantutnnn  nolo  cotulüum  Traianu» 
suo  nojninc  voluü  apptUari,     Kb  hiesa  also  vielleicht  casUllum   Ulpium, 

3Bj  Des  Pfarrers  Heeger  in  Seokmaucrn  i.  Ü.  interessante  Miltheilungen 
über  die  römiacheu  Bofüstigungen  im  Odenwald'  in  diesen  Jahrb.  62  (I8TB) 
S.  ;^3— 43  und  die  darau  ^i-knüplten  Benn^rkungoa  von  C.  Christ  'über  die 
Liniesfrage  und  die  rümischeu  Altcrtbümtir  aus  Obernburg  uni  Main  ebeudtu. 
8.  42—60. 


Dor  römiBcbe  Grenzwall  in  Deittschland. 


31 


~mM\  durch  eine  Stiafi^e,  nicht  aber  durch  /usamtiu'nhiingcnde  Wall- 
anlajiun  miteinander  verbunden  waren.  Wenigstens  scheint  bisher  eine 
solche  zuaamnienhäugende  Wallanlage  noch  nicht  nachgewiesen  zn 
sein,  üeber  Form  und  Alter  der  Caslello  ist  aus  den  bisherigen 
Angaben  noch  kein  sicherer  Schluss  zu  ziehen.  Dass  die  bisher  in 
ihnen,  /.  B.  in  Obernburg  ■''•'},  gefundenen  Inschriften,  wie  es  scheint, 
nicht  ilber  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  hinaufgehen,  verbietet 
keineswegs,  die  Anlage  der  t'astelle  in  weit  ältere  Zeit  zu  setzen; 
sowenig  wie  das  mit  dem  letzten  Viertel  des  dritten  Jahrhunders  überall 
fast  ganz  gleichmäfsig  eintretende  Aufliören  in.sclniftlicher  Zeugnisse 
ohne  Weiteres  das  Aufhüren  der  riimischen  Occupation  beweist.   ' 

III. 
Hier  beginnt  ein  neuer,  lUr  dritte  Abschnitt  des  Grenzwalls. 
welcher  nun  statt  der  südnördlichen  eine  wesentlich  weatliübe  Uielitung 
einschlägt,  zum  Theil  sogar  nach  Siideu  elubiegt.  Am  südlichen  Ab- 
hang des  Vogelsbergs  zwischen  diesem  und  dem  Taunus  hin,  am  nörd- 
lichen Abhang  des  grofsen  Feldliergs,  zieht  sich  die  Linie  zur  Lahn, 
welche  bis  zu  ihrer  Mündung  iu  den  lUiein  als  die  nürdliche  (irenze 
der  ol)eren  germanischen  Pruviuz  gilt.  Von  Freudenberg  östlich  von 
Miltenberg  bis  etwa  nördlich  von  Aschnffenburg  scheint  der  Wall  auf 
der  Wasserscheide  des  Spesshardt,  wenig  östlich  vom  Lauf  des  Mains, 
und  weiter  ungeliihr  bis  Wirtlieini  an  der  Kiuzig,  östlich  von  Celn- 
hausen,  in  einer  Ausdehnung  von  etwa  sieben  bis  acht  Meilen  zu  laufen. 
Dieser  Theil  d<'s  Walls,  die  nächste  Fort.setziing  der  würienibergischen 
Linie  auf  hessen-nassauischem  Gebiet,  früher  von  Philip])  Dieffen- 
bach*")  und  Karl  Arnd*')  untersucht,  ist  erst  neuerdiugs  zum  Theil 
etwas  gründlicher  erforscht  worden").     In  Miltenberg,    in   der  Nähe 


Hesscii- 
Nnasau 


39)  Hofrath  Kitlel's  Gescbichto  der  Sladt  Obornluirg  (Obernburg:  1877  8.), 
auf  welohe  sieb  Christ  befiehl,  [&<;;  rnir  nncli  niriit  vor. 

40)  Pb.  Dicffenbacb  über  AUerilmmcr  in  und  um  Friedberg  Gieaacn 
1829  8.,  Urgesobicbie  der  Wetterau,  Aruhiv  für  hessische  Geschichle  und  Laudus- 
kuuiio  4.  1845  S.  1   tu. 

41)  K.  Arud  der  Ffahli^raben  nacb  den  neuesten  F^orschungun  und  Eut- 
deckuugou  u.  s.  w.  2.  Ausgabe  Frankfurt  a.  M.  1801  8.  Vgl.  auuh  Fh.  A.  F. 
Walther  die  Altertbümer  der  hoidniscben  Vorzeit  innorhslb  dua  Grursbürzog- 
thuma  Häsacu  Uairostadt  16G9  8. 

42)  Vgl.  [A.  Duncker  u.  R.  Sucbier]dft<i  Rümorcastell  (0  utid  das  Todten- 
feld  in  der  Kinziguiederung  bi^i  Eückiu^cn,  bcrausgeg.  vom  hanauiscben  Bezirks- 


32 


Der  römische  Grenz'wall  in  Deutschland. 


Rosaera 
Werk 


des  Mudbaches  und  des  Mains,  sind  vor  drei  Jahren  die  Reste  eines 
bisher  unbekanuten  Castells  bei  Gelegenbeil  von  Eisenbabnbauten  zum 
Vorschein  gekommen,  dessen  innere  Fläche  auf  10  bis  12000  Quadrat- 
meter berechnet  worden  ist.  Die  daselbst  gefundenen  epigraphischen 
Denkmäler,  wie  die  fast  alter  Castclle  am  Limes  von  Soldaten  der  achten 
Legion  oder  der  vierten  Cohorte  der  Vindeliker  herrrllirend,  sind  soeben 
von  L.  Urlichs  in  Würzburg  verötfentficlit  worden*»). 

Der  erste  Theil  dieses  Abschnittes  der  Grenzbefestigung,  die  etwa 
sechs  Meilen  lauge  Strecke  von  der  Kinzig  bis  zur  Wetterau,  harrt  eben- 
falls noch  einer  auf  Grund  allef  bisherigen  Vorarbeiten  **)  auszu- 
führenden genauen  Aufnahme  und  Feststellung.  Erst  vom  Thale  der 
Usa  au,  gegenüber  von  dein  hessischen  Dorfe  Langenhain.  unweit  der 
früher  nassauischcu  jetzt  preussischen  Grenze,  beginnt  die  Strecke  des 
Limes,  welche  sich  wie  bekannt  im  Ganzen  parallel  zur  'Höhe'  (oder 
dem  Taunus)  und  in  ungefähr  gleichem  Abstand  von  demselben  gegen 
Norden  in  der  Richtung  von  Ost  nach  West  zieht.  Auf  diese  Strecke, 
weil  sie  zunächst  dem  Hauptquartier  des  obergermanischen  Heers  im 
erslen  Jahrhundert ,  nämlich  Mainz,  liegt,  bezieht  man  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  die  älteste  Nachricht  über  den  Limes,  welche  wir 
Oberhaupt  besitzen,  nämlich  die  des  Frontinus,  der  den  Kaiser  Domitiao, 
welcher  bekanntlich  den  Beinamen  Germanicus  führte,  als  den  Urheber 
desselben  nennt  *^);  auch  die  bekannten  Worte  desTacitus")  stimmen 


verein  für  hesB.  ße«ch.  und  Landeskunde  (Miltheiilungen  Heft  4)  mit  6  Tafeln 
Hanau  1873  8.   Dazu  J.  Freudenberp  Bonner  Jährt.  65/6  (1875)  S.  195  ff. 

43)  Bonner  Jahrbücher  60  (1877)  S.  60  ff.  Dazu  jetzt  W.  Conradi  die 
römiichen  Inschriften  der  'Altstadt'  bei  Miltenberg  in  den  Annalen  des  Vereins  für 
na«sauische  Alterthumskundc  und  Gpschichtsforschung  6  (1877|  S.  341 — 405. 

44>  Welche  in  deu  vorhergehe udcii  Anmerkungen  angeführt  sind.  Yatea 
rühmte  (S.  124)  Dieffeobacb  folgend  don  Fürsten  von  Solma-ßrauufels  zu  Oam- 
bach  bei  Hiingen  als  einen  der  wenigen  grofsen  Gnindbesitzer,  welche  sich  die 
Erhaltung  der  Reste  des  Walls  auf  ihren  Besitzungen  angelegen  sein  lassen. 

45)  Frontinus  strateg.  I  3,  10  imperator  Caesar  Domitiant4S  Auguatua,  cum 
Oermani  more  auo  e  aaUilms  et  ohscwis  UUebrii  subiwie  impugnarent  nostroa 
iutumque  regreasum  in  profunda  siharum  haberent,  limitibus  per  CXX  m.  p. 
actis  non  mutavit  Tantum  atatum  belli,  sed  et  subiecit  diciom  suae  hoates,  qnorvm 
refugia  ntulaterat.  Richtig  verwertbet  hat  die  Nachricht  Stalin  wirteraberg. 
Geschichte  1  (1841)  S.  13f.  Vgl.  auch  Brambach  Baden  unter  römischer  Herr- 
schaft S,  5.  Auch  das  interessante  Fragment  eines  in  Rom  gefundenen  Epi- 
gramm« (C.  I.  L.  Vi  1207;  bezieht  sich  wohl  auf  Domilians  germanische  Siege. 

46)  Qermania  29  von  den  Mattiaci:    protulit  enim  magnitudo  populi  Ro- 


Der  römische  GrenrwRll  in  DeutsohlanfJ. 


BS 


damit  tiberein,  üeber  diese  Strecke  ist  bis  jetzt  die  vollständigste 
Untersuchung  gefilhrt  worden.  Sie  liegt,  seit  kurzem  vor  in  dein  Werk 
des  im  Jahr  1876  verstorbenen  Archivars  Dr.  Rössel  von  Wies- 
baden *').  Mit  treuester  Benutzung  der  Arbeiten  aller  seiner  Vorgänger 
und  der  in  mittelalterlichen  Urkunden  vom  neunten  Jahrhundert  an 
bewahrten  Angaben  hat  derselbe  zwei  Decennien  darauf  verwendet, 
den  Theil  des  römischen  Walls  von  dem  angegebenen  Punkte  an  der 
hessen- nassauischen  Grenze  bis  zum  Thal  der  in  die  Ems  sich  er- 
giessenden  Aare  (oder  Arde,  wie  er  sie  nach  urkundlichen  Quellen 
nennt)  unweit  Langenschwalbach ,  also  eine  Strecke  von  ungefähr 
6\U  Meilen,  über  die  Höhen  des  Taunus  hin  in  wiederholten  Wan- 
derungen zu  begehen  und  mit  Hufe  verschiedener  Techniker  topo- 
graphisch genau  aufzunehmen.  Vier  Karten,  im  Maafsstab  theils  von 
1:50(KX),  theils  von  1  :25ÜO0*'*),  eine  Reihe  von  Bituationsplänen  und 
eine  Tafel  mit  inschriftlichen  und  anderen  Alterthilmern  aus  einem 
der  r<5mischen  Castelle,  sind  beigegeben.  Besonders  werthvoll  und  lehr- 
reich sind  die  (ausser  kleinen  Situationsplänen)  in  grofser  Zahl  dem 
Text  eingefügten  Holzschnitte  mit  Profitaufnahraen  des  Walles  und 
Grabens.  Vier  gröfsere  Castelle,  darunter  eines  der  gröfsten  und  best- 
erhallenen  von  den  bisher  längs  der  Linie  des  Walls  gefundenen,  die 
bekannte  Saalburg  bei  Homburg,  fallen  in  diese  Strecke,  Als  metho- 
disch  geschulter  Archivar  hat  der  Verfasser  auch   nicht    unterlassen 


mani  ultra  Rhenum  ultraque  veter ea  terminos  imperii  reverentiam. 
Tacitua  netrX  absichtlich  statt  des  Naraens  des  Kaisars  die  anbestimmte  Bezeich- 
nung der  GröfBe  Rom«. 

47)  Die  römische  Qrenzwehr  itn  Tauimi  von  Dr.  Carl  Rössel,  mit  64  in 
den  Text  eingedrucitten  Holzschnitten  und  X  lithoKTapbirteu  Tafelu,  Wiesbaden 
1876  (VI  129  S.)  gr.  Ö.  Das  Bach  exialiert  auch,  nur  ohne  einige  der  Tafeln, 
mit  dem  Titel  Strafsburg  1872  j  die  Vorrede  ist  aus  Strafeburg  vom  1.  Mai  jenea 
Jahres,  dem  Tag  der  Eruß'nitng  der  Reichsuniversität,  datiert;  acht  Tage  nachdem 
der  letzte  Druckbogen  von  ihm  corrigiert  worden,  starb  der  Verfasser. 

48)  Dieselbon  sind  erst  nach  des  Verf.  Tod  fertig  gestellt  geworden.  Daraus 
erklirt  sich  wohl,  daaa  auf  Tafel  I,  VII  und  X  der  Manfsstab  gar  nicht  ange- 
geben ist.  Doch  hat  Tafi&l  I  augeuscheinlich  den  von  Taf.  IX,  deren  Fortsetzung 
•ie  ist,  nämlich  von  1:50000.  Taf.  X  scheint  den  Maafsstab  von  Taf.  Y, 
1:25000,  zuhaben.  Bei  deo  übrigen  SituatioDsplänen  ainddie  sehr  verschiedenen 
MaaTtiBt&be  angegeben.  Nicht  alle  Details  Her  Situntionspläne  sind  in  die  Karten 
eingetragen;  auch  das  würde  der  Verfasser  sicher,  wäre  ea  ihm  vergönnt  gewesen, 
mit  der  ihm  eigenen  Sorgfalt  durchgeführt  haben.  Ein  kleines  Versehen  ist 
auch,  daüs  der  Holzschnitt  Fig.  41,  verglichen  mit  Taf.  VI,  verkehrt  herum  steht. 

3 


84 


Der  römMdw  Oranxwill  in  DeuUchlmnd. 


Die 

Ssalburg 


die  Weisthümer  des  Pfahls  zu  durchforschen:  sie  bilden,  zehn  an  der 
Zahl  (Urkunden  und  Regesien),  von  S12  bis  1725  sich  erstreckend, 
den  Schluss  des  Bachs. 

Der  Verfasser  theilt  seine  Wanderung  über  diese  Strecke  des 
Limes  in  zwei  grö&ere  Abschnitte,  deren  jeder  wiederum  in  kleinere 
Unterabschnitte  zerfallt  Der  erste  Abschnitt  umfasst  das  Gebiet 
zwischen  den  Flüssen  üsa  und  Ems,  der  erste  Unterabschnitt  die 
Strecke  bis  zur  Saalburg  (deren  Castelle  Kaisergrube,  Ockstadt  —  ein 
rundes  Castell  —  und  Capersburg  noch  der  Klarstellung  durch  Aus- 
grabung harren),  der  zweite  die  Schilderung  der  Saalburg  selbst  und 
ihrer  Umgebungen.  Dieses  bedeutendste  der  genauer  bekannten  römi- 
schen Castelle  am  Limes  zwischen  Donau  und  Lahn  —  der  Verf.  be- 
rechnet seinen  Umfang  auf  720  zu  480  römische  Fufs,  die  Breite  und 
Tiefe  der  beiden  es  umgebenden  Gräben  auf  rund  27  zu  9  und  24  zu 
8  Fufs  —  wird,  wie  bekannt,  nicht  ohne  einige  Wahrscheinlichkeit 
für  das  schon  von  Dnisus  in  dem  FeUlzug  gegen  die  Chatten  im  J.  10 
V.  Chr.  angelegte  Castell  im  Taunus  gehalten  **),  welches  wahrschein- 
lich etwa  zwanzig  Jahre  später  nach  der  Varusschlacht  im  J.  9  n.  Chr. 
zerstört  und  sechs  Jahre  später  (im  Jahre  15)  durch  Germanicus  des 
Drusus  Sohu  wieder  hergestellt  worden  ist***).  Auch  in  den  späteren 
FeldzQgen  gegen  die  Chatten,  wie  in  dem  des  Feldherrn  und  Dichters 
P.  Pomponius  Secundus  vom  Jahre  50,  scheint  seine  Existenz  voraus- 
gesetzt zu  sein  *^).  Dass  sogar  sein  antiker  Name  erhalten  sei  ist 
mindestens  zweifelbait:  denn  die  Vermuthung,  es  sei  gemeint  unter 


49)  Nach  deu  freilich  sohr  kurxeo  und  vieldeutigea  Notizen  bei  IMo  LIV  33 
liaif  rov  Jgovaov . .  txti  tf  g  o  rt  ^tovnlng  xa\  6  'EUaoiy  avft^fyyvmu  ipQQv^öv  tt 
atfiHiiv  tnitn^iaai  xui  liiigov  tv  Xtiiton  /t»q  mit^  ti^  '/>i}vy  und  3C  ü 
^1(fovau(  TiT  lU^y  (n&tnlich  vom  Gebiet  der  Chatten)  txaxuiaf.  rä  ü  tx^i^itjaoTo. 

50)  Tacitus  ann.  I  56  igitur  Oermattiewi  quattuor  Ugiones  qttinque  auxiliaritim 
müia  tt  tunntiluariae  catffvas  GermaHorum  eis  Rhenum  colentivm  Caecinat  traiUt; 
totiiifm  legiones  dupUcem  sociorum  numtrum  ip$e  üucit  positoqu«  eaatrllo 
super  vestigia  paterni  praeaidii  (woran  nichta  zu  ändern  ist!  in  tnontc 
Tauno  expeditum  exereitum  in  Chattoa  rapit,  L.  Äpronio  ad  munitüme»  viotum 
et  ftuminum  relicto. 

51)  Die  von  ihm  autfresendeten  Truppen,  Yangionen  und  Nemeter,  k«hrea 
«iegreioh  zurück  ad  montan  Tamium.  itbi PotryMnius  cumlegionibu»  opperi^tatitr,  n 
Vhatti  cupiditir  ulcixcendt  casiini  pugnae  pratberatt  (Tacitus  ann.  XII  28 J.  Doch  wer- 
den die  Legionen  nicht  blofs  in  der  Saalburg,  sondern  auch  in  den  übrigen  Castellen 
der  Gegend  oder  in  eigena  aufgeschlagenen  Lagern  dislociert  gewesen  sein. 


Her  römiicbe  Grenewall  in  DeuUchland. 


36 


dem  von  Ptolemaeos  (H  11,  29)  unter  den  germanischen  Städten  zwi- 
schen Maitiaxöv  (Castel  oder  Wiesbaden)  und  Noialmor  (Neuss)  er- 
wähnte "AQTctvyov  stützt  sich  Dur  auf  den  Zusammenhang  des  Namens 
mit  dem  des  Berg  Taunus.  Vom  Casteilum  Matttacum,  dem  Brückenkopf 
Castel,  Mainz  gegenflber,  führte  eine  schnurgerade  römische  Strafse 
an  die  Nied,  bei  welcher  die  Reste  einer  antiken  Brücke  sichtbar 
sein  (oder  gewesen  sein)  sollen  und  über  Heddernheim,  den  Novus 
Vicus,  Nieder  Ursel  und  Bouiiiiersbeim  vorbei  zur  Saalburg.  Es  ist 
ein  besonderes  Verdienst  des  Rosserschen  Buchs^  daas  es  uns  die  erste 
genauere  topographische  Aufnahme  des  Castells  bietet.  Die  jüngst 
zur  Begrüfsung  der  vorjährigen  Philologen  Versammlung  erschienenen 
Arbeiten  von  Fr.  Otto  über  das  römische  Wiesbaden")  und  von 
K.  Reuter  über  die  römischen  Wasserleitungen  in  dessen  Umge- 
bungen "),  vervollständigen  unsere  Kenntniss  der  in  jenen  Gegenden 
yerhältnissmafsig  ausgedehnten  römischen  Cultur  "*),  über  welche  auch 
A.  Schierenberg  einiges  zusammengetragen  hat").  Die  Berichte 
über  daselbst  gemachte  Funde  gehen  bis  in  den  Anfang  des  vorigen 
Jahrhunderts  zunick"®);  aber  erst  seit  dem  Jahre  1854  sind  durch 
den  (1867)  verstorbenen  Friedrich  Habel  von  Schierstein,  und  seit 
1871  durch  den  Obersten  von  Cohausen  in  Wiesbaden  mit  Unter- 
stützung der  Regierung  regelrechte  Ausgrabungen  vorgenommen,  aber 
noch   nicht   ganz   zu  Ende   geführt   worden  *').     Was  man  gefunden 


52)  Fr.  Otto  Gescbichte  der  Stadt  Wiesbaden  mit  einem  liistorisirbeD 
Plane  der  Stadt,  Wiesbaden  1877  (XII  179  S.)  8. 

63)  K.  Reuter  römische  WaMerleitimgen  in  der  Umgebung  von  Wies- 
baden, Festwhrift  u.  8.  w.  Wiesbaden  1877  (IV  73  9.)  8.  mit  4  Tafeln  Fol.  und 
einer  Karte  (zugleich  der  Aanaleu  dea  Vereins  für  naasauitche  Älterthumekunde 
lUid  Qeachichtarorgchung  b.  Band  3.  Heft   1876). 

54)  Eine  üeberaicht  des  Inbalte»  beider  Schriftto  giebt  H.  B.  im  Literari- 
Boben  Centralblatt  1878  S.  141,  der  ersteit  Scbrift  allein  Jao.  Schneider  in  der 
Jenaer  Literaturzeitung  1878  S.  23. 

56)  A.  Scbierenberg,  die  Römer  im  Cheruskerlaude  nach  den  unver- 
fälschten Quellen  dargestellt  u.  a.  w.  Frankfurt  a.  M.  1862  8. 

56}  Für  die  Geeohichte  der  Saalburgausgrabuugen  kann  auf  die  Mitlbeilangen 
TOD  6.  Stark  in  der  archäologischeu  Zaitnng  165&  S.  2Gl*tt.  und  auf  den  kurzen 
Bericht  über  zwei  darauf  bezügliche  Vorträge  von  Prof.  Jac.  Becker  in  Frank- 
furt a.  M.  Bonner  Jahrb.  53/4  (1873)  S.  303  f.  verwiesen  werden.  Eine  Schil- 
derung des  Walls  bei  der  Saalburg  gibt  der  verstorbene  Albert  Way  in  dem 
Aufsatz  von  Yatos  S.  125  f. 

ö7)  Soeben  geht  mir  die  übersichtliche  Schilderung  der  Herren  A.  von  Co- 


der  Vitte  des 


mä  Gimad  ttr  du  Pnetariaai  UUt 


bietet, 


h&t  - 
GiSleUs, 

Eumal  die  Aaigrateig  nc^  beoidet  vaidfco  ist,  mehr  Bfttbsd  tls 
AufklirongeB.  Kies  aber  bat  sieb  awh  hiar  devtikb  geaoigt:  dus 
oinükh  da«  mit  festes  Meifw  •berlieferte  Schean  des  ftltpren  wie 
dee  8pil«ren  römisfhe«  Lagen**)  darebaos  aicbt  auf  das  Erhaltene 
pasit  Es  cupebt  äA  ▼ietandn*  aadi  Iner,  wie  ftbenU,  dass  eben  nur 
das  Grandaebema  ia  MäaeB  HaapttbeOeB  (oblonge  Fora,  abgerundete 
Ecken,  vier  Tbore,  Wall  ud  Gcabea,  I^acConwa  nngdabr  in  der 
Mitte,  0.  s.  V.),  die  'allgeaeiaai  Dieastforsrhriften'  **)  etagdiaUen,  io 
allea  Einjedheilen  aber  Maate  ud  Farawa  fr«  den  Bedfirfhiss  und 
den  gcgebcacn  VerbikwaBoi  aagcpact  winden.  Dan  kommt,  dass 
bei  der  Uatetsttchug  der  Hrttfbti  Reste  aacb  Material  und  Aasf abrang 
aich  acboi  j^«i  auf  das  destiidiste  die  Aatekbew  eiaes  zwei-  oder  drei- 
«allgea  TiDigea  Umbaas  der  ganna  Anlage  eigriien  haben.  Welchen 
Petiodea  dtese  Tertaderaagca  ■imiaeiiaa  aeiea,  kann  freilich  erst  die 
fiUlige  Ao^rabug»  Terbaadea  mit  den  Folgerungen,  welche  sich  ans 
den  gcackicbtlidien  EreigBJssen  im  aflgeaieiBea  and  den  inschriftlichen 
Fttndea,  besoadws  des  Lepsas-  aad  OobartansBabi  ergeben,  an- 
aftherad  feststellen,  Aach  Zotbataa  ies  iribea  Mittsblters,  an  welche 
die  Fj-furscher  oaserer  beinalMcbca  riaüsdiea  Bauten  nicht  gern 
druken,  ln(k^luen  sich  dabei  «akl  benasstellen  **},  aaalog  den  z.  B. 
auch  Itei  dorn  on^h^cbea  Orenzwall  gemachten  Beobschttugen.  Von 
besondeix'iii  lulcrei^ik-  sind  die  aosserhalb  des  Mauerriogs  gefundenen 
Anlagen,  Wohauagea,  Bftder,  Griber:  die  conoftar  der  Legionen,  aus 
dert»n  Vorliindunp  mit  dem  Lager  selbst  hier  jedoch  nicht  wie  anderswo«*) 
eitle  förmliche  Lagerstadt  eatstaadea  tsL     Die  Saalburg  ist  eines  der 

hau»«»  u.  h.  J«eobi  *dm»  KteWOMtaU  SmAwk  iHombaig  v.  d.  Höhe  1878  8.) 
lU,  walolra  ttch  »k  ein  Aussiaf  mu  dMK«Bft«r  dar  Praw«  bafindliebeD  gröfaeren 
W«rk  d«rMlb«a  Ywhmat  hmiiika*  «ad  die  eraten  gmmneu  Pliae  und  Profile 
de*  CMiolb  vMbi. 

&8)  ZuJ«lit  darfoloft  rou  B.  Ki»t«B  ia  mümb  TeiDpIum  (Berlin  1869  8.) 
S.  3S  ff. 

btt)  Vgl  U.  DrojMa   dt«  poljrbÜMiMlM  L^gerbwirhreibnng  commtmUUit 
Mommmmmmtm  (Bwüb  1877  8.)  S  SS  ff. 

fiO)  t)«u(ao   niolit   »ucli  di«  Mokt  «Bhea   Ür  die  BefoiüguiigMjakgeo 
Wftll  N  orkoiumauden  N»mao  'Uof,  BACbImn^  HäatacfcoT  aad  ähnliehe  (S.  11&)  auf 
mittvlalterliolM  BeDuUungf 

til)   VgL   Th.    Momin*«B    die    römiaolMO    LagorattdU   Sctnes   I     1873 


i^.  ^üfi  ff.,  0.  W 1 1  ta  kn n ■  die  rvu.  LagvnUdt  JLfric 


s.  lyoff: 


DttT  rSmiBche  Grenzwall  in  Deutschland. 


1fr 


wichtigsten  Denkmäler  der  römischen  Horachaft  auf  deutschem  Boden, 
darchaus  werth  iJer  öffentlichen  und  privaten  Fürsorge,  welche  ihr  bisher 
zu  Theil  geworden  ist,  wenn  auch  Touristen  durch  die  Unscheinbarkeit 
der  Anlage  und  den  nicht  hervorragenden  Kunstwerth  der  dort  ge- 
machten Funde  enttäuscht  m  sein  pflegen. 

Der  dritte  Unterahgchnitt  des  Rossel'schen  Werks  behandelt  die 
Anlagen  auf  dem  Hochtauiius»  von  der  Saalburg  bis  zur  Ems.  Einige 
Ausgrabungen,  zum  Theil  mit  Unterstützung  des  Spiclpicbters  Blanc 
ausgeführt  •*),  haben  neben  der  Linie  des  Walls  selbst  die  Suhstnictinnen 
von  einer  Keihe  von  Rundthürmen  blofs  gelegt.  Herr  Rössel  ist 
geneigt,  diese  und  ähnliche  Anlagen  auf  anderen  Strecken  des  Walls 
für  vorröraiscbe  Werke,  ebenso  wie  die  Schanze  auf  dem  höchsten 
Punkte  des  Taunus,  dem  Feldbcrg,  fdr  eine  germanische  Befestigung 
zu  halten.  iMiin  wird  gut  thun,  hierüber  vorerst  noch  jedes  Urtheil 
zu  suspendieren:  erst  ein  Gesamintüberblick  über  alle  derartigen  Be- 
festigungsanlagen über  möglichst  ausgedehnte  Gebiete  hin  wird  die 
nöthigen  Anhaltspunkte  zur  Scheidung  derselben  nach  Zweck  und 
Herkunft  an  die  Hand  geben.  Von  Jahr  zu  Jahr  schwinden  übrigens 
diese  Anlagen  mehr  und  mehr:  massenhaft  ist  der  steinerne  Kern  der 
Thürme  zu  Straffeen-  und  Wegebauten  verwendet  wurden.  Dem  Ver- 
fasser entlocken  solche  zum  Theil  unter  seinen  Augen  geschehene  Vor- 
gänge einmal  den  schmerzlichen  Ausruf  (S.  45):  'was  unter  solchen 
Umständen  in  Zukunft  aus  unseren  antiquarischen  Studien  werden  soll, 
mag  Gott  wissen!'.  Am  Feldberg  schon  zeigt  sich  wiederum  die  schon 
erwähnte  und  noch  später  öfter  wiederkehrende  eigenthümliche  Er- 
scheinung, dass  die  Linie  des  Walls  keine  einfache  ist,  sondern  eine 
doppelte  (wie  bei  Idstein)  und  zuweilen  eine  drei-  und  mehrfache  (wie 
zwischen  den  Dörfern  Lenzhahn,  Dasbach  und  Eschenhahn);  sodass 
an  Stelle  der  gleichraäfsig  fortlaufenden  Walllinie  mit  ihren  Thürmen 
Qod  Warten  eine  vielgestaltige  Verschanzung  mit  kunstreich  angelegten 
Verbindungen  tritt  (S.  54,  73—87  ff.).  Herr  Rössel  ist  geneigt  diese 
coniplicicrten  Anlagen  für  im  wesentlichen  gleichzeitig  ausgeführt  xu 
halten.  Auf  sein  Urtheil  und  das  seiner  ortskundigen  Helfer,  geübter 
Vermessungsbeamten  *^),    ist  gewiss  in  diesen  Dingen  viel  zu  geben: 


62)  Dertelbe  hat  nach  der  Angfahe  Rodsera  (S.  44)  die  Summe  von  8800 
Golden  dazu  beigesteuert. 

63)  Auch  der  VermeösongBinspector  beim  jjrofseu  Generahtab  Herr  J.  A. 
Kaap^ert,  dem  wir  die  grorse  topographische  Karte  von  Athen  verdanken,  hat 
sich  im  J.  1867  an  den  im  Taunut)  gemachten  Aufnabmeo  betheiligt  (Roasel  S.  82). 


allein  wo  aeb  dartBch  tum  tmiUkt  TgBJnppr lug ,  da  hinterer  and  vor- 
derer Ffibl,  wattnAatkm  IftHt»  BeBI  dKfc  die  Yerarathnag  nahe,  dass 
eB  adi  kier  vm  M%egib«e  «der  biiüiIi,  epiter  dasB  aaf  gflnstigerem 
Terrain  wiedeiieigBBleBte  SOefce  der  DcAjIiitwB  huitü^  Bei  com- 
pKdeitereB  WaOaalics  «ird  liciKdi  dn  UitWfl  wthmiai^a.  Es  ist 
inlefeBBMt  n  fofelBBi  «ie  der  Verihotr  sticdBeaiicise,  wo  alle 
S{>ureD  des  Walls  aas  der  Ciia%«  iliia  des  Bodev  der  grof^n  Berg- 
abhiage,  aaf  deaea  er  ädk  knaog.  vcnckvaadea  aiad,  dorch  allerlei 
ainarekhe  IGltel  die  Uaie  dfaofh  wiedemeeviaaea  veisB.  Sorg- 
Oltige  Florfcaitea  ia  grotem  ¥iiamak,  «ie  ii  Wtiteailierg.  acbeinen 
IQ  fehlen:  aber  mit  Hilfe  dar  AdDerinBlaer,  deaeo  die  Ersdieinang 
wohl  bekaoDt  war ,  Ueas  aick  der  Strich  dta  PCdüs  oft  aoch  aus  dem 
höhera  Sund  des  Hafen  vir  der  Ente  «der  der  dv^deren  Farbe  der 
HahzK  vor  der  Reife  erfceaaea 

Der  iweite  Haaptobsthaitt  diasea  voa  Rössel  aufgenommenen 
Tbeils  des  Pfahls,  faa  der  £bb  bis  aar  Aare  bä  Laagenadiwalbach, 
TOQ  dem  iura  Tlieil  daa  ebaa  traa  deai  vnihMftihuadiiu  ackm  Gesagte 
mit  gilt,  lerAUt  in  siebe»  Cnterabschnitte.  Die  bertrorragendsten 
Ponkte  sind  das  ansehoUche,  die  'Altefeorg'  genannte,  CasteU  (136  zu 
%  Schritt  Umfang;  der  Vo&sser  reehael  4  Schritt  =  3  MeterX  ge- 
legen immitt^^lbar  gegeattber  den  üodeabeiiiaBiten  Markti^latx  für  den 
Vtehhandel  der  Tattnasgogead,  an  dem  Fahrweg  nach  Heftrich.  Femer 
das  ebenfalls  gemeinhin  'die  Alteburg'  oder  'die  Sdianxe  auf  der  lib- 
bacher  Haide'  genannte,  vom  Verfa^er  aber  nach  dem  Namen  des 
Gebirges  getaufte  Castell  Zagmantel  ■*),  an  der  grollen  Landstrafee 
▼on  Wiesbaden  nach  Limburg  auf  der  künesten  Linie  von  Main2  bis 
zur  Tannushöhe :  es  enthält  200  an  173  Schritt  inneren  Umfang  und 
ist  die  Fundstätte  von  interesaanten  Inschriften  (des  dritten  Jahr- 
hunderts) und  von  Ziegelstempeln  *^),   sowie  von  anderen  Änticaglien, 


64 1  Ob  die  Naineagebang«ii  dat  Yerfuwrs  aidi  danomd  «iabärgem  warden, 
bleibt  ahzuwuleo.  Er  b«fi>lgt  dM  pietftteroJlaB  BnaA,  «De  kleinerea  Be- 
fwtjguogMuilageo,  eckige  and  runde  Thönae,  Scbuueo  u  s  v,  mit  deo  Ntmen 
am  den  Wall  verdien  ter  Forscher,  Historiker,  Archiw«,  Antiquare,  Pferrer,  In- 
genienre  d.  i.  w.  zu  belegen:  die  Thürme  und  Schanzen  Habel,  Cohaasen, 
Kaupert  o.  t.  w^  werden  so  wenigstens  auf  den  Karten  de«  Limes  w«tt«r  emtiaran. 

65  >  Der  Verfasser  pobliciert  die  schon  bekannten  drei  Inachriftea  ana  jeMM 
Castell  (Brambach  1&47 — 49 J  in  sehr  guten  Facsimileabbildangen  auf  Taf.  VIII; 
baaondera  Fig.  2,  der  Stein  der  pedatmra  TrtttromwL,  ist  aoch  aeinar  Form  wegen 
iatereaaaat. 


Der  römisofae  Grenzwall  in  DeiitschlaDd. 


39 


wie  z.  B.  der  eisernen  Stange  eines  Reitervexillums  (wie  es  scheint). 
Im  folgenden  Abschnitt  ist  die  Feststellung  der  Walllinie  zuweilen  sehr 
schwierig  (wie  der  Verfasser  z.  B.  S.  llt>  ausführt).  Im  Thal  der 
Aare  bei  Adolfseck  bildet  die  'alte  Schanze*  eine  Art  Brückenkopf 
(S.  120);  wenigstens  die  Stelle  der  römischen  Brücke  über  die  Aare 
Hess  sich  noch  ermitteln.  Den  Beschluss  der  topographischen  Wan- 
derung des  Verfassers  macht  die  Beschreibung  eines  charakteristischen 
Denkmals:  im  Thal  der  Aare  unterhalb  der  'alten  Schanze'  ist  in  die 
natürliche  Felswand  ein  römischer  Name  'lanuaritis  Instintis\  cinge- 
haucn;  die  Schriftformen  des  Facsimiles  (auf  S.  122)  weisen  auf  das 
dritte  Jahrhundert.  Geradeso  sind  in  England  an  verschiedenen  Stellen 
unweit  des  Hadrianswalls  Felsinschriften  in  den  alten  Steinbrüchen 
erhalten,  aus  denen  die  mit  dem  Wallbau  beauftragten  Truppen  ihren 
Bedarf  an  Material  entnahmen**). 

Das  Werk  Rosse! 's  ist,  bis  zu  dem  Erscheinen  von  Cohausens 
Aufnahme  des  Limes  (von  Grüningen  in  der  Wetterau  bis  Rheinbrohl 
gegenüber  Andernach),  bei  allen  UnvoUkomuienheiten ,  welche  sach- 
kundige ßeurtheilcr  darin  finden,  offenbar  die  bis  jetzt  lehrreichste 
Darstellung  eines  gröfseren  W^allabschnittes.  Die  weitere  Richtung  des 
Pfahls  bis  zur  Lahn  steht  im  allgeraeinen  durch  die  Untersuchungen 
des  Oberstlieutenants  F.  W.  Schmidt  fest:  aber  es  fehlt  uns  die 
genauere  Kenntniss  gerade  des  Schlussstücks  des  im  wesentlichen 
gleichartigen  Befestigungssystems,  welches,  wie  oben  gesagt  wurde, 
Donau  und  Rhein  verband  und  etwa  seit  dem  Anfang  des  zweiten 
Jahrhunderts  die  wirkliche  Grenze  der  Provinz  gegen  das  Barbaren- 
land bildete.  Nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit  wird  die  Durchführung 
des  gewaltigen  Werks,  das  üomitian,  wie  wir  sahen,  wohl  begonnen 
hatte,   dem  baulustigen  Kaiser  Hadrian  zugeschrieben  *'),  der  gleich 


66)  C.  I.  L.  yil  S.  341,  wo  unter  den  vorta  titulorum  genera  die  UtuU 
vivae  rvpi  inacripli  Terzeicboet  aiad. 

67)  Nach  der  freilich  unboBtimmteu  Nachricht  in  der  Vita  dea  Spartian 
C.  12  per  ea  lempora  (es  ist  die  Zeit  dor  grofscn  Reisen  des  Kaisers  gemeint, 
Btva  das  Jahr  120)  et  alias  frequenter  in  plurimis  locis,  in  quibus  barbari 
non  fluminibus  sed  limitibu$  dividuntur,  stipitibus  magnis  in  modum 
wmrttUa  taepis  funditus  iactis  atque  conexia  barbaros  separavit.  Germania  regem 
tomtituit  u.  8,  w.  Kurz  vorher  wird  von  dem  Biographen  (C.  10.  11)  ausführ- 
lich dea  Kaisers  oingebeade  Sorge  für  alle  Details  des  Kriegsdienstes  und  seine 
Theilnahme  an  den  Strapasen  und  Gefahren  des  Krieges  geschildert.  Diess  be- 
zieht   sich   zu   gutem  Theil    auf  die   germanischen  Expeditionen;   besonders  die 


Der  nmmtkm  GraasMl  g 

darauf  m  Bntaania  die  gpaai  girirhirtitr  Gfentefatigmg  dnrch- 
fiilute«*;.  Die  AMkgie  ist  öe  fint  dirchireg  ntrefleBde:  Aach 
dort  büden  ältere  BeäBatignenahgeo  die  Baas  der  VerthddigiiBg»- 
linie,  for  velcbe  W&ll  and  Grabm  felcft  wetdM;  «ach  dort  ist  die 
Anlage  zwar  ciihfitiich  flfphat  od  m  im  Htifliafhe  aach  wohl  in 
verhältataBmUbg  kuKH  Ztänam  TaOoideC  wwioL  Aber  den  nach- 
folgoxien  Gcneratione«  bis  in  die  Mitte  des  dritten  JahrhondertB,  also 
gerade  ein  Jahibiduit  laa^  bfieb  ttcraB  die  Anigihe.  das  Yorfaaa- 
deoe  naduabessera  ud  n  TervolHcoBBeaeB,  das  in  den  immer  wieder- 
kehrenden Greuzkriegen  Zeratäite  wiedafaeRnrteOen.  Dass  es  am 
germanischen  Limes  ebeiBO  gegaageo  ist,  Sst  sich  schon  jetzt  aus 
den  inschrilUichen  Fanden  mit  himeicbcnder  Dentüciduit  erkennen. 
In  einem  Punkte  jedaeh  adieiBt  sich  der  hntaaawrfce  GienzwalJ  von 
dem  germanischen  zu  nntendieiden.  Es  onteriiegt  keinem  Zweifel, 
dass  des  Hadrian:!  wie  des  AnLoninns  Pins  britannische  Befestigongs- 
Unien  viel  weniger  defensiTe  Grenzwehren  als  vielmehr  offensive 
Stützen  für  die  weitere  Eroberung  sein  soUten.  Strafsenzflge  führen 
darch  sie  bindorch  in  Feindesland  hinein.,  Castelk  liegen  an  denselbra 
weit  vorgeschoben,  alle  GremcuteUe  nnd  Wartthllrme  haben  Ausfialls- 
ihore  nach  Norden  hin.  Ob  sieli  das  glache  wenigstens  fOr  die  bisher 
betrachtete  geschlossene  Grmzwehr  des  germanischen  Limes  einstmals 
bei  weiteren  Nachforschungen  ergeben  wird,  steht  dahin,  so  wahr- 
scheinlich an  sich  es  auch  ist.  Bis  jetzt  ist  meines  Wissens  (mit  Aus- 
nahme etwa  der  Linie  Wimpfen-Jagsthansen  in  Würtemberg,  deren 
Spuren  bis  Rothenberg  in  Bayern  gefunden  worden  sein  sollen  and 
.sich  möglicher  Weise  von  da  weiter  bis  Regensborg  hin  **)  erstrecken) 
kein  Strafsenzug  über  den  Limes  hinaus  verfolgt,  kein  Castell  ausser- 


Soilf»  för  oimdiin  määaria  (C.  1 1 ),  die  Proviuilmkg«zioe  in  den  dritaU*  üimtameae 
(Tgl.    du  I^beo    dei   dritiea  Oordiuiaa  C  38).      In   den   bekaonten  Venen  des 

DichterB  Floru«  rgo  moia  CSmmt  «aM,  |  amUmt  per  Britammo«,  | |  Sey 

ikiea»  pati  prumas  ontbielt  der.  wie  des  Kaisers  Aotwort  ego  noio  Florus  rtst, 
I  «inMar«  jmt  taftfnuu,  |  latüanptr  popüwu,  |  adice*  pati  rottmdos  \  zeigt,  fehlende 
Vmt«  wahraobeilüich  «in«  B«a»iwbaimg  dei  latUart  in  den  germanitcben  Wil> 
dem. 

68)  Vgl.  C.  1.  L.  Vn  S.  99  ff. 

69)  Vgl.  A.  P«uljr*a  oben  Anm  S2  aogefiihrie Sciirül.  Yatea  fährt  8.  102 
ata  dio  UeinuuK  Hr.  Mutal'a  in  'ftn^'rti^*  «d.  dua  Strafaefu^ge  fiber  den 
Limo»  hioaua  bia  n«ob  Böhmen  gwAhri  hiiU«a. 


Der  römiaohe  Grcazwall  in  DeiilschlancL 


41 


halb  desselben  nachgewiesen  worden  ^*),  Nur  soviel  ergeben  die  bis- 
herigen Untersuchungen  auch  über  den  hier  zunächst  in  Betracht  kom- 
menden Abschnitt  der  Grenzwehr,  den  hessischen  Abschnitt,  dass  eine 
Reibe  weit  vorgeschobener  zusammenhängender  Anlagen  spater  aufge- 
geben und  statt  dessen  eine  kürzere,  in  sich  besser  geschlossene  Linie 
des  Limes  festgehalten  worden  ist.  FreiUch  sind  auch  hier  die  Auf- 
nahmen noch  lange  nicht  genau  und  vollständig  genug,  um  die  älteren 
Anlagen  von  den  jüngeren^  die  römischen  von  den  mittelalterlich- 
deutschen sicher  unterscheiden  zu  köunen. 


IV. 

Anders  ist  dies  aber  auf  der  noch  übrigen  letzten  Strecke  der 
Grenzwehren,  auf  dem  nördlichsten  Theile  derselben,  der  sich  von  der 
Lahn  bis  zur  Lippe  und  noch  ilber  dieselbe  hinaus  nordwärts  bis  in 
die  Niederlande  hinein  erstreckt.  Das  obere  und  untere  Rheingebiet 
bildete  bis  etwa  auf  Hadrians  Regierungszeit  überhaupt  keine  beson- 
dere, von  Gallien  getrennte  Provinz.  Die  Coniraandeure  der  beiden 
groföen  Armeen  am  oberen  und  am  unteren  Rhein,  in  Mainz  und  in 
Ciiln,  waren  unzweifelhaft  bis  dahin  nicht  I'rovinzialstatthalter  im 
eigentlichen  Sinne  des  Wortes:  die  Steuererhebung  z.  B.  war  mit  der  der 
gallischen  Provinzen  vereinigt;  die  beiden  Germanien  waren  nur  mili- 
tärisch ürganisierte  Grenzbezirke'").  Erst  seit  Hadrian  haben  die 
beiden  Germanien  selbstiindige  Statthalter:  unzweifelhaft  hängt  diese 
hinreichend  feststehende  Thatsache  mit  dem  gleichsam  geographischen 


70)  Professor  Kiepert  macht  mich  auf  den  runden  Wartthurm  hei  Wetzlar 
aofmerksam;  von  Cohausen  setzt  ihn,  wie  die  ähnHuhen  Thürmc  in  iBnyom, 
etwa  in  das  12.  Jahrhundert.  Rest«  von  StraTsen  sind  in  der  Nähe  nicht  bo- 
ohachtet  worden.  Yates  bezeichnet  |S.  1)2)  auch  die  vier  runden  Thürme  von 
Vacha  aa  der  Werra  in  IIoBaen  (zwiecfacu  Eiseuach  und  Ilersreldj  ale  auf  den 
ersten  Blick  wie  römisch  aussehend,  ähnlich  den  oben  (8.  22)  erwähnten  Thünnen 
von  Sinsheim  und  Bcsigbeim.  Von  den  etwa  siebzig  bayerischen  sog.  Römer- 
thürmon  bereitet  Ohlen  echlager  ein»  Zusammenstellung  vor. 

71)  Diese  von  Fechter  und  Momuisen  zuerst  vertretene  Ausiohi  (an 
den  iu  Marquardt's  römischer  Staalaverwaltung  1  (1873)  S.  120  Anm.  3 
angeführten  Stellen)  ist  neuerdings  von  0.  Hirechfeld  (trotz  de»  Widerspruchs 
von  W.  Brambach  de  Romanorum  rt  milünri  quaestiones  sekctae  im  Rhein. 
Moseum  20,  1865  S.  509  fF.)  iu  der  Abhandlung  über  die  Yerwaltung  der  Rhein- 
gronze  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten  der  römischen  Kaiserzest  {eomment. 
Momms.  Berlin  1877  6.  S.  433  iT.|  ausführlich  dargelegt  und  unter  anderem  auch 
dar^h  die  Analogie  der  österreichischen  Miütärgrenze  erläutert  worden. 


42 


Der  römische  Urenzwall  in  Deutschland. 


AbschlusB  des  Provinzial|?ebietes  gegen  das  Feindesland  auf  das  Kogste 
zusammen.  So  bietet  die  auf  dem  Wege  der  liocalen  Beobachtung 
gewonocne  Einsicht  in  den  ununterbrochenen  Zusammenhang  des 
Limes  von  der  Donau  bis  zum  Rhein  zugleich  die  vollgültigste  Bestäti- 
gung einer  wichtigen  historischen  Thatsachc.  Die  obere  Provinz,  die 
Germania  superior,  erscheint  niithtu,  wenigstens  etwa  seit  iladrian, 
als  eine  den  übrigen  Provinzen  des  Reiches  völlig  analog  organisierte 
und  verwaltete.  Dass  der  energische  Kaiser  dieselbe  Absicht  auch  für 
die  untere  Provinz,  die  Germania  i>iferior,  gehegt  hat,  und  die  ver- 
geblichen Versuche  seiner  säramtlichen  Vorgänger,  auch  diess  Gebiet 
zu  einer  wirklichen  Provinz  zu  machen,  endlich  hat  durchführen  wollen, 
ist  wahrscheinlich-  Wie  weit  er  diese  Absicht  erreicht  hat,  das  sollte 
uns,  in  Ermaugetuiig  historischer  Bezeugung,  der  Stand  des  Limes 
auch  in  jener  Region  lehren. 

Bekannt  ist,  dass  Augustus,  besonders  seit  der  berühmten  Nieder- 
lage des  M.  Lollius  im  J.  738  der  Stadt,  den  Plan  gefasst  hatte  die 
gallischen  Eroberungen  seines  groPsen  Vorgängers  im  ausgedehntesten 
Maafsstab  fortzusetzen  und  nicht  den  Rhein,  sondern  die  Elbe  und  das 
nördliche  Meer  zur  Grenze  der  gallischen  Provinz  zu  machen^*).  Seit 
langer  Zeit  schon  hat  man  sich  bemüht,  die  Spuren  der  Feldzüge  des 
Drusus,  des  Tiberius  und  ihrer  Nachfolger  bis  auf  den  Germanicus 
aufzusuchen.  Dass  sich  Spuren  der  Strafsen  und  Befestigungen,  ohne 
welche  die  nach  den  alterprobten  Regeln  während  eines  Zeitraums  von 
dreissig  Jahren  geführten  Operationen  gar  nicht  denkbar  sind,  erhalten 
haben,  so  gut  wie  der  Boden  Galliens,  sobald  man  begonnen  hat  ihn 
sorgfältig  zu  durchforschen,  die  deutlichsten  Spuren  von  Caesars  Feld- 
zttgen '  aufgewiesen  hat,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Aber  die  Verschie- 
denheit der  Aufgabe,  soweit  sie  das  rechte  Eheinufer  von  der  Lahn 
nordwärts  betrifft,  von  der  die  südlich  davon  gelegenen  rechtsrheinischen 
Gebiete  betreffenden  leuchtet  ein.  Dort  haben  die  Eroberungszüge 
in  der  mehr  oder  weniger  tief  gehenden  Organisation  des  Provinzial- 
gebietes  ein  dauerndes  Resultat  und  in  der  Linie  des  Limes  eine  feste 
geographische  Begrenzung  gefunden.  Die  von  den  gegebenen  Ausgangs- 
punkten der  Operationen,  Lyon  und  Windisch,  nach  Augsburg,  Mainz 
und  durch   das  gansfe  Gebiet  der  oberen  Provinz  führenden  Strafscn- 


72)  Man  sehe  besonders  Mommsen's  AuBfahrnng  in  dem  Vortrag  ober 
die  germaDiBchc  Politik  des  Augustus  in  der  Zeitschrift  'im  neuen  deutschen 
Reich'  I  (1871)  S.  637  ff. 


Der  römische  Grenzwsll  in  Deatachland. 


43 


Züge  sind  Jahrhunderte  lang  in  Gebrauch  geblieben,  erweitert  und 
wiederhergestellt  worden.  Aus  den  zuerst  nur  für  die  vürübergehenden 
Zwecke  der  Occupation  erbauten  oder  neu  angelegten  festen  Plätzen 
sind  in  vielen  Fällen  römische  Städte  erwachsen.  Darin  steht  die 
obere  germanische  Provinz  der  gallischen  im  Wesentlichen  gleich.  Ganz 
anders  aber  verhält  es  sich  mit  der  unteren  gertnanischen  Provinz. 
üeber  den  Zustand  derselben  im  ganzen  ersten  Jahrhundert,  in  der 
Zeit  nach  der  Varusschlacht  bis  etwa  auf  Traian,  sind  wir  nur  sehr 
mangelhaft  unterrichtet.  Ich  sehe  dabei  ab  von  der  noch  nicht  ganz 
gelösten  Schwierigkeit,  welche  auch  bei  der  oberen  Provinz  Platz  greift, 
ihre  westliche  Grenze,  gegen  die  gallischen  Provinzen  hin,  genau  zu 
fixieren,  weil  diese  Schwierigkeit,  deren  Lüsung  wir,  soweit  sie  möglich, 
von  dem  Gallien  umfassenden  Bantle  des  C.  I.  L.  hoften,  uns  hier  nicht 
näher  angeht'^).  Das  rechtsrheiiMschc  Gebiet  derselben  aber  hat  in 
dem  angegebenen  Zeitraum  nach  Osten  hin  nie  eine  feste  Grenze  ge» 
habt.    Datis  von  der  Zeit  des  Traian  an  die  Grenze  des  Reiches  von 


73)  Ob  OB  in  der  Thai  auch  einen  limes  cisrhtnanus  gab,  dessen  Spuren 
man  im  Wasgau  und  in  der  auf  den  Mosclgebirgcn  hei  Trier,  Bittburg,  Kyll  u.  a.  w. 
beinahe  vierzehn  Meilen  weit  sich  hinziehenden  'Langmtfier'  gefunden  haben 
will,  bedarf  auch  noch  genauerer  Feststellung.  Es  ist  dies  bekanntlich  die  An- 
sicht des  nm  die  firforBchting  der  Kheinlande  vielfach  verdiüuten  Jac.  Schneider; 
man  sehe  seine  Schriften  'die  Trümmer  der  sogenannten  Lnngmauer,  Trier  1842 
8.',  'zur  Geschichte  des  römischen  Befestigungs-weseiui  auf  der  linken  Rheinseito, 
insbesondere  der  alten  Befestigungen  in  den  Yogesen,  Trier  1844  6.' ;  vgl.  Bonner 
Jahrb.  S8/34  (1863)  S.  173.  Neaerdings  bat  Dr.  C.  Bone  in  Trier  die  Aufmerk- 
samkeit von  Neuem  auf  diese  eigenartigen  Anlagen  gelenkt,  s.  Bonner  Jahrb. 
68/64  (1873)  S.  244  und  desaelben  Schrift  'das  Plateau  von  Ferschweiler  bei 
Eafaternach,  seine  Befestigung  durch  die  Wickiuger  Burg  und  die  Niederburg', 
mit  drei  Tafeln,  herausgegeben  durch  die  Geseilacbaft  für  nützliche  Forschungen, 
Trier  1876  8.  Die  Meinung  E,  aus'm  Weerth's  und  Bono's,  dass  bei  Fersch- 
weiler das  lang  gesuchte  Äduatuca  gefunden  sei,  welche  die  Billigung  eines  vor- 
urthcüsfreien  militäriachou  Beurtheilors  gefundon  bat,  des  Generals  von  Yeith, 
Bonner  Jahrb.  58  (1876)  S.  181  ff.  vgl.  S.  206  und  69  (1876)  S.  183,  mag  hier 
auf  sich  beruhen.  Auch  die  Ansicht  des  im  übrigen  so  verdienstlichen  Forschers, 
des  verstorbenen  Oberstlieutenant  F.  W.  Schmidt,  Bonner  Jahrb.  6/6  (1844) 
8.  383  ff.  7  (1848)  S.  120  ff.,  dass  damit  ein  grofser  Wildpark  der  späten 
Eaiaerzeit  umschlossen  gewesen  sei,  bedarf  vorerst  noch  weiterer  Begründung, 
wie  sie  die  Ausgrabungeo  der  Villa  zu  Fliessem  (Jahrb.  &7,  1876,  S,  238)  bringen 
sollen.  Dass  diese  Linie  für  die  Substruction  einer  römischen  Stral'se  zu  halten 
sei,  scheint  durch  ihre  Reste  ausgeschloBsen  zu  sein. 


44 


Dw 


GmnmD  is  DwtoeMMid. 


im 


den  G«bietCB  an,  die  uuvcifefliaft  das  mtcre  Gcnnanien  bildeten, 
aUgemeiiieo  der  Kliein  «ar,  dafür  habn  wir  ausser  anderen  das  un- 
zweideutige ZeQgmss  des  Tadtas'*).  Aber  ai^t  minder  sicher  ist, 
dass  seit  Trakaa,  welcher  ia  SUdte  jcnseit  des  RlieiDs  wiederhergestellt 
hatte '^),  betr&chUicbe  recktavteiuBebe  Gebiete  —  nicht  bIo(^  am 
unteren  Rhein,  wie  das  der  Bataver^X  ml  an  nitttcren,  wie  das  der 
Mattiaker^y,  sonhn  aaoh  aa  der  gaa»a  daawischen  liegenden  Strecke 
—  in  dauernder  Occopattoi  yhiahwi  äad.  Aas  dem  merkwürdigen 
Anhang  tu  dem  Vereoeser  Vefaäehniss  der  römischen  Provinzen  ^^) 
scheint^  trotx  der  Dunkelheit  der  Aufmkliaaag,  «oviel  hervorzugehen, 
dass  in  den  Gebieten  tob  fänf  rechtsrheimscben  gcraaaischen  Völker- 
schaften römische  BimUnagea  tacoiy  deres  Qaartiere  in  dritten  Jahr- 
hundert vun  den  Baitaictt  oeflDq»ifft  «videa.  Diese  Benalinngen  bildeten 
unter  Postanms  nnd  seinen  Nachfolgen  den  Kern  des  galliachen  Gepen- 
kaiscrthums.  das  tu  Trier  seinen  &tz  und  in  Maina  and  Coln  seine 
HauptwaflenidHLce  hatte  ^*).  Wraigiiteas  in  eiaem  der  rechtsrheinischen 
Castello,  über  welches  gleich  la  redea  sein  wird,  dem  von  Niederbiber 
bei  Neuwied,  sind  Ziegel  der  LtgkNMB  und  Coh<vten  und  Inschriften 
der  Besatzung  in  ziemlicher  AaiaU  gcfimdes  worden**).  Die  hieraus 
mit  Wahrscheinlichkeit  zu  folgernde  Thatsaehe,  dass  naächst  das  Ge- 
biet zwischen  Lahn  und  Sieg  darch  »ne  PonseCnng  der  Limeslinie 
gfigen  Osten  abgeschlossen  worden  sei,  haben  die  hier  angestellten 
Ontersuchungen  vollauf  beslitigt.  Vaa  Trier  aas  ging  einer  der  ältesten 
StrafseniHue   an  den  Rhein  nach  Aademnch")-    Dort  befand   sich 


74)  Oermtaui  S9  fnmmi  (lUttM  eertmm  imm  «lt«o  Rktmum  f  «if  «c 
tttmimut  f$tr  snffitimt  t'tifi  me  7W«m  «riMüL 

75)  Eutropiat  Vtll  9  «r«M  trmu  Fktmmm  m  Giwmtmim  rtfmrmmt. 

78)  Q«tm»jtM  39  ifaiAan  a««  «altii«  ««  rijp«>  t»i  mmdam  t%tm  ■miii 

0BhMt  0.  B.  w. 

TT)  Siafae  obw  &  SS  fll,  vw  to«  dn  TMUMsalifa  gf  ruahaa  ««rdea  mL 

TH)  InK.  MillcBboffkG^nMMAdMTMilaiaiMlM  I87S  8.)  S.  168  e«n- 
JatNa  tnm*   Bkmmm  (hmtimm  fmt  Mnl   Oripimmt  1\ikmttm  nmUr[mm]  . . . 

■■riofiui  (dir  lU.  tuiirmtimm  mmmii \  C^mmmionmu    bkm  ammt»  crMM» 

trmt»  JBfct—  M  formtLmm  B^fitme  ffimmt  radaeter.  Ikm*  mattUum  Mtfam- 
tMCMM  LXXX  l<^fm  Iroiw  Skmmm  Rammmi  pttaaitrmaL  I$l^  uiÜain  *«ik 
Galliern^  imptratöre  a  hurimri»  ««e«^!««  ••»1 

TS)  IL  Mälleahoff  in  da»  Ah^adlB^wi  dar  Ihwl—  Aiadcie  ««■  1863 
(Berlm  18tS  4)  8l  531. 

SO)  Branbaeli  K.  «9  £  —  7M. 

8I>  F.W.  Scbaidt  BoMar  Jahrb.  31  (IdSl)  8. 61 1,  tgL  96  (I^M)  S.  70. 


n«r  römische  Grcnzwall  iu  Doutscbland. 


45 


vielleicht  die  zweite  der  für  Caesar  von  Mamurra,  seinem  praefec- 
tusfahrum,  geschlagenen  Itheinbrücken  *')  —  die  erste  hatte  sicher  iliren 
Platz  am  uiitereD  llhein,  in  (Jer  Gegend  von  Xanten")  —  ;  an  der- 
selben Stelle  im  Gebiete  der  Treverer  war  auch  wahrscheinlich  später 
noch  je  nach  Bedarf  der  iJrückenübergang  über  den  Strom  zu  den 
Expeditionen  nach  dem  Osten **•).  An  ilein  von  dieser  Uebergangsstelle  Das  Castel 
westwärts  führenden  Zug  der  Strafse  liegt  bekanntlich,  hinter  Neuwied,  ^°°i,iber  '^ 
das  Castel!  von  Nifderbiber,  welches  ähnlich  wie  die  Saalburg  zu  den 
etwas  genauer  bekannten  römischen  Niederlassungen  der  Rheinlande 
gehört,  Dank  hauptsächlich  den  in  den  ersten  Jahrzehnten  «lieacs  Jahr- 
hunderts von  Hoff  mann  und  Dorow*")  dort  angestellten  Nachfor- 
schungen. Inzwischen  ist  freilich  die  Krhnltung  des  daselbst  noch  Vor- 
handenen auf  das  Aeiisserste  vernachlässigt  worden*");  immerhin  aber 
ist  soviel  mit  Sicherheit  festgestellt,  das«  das  Castell  das  grMste  aller 


82)  F.  RiUer  die  Pfalilbiücken  CAesars  bei  Bonn  und  Neuwied,  Bonner 
Jahrb.  37  {18G4j  S.  20  fl"  44;45  (1868)  S.  40  ff.  A.  von  Cohaanen  Caesars 
«weiter  Rheinübergang,  Bouuer  Jahrb.  47/48  (1809)  8,  1  fif.  Auch  die  bekannten 
Untersuchungen  A.  vonGölera  über  Caesara  galliBchen  Krieg  (drei  verschiedene 
Broschüren:  Caesars  ^IHscher  Krieg  in  *1en  Jahren  58 — 53  v.  Cbr.,  eine  kriega- 
wisneDschaftlicbe  und  philologische  Forschung,  mit  10  Tafeln,  iStuttgart  1858; 
Caeaars  gallischer  Krieg  im  J.  52  v.  Chr.  u.  a.  w.,  Carlsrube  1859  8.  Lex.  6.,  und 
dazu  eine  Uebersichtskart«,  IJeidelberg  1860  Fol.;  Caeeara  gallische  Krieg  im 
J.  51  v.Chr.  u.  8.  w,  mit  2  TaJVln,  Heidelberg'  1860  8.)  sind  hior/.u  zu   vergleichen. 

63)  A.  von  Co  hausen  Bonner  Jahrb.  43  (1867)  S.  1  ff.  und  desselben 
rinnreiche  Abhardlnng  'Caesara  Rheinbrücken',  Leipzig  1867  8  A,  Dedericb 
Julius  Caesar  am  Rhein,  I'aderhorn  1870  8.,  dazu  F.  Fiedler  Bonner  Johrh. 
53/54  (187.S)  S.  287  ff. 

84)  So  sind  wohl  des  Strabo  Worte  IV  3,  5  S.  194  C.  zu  verstehen 
nuQoixoint  rov  'P^vov  Tqhovi^o»,  *«%>'  avs  ntnotrjTm  ro  Cft^ffi*  ino  rüiv  'PutfiaCutv 
vw\  tüiv  ajgtttrj^'ovviüjv  jor  FiqiwvixIjv  nülif/ov.  Vgl.  Moramsen  FlerineB  13 
(1878)  S.  253.    Das  Cttiyft«  braucht  keine  dauernde  feste  Bracke  gewesen  zu  sein. 

85)  C.  F.  Hoff  mann  über  die  Zerstörung  der  Rönierstädte  an  dem  Rheine 
zwischen  Lahn  und  Wied,  Neuwied  1823  8.  W.  iJorow  römische  Alterthümer 
in  nnd  um  Neuwied,  Berlin  182G  4.  Mau  V4?rgleiche  auch  desselben  Verfassers 
b«kaauteB  grofseres  Werk :  Üpferstätteu  und  Grabhügel  der  Germanen  und  Römer 
am  Rhein,  2  .AhtheiUingon  in  einem  Bd.  mit  41  Tafeln  und  einer  Karte,  Wies- 
baden 1826  4. 

86)  Vgl.  die  Bemerkungen  von  A.  Rein  Boaner  Jahrb.  27  (1869)  S.  147  f. 
und  besonders  A.  von  Cobauaen  in  dem  Aufaatr.  über  Caesars  zweiten  Rhein- 
übergaug,  Bonner  Jahrb.  47/48  (18G9j  S.  44  ff. 


46 


Der  römbche  Qrenzwall  in  Deataohland. 


an  der  Linie  des  Limes  liegenden  gewesen  ist^  noch  bedeutend  gröCser 
als  die  Saalburg"),  862  zu  632  römische  FuCä  (der  der  Saalburg 
beträgt  720  zu  480  römische  Fufs).  Eine  genaue  Aufnahme,  mit 
Benutzung  aller  früheren  Ermittelungen  und  womöglich  nach  neuen 
Ausgrabungen,  soll  kaum  noch  ein  Ergebniss  versprechen**).  Doch  scheint 
die  Anlage,  welche  wiederum  nur  die 'allgemeinen  Dienstvorschriften*  ein- 
hält, der  der  Saalburg  sehr  ähnlich  gewesen  zu  sein  und  ganz  analoge  Um- 
wandlungen durchgemacht  zu  haben,  wie  schon  die  daselbst  gefundenen 
MiUtarziegel  und  Inschriften  zeigen**).  Man  glaubt  sogar  den  Namen 
dieees  Castells  zu  keunen.  Im  Jahre  246  nämlich  unserer  Zeitrechnung 
unter  der  Regierung  des  Gordianus  haben,  wie  einer  der  in  Niederbiber  ge- 
fundenen und  im  Schloss  zu  Neuwied  aufbewahrtenlnscbriftsteine  lehrt**), 
in  dem  Praetorium  des  Castells  vierzehn  Soldaten  zu  Ehren  des  kaiserlichen 
Hauses  ein  P>zbild  des  Genius  ihrer  Genossenschaft  geweiht.  Sie  nennen 
sich  baioli  und  vexiUarii,  <1.  h.  Handwerker  und  Fahnenträger,  collegio 
Victoriensium  signiferorum,  aus  der  (ienossenschaft  der  Feldzeichenträger, 
Weichesich  in  der  Ciiijclle  der  Siegesgöttin  versammelten");  Reste  einer 
ErzstAtue  der  Victoria  haben  sich  in  der  That  daselbst  gefunden.  Da 
nun  in  dem  vorhin  (S.  43)  angeführten  merkwürdigen  Anhang  zu  dem 
Veroneser  Provinzen verxeichniss  unter  den  alten  germanischen  Völker- 
schaften der  Usiper  Tubanten  und  Chasuarier  auch  die  in  der  Ueber- 
lieferung  verderbten  Namen  der  Nidretises  Nbvarii  vorkommen,  mit 
denen  nicht  viel  anzufangen  ist  —  nur  dass  in  den  Nictrmses  höchst 
wahrscheinlich  die  Tencteri  stecken,  weiche  mit  den  Usipern  und  Tu- 
banten ziisiimmengehören  — ,  so  hat  Professor  Jacob  Becker  in  Frank- 
furt am  Main  den,  wie  mir  scheint,  nicht  glflckliclien  Gedanken  gehabt, 
darin  die  Victorietises  der  Inschrift   von  Niederbiber   wiederzufinden, 


87)  Man  sehe  die  lehrreiche  vergleichende  Uebersicht  der  Limesc&stelle  zu 
Cohausen's  zuletzt  angeführter  Abhandlung  Taf.  X. 

88)  Verschiedene  daselbst  gefundene  Altcrthümer  tind  Bonner  Jahrb.  37 
(1864)  S.  71  ff.  mitgetheilt  nnd  besprochen  worden. 

89)  Dasa  dies  t-aatell  und  niuht  Mainz,  wie  man  bis  dahin  annahm,  der 
Ort  der  Empörung  der  germauisclien  Legionen  gegen  Galha  im  .Tahr  G9  gewt^sen 
sei,  wie  F,  Ritter  Bunucr  Jahrb.  39/40  (1866)  S.  45  ff.  7.\x  erweisen  suchte, 
entbehrt  durchaus  der  Wahrsoheialiehkeit. 

90)  ürelli  988  Branibaoh  692  Wilinanns  1526. 

91)  So,  als  Ablativus,  ist  coUtgio  meines  Eracbtens  zn  fassen,  nicht  als 
Dativns ;  denn  eoüegio  ....  Otnium  de  mto  fecerunt  tat  nicht  die  übliche  Aua- 
drucksweise  solcher  Inschriften  für  eine  Weihung  an  das  CoUegium. 


Der  ri'tniaohe  Grsnzwall  in  Deatsohiand. 


47 


welche  er  mit  Zuhilfenahme  der  nach  den  Nicirenses  genannten  Novarii 
zu  Vidorienses  novi  macht"-).  Schon  fängt  man  in  den  Kreisen  der 
rheinischen  Antiquare  an,  sich  dieser  vermeintlichen  Entdeckung  zu 
freuen  und  das  Castell  von  Niederbiber  mit  dem  schönen,  aber  freih'ch 
an  sich  schon  recht  auffälligen  Namen  Victoria  nova  und  seine  Be- 
wohner als  Victorienses  novi  zu  bezeichnen.  Eiue  Variation  die.ser  Ver- 
rautbung  ist  jüngst  von  L.  Urlichs  vorgetragen  worden.  Er  vermuthet 
in  dem  Castell  von  Niederbiber  das  vielgesuchte  Novia  der  Inschrift 
von  Urhino"*),  welches  unter  Comuiodus  durch  die  achte  Legion  von 
einer  Belagerung  befreit  wunle,  womit  ürlichs  die  Notiz  in  der  Vita 
des  Albinus^*)  /.usamraetibringt.  Er  findet  daher  in  dem  Veroneser 
Text  mit  etwas  engerem  Anschlus>s  an  die  Ueberlieferung  den  Namen 
der  Victorienses  Novicmi.  Ich  bedaure  der  Ansicht  des  Mitbegründers 
der  Bonner  Jahrbücher  nicht  beitreten  zu  können,  sondern  den  daraus 
gezogenen  irrthüinlichen  Folgerungen  ihr  Fundament  entziehen  zu  müssen. 
Denn  erstens  beweiüit  der  Name  tler  Genossenschaft  der  siyniferi  Vic- 
torienses keineswegs,  dass  das  ganze  Castell  den  Namen  Victoria  nova 
führte,  wie  schon  die  älteren  Erklärer  der  Inschrift  fälschlich  ange- 
nommen haben  ^''),  uud  zweitens,  selbst  wenn  Victoria  oder  Victrix  Novia 
erweislich  der  Name  des  Castells  gewesen  wäre,  so  würde  derselbe  sich 
sicherlich  nicht  unter  die  Völkernameu  der  Veroneser  Handschrift 
verirrt  haben.  Wir  kennen  also  den  alten  Namen  dieses  Castells  so 
wenig  sicher,  wie  den  irgend  eines  anderen  der  Limescastelle.  Nach  den 
für  mich  in  allem  Wesentlichen  überzeugenden  Ausfährungen  Hrn.  von 
Cohauseus  halte  ich  es  für  ganz  glaublich^  daas  es  an  eben  der  Stelle 
liegt,  welche  Caesar  während  seines  kurzen  Aufenthaltes  bei  den  Ubiern 


92)  Bonner  Jahrb.  39/40  (186G)  S.  10  S. 

98)  Orelli  3714  Wilmanna  1459.  C.  L.  Grotefend  Epigraphiachea  V, 
Hannover  18G6  8.,  S.  7  ff.,  bat  meitiea  Wissens  zuerst  auf  sie  hingewiesen.  ^ 

94 1  Capitolinus  vita  Albini  Cap.  G :  Albinus  ....  per  Commodum  ad  GaV 
liam  tran»latM8,  in  qua  fw/is  fugatü  gentibus  tran»rhet}ania  celebre  »omeft  «uwtn 
et  apud  Bomanon  et  apud  barbaros  fecit. 

95)  Die  Analogieeil  des  portHS  Victoriae  ItUiobrigensium  (Flinias  «,  ft.  IV 
§.111)  in  Hispanien  und  einer  ziemliub  unsicheren  Station  Victoria  im  nürdlioben 
Britannien  «Ptolemaoos  II  3,  9.  Ravennaa  V  31  vgl.  436,  13  Finder)  künnen  die 
Annahme  nicht  schützen.  Der  Hafen  von  luliobriga  ist  gewiss  nie  achlcoht- 
bin  Victoria  genannt  worden.  Was  mit  dem  Wort  in  den  Aufzeichnungen  von 
Schottland,  welche  Ptolemaeoa  vor  sich  hatte,  gemeint  war  (etwa  ein  fiigntim 
Victoriae,  und  dabei  eine  mafisio),  entzieht  sieb  genauerer  FestatelluQg. 


48 


Der  römiBcbe  GrenzwBll  in  Deutschland. 


im  Jahr  53  v.  Chr.,  nach  dem  zweiten  Rheinübergang,  für  ein  grofees 
Standlager  ausgewählt  hatte  {bell.  Gall.  VI  10,  2).  Desswegen  kann 
es  doch  leicht  auch  eines  der  vielbesprochenen  fünfzig  Castelle  läng» 
des  Rheines  sein,  wekhe  Drusus  angelegt  haben  soll  (Florus  II  30). 
Ura  so  weniger  wird  man,  wofern  jene  Annahmen  richtig  sind,  für 
wahrscheinlich  halten»  dass  es  den  Namen  Victoria  geführt  hat;  es  hat 
gewiss  entweder  einen  alten  einheimischen  oder  einen  rein  appellativi- 
schen Namen,  wie  castra  nova^  übta,  Julia  oder  dgl.  gehabt.  Ich  bin 
geneigt  die  Reste  des  bekannten  silbernen,  ursprünglich  theilweise  ver- 
goldeten Cohortenzeichens  aus  Niederbiber  im  Museum  zu  Wied")  mit 
den  Feldzügen  des  Germanicus  in  Verbindung  zu  bringen.  Das  Rild- 
uiss  des  über  dem  Tropaeuiu  aus  germanischen  Waffen  stehenden  Im- 
perators kann,  irre  ich  nicht,  nur  das  des  Augustus  selbst  oder  allen- 
falls das  des  in  ausserordentlicher  Stellung  commandierenden  Germanicus 
sein");  an  spätere  Kaiser  ist  nicht  zu  denken"^).  Ob  es,  wie  Grote- 
fend  meinte,  das  Zeichen  einer  Cohorte  der  achten  Legion  war  oder 
das    irgend    einer    Auxiliarcohorte    (wobei    die   erhaltene    Aufschrift 

Coh(ors)  V an  verschiedene  zu  denken  erlaubt,  an  die  V  Diüma- 

iarum,  V  Hispanorum^  die  VI  Thracum,  die  VII  Raetorum,  die  Vin 
BreumrutHy  die  alle  >)Chon  zum  ältesten  exercitus  Germanicus  gehört 
zu  haben  acheinen),  ist  dabei  gleichgiltig.  Grotefend's  Grund,  dass 
eine  Fhalera  mit  dem  Bildniss  des  Kaisers  nur  an  der  Stange  des 
Legionsadlers  sich  befunden  haben  könne,  halte  ich  weder  für  an  sich 
richtig,  noch  für  auf  dieses  Denkmal  anwendbar ;  doch  kann  dies  hier 
nicht,  naher  ausgeführt  werden.  Auf  alle  Fälle  gehörte  es  zu  dem 
ältesten  Inventar  der  Fahnencapelle  im  Gastell  von  Niederbiber. 

Die  Spuren  des  Limes  selbst  aber,  welche  den  vierten  Hauptab- 
schnitt der  ganzen  Aalage  bildeten,  sind  auf  der  Strecke  des  rechten 
Rhein  Ufers  von  Vallendar  etwa  bis  gegenüber  von  Andernach  haupt- 


96)  Br«mbiich  No.  703  e. 

97)  Die  (von  ßrambach  citiertcu)  Abbildungen  bei  Dorow,  in  diesen 
Jahrbüchern,  und  selbst  bei  T-indenachmit  sind  nicht  ausreichend;  das 
Original,  welches  «oh  hier  in  Berlin  zu  sehen  Gelegenheit  gehabt  habe,  übertrifft  sie 
sämmtlich  bei  weitem  und  ist,  trotz  mancher  Fehler  und  einer  gewissen  Breite 
und  Flüclitigkeit  in  der  Ausführung,  soweit  ich  urtheilen  kann  sicher  ein  Werk 
der  augtistiscben  Zeit.     Auch  die  Schrift  stimmt  dazu. 

98)  Auch  nicht  mit  Elberling  bei  C.  L.  Grotefend  (Epigmphisohe«  V, 
Hannover  1866  8.  S.  4}  an  den  ganz  anders  aussehenden  jugendlioben  Comniodus. 


Der  römische  Grenzwall  in  DeutschlHod. 


49 


sächlich  durch  ¥.  W.  Schmidt'")  nachgewiesen  worden'"*).  Weiter 
nördlich  sollen  dann  wieder  freilich  unsichere  f^puren  des  Liraes  östlich 
und  südöstlich  von  Linz'"')  und  hei  UnkeP"*)  begegnen.  Dass  hier, 
zwischen  Lahn  und  Sieg,  soweit  wir  jetzt  sehen,  die  Spuren  des  Limes 
aufhören  und  somit  der  vierte  Hauptabschnitt  der  ganzen  Grenzwehr 

.geinen  Abschluss  findet,  ist  eine  für  die  vielbehandelte  Frage  nach  der 
Grenze  zwischen  dem  oberen  und  unteren  Germanien,  falls  sie  sich  be- 
stätigt, wichtige  Thatsache.  Ich  gehe  hier  auf  die  bekannte  Coutro- 
verse  nicht  ein:  zu  erwägen  wird  künftig  bei  jedem  Versuch  ihrer 
Lösung  sicherlich  auch  sein,  ob  und  wie  weit  zu  jeder  Zeit  in  gleicher 
Weise  die  Grenzlinie  vom  linken  auf  das  rechte  Rheinufer  sich  fort- 
gesetzt hat. 

Für  die  folgenden  Ahschnitto  des  Limes  in  den  rechtsrheinischen 
Landen,    welche    ihrer  natürlichen  Beschaffenheit  nach   in  die  Gebiete 

'bis  zur  Sieg,  von  der  Sieg  zur  Wuppcr,  von  der  Wiipper  zur  Ruhr, 
and  endlich  von  der  Ruhr  bis  zur  Lippe  zerfallen,  w^erden  die  sicheren 
Anhaltspunkte  der  Ueberlieferung  immer  geringer,  die  Nachrichten 
immer  spärlicher  und  unsicherer. 

V. 

Vüllig  unerforscht  ist,  so  weit  meine  Kenntniss  reicht,  in  Bezug  Rheinland 
auf  den  Limes  der  fünfte  Haujitabschnitt  der  östlichen  Ueichs- 
grenze,  das  Gebiet  zwischen  Sieg  und  Ruhr.  Es  wäre  nicht  unmög- 
lich, daüs  die  im  Norden  weit  nach  Osten  hin  ausgedehnten  Operationen 
in  Folge  der  Varusschlacht  gehindert  worden  sind,  auf  dieser  Strecke 
auch  nach  Süden  hin  sich  zu  erstrecken,  um  so  mit  den  später  durch 
Germaaicus  von  Cöln  und  Trier  aus  gewiss  auch  in  jene  Gebiete  hin 
unternommenen  Expeditioneu  Fühlung  zu  gewiunen.  Es  wäre  keines- 
wegs unmöglich,  dass  gerade  durch  Germanicus  der  Versuch  gemacht 
worden  ist,  die  Verbindung  zwischen  Mainz  und  Cidn  auch  auf  dem  rechten 
Ufer  des  Stromes,  mit  Benutzung  älterer  Anlagen,  durch  ausgedehnte 


99)  F.  W.  Schmidt  Local-Untei-Huchungen  über  den  Pfahlgrahen  sowie 
aber  die  alten  Befeatt^uti^eu  zwiaohen  Lahn  und  Sieg,  Annalen  des  Vereins  für 
nassBuische  Alterthumskunde  und  GeacbiohtsforBohung  6  (1859)  S.  107  ff.  mit 
Taf.  Hl. 

lOOj  Siehe  die  Karte  Taf.  I  n  Cohaaseni  oben  S.  45  Anm.  82  oitierlem 
Aufsat?:, 

103)  Jo9.  Pohl  Bonner  Jahrb.  53;64  (1873)  S.  322. 

102)  J.  Schneider  Bonner  Jahrb.  49  (1870)8.  177  ff.,  A.  von  Hoiningen- 
Huene   ebendss.  38  (1865)  S.  171   f.,    44/4.5  (1868)  S.  280,  55/56  (1875)    S.  247. 

4 


80 


Der  römäche  Gr«ni«in  üi  Deotachkud. 


Befestigungsanlagen  zu  schützen.  Es  liegt  nahe,  die  bdcaAoten  Ntdi- 
ricbten  über  seine  Operationen  von  Vetera  und  vom  Taunns  ans  ***)  M 
xa  combinieren;  ob  das  in  Niederbiber  gefundene  Cohortenxeicfaen  des 
Oermankos,  Tiberios  oder  Augostua  darstellt'**),  tosBe  ich  dabei  un- 
entschieden ;  dass  ein  Kaiser  oder  Caesar  (im  römischen  Sinn)  dargestdtt 
und  kein  spaterer  gemeint  sein  könne,  ist  mir,  wie  gesagt,  anzweiÜdhaft. 
Auf  der  anderen  Seite  aber  ist  das  fruchtbare,  in  zahUoee  U9fe  ge* 
theilte  Land  zwischen  Sieg  and  Rohr  seit  Jahrhunderten  daer  ao  m- 
tensiven  Cultur  unterworfen,  dass  schwieriger  wie  an<ler3wo  hier  die 
Sparen  alter  Befestigungsanlagen  zu  erkennen  und  zu  Verfolges  atnd. 
Jeder  Nachweis  ans  diesen  Ölenden  wird  daher  doppelt  envOnchi 
und  lehrreich  sein. 

VI. 
Wettfalen  d.  An  den  nördlichsten  Abschnitt  der  Reicbsgrettze,  den  sech$l 

Niederknde  jjj  j^^  y^^  angedeuteten  lU^iheufolge,  au  die  Linien  zwischen  Ruhr 
und  Lippe,  knüpfen  sich,  wie  bekannt,  die  fast  nicht  mehr  zu  über- 
sehenden Specialforscbongeu  nach  den  Oertlichkeiteo  der  Castelle  Arbalo 
und  Ahso,  der  Varusschlacht  und  der  Schlacht  von  Idisiariso.  Den 
richtigen  Weg  der  Untersuchung,  nämlich  zunächst  die  noch  vorhan- 
dfenen  Beste  der  alten,  vielleicht  schon  von  Agrippa  geplanten  Strai^en- 
aOge  festzustellen,  hat  schon  vor  mehr  als  vierzig  Jahren  der  General 
von  Müffling  eingeschlagen'**^).  Ihm  sind  i^iederaffl  der  Obo^t- 
lieutenant  F.  W.  Schmidt*"*;  und  Jac  Schneider  in  Düsseldorf  ge- 
*  folgt,  welcher  seit  den  sechziger  Jahren  seine  auf  den  Niederrhein  be< 
zügUchen  Forschungen   führt  >*^^).    Bis  zum  Jahr  1870  hatte   dersdbt 

103)  Tuitos  ann.  I  50  und  56.  Die  Abh&ndluog  von  W.  Baabmknn 
dt  hmite  a  Tibtrio  coepto  (Oynmasialprogramm  ron  Wernigerode  1662  4.)  tuobt 
ftof  Tier  8eit«i  tu  beweiaan,  dmM  in  der  entf  enumteo  Sl«De  d«  Ttcitus  iniet 
im  Sinne  Ton  via  lu  iuMD  eei.  För  die  hier  in  betradU  koBmeode  Ff 
bleibt  sie  ohne  Ergeboim. 

104)  C.  L.  Grotefend  Bonner  Jahrb.  38  (1865)  S.  61  fl. 

105)  In  Mineni  ant«r  dar  Ckiffre  'C.  v.  W.'  pabKeieHeti  Buch  fiber  die 
RdtneretnTsen  la  rechten  Ufer  dea  Niederrbeins,  Berlin   1834  S. 

106)  ZeitMhrift  fir  veterl&ndieebe  Ueeebichte  tind  Altertbamalcande  (We 
hleaa)  Bd.  20  (der  neuen  Folge  Bd.  10 1  1859  S.  259  ff.  (ohne  Karte». 

107 1  Sieb«  denen  uÜijaariMhe  Mittbeüuugtn  aas  dem  Regierutgebexirk 
I>ä»aeldorf.  Boaner  Jahrb.  86  (1864)  S.  78  ff  39/40  (1866)  S.  151  ff.  und  Mbea 
•äderen  Arbeiten  in  dlAMb  JahrbBdiem  und  in  Piek'e  MonaHuchrifl  die  be- 
•onder«  Bnohiaoebeo  'nemeat  Beiträge  cur  alten  Geeebiehto  and  Geographie  der 
Bkrinknd«',  bis  jelal  «If  Uafarvpgen.  Daaseldorf  1860  bü  1S78  &,  mit 


Der  römitche  Grenzwall  in  DeutacU&nd. 


61 


bereits  fünf  Berichte  mit  umfänglichen  kartographischen  Aufnahmen 
an  das  üntcrrichtsministeiium  eingereicht,  über  deren  luhalt  bisher 
nur  kurze  Relationen  bekannt  geworden  sind'*"):  es  wäre  sehr  zu  wün- 
schen, dass  besonders  die  topographischen  Aufnahmen  zu  geeigneter 
Verwerthuug  kämen.  Auch  seitdem  ist  Prof.  Schneider  fortgesetzt 
in  derselben  Weise  thätig  gewesen,  wie  seine  neuesten  Mittheilungen 
über  'alte  Verschanzungen  an  der  Lippe''*')  zeigen 'i").  In  den  Um- 
gebungen von  Duisburg 'i'j  und  im  Bergischen,  bei  Merkenich  und 
Solingen  "*j,  sind  neuerdings  ebenfalls  Reste  der  alten  Grerizwehren  be- 
merkt worden.  Um  ili«  Erforschung  des  nördlichsten  Abschnittes  der 
Rheinlande,  des  Landes  der  Bataver,  hat  Professor  A.  Dcderich  in 
Emmerich  sich  bekanntlich  mannigfache  Verdienste  erworben'"*);  auch 
in  den  Specialarbeiten  über  den  Aufstand  des  Civilis  von  E.  Meyer"*) 
und  C.  Völcker"*)  findet  sich  Manches  darauf  bezügliche.  Die  von 
d^m  Bonner  Verein  von  Alterthumsfreunden  im  Rhcinlande  in  Aussicht 
genommene  planmäf^ige  Untersuchung  aller  römischen  Strafsenreste 
zunächst  des  linksrheinischen  Gebietes"*)  wird,  wenn  sie  einmal  durch- 
geführt sein  wird,  auch  filr  dieStrafsenzüge  auf  der  anderen  Seite  des 
Stromes  wichtige  Anhaltspunkte  bieten.  Für  das  rechte  Ufer  hat 
neuerdings  L.  Hölzer  mann  von  neuem  den  richtigen  Weg  der  Unter- 


!08)  Bonner  Jahrb.  49  (1870)  S.  162  ff. 

109)  Bonner  Jahrh.  59  (1876)  S.  104  ff. 

110)  Im  April  des  Jahres  ld7G  schrieb  mir  Professor  Schneider,  was 
ich  hier  mit  loiner  KrlaubtiiBs  raitzutLeilen  nicht  unterlaBsen  will,  dass  die 
Fundstätte  der  bei  Marrca  im  üidenburgiachen  gefundeneu  Alterthümer,  welche 
ich  io  den  Bonner  Jahrb.  ü7  (1876)  S.  G6  ff.  veröffeutlicht  habe,  au  dem 
von  ihm  untersuchten  und  von  Nicderbiber  in  fast  gerader  Linie  nordwärts  bis 
zum  Saarbeckea  bei  Münster  führenden  Strafsenzug  liegt,  falls  derselbe  sich, 
wie  antunehmen,  über  Ibbenbüren  nordwäkrts  fortgesetzt  habe. 

111)  M.  Wilma  Bonner  Jahrb.  52  (1872)  S.  1  ff. 

113)  F.  W.  Obligscb läger  Bonner  Jahrb.  58/64  (1873)  S.  273  f, 

113)  A.  Dederioh  Beiträge  zar  rÖmisch-deutBchen  Geschichte:  dieDamm- 
anlagen  des  Drusus  bei  der  bataviachen  lusel,  Emmerich  1849  4.  Auch  acine 
neueste  Schrift:  Julius  Caesar  am  Rhein  nebst  Anhang  &ber  die  Germania  des 
Tacitus  u.  s.  w.  Paderborn  1870  8.,  ist  siu  vergleichen. 

114)  E.  Meyer  der  Freiheitskrieg  der  Bataver  unter  Civilis.  Hamburg 
1866  4. 

115)  C.  C.  C.  Völcker  Taeitua  über  den  Freiheitskampf  der  Bataver  unter 
CiriliB,   mit  Einleitung,  Commentar  und  zwei  Karlen  I  II  Elberfeld  1861—63  8. 

116j  Siehe  Bonner  Jahrb.  57  |1876)  S.  1  ff. 


62 


Der  römiüche  Greozwall  in  Dcntachland. 


suchung  Hingeschlagen.  Hölzermann's  Arbeiten '"),  zu  welchen  er 
bekennt  hauptsächlich  durch  die  bekannten  Werke  de«  verstorbenen 
preussischen  Generals  von  Peucker*'*)  angeregt  worden  zu  sein,  um- 
fassen einen  grossen  Theil  des  (auf  der  Karte  A  dai'gestellten)  Gebietes 
zwischen  Rhein  und  Weser,  welches  von  den  Flflssen  Ruhr,  Lippe  und 
Ems  durchströmt  ist.  Von  den  Castra  Vetera  bei  Xanten,  gegenüber 
von  Wesel,  liat  er  zunächst  besonders  den  Lauf  der  Lippe  aufwärts 
bis  Lippspringe  auf  das  genaueste  verfolgt  (vgl,  die  Karten  B,  C  und 
Tafel  V)  und,  nach  Yorausschickung  einiger  orientierender  Bemerkungen 
über  die  auf  diesen  Gebieten  sich  bewegenden  Feldzüge  des  Drusas 
Tiberius  und  Germanieus,  über  die  Bezeichnungen  'Burg',  'Hüne', 
'Römer*,  die  sämnitlichen  Strafsenzüge,  Landwehron  und  Befestigungen, 
die  sich  ganz  oder  theilweise  erhalten  noch  vorlinden,  persönlich  auf 
das  sorgfältigste  gemessen  und  gezeichnet.  Hierdurch  unterscheiden 
sich  seine  Arbeiten  auf  das  Vortlieilhafteste  von  denjenigen  aller  seiner 
Vorgänger,  welche  nur  Weniges  der  Art  überhaupt  selbst  gesehen  und 
noch  Geringeres  genau  gemessen  und  beschrieben,  desto  schneller  auf 
oberflächliirhe  Kenntnisse  die  luftigsten  Hypothesen  aufgebaut  haben. 
Ob  es  ihm  freilich  gelungen  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  die  ältesten 
römischen  von  den  gleichzeitigen  oder  späteren  germanischen,  sowie 
von  den  fränkischen  und  sächsischen  Erdwerken  (aus  der  Zeit  von 
Karls  Sachsenkriegen)  zu  unterscheiden,  bleibe  dabingestellt.  Wenn 
Uölz ermann  auf  seinem  methodischen  Wege  dazu  gelangt,  das 
Gasten  von  Aliso  in  das  Dorf  Ringboke,  am  Einfluss  des  Elsen- 
baches in   die  Lippe,   ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  Lippstadt  und 


117)  Lokalunterauchungen  die  Kriege  der  Römer  und  Franken  sowie  die 
BefestigungsmaniereD  der  Germanen.  Sachsen  und  des  späteren  Miltelalters  bo- 
treffend von  L.  Hölzermann,  Hauptmann  und  Compagnie-Chef  im  3.  nieder- 
scbleBischen  lafanterie-Regiment  No.  50,  iiacb  deascn  Tode  berauagegebeo  von 
dem  Vereine  für  Geschichle  und  AUerlbumskundo  WcNtfalens  [durch  Professor 
W.  E.  Gieferslj  mit  2  Karten  und  51  lithographirten  Zeichnungen,  Münster 
(Vni  und  124  S.)  Lex.  8.  Das  Werk  ist  besoDdera  durch  die  treffliche  Aus» 
fDhning  der  topographischen  Ptäuc  au sgcze lehnet;  nur  Tafel  I,  die  Abbildung 
Tun  einigen  Urnen  und  Waffen  enthaltend,  hätte  fehlen  können,  da  dergleichen 
viel  besser  in  Lindenschmit's  bekanntem  Werk  zu  finden  sind. 

118)  E.  von  Peucker  das  deutsche  Kriegswesen  der  Urzeiten  in  seinen 
Verbindungen  und  Wechsfllwirkuugen  mit  dem  gleichzeitigen  Staats-  und  Volks- 
l«b«b  3  Bde.    Berlin  1860—64  8. 


Der  römische  Grcnzwall  in  Deatacblatid. 


Paderborn,  und  das  varianische  Schlachtfeld  zwischen  Hör ii  und 
Alt-Schiedcr,  südlich  von  Detmold  und  östlich  von  derGrotenburg,  an- 
zusetzen "^),  so  hat  das  immerhin  ein  anderes  Gewicht,  als  alle  bisher 
aufgestellten  Hypothesen.  Allein  auch  damit  dürfte  das  allerletzte  Wort 
noch  nicht  gesprochen  sein  ""),  so  sehr  ich  die  Wahrscheinlichkeit  von 
Hölzer  manu 's  Annahmen  anerkenne.  Sein  Werk  schliesst  mit  einem 
Verzeichniss  von  nicht  weniger  als  sechs  und  dreissig  'Heerlagern  und 
Burgen,  deren  Untersuchung  noch  nicht  hat  geschehen  können'.  Bis 
auch  sie  geschehen  sein  wird,  bleibt  noch  einigen  Zweifeln,  auf  die 
hier  nicht  eingegangen  werden  soll,  Raum  "").  Nachgewiesen  aber  hat 
Hölzermann,  dass  auch  im  Thal  der  Lippe,  wie  in  dem  der  Kinzig, 
deutliche  Reste  römischer  Limesanlagen  vorhanden  sind,  wie  die  soge- 
nannte 'Königslandwehr'  bei  Hamm  (S.  tl2  ff.),  und  dass  diese  west- 
fälischen Landwehren  in  Anlage  und  Maafsen  auf  das  Genaueste  mit 
den  römischen  Wällen  auf  dem  linken  Rheinufer  übereinstimmen  (S.  68ff.). 


119)  Mit  Befremdcu  wird  icau  aus  Ilolzormann's  Werk  erfahren,  dass 
die  GrotenbuTg  oder  TeiitoLiirg,  auf  welcher  das  neu  errichtete  Denkmal  des 
AnniniuH  steht,  noch  x.um  Zweck  der  Aufstellung  dieses  Denkmals  die  Reste 
ihres  uralten  Ronen  rings,  der  bis  dahin  erhalten  war,  hat  verlieren  müssen, 
obgleich  man  die  nüthigen  Steine  ebenso  leicht  anderswoher  aus  o&ohslcr  Nähe 
fa&tte  haben  können  iS.  111  if.)- 

120)  Es  mag  hier  gestattet  sein  auch  darauf  hinsaweisen,  dass  wie  der 
Ort  so  auch  die  Zeit  der  Varusscblaclit  dazu  bestimmt  zu  sein  scheint,  nicht 
eodun  wollende  Erörterungen  bervurzurufL'ii.  Ich  nenne  nur  die  neuesten  der- 
seilten,  die  längeren  oder  kürzeren  Abhandlungen  von  H.  Brandes  (in  der  Zeit- 
schrift "im  neuen  deutschen  Reich'  187fi  I  8.  746  ff.,  der  sich  für  du»  Jahr  10 
entschied),  Abraham  (zu  den  germanischen  und  pannonisobcn  Kriegen  unter 
Augustus,  Programm  der  Sophienrealschule,  Berlin  187&  4.),  V.  Gardt hausen, 
A.  Schäfer,  C.  Lüttgort  (in  den  Jahrbüchern  für  Philologie  1876  S.  '2ib  f. 
248  1.  541  ff.),  C.  Schrador  (in  deuselben  Jahrb.  1877  S.  846  ff..),  und  endlich 
Ton  Edtn.  Meyer  ('in  welchen  Monat  des  J.  9  n.  Chr.  fiel  die  Schlacht  im 
Teutoburger  Walde ,  Forsch,  zur  deutschen  Gesch.  18,  1878  S.  325  ff.,  Zoitschr. 
fär  das  Gymnasialwesen  1878  S.  449  ff.).  Nach  alle  dem  scheint  kein  hinläng- 
licher Grund  vorzuliegen  znm  Zweifel  aiL  der  bisher  meist  für  richtig  ge- 
haltenen Annahme,  dass  n&niHch  die  Schlacltt  im  Jahre  9,  und  zwar  wahrschein- 
lich zu  Ende  Juli  oder  zu  Anfang  Augu»t,  stattgefunden  habe. 

121)  J.  Schneiders  Anzeige  von  Hölzermnnns  Arbeit  in  diesen  Jahrb. 
62  (1878)  S.  130—140  hebt  die  üuvollständigkeit  und  Uusicherheit  der  Angaben 
fiber  die  Grenzwehren  und  Strflfscn  in  derselben  mit  Recht  hervor,  wahrend  die 
Beschreibungen  der  Befestigungsanlag^^'n  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  als  zu- 
veri^sig  anerkannt  werden. 


54 


Dor  rönisehe  Granzwall  in  DentBohknd. 


Es  ist  vor  der  Haad,  soweit  ich  die  Lage  der  Untersochung  über- 
sehe, noch  uniiiüglich  aus  dem  Gewirr  der  zu  verschiedenen  Zeiten  von 
Personen  der  verschiedenartigsten  Begabung  und  Vorbildung  angestellten 
Beobachtungen  eine  klare  Anscbauung  zu  gewinnen,  zumal  die  uleuien- 
tarste  Vorbedingung  hierfür,  nämlich  eine  Uebersichtsk&rte  der  bis- 
herigen Funde,  fehlt.  Soviel  aber  sieht  man  schon  jetzt;  mag  auch 
ein  groteer  Theil  der  auf  den  weiten  Landerstrecken  im  Osten  des 
Rheins  aufgedeckten  Systeme  von  Berestigungsaolagen  und  einzelnen 
Schanzen  und  Warten  späteres  Ursprungs  sein,  ein  Kern  römischer  Aü- 
lagcn,  die  also  nothwondig  auf  die  augustische  Zeit  zurückgehen  müssen, 
ist  unzweifelhaft  vorhanden.  Die  erste  und  wichtigste  Aufgabe  also  der 
antiquarischen  Topographie  jener  unserem  engeren  Vaterland  ange- 
hörigen  Gebiete  ist,  diesen  Kern  der  ältesten  Anlagen  aus  der  ver- 
wirrenden Masse  der  späteren  Zuthaten  und  Veränderungen  herauszu- 
schälen. Die  Aufgabe  ist  schwierig,  weil  litterarische  Zeugnisse,  die 
sicher  verwerthbar  wären,  und  iuschriftlithe  Funde  (bi^  jetzt  wenigstens) 
durchaus  fehlen;  Gräberfelder,  Müiizfundc,  Funde  anderer  AI terthümer 
haben  für  die  Lösung  solcher  Fragen  ja  nur  einen  bedingten  Werth. 
Aber  ich  halte  auch  diese  Aufgabe  für  nicht  unlösbar,  d.  h.  wohlver- 
standen innerhalb  der  vorsichtig  abzusteckenden  Grenzen,  welche  sich 
aus  ihr  selbst  ergeben.  Ob  es  jemals  gelingen  wird,  Aliso  und  das 
Feld  der  Varusschlacht  festzustellen,  hängt  vom  Zufall  ab.  Aber  sorg- 
fältiges Terrainätudium,  von  militärisch  geübten  Beobachtern  geleitet, 
natürlich  auf  Grund  aller  zugänglichen  schriftlichen  und  mUndlichen 
Informationen,  und  unterstützt  von  vorurtheilsloser  Schätzung  und  Ver- 
werthung  der  Zeugnisse  der  antiken  Litteratur,  wt4che  weder  von  noch 
so  eifrigen  Localantiquaren  noch  von  noch  so  gebildeten  Offizieren  ver- 
langt werden  kann,  sondern  Sache  der  antiquarisch  und  epigraphisch 
geschulten  Philologen  und  Historiker  ist,  wird  und  muss  auch  hier  zu 
den  überhaupt  erreichbaren  Resultaten  führen,  so  gut  wie  die  gröfsten 
Thcils  musterhaft  geführte  Untersuchung  des  französischen  Bodens  zu 
der  schönen  carte  topographique  de  la  Gaule  geführt  hat,  mit  welcher 
sich  der  Kaiser  Napoleon  IIL  iu  der  That  ein  bleibendes  Denkmal 
geschaffen  hat.  Dass  vor  der  Hand  noch  von  den  besten  Kennern 
jener  Gegenden,  wie  von  Jac.  Schneider  selbst,  jeder  Zusammenhang 
zwischen  dem  eigentlichen  Limes  der  südlichen  Gegenden  und  den 
nördlichen  Anlagen   geleugnet   wird"*),   darf  nicht  Wunder   nehmen-, 


122)  Siehe  deMcn  Bemerkungen  in  der  Jenaer  Literatunseitung  1878  S.  28. 


Der  römitohe  Grenzwalt  in  DeuUchland. 


56 


gerade  die  genaueste  Detailkenntniss  erschwert  oft  den  UeberbUck  über 
das  Ganze  '*").  Es  ist  sicherem  Vernehmen  nach  jetzt  Aussicht  dazu 
vorhanden,  dass  diese  weder  unwichtige  noch  auch  für  weitere  Kreise 
interesselose  Aufgabe  ernstlich  in  die  iland  genommen,  unter  der 
obersten  Leitung  des  grofijen  Geoeralstabes  unserer  Armee  den  rechten 
Mannen  übertragen  und,  unter  die  Fürsorge  des  Staates  gestellt,  auch 
zu  Ende  geführt  wird.  Dann  erst  wird  es  luöglich  sein,  auch  die  süd- 
lichen Abschnitte  der  Limesanlage  in  Bezug  auf  ihre  älteren  und 
jüngeren  Bestandtheile  einer  eingebenden  Vergleichung  mit  den  älteren 
nördlichen,  später  aufgegebenen  Anlagen  zu  unterziehen.  So  wird  die 
Eenntniss  der  gesammten  Befestigungslinie  auch  wiederum  der  richtigen 
Beurtheilung  ihrer  einzelnen  Theile  zu  Gute  kommen.  Da  die  Aufgabe 
in  unserer  alten  Rheinprovinz  und  in  Westfalen  m'cht  halb  so  einfach 
liegt,  wie  in  Bayern,  Würtemberg,  Baden  und  in  der  Provinz  Hessen- 
Nassau,  so  werden  wir  uns  doppelt  anstrengen  müssen,  um  das  dort 
gegebene  Beispiel  der  Untersuchung  und  Aufnahme  womöglich  noch 
ZQ  übertreffen. 

Vielleicht  trägt  diese  Darlegung  des  Thatbestandcs  dazu  bei,  über 
das  Ziel  der  Aufgabe  zu  orientieren  und  den  Werth  ihrer  Bearbeitung 
richtig  schätzen  zu  lehren.  Völlig  wird  diese  Darlegung  aber  ihren 
Zweck  erst  dann  erreichen,  wenn  es  gelingt,  sie  durch  eine  in  nicht 
zu  kleinem  Maafsi<tab  angelegte  Gesammtkarte  des  ganzen  Limesge- 
bietofi  von  Regensburg  bis  zu  den  Niederlanden  zu  übersichtlicher  An- 
BChauung  zu  bringen.  Die  Herstellung  einer  solchen  Karte  ist  meines 
Wissens  noch  niemals  ernstlich  in's  Auge  gefasst  worden.  Zwar  sind, 
wie  ich  höre,  hier  und  da  auf  Versammlungen  deutscher  Geschichts- 
und Alterthumsvereine  Uebersichtskarten  der  ganzen  Limesanlage  neben 
den  Specialkarten  einzelner  Theile  derselben  vorgezeigt  worden.  Aber 
zur  Veröffentlichung  ist  meines  Wissens  keine  derselben  gelangt.  In 
geographisch- kartographischer  Hinsicht  sind  wir  ja  überhaupt  noch 
gar  nicht  eine  wirklich  geeinte  Nation.  Professor  Kiepert  hat  sich 
auf  meine  Bitte  der  Arbeit  unterzogen  eine  solche  Karte,  und  zwar  im 
Maafsstab  von  1 :  3O0OO0,  zu  zeichnen.  Noch  aber  ist  es  nicht  möglich 
diese  vorzügliche  Zeichnung  zur  völligen  Ausführung  und  VervielEltigung 
Zü  bringen,   so  erwünscht  dieselbe   auch  unzweifelhaft  Vereinen  und 

123)  Aach  Yates,  dessen  genauere  Uebersicht  über  den  Wall  mit  dem 
naaMokchen  Abscbnitt  endet,  ist  nicht  abgeneigt,  eine  FortsetKung  deeselben 
n&rdhcb  bis  Deatz  oder  gar  mit  Einigen  bis  nach  Wyck  de  Dnnnstede  in  Holland 
anzimehmeu  (S.  129  des  oben  S.  21  citierten  Aufsatzes). 


Der  römisch«  Greuzwall  in  ItouUebUnd. 


Einzelnen  sein  würde.  Es  bleiben  vor  allem  zunächst  noch  die  Ar- 
beiten Ohlenschlagers  abzuwarten;  auch  für  die  hessischen  Gebiete 
konnten  allerlei  schon  vorhandene  Vorarbeiten  vor  der  Hand  noch 
nicht  verwerthet  werden.  Die  der  vorliegenden  Uebersicht  beigegebene 
Karte  (im  MaafStötab  von  1 1 1,500000)  mit  ihren  drei  Nebenkarten  (in 
etwas  gröfäeren  Muaf^stäben)  hat  nur  den  Zweck  soweit  zu  orientieren, 
als  für  das  Verständnis^  der  ganzen  Anlage  unbedio^^t  nothweodig  i.st. 
Immerhin  wird  sie,  ebenfalls  von  H.  Kiepert,  auf  Grund  der  Vorar- 
beiten zu  der  beabsichtigten  Karte  im  grofsen  Maafsstab,  mit  gewohnter 
Meisterschaft  ausgeführt,  den  zahlreichen  Lesern  dieser  Blätter  eine, 
wie  ich  glaube^  sehr  erwünschte  und  lehrreiche  Zugabe  »ein,  für  deren 
Beschaffung  und  geschmackvolle  Vervielfältigung  dem  Vorstande  unseres 
Vei-eins  aufrichtiger  Dank  gebührt.  Auf  eine  ausführliche  Terraiu- 
danstelluog.  iüt  dabei  verzichtet  worden;  die  Terraintöne  sollen  nur 
die  Bödenbeschaffenheit  in  Bezug  auf  Wegsamkeit,  ohne  Rücksicht  auf 
absolute  Erhebung  des  Bodens,  anschaulich  machen.  Auch  ist  dafür 
Sorge  getragen,  dass  alle  später  etwa  eingehenden  Mittheilungen  über 
Limesreste  in  die  Karte  eingetragen  werden  können.  Für  das  nördlichste 
Gebiet,  das  grofse  Arbeitsfeld  Jac.  Schneider'»,  scheint  es  überhaupt 
noch  nicht  an  der  Zeit,  eine  kartographische  Zusammenfassung  zu  ver- 
suchen; auf  alle  Fälle  würde  dazu  der  im  übrigen  passende  Maafsstab  nicht 
ausreichend  sein.  Vielfach  berührt  sich  die  Aufgabe  einer  Darstellung 
des  ganzen  Limes  mit  der,  wie  schon  oben  erwähnt  wurde,  vom  Bonner 
Verein  der  Alterthumsfreunde  mit  glücklichem  Takt  und  schon  merk- 
barem Erfolg  in  Angriff  genommenen  der  Herstellung  des  römischen 
Strafsennetzes,  zunächst  in  den  linksrheinischen  Gebieten  '"^).  Beide 
Aufgaben  bedingen  und  ergänzen  sich  gegenseitig:  möchten  sie  über 
Prcussens  Grenzen  hinaus  unter  des  Reiches  Schutz  zu  glücklicher 
Vollendung  gelangen.  £.  Hübner. 


124)  Für  sie  ist  in  den  Abhandlungen  Jac.  Schneider'«  in  diesen  Jahrb. 
60(1877)8.  1  ff,.  61  (1877»  S.  1  ff.  und  im  vorliegenden  (63)  S.  1  ff.  -  in  einem 
Correclurbogen  mir  eben  zugekommen  —  bereits  der  Anfang  gemacht.  —  Zu  dem 
8. 80  erwähnten  mvm'mentum  Traiani  fuge  ich  hier  noch  nachträglich  hinzu,  dasa 
•eine  muthmafsliche Lage  von  H.  E.  Scriba  im  Archiv  für  heuische  Geschichte  und 
Landeskunde  3,  184'1  Heft  1  No.  IV  erörtert  worden  ist;  zu  dem  S.  50  behandelten 
nördlichsten  Abachnitt  des  Grenzwalls  ist  A.  Fahne's  Aufsatz  die  Landwehr 
oder  der  Umu  imp.  Rom.  am  Niederrhein'  in  der  Zeitschrift  des  Bergiacben 
GesohichtNvereins  Bd.  4  (Bona  1867  6.)  S.  1—82  (vgl.  ebenda«.  10,  1874  S.  116  ff) 
KU  vergleichen. 


InschrifUicbea  aus  Heidelberg. 


67 


3.  Inschrifth'ches  aus  Heidelberg 

lesonderer  Berücksichtigung    keltischer  Namen  aul* 
rheinischen  Inschriften. 

Uiurzu  Tafel  111: 

Im  Jahre  1822  fand  man  bei  Erdarbeiten  in  den  Feldern  westlich 
von  Heidelberg  das  Terrain  eines  allemannisdien  oder  fränkischen  Be- 
gräbnissplatzes  aus  nachrömischer  Zeit,  der  mehrere  Tlattengräber, 
sog.  fränkische  Grabkaramern  ergab.  In  ihnen  lagen,  einzehi  gebettet, 
Skelete  mit  Waffen,  welche  bekanntlich  den  germanischen  Leichen  als 
Beigabe  ins  Grab  mitgegeben  wurden,  eine  Sitte,  die  bei  den  Römern 
nicht  bestand. 

Die  Erinnerung  an  diese  Begräbnissstätte  lebte  fort  im  Namen 
des  dortigen,  jetzt  allerdings  meistens  zu  Bauplätzen  benutzten  Feld- 
distriktes, der  den  bezeichnenden  Namen  ,In  der  Seel*  oder  ^Seelen- 
gewann"  führt;  ein  dortiger  Weg  heisst  „Seclenwpg",  d.  h.  Todtenweg, 
Namen,  die  vielfach  an  Stellen  ehemaliger  Kin-hhöfe  auftreten  (so 
raehrfai'h  in  der  Nähe  von  Heidelberg,  z.  B.  bei  Kirchheim,  als  Be- 
zeichnung eines  alten  Pfarrgutes;  vergl.  Widder,  Beschreibung  der 
Pfalz  I,  S.  162) '). 

Die  Lage  dieser  Stätte  war  überhaupt  bedeutsam,  sie  bildete  den 
Scheite!  eines  Winkels,  dessen  beide  Schenkel  Römerstrassen  waren. 
Die  östliche  derselben  war  der  sog.  Galgenweg  oder  alte  Rohrbacher 
Weg,    welcher  in  neuester  Zeit  den  ofticiellcn  Namen  «Römerstrasse" 


I)  Dieser  Gebrauch  rührt  daher.  Jobb  das  Wort  Socio  (altdeutsch  sela) 
früher  mehr  wie  jetzt  für  die  abgeschiedene  Seele  im  Paradies  gebnuicht  wiirdo 
und  daher  in  einer  Menge  alter  ZusanDmeDtiet2UDgeD  geradezu  far  dio  Verstor- 
benen im  Allgemeinen  gebraucht  wird,  so  ist  z.  B.  actambacht,  sclmesse  = 
Seelenamt,  TodtenmesBe,  gestiftet  zum  Heil  der  Seele  (seiner  eigenen  oder  anderer 
Verttorbener) ;  selgeraete  licduutet  in  gfeicher  Weise  überhaupt  letztwillige 
Schenkung,  Testament,  Eine  Menge  solcher  ZueammensetzuDgen  sind  in  Loxor's 
mittelhochdeutschen]  Handwörterbuch  enthalten.  Mehrere  hierher  gehörige  Aas- 
drücke,  wie  Seelsorger,  sind  heute  noch  allgemein  gebräuchlich.  Der  AuBdruck  >die 
Seelcnt  bedeutet  also  so  viel,  wie  die  Veratorbeiica,  gerade  so  wie  die  latei- 
nischen Manes  nicht  nnr  die  Seelen  der  Abgeschiedenen  bedeuten,  sondern  auch 
die  irdischen  Ueberreslc  der  Menschen,  den  Leichnam.  Der  Begriff  des  Wortes 
»Seele*  vermischt  sich  also  hier,  wie  öfters  mit  dem  von  »Belig«.  welches 
indessen  ganz  anderer  Abstammung  ist  und  besser  saelig  zu  schreiben  wäre,  wi» 
es  iu  der  That  in  der  Schweiz  und  Oberdeutechlaud  noch  lautet, 


hfti,  wennscboo  es  nieht  so  nnzweifelhalt  M,  dass  er  eine 
ioldw  war,  wie  dies  beüo  wfgüirheai  fidiwkd  jenes  Winkeb  der  Fall 
hA-  Dieser  letztere  wirde  nun  gebildet  dorch  die  alte  Speierer  Laad* 
tlraaK,  deren  Römertham  dnrch  die  jüngsten  Aosgrabongeo  zur  rollen 
GewisBheit  erhoben  worden  ist. 

Dieselbe  durchschnitt  nämlich  nördlich  von  aoserai -Standpankte 
die  römhiehe  Ansiedelang  nnterh&lb  des  neaen  Spitak,  am  dort  aber 
die  römische  Brücke  auf  das  Neoenheimer  Ufer  zu  setzen. 

An  dieser  Speierer  Strasse  war  wohl,  wie  überhaupt  die  römischen 
Grab-Stelcn  an  Landstrassen  standen,  einstens  auch  der  Cippus  auf- 
gestellt, welcher  in  dem  (südlich  von  der  römischen,  näher  beim  Neckar 
gel^enen  Niederlassung,  nach  der  Zerstörung  derselboi)  Ton  den 
Germanen  angelegten  Begräbntssorte,  seiner  platt enformigen  Gestalt 
w^en  als  Deckplatte  eines  der  erwähnten  Plattengräber  verwandt  wurde. 

Sein  Fandort  ist  also  m'cht  der  ursprüngliche  Standpunkt,  indem 
die  Germanen  eben  die  brauchbaren  Steine  zusammensuchten,  um  sie. 
wie  gesagt,  als  Baumaterial  zu  roh  gemauerten  Gräbern  zu  benutzen. 
Dies  war  aber  mit  noch  mehreren  römischen  Inschnftsteinen  der  Fall, 
die  an  die  gleiche  Stelle  der  Seelengewann  von  ihrem  benachbarten 
ursprünglichen  Bestimmungsorte  verbracht  worden  waren. 

Als  nämlich  um  das  Jahr  1872  hier  ein  Verbindungsw^  zwischen 
dem  erwähnten  alten  Rohrbacher  und  dem  Speierer  Weg  angelegt 
wurde  (in  Folge  dessen  letzterer  auch  von  seiner  bisherigen  geraden 
Richtung  auf  die  Mannheimer  Landstrasse  abgeschnitten  worden  ist), 
»Liessen  die  Arbeiter  wieder  auf  eine  ganze  Reihe  solcher  Plattengräber, 
worin  noch  ganze  Skelete  mit  Waffen  lagen  und  die  als  Deckplatten 
wieder  römische  Grabstelen  zeigten.  Leider  kümmerte  sich  aber  kein 
Mensch  hierum,  und  als  wir  auf  zufällige  Benachrichtigung  durch  einige 
Arbeiter  an  Ort  und  Stelle  eilten,  konnten  wir  blos  noch  die  ganz  und 
gar  zu  Chausiicematerial  zerklopften  Reste  römischer  Inschriflsteine 
eoDstatiren.  Die  aufgefundenen  Waflfon  aber  wurden  von  den  Arbeitern 
nach  allen  Windrichtungen  verschleppt. 

Wiederholte  sich  derselbe  Vandalismus  nicht  allenthalben,  so 
könnte  man  versucht  sein,  auch  als  persönlich  unbetheiligte  Privat- 
person fUr  den  einzelnen  Fall  öffentlich  zu  protestiren,  allein  hiermit 
würde  orfahrungsgoniäss  doch  nichts  erreicht,  ^  lange  nicht  allent- 
halben LnkalconservHtoren  aufgestellt  und  Gelder  zu  Nachforschungen 
bewilligt  werden.  Abel*  leider  finden  dieselben  in  den  Rheinlanden 
Überhaupt  nicht  die  erforderliche  Unterstützung.    Noch  unlängst  nor- 


Inachriftliches  aua  Heidelberg; 


59 


mirten  die  badischen  Kammern  z.  B.  das  Budget  für  die  Bethätigung 
des  Conservatora  der  Altcrthümer  zu  solch  bescheidener  Sumnie,  dasK 
«o  Veranstaltung  von  grösseren  Ausgrabungen  in  Baden  kaum  mehr 
gedacht  werden  kann.  Freilich  ist  es  für  den  einzelnen  kleinen  Staat 
sehr  schwer,  neben  dem  so  sehr  gesteigerten  Aufwand  für  Unterricbts- 
swecke  überhaupt,  besonders  aber  für  die  Universitäten,  auch  noch 
weitere  Mittel  zu  solchen  wissenschaftlichen  Lokaluntersuchungen  zu 
beschaffen,  allein  es  wäre  doch  zu  beachten,  dass  die  Kenntniss  des 
Alterthums  nach  seiner  realen  Seite  hin  von  viel  grösserem  Werthe 
für  uns  ist,  als  die  blosse  Beschäftigung  mit  den  Classikem  und  die 
Pflege  des  theoretischen  Theiles  der  philologiechen  Wissenschaften,  wie 
sie  zumeist  in  unseren  Schulen  herrscht.  Hier  gerade  wäre  der  Ort, 
den  Sinn  für  Lokaluntersuchungen  zu  wecken  und  so  einen  Stamm 
freiwilliger  Correspondenten  und  Conservatoren  zu  bilden,  die  ihre  An- 
zeigen zur  Kenatniss  einer  fachmännisch  wirkenden  Central-Commission 
für  Kunst-  und  historische  Denkmale  bringen  könnten,  wie  eine  solche 
Organisation  in  der  That  in  Oesterreich  besteht.  Dieses  Institut  dehnt 
gegenwärtig  sein  Walten  auf's  Erfolgreichste  über  Ocsterreichs  ge- 
flammte alte  Kunst  und  Geschichte  aus.  Im  deutschen  Reich  dagegen 
besteht  leider  fast  nichts  dergleichen,  und  doch  würde  nur  von  hier 
aus  die  Errichtung  einer  solchen  hinreichend  dotirten  Centralcoramission 
mit  einzelnen  Sektionen  für  die  einzelnen  Ländergobiete  ausgehen 
köoaen.  Systematische  Excavationen  sollte  man  nicht  nur  dem  fremden 
griechischen  und  italienischen,  sondern  vielmehr  auch  dem  heimath- 
licheo  Boden  aus  Keichsmitteln  zu  Theil  werden  lassen,  — 

Was  nun  die  fränkischen  Grabkaiinnem  im  Allgemeinen  betrifft, 
wie  sie  gewöhnlich  in  den  Rheingegenden  gefunden  werden,  so  sind  sie 
wie  zu  Heidelberg  in  der  Regel  von  grossen  Steinplatten  gebildet,  wozu 
oft  römische  Inschriften  verwandt  wurden. 

Die  Errichtung  dieser  Grabkaramern,  die  in  der  Regel  die  Länge 
eines  grossen  Mannes  haben  und  etwa  2  Fuss  hoch  und  eben  so  breit 
sind,  fällt  etwa  in's  5.-7.  Jahrhundert,  d.  h,  in  die  erste  fränkische 
Zeit  in  uusem  Gegenden. 

Die  völlige  Unterwerfung  der  Allemannen  durch  die  Franken  fällt 
bekanntlich  in  das  H.  Jahrb.,  und  damals  siedelten  sich  die  Letzteren 
auch  überall  in  den  Neckargegenden  an.  Bereits  im  8.  Jahrb.  wird 
denn  auch  schon  das  Dorf  ßergheim  in  der  Nähe  des  späteren  Heidel- 
bergs genannt.  Das  erwähnte  Todtenfeld  war  wohl  die  älteste  Grabea- 
fiUtte  seiner  Bewohner,  von  deren  Wohnort  es  nur  eine  kleine  Strecke 


I  InachrifUiches  aus  Heidelberg. 

ablag  und  zwar  im  Winkel  der  alten  (wie  gesagt,  bereits  römischen) 
Wege,  welche  von  Bergbeim  (im  14.  Jabrh.  eingegangen,  jetzt  das 
Terrain  des  botanischen  Gartens)  nach  Rohibach  und  Speier  führten. 

—  Diese  Grabesstattc  soU  liier  indessen  noch  etwas  genauer  markirt 
werden,  weil  vielleicht  bei  Neubauten  daselbst  noch  mehrere  solcher 
Plattengräber  zu  Tage  treten  könnten  und  deshalb  die  Aufmerksamkeit 
<U  1  Altcrthuinsforscher  auf  jene  Gegeml  gerichtet  sein  niuss.  Der  zu 
beschreibende  Grabstein  selbst  wurde,  wie  gesagt,  im  Jahre  1822,  und 
zwar  auf  einem  dem  Landnianno  Mayer  gcbürigeu  und  in  der  Seelen- 
gewann  gelegenen  Acker  gefunden,  über  5  Fuss  unter  der  Oberfläche. 

—  Die  Stelle  Hessen  wir  uns  vor  Jahren  von  dem  jetzt  verstorbenen 
Feliibtlter  Beiler  zeigen,  der  bei  der  Auffindung  und  Ausgrabung  des 
Steines  hauptsächlich  betheiligt  gewesen  war.  Seit  einigen  Jahren  ist 
an  diesem  Orte  der  Rapp'sche  Bierkcller  „zum  goldenen  Fdsschen" 
errichtet,  welcher  in  der  Spitze  des  Winkels  liegt,  welcher  hier  durch 
das  Zusammenlaufen  zweier  HahnUnien  entsteht,  der  Mannheim-Frank- 
furter einerseits  und  der  Karlsruher  Linie  anderseits. 

Möge  diese  genaue  Fundortsangabe,  wie  wir  sie  audi  schon  in 
den  Heidelberger  Familienblättern  1877,  Nr.  49  gegeben  haben,  dazu 
dienen,  dass  In  den  dort  liegenden  Gütern  später,  wenn  einmal  das 
Interesse  für  Ausgrabungen  lebendiger  werden  sollte,  Nachforschungen 
veranstaltet  werden. 

Gehen  wir  nun  auf  die  bisherigen  Herausgeber  des  in  Rede 
stehenden  Grabsteines  über,  die  Übrigens  schon  Branibach  (Nr.  1710; 
mit  Benutzung  unserer  schriftlichen  Angaben  zusammengestellt  bat,  80 
ist  als  der  erste  derselben  Ditten berger  zu  nennen  im  „Boten  vom 
Uhein  und  Neckar"  1822,  Nr.  9  vom  2.  März  jenes  Jahres,  wo  er  zu- 
gleich die  Beschreibung  der  gefundenen  Gräber  und  ihreü  Inhaltes  giebt. 

Fast  gleichzeitig  berichtete  hierüber  auch  der  berühmte  Creuzer 
in  dem  von  Schoru  herausgegebenen  .Kunstblatt"  des  Morgenblattes 
vom  18.  März  1822,  Nr.  22,  einem  bouicrkenswerthen  Aufsatz,  der  leider 
in  dem  Sammelwerke  Grenzer 's  „Zur  Archäologie"  nicht  aufgenommen 
worden  ist. 

Dagegen  ist  in  letzterem,  Band  H,  p.  449,  eine  weitere  Arbeit  Gren- 
zer's  über  dieses  Denkmal  enthalten,  die  dessen  1833  selbstständig 
erschienener  jjGeschichle  altröniischer  Cultur",  pag.  46,  angehörte. 

Greuzer*8  I^esung  und  Erklärung  der  Inschrift,  auf  der  auch  die 
von  Dittenberger  beruht,  ist  unrichtig,  wurde  aber  trotzdem  von  einer 
Ueihe  anderer  Editoren  kritiklos  wiederholt,  die  hier  der  Vollständig- 


InBcbriftliches  aus  ITeidelberg. 


61 


keit  wegen  erwähnt  sein  mögen.  Es  sind:  Stalin  in  seiner  Wiften- 
borg.  Geschichte  I,  Nr.  U)9;  Zell  (in  den  Schriften  des  had.  Alter- 
thumsvereins  I^  2.  Heft  (1846)  Nr.  31;  Happenegger  Nr.  47; 
Steiner  Xr.  922;  Ring  I,  p.  207;  Vierordt,  badische  ("Jeachichte, 
p.  75.  und  endlich  Fickler  in  einem  Schriftchen,  das  wir  in  den  Ver- 
handlungen der  24.  (Heidelherger)  Philologen-Versammlung  «niarbeitetea 
and  erweiterten. 

Dort  haben  wir  denn  auch  S.  212,  Nr.  7a  die  Lesung  zueret  richtig 
gestellt,  in  gleicher  Weise  hnt  Brambach  Nr.  1710  dieselbe  nach 
unserer,  ihm  flbersandten  Abschrift  wiedergegeben,  ohne  dass  jedoch 
hierdurch  alle  zweifelliaft^en  Punkte  gehoben  worden  wären. 

Die  Inschrift  des  Steines,  der  aus  rothem  Sandstein  hiesiger 
Gegend  besteht  (in  ganzer  Höhe  1,90  ni.  bei  einer  Breite  von  0,45  nnd 
Dicke  von  0,20  m.),  ist  nämlich  de.s  weichen  Materials  wegen  sehr  ab- 
geblasst,  so  dass  einzelne  Buchstaben  hit'rdurch  von  ihrer  Deutlichkeit 
eingebüsst  liabon.  Setzen  wir  dieselbe  gleich  her,  mit  der  voraus- 
geschickten Bemorkung  dass  sie  auf  allen  4  Seiten  von  einer  erhaben 
auagehauenen  Leiste  eingefasst  im<i  0,;tO  m.  hncb  ist: 


0    1    S      •     M  ■ 

V  O  L  C  1  O     I^E  R 

CATORI  ANXXXX 

LVTEIA-CARANTf 

CONPIENPOS- 

Also:  Dis  Manibus  —  Volcio  Mercatori  annnrum  quadraginta 
Luteia  Caranti  (hlia)  conjugi  pientissimo  posuit. 

Die  erste  Zeile  mit  der  bekannten  Eingangsformel  DIS  (nicht 
DIIS,  wie  es  in  Folge  einer  kleinen  Unebenheit  des  Steines  nach  der 
Photographie  scheinen  künnte)  Mfanibus,)  ist  klar,  Die  Buchstaben 
stehen  hier  in  weitem  Zwischenraunj  auseinander,  um  die  Zeile  aus- 
zufüllen. 

Im  engsten  Zusammenhang  mit  dieser  Widmung  an  die  verklärten 
Geister  der  Abgeschiedeneu,  d.  h.  di«  Manen  im  Allgemeinen,  die  in 
der  Unterwelt  wohnend,  als  unterirdische  (iotter  angerufen  wurden, 
scheint  der  das  ganze  Inschrillfeld  gleichsam  auf  den  nach  oben  aus- 
gebreiteten Händen  tragende.  0,18  m.  hohe,  unbekleidete  und  geflügelte 
Genius,  welcher  speciell  die  Seele  des  einen  Verstorbenen  zur  Dar- 
stellung bringen  will,  um  den  es  sich  hier  handelt.  Denn  wenn  auch 
der  Ausdruck  dii  Manes   in  der  Mehrzahl  steht,   so  ist  der.sclbe  eben 


69 


luflchriftlichea  ans  Heidelberg. 


eine  typische  Formel,  die  nicht  abgeändert  werden  konnte  und  daher 
auch  frir  die  einzehie  dahingcächledene  Person  gilt. 

Vergl.  hierüber  J.Becker  in  seinem  „Mainzer Museum",  p.  XV, 
wo  er  denn  auch  süb  Nr.  247  auf  einem  Grabsteine  eine  ähnliche 
Darstellung  aufführt:  Die  geflügelte  Idealgeatalt  eines  jungen  Sclaven, 
„wahrscheinlich  der  auf  Grabmiilern  gewöhnlich  doppelt  vorkoraniende 
Attis". 

Den  Genius  unseres  Heidelberger  Grabsteines  Casste  nun  Creuzer 
ebenfalls  als  Todesgeist  >  der  bei  den  Alten  mit  schwarzen  FlOgeln 
gedacht  und  dargestellt  worden  wäre,  allein  man  darf,  wie  gesagt,  die 
Frage  stellen,  ob  derselbe  nicht  vielmehr  als  Sinnbild  einer  privaten 
Apotheose  zu  fassen  ist.  Die  neuere,  besonders  französische  Forschung 
hat  nämlich  gezeigt,  dass  auf  einer  ganzen  Reihe  von  griechischen  wie 
römischen  Grabmonumenten  der  Veratorbene  in  verjüngter  IdealgCvStalt 
abgebildet  ist,  wie  man  sich  denselben  im  Jenseits  nach  seiner  Apo- 
theose dachte.  Gewöhnlich  finden  sich  darauf  Scenen  dargestellt,  die 
man  bisher  Abschieds-  oder  Trenn ungsscenen  genannt  hat,  die  aber  in 
Wahrheit  die  Wiedervereinigung  des  Verstorbenen  iu  der  andern  Welt 
mit  seinen  früher  verstorbenen  Verwandten  bedeuten.  Hiernach  darf 
man  aber  vielleicht  annehmen,  wir  hätten  auf  unserm  Grabsteine  neben 
der  reuten  Darstellung  des  Verstorbenen  während  seines  Lebens  (die 
oberhalb  der  luschrift  angebracht  ist)  denselben  im  höheren  seligen 
Zustande  vor  uns,  welchen  man  als  dem  göttlichen  Wesen  verwandt 
betrachtete.  Daher  verehrte  man  den  also  erhöhten  und  gleichsam 
consekrirten  Verstorbenen  auf  gleiche  Weise  wie  andere  Götter  und 
Geister  und  bildete  ihn,  wie  diese  ja  selbst  öfters  ala  Genien  erscheinen  *) 


1)  Wie  Widinuugen  an  die  Genien  der  Götter  (selbst  genio  Jovia  bei 
Wilmunns  Nr,  105),  wie  der  Göttinnen  vorkommen,  so  kommen  solche  aach 
auf  Ehrcndeakinälern  an  die  Genien  der  Kaiser  vor  (Wilmanus  11,  p.  475). 
Hiermit  wird  wohl  ihre  Vergöttlichung  angedeutet,  wie  wir  auf  dem  bekannten 
Basrelief  von  der  Basis  der  zerstörten  Ehreusänlc  des  .\ntoninns  Pius  sa  Rom 
den  Genius  der  Welt  oder  der  Ewigkeit  auf  seinen  ausgebreiteten  Flügeln  diesen 
Kaiaer  und  ««iD»  Gemahlin  Fauatina  sohwebend  emportragen  sehen,  eine  Dar- 
st<%Ilung,  die  an  unser  Heidelberger  Denkmal  erinnert. 

Aber  auch  Beispiele  der  Apotheose  von  Privatleuten  giebt  ea  eine  Menge, 
so  inschriftlich:  >Deae  sanctae  meae,  deae  domiuae«  und  Aehnliches  bei  Wil< 
man  na,  Nr.  241  (wo  er  auch  ein  Beispiel  aufluhrl,  in  welchem  ein  verstorbener 
Knabe  vom  Grabsetzer  genanut  wird:  divus  et  dominus  meua);  —  dis  Manibus 
loci  in  qao  corpus  crematum  est  (Wilmanns  230);  dis  deabus  Manibus  (231); 


Inschriftliches  au»  Heidelberg. 


68 


(80  auch  iDScbriftlich  genios  Apollinis,  gecius  Martis,  genius  Mercurii 
auf  rheinischen  DfiikmuteiD)  auch  aiä  solchen  ab.  Sü  zeigt  sich  der 
abgeschiedene  Geist  in  iinserni  Falle  als  ziisanimeDgekauerter  Knabe, 
eine  Stellung,  die  sich  durch  die  Bestimmung  desselben  rechtfertigt, 
ihn  zugleicli  als  Träger  der  laschrilt  zu  üeautzeu. 

Charakteristisch  sind  hierbei  die  ausgebreiteten  Flügel,  deren  jeder 
4  Schwingen  tMithalt.  Die  Figur  bekommt  dergestalt  vollständig  das 
Ansehen  eines  Engels,  wie  denn  der  ausgebildete  Engeisglaube  der 
katholischen  Kirche  zu  gutem  Theile  dem  römischen  Heidenthum  ent- 
Dommen  ist. 

Bekannt  ist  es  ja,  dass  die  christlichen  Priester  diejenigen  heid- 
nischen UeberlieferuMgen  und  Gebräuche,  welche  sie  nicht  ausmerzen 
konnten,  mit  den  ähnlichen  Formen  des  Christenthums  verschmolzen. 
Dies  konnte  um  so  leichter  geschehen ,  als  der  Unsterbliclikeitsglaube 
durchaus  nicht  blos  eine  semitisuh-christliche  Anschauung  war,  sondern 
auch  die  Grundlage  der  Pweligionen  der  arischen  (indogerüiaDischen) 
Völker  bildete.    (Vergl.  den  Anhang.) 

So  sind  denn  auch  die  lateinischen  MAnes  (von  altlateinisch  mänüs, 
angemessen,  gut,  dessen  Uegensatz  im-uiäuis  ist)  nichts  anderes,  als 
die  abgeschiedenen  Geister,  die,  wie  Preller  treffend  bemerkt,  durch 
den  Tod  und  die  Weihe  der  Restattungsgebräuche  geläutert  erschienen. 
(Ueber  die  Herleitung  dieses  Wortes  vergl.  Vanicek,  Griecb.-Latein. 
etymologisches  Wörterbuch  (1877),  p.  Ü53.) 

Ganz  auf  dieselbe  Weise  wird  dieser  ßegriff  im  Deutschen  aus- 
gedrückt durch  das  Wort  .selig"  (altdeutsch  ;,sälig*  gut,  glücklich, 
zum  Glück  bestimmt,  beglückt,  ge.segnet,  heilsam,  heilig,  fromm,  ver- 
storben), das  bekanntlich  nichts  mit  dem  Worte  Seele,  altdeutsch  s&la, 
gothisch  saivala  (ursprünglich  die  bewegende,  wogende  Kraft)  zu  thun 
hat,  sondern  in  seiner  ältesten  Gestaltung  säla,  sälja  gelautet  haben 
musB  und  auch  im  Gothischen  „sels"  vorliegt,  womit  der  Begrif!"  von 
dya&og  (gut,  tauglich)  bezeichnet  werden  sollte,  wie  der  Gegensatz 
daisa  durch  „uns^ls"  /iovi]q6(;.    Die  älteste  germanische  Form  dieses 


Manibus  ei  genio  P.  Vatrii  Severi  (233);  die  ioferia  (Maaibua),  deis  i&feruin  pft- 
»Dtum,  dia  pareutibus  etc.  (232);  deia  et  geaio  Ilbodonis  (295).  LIeberhaüpt  tritt 
die  Widmuug  an  deu  GeDius  väreturbener  Phvatleutti  öfters  auf,  auch  in  diest»r 
Form  >geaio  et  bonorii  (illius,  Ule  poiuit).  Yergl.  Beispiele  bei  WilmaDDa  II, 
p.  C81,  wo  übariiaupt  noch  uiuc  Reibe  hucbat  bedeuluugavoUer  drabwidmuugea 
aufgufübi't  werdea.  Dasu  gebüruu  uocli  beaondera  solche,  wie  «dib  M.  et  me* 
laoriae  aeteroaa«. 


G4 


Inschriftlichea  ane  Heidelberg, 


Adjektivs,  sala,  stellt  Fick  Vergl.  W.  3.  Aufl.  III,  320  auf.  Die 
deutscheo  .Seligen"  bedeuten  also  ursprünglich  ziemlich  dasselbe,  wie 
die  lateinischen  Manes.  Sie  sind  die  guten  und  glücklieben  und  daher 
glück-  und  heilbringenden  Geister,  die  durch  den  Tod  vom  Uebel  dieser 
Welt  gereinigt  und  erlöst  wurden.  Gestalt  nehmen  dieselben  an  in 
den  geflügelten  Engeln  der  christlichen  Kirche,  insofern  hierunter  die 
verklärten  Leiber  der  Seligen  verstanden  wurden.  Hatte  man  doch 
auf  zahllosen  antiken  Grabmälern  jene  geflügelten  Genien  vor  Augen, 
welche  die  altklassische  bildende  Kun.st  als  Tafelhalter  erfunden  hatte, 
die  später  aber  als  dii  Manes  aufgefasst  worden  sein  mochten.  Die 
christlii-hp  Kirclienpalitik  cnUehnte  also  auch  in  Bezug  auf  den  Engels- 
glaulten  die  Formen  dem  Alterthuni,  indem  sie  ihnen  hlos  eine  andere 
Auslegung  im  Sinne  des  Christeothums  gab'). 

Gehen  wir  nun  nach  dieser  Abschweifoog  auf  die  Erklärung 
unserer  Inschrift  zurQck,  so  folgt  auf  die  besprochene  allgemeine 
Sepulcralformel  der  Name  des  Verstorbenen,  wie  gewöhnlich  im  Dativ. 
Derselbe  hiess  hieniach  Volcius  Mercator,  wobei  letzteres  Wort  Per- 
sonenname ist,  wie  z.  B.  auch  auf  einer  andern  Inschrift  aus  der  Nähe 
von  Heidelberg,  die  zu  Mannheim  aufbewahrt  wird  (vergl.  Haag, 
Rüm.  Denksteine,  Nr.  14).  Mit  Unrecht  fasst  Creuzer  mercator  als 
Bezeichnung  des  Berufes,  obwohl  in  diesem  Falle  das  cognomen  fehlen 
würde,  was  nicht  wohl  anginge. 

Betrachten  wir  uns  nun  das  Aeussere  des  Verstorbenen,  welcher 
das  Hauptbildwerk  (haut-relief)  der  Grabsäule  ausmacht.  Eine  männ- 
liche Figur,  0,80  m.  hoch,  mit  der  einfachen  tunicp.  bekleidet,  also  bi» 
auf  die  Kniee  herab,  mit  unbekleideten  Beinen  (woran  indessen  Spuren 
von  Fussbekleidung)  und  ohne  Kopfbedeckung,  steht  in  einer,  das  oberste 
Feld  des  Steines  bildenden  Nische,  deren  obere  Wölbung  muschelartig 
verziert  ist  mit  bogenförmiger  Bedachung.  Hinter  den  Füssen  tritt 
ein  kleiner  spitzohriger,  kurzhaariger  Hund  hervor  mit  geringeltem 
Schweife  und  erhobenem  rechten  Vorderfusse*). 

IJ  Eiu  interesBaoter  Sarkophag  dieser  Art  vom  Niederrbeiu  aua  späterer 
römischer  Zeit,  woriiuf  zwei  nackte,  geflügelte  Genien  eine  Tafel  mit  der  Grab- 
schrifl  ha)t«ii,  steht  im  Maiiuheimer  Antiquariam  (Haug  Nr.  73). 

2)  Nur  die  üauptseitu  des  Steines  ist  ÜLerbatipl  ornamentirt  and,  wie 
aus  der  Abbildung  erijicbtlich,  in  drei  Felder  eingelheilt,  unter  denen  aioh  aber 
Qocb  ein  uoterstor,  roh  gearbeiteter,  0,56  m.  hoher  Sockel  von  derselben  Breite 
und  Dicke,  wie  der  ganze  Grabstein,  befindet.  Derselbe  ist  datu  bestimmt 
in  die  Erde  eingegraben  tu  werden,  und  auf  der  Abbildung  weggflaseen,  — 
Ni'beoaeiten  und  Rücken  unseres  Steines  sind  gänzlich  uuaculptirt. 


Inschriflliohes  aua  Heidelberg. 


6fi 


Was  die  Attribute   in  den  Händen  des  Verstorbenen  betrifft,  so 

f 

roässen  natürlich  die  an  die  irrthiiniiiche  Erklärung  Creuzer's  ge*"^ 
knüpften  Vermuthungen  und  Kolgecungeti  wegfallen,  wie,  dass  der  Stab 
in  der  linken  Hand  ein  Streichholz  (rutellum)  wäre,  womit  die  Rümer 
die  auf  dem  Scheffel  (modiiis)  aufgehäuften  Getreidekörner  hinweg- 
strichen, und  dass  Volcius  dadurch  als  ein  Getreidehändler  (mercator 
fnimentarias)  kenntlich  gemacht  würde. 

Der  angebliche  Stab  ist  nämlich  nichts  anderes,  als  ein  breites 
Lineal,  wie  es  die  Bautechniker  und  sonstigen  Werkleute  benutzen. 
Hierzu  stimmt,  dass  der  abgebildete  Mann  in  der  gesenkten  Rechten 
ein  dreieckiges  gewöhnliches  Winkelmaass  hält,  welnhes  übrigens  auch 
Creuzer  als  Maasswerkzeug  erkannt  hatte,  wie  er  denn  in  Folge 
dessen  glaubte,  <ler  Verstorbene  hätte  zwei  Geschäfte  in  einer  Person 
vereinigt,  er  sei  nicht  nur  Kaufmann,  sondern  auch  zugleich  Architekt 
(mensor  aediticiorum)  gewesen. 

Durch  die  beiden  Messinstniniente  war  der  Stand  tles  Mannes 
genugsam  angedeutet  und  brauchte  daher  insdiriftlich  nicht  noch  einmal 
erwähnt  zu  werden,  was  bei  den  Baumeistern  überhaupt  selten  ge- 
schieht Dass  aber  blos  eine  solche  beim  Bauwesen  hetheiligtc  Persön- 
lichkeit vorliegt,  die  nicht  zugleich  auch  Kaufmann  war,  steht  ganz 
ausser  Frage.  Auch  geht  aus  der  ganzen  Fassung  der  Grabschrift, 
der  blosen  Angabe  der  I^bensjahre:  AN(norumJ  XXXX  (während 
keinerlei  militärische  Stellung,  Dienstalter,  Truppentheil,  Heiniath- 
bezeichnung  etc.  genannt  sind),  sowie  aus  der  bildlichen  Darstellung 
unzweifelhaft  hervor,  dass  der  Verstorbene  dem  Civilstande  angehörte. 
Seinem  Gentil-Nanien  nach,  vor  dem  wie  so  oft  das  praenomen  weg- 
gelassen ist,  weil  das  cogiiomen  in  späteren  Zeiten  als  Tersonalnarae 
betrachtet  wurde,  war  er  römischer  Bürger.  Hieraus  folgt  natürlich 
nicht,  dass  er  auch  Römer  von  Geburt  gewesen  wäre,  wie  denn  z.  B, 
der  deutsche  Nationallield  Anninius  ebenfalls  einen  aus  einem  fremden, 
germanischen  Namen  gebildeten  römischen  Gentilnamen  führte. 

Deutsch  ist  nun  aber  der  Name  Volcius  sicher  nicht,  und  die  von 
einigen  Editoren  unserer  Inschrift  ausgesprochene  Meinung,  es  sei  der 
heutige  Familienname  Vulz  (eine  blosse  Abkürzung  des  altdeutschen 
B'olkmar),.  ist  geradezu  lächerlich  falsch. 

Volcius  kann  dagegen  allerdings  ebenso  wie  der  mit  fast  dem- 
selben Suffixe  gebildete  Gentilnamen  Volceius  zu  Rom  (W  i  Imanns  1506) 
ein  römischer  sein,  wie  denn  entweder  der  Volksname  der  Volsci  mit 
Verlust  des   iolauteuden   s  oder   aber   die  Stadt  Volceja  oder  Volceji 


66 


Inschriftliches  aus  Heidelberg. 


(Bewohner  V'olcentes  und  Volceiani)  auch  Bucinum  genannt,  jetxt 
Buccioo  im  Neapolitanischen  zur  Basis  dieser  Geschlechtsnaraen  gedient 
haben  könnte.  Dieselben  scheinen  nun  aber  auch  eines  Stammes  m 
sein  mit  anderen  römischen  Gentilnamen,  wie  Volcasius  oder  Volcacius 
("Wilmanns  Nr.  2103  u.  2503)  und  Volcatius.  Hierzu  kann  man 
lateinisch  volcisci  =  ulcisci  „rächen,  bestrafen"  vergleichen  (Vanicek  901) 
oder  auch  ulcus  „Geschwür"  entstanden  aus  volcus  (ib.  908;  Fick  I, 
778;  II,  237).  Weiter  ab  liegt  der  Feuergott  Volcanus,  erst  späte^ 
Vulcanus,  welchen  Fick,  vergl.  W.  B.  3.  AuÜ.  I,  p.  213  u.  772,  n,  237  vo™ 
Wurzel  VAR,  VAL,  „warm  sein,  wallen"  ableitet;  dagegen  von  VARK 
„glänzen"  Vanicek  918.  Andererseits  weisen  jene  Namen  wieder  auf 
keltischen  Ursprung.  Sicher  ist  dies  <ler  Fall  bei  dem  Namen  des 
gallisclien  Volkes  der  Volcae,  sowie  bei  dem  Personennamen  Catu-volcus 
(zusammengesetzt  mit  dem  gallischen  catu  „pugna",  vergl.  Fick  I, 
548  und  545).  Aus  dem  einfachen  Volcus  kann  aber  mittelst  dei 
lateinischen  Gentilsuffixe  das  Gentile  Volcius  gebildet  sein. 

Dass  eine  Menge  Namen  der  römischen  Nomenklatur  aus  de 
Keltischen  stammen,  namentlich  solche,  die  in  den  cisalpinischc 
Gegenden  entstanden  sind,  ist  eine  bekannte  Erscheinung.  Hierher' 
gehören  z.  B.  Galba  (vergl,  hierüber  Fick  I,  p.  568  u.  II,  p.  798), 
sodann  Plinius,  Livius,  wohl  auch  Virgilius,  Lucallus  u.  andere. 
Ebenso  kann  das  römische  praenomen  Lucius  mit  seiner  doppelten 
griechischen  Transcription  Lnkios  und  Leukios  zunächst  ebenso  gu^ 
keltischer  Abkunft  sein,  wie  lateinischer,  in  letzter  Linie  jedenfalls  abc 
der  allgemein  arischen  (indoeuropäischen)  Wurzel  RüK,  später 
europäischem  Boden  luk  (leuchten,  scheinen,  schimmern)  entsprossen, 
woher  auch  lateinisch  lüceo,  lux;  griechisch  leukas  und  lychnos  (Fick  I, 
199,  756;  U,  225,  456,654;  III,  274—275;  Vanicek  816-819).  Auf 
dieselbe  Wurzel  geht  vielleicht  auch  der  auf  unserer  Inschrift  erschei- 
nende, zunächst  wohl  ebenfalls  keltische  Gentilname  Luteia  zurücluH 
wenn  man  annimmt,  dass  derselbe  aus  einem  nrspriinglichen  Lucoteia/H 
Lucteia  zusammengezogen  ist ,  wie  Lugdunum  aus  Lugodunum ,  das 
übrigens  einem  andern  Wortstamme  angehört  (keltisch  lugu  —  »minor", 
Fick  I,  750,  U,  217). 

Jene  Annahme  würde  sich  gründen  auf  den  Wechsel  der  Formen 
im  Ortsnamen  Lutetia  Parisiorum,  auch  Lutecia  geschrieben,  mit  Luco- 
tecia  (Lucotetia). 

Mit  Bezugnahme  hierauf  handelt  ausführlich  aber  die  gaHisclien 
Namen  des  Stammes  LUC  Mowat  in  der  Revue  Arcb^ul.  von  187i 


innohriftliohea  aus  Heideiberg. 


FÄvrier,  p.  101  sq.,  während  Franz  Stark  schon  früher  in  seinen 
keltischen  Forscliungen  (Wiener  Sitzungsberichte,  Jahrgang  1869,  Jufi, 
p.  241)  eine  kleinere  Sammlung  derselben  veranstaltet  hatte.  Es  geht 
daraus  hervor,  dass  Lucius  nicht  allein  als  römischer  Vornamen,  son- 
dern auch  als  gallischer  Pei-sonalname  (cognomen)  und  als  Einzelname 
von  Töpfeni  ii.  dergl.  verwandt  wurde. 

An  gleicher  Stelle  nun  bringt  Franz  Stark  auch  keltische 
Namen  anderen  Stammes,  so  Lotacus,  Lutacus,  und  stellt  dazu  auch 
den  bekannten  römischen  Gentilnamen  Lutatius,  der  schon  im  Livius 
vorkommt  (bei  Wihiianns  kommt  derselbe  nicht  allein  wie  gevköhnlich 
als  Gentile  vor,  so  Nr.  176,  sondern  auch  als  cognomen,  Nr.  884. 

Eine  solche  Annahme  ist  aber  sehr  gewagt,  da  ein  Stamm  lut 
sich  nicht  allein  im  Keltischen,  sondern  auch  im  Griechischen  und 
Lateinischen  nachweisen  lässt,  so  in  lat.  lotus  „das  Waschen",  hilus, 
Iftutus  „gewaschen"  (vergl.  Curtins,  „Griech.  Etymologie",  4.  Aufl., 
p.  371;  Fick,  3.  Aufl.,  II,  223—224).  Derselbe  kommt  von  Wurzel 
LU  „spülen,  wa.schen";  Vanicek  849.  Hierauf  ist  aber  auch  das 
lateinische  lutuni  (Schmutz)  zurückzuführen,  das  wieder  mit  dem  alt- 
irischen loth  (Sumpf,  Kotb)  übereinstimmt  (Fick  I,  75G).  Letzteres 
würde  man  heranzuziehen  haben,  wenn  die  angeblichen  matres  Lutatiae 
Suebae  einer  verlorenen  niederrheinischen  Inschrift  (Brarabach  95)  sich 
wirklich  als  Lokalgottheitcn  erweisen  Hessen,  die  ihre  Namen  einer 
Oertlichkett  zu  verdanken  hätten. 

Die  gallische  Stadt  Luteva  und  das  britannische  Lutudarum  sind 
aber  offenbar  kelti.sch  und  doch  wohl  eines  Stammes  mit  Lutetia. 

Neben  Lucotecia  könnte  ja  der  Name  Lutetia  Parisiorum  davon 
unabhängig  gegolten  haben,  so  dass  die  beiden  in  verschiedener  Zeit 
oder  für  verschiedene  Theüe  desselben  Ortes  gebraucht  worden  wären. 

Wird  doch  auch  in  Spanien,  in  der  Nähe  von  Numantia,  eine 
Stadt  Lutia  genannt,  von  der  man  mit  Unrecht  angenommen  hat,  sie 
sei  mit  einer  anderen  der  dortigen  Gegend  Voluce  identisch.- 

In  Bezug  auf  die  letztere  nimmt  Philipps  ,die  Wohnsitze  der 
Kelten"  (in  den  Wiener  Sitzungsberichten,  Juli  1872)  S.  734  und  745 
an,  ihr  Name  sei  iberisch,  allein  man  könnte  ihn  auch  als  keltisch 
betrachten  und  den  Namen  der  gallischen  Volcae  hiernach  aus  Volucae 
contrahirt  denken,  also  etwa  zu  Wurzel  VAL  „sich  bewege» „  (in  lat. 
volare,  volurer)  stellen  (Vanicek  936)  oder  zum  europäischen  Stamme 
val,  vol  „wollen"  (vergl.  Vanicek  889;  Curtius,  Griech.  Etymo- 
logie, 4.  Aurt.,  p.  539;  Fick,  3.  Aufl.  I,  777;  U,  247). 


68 


Tnschriftliohes  aus  Heidelberg. 


Näher  liegt  aber  doch  die  europäische  Wurzel  valg  „netzen*,  die 
auch  in  den  neukeltischen  Sprachen  lebt  (Fick  I,  778),  desgleichen  im 
Germanischen  (hier  in  der  Grundform  valk  „feuchten,  nässen"  ib.  III, 
208).  Es  sind  nbrigens  noch  weitere  Vergleichungen  möglich,  wie  mit 
der  Wurzel  valk,  velk  „reissen,  ziehen"  (ib.  I,  778:  Vanicek  905), 
wovon  das  ureiirnpäische  valka  „Wolf"  abgeleitet  ist  (ib.  908;  Fick  1, 773). 
Oder  wären  Volcae  =  veloces?  (irisch  folg  „schnell")- 

Was  nun  weiter  das  obige  Lutia  betrifft,  so  hält  dies  Philipps 
gleichfalls  für  einen  iberischen  Städtenamfn .  obgleich  sich  auch  dieser 
wieder,  wie  wir  gesehen  haben,  keltisch  erklären  Hesse. 

Für  keltische  Namen  des  Stammes  Lut  könnte  man  aber  ver- 
sucht sein,  noch  eine  andere  Etymologie  aufzustellen,  wonach  sie  ein 
anlautendes  C  eingebüsst  hätten,  also  eigeutlicfi  zum  Stamme  Kluto 
gehörten  („gehört,  berühmt'*,  part,  pf.  pa.«js.  von  klu  „hören").  Allein 
dieser  letztere  ist  selbst  schon  si»  häufig  in  altkeltischen  Personen- 
namen, sowie  noch  als  Wortstamm  in  den  iieukeltisrhi-n  Sprachen  vor- 
handen (so  in  kyniriüch  clot  „gloria'\  altirisch  cloth  „berühmt"),  dass 
an  einen  solchen  Abfall  des  C  in  so  früher  Zeit  nicht  wohl  zu  denken 
ist,  wenn  es  auch  vielleicht  auf  lateinischem  Boden  gegenüber  cluere 
(hören)  im  Stamme  laud-  (Lob)  geschehen  sein  sollte.  (?)  (Vergl. 
Curtiits  ib.  p.  150,  Nr.  (32;  Bacmeister,  „keltische  Briefe",  S.  7; 
Fick  I.  62,  552-554;  U,  71  u.  801;  in,  89;  Vanicek  172). 

Im  Deutschen  hat  dieselbe  arische  Wurzel  KRV,  in  den  euro- 
päischen Einzelsprachen  KLV  (^.fhören'*)  ihren  Anlaut  jedenfalls  erst 
in  später  Zeit  verloren,  vergl.  altdeutsch  lilüt,  jetzt  ,,laut"  und  den  In 
zahllosen  deutschen  Personennamen  vorkommenden  Stamm  hlud,  bei 
den  allen  Franken  chlod  (beriihnit,  Ruhm),  jetxt  in  Namen,  wie  Ludolf. 
Ludewig,  ohne  den  alten  Anlaut,  gerade  wie  in  den  wohl  gleichfalls 
hierher  gehörigen,  gleichbedeutenden  Eigennamen,  wie  Rudolf  von 
einem  alten  hruod  (Ruhm,  Sieg),  ein  Wurt,  das  auf  ein  altgermani- 
sches hrötha  zurückgeht  (Fick  1,  41  und  III,  85,  hält  es  dagegen  für 
andern  Stammes). 

Die  entsprechenden  keltischen  Namen  sind  sowohl  von  Philipps 
in  den  Wiener  Sitzungsberichten,  Jahrgang  1872,  S.  75G,  zusammen- 
gestellt, wie  vorher  schon  von  Franz  Stark  an  gleicher  Stelle,  d.h. 
Juli  1869,  S.  225—226. 

Es  Sinti  solche  wie  Cloutius,  Clotius,  Clutius,  Clutamus  etc.  — 
Wenn  darunter  nun  auch  ein  I^utios  Clntarai  f.  vorkommt,  so  ist  klar, 
dass  beide  nicht   wohl  von  demselben  Stamme  sein  können,  dass  mit 


Inschriftlicbcs  aus  Heidelberg.  69 

aadern  Worten  Loutios  keiu  anlautendes  C  verloren  haben  kann,  während 
es  bei  Clutanius  erhalten  ist.  Das  mit  dem  lateinischen  lautus  im  Sinne 
von  „prächtig,  ansehnlicli,  voniehm"  au  vergleichende  keltische  Loutios 
und  Cloutius  sind  also  höchstwahrscheinlich  stanimhaft  verschieden,  wie 
dies  anderseits  auch  mit  Lutetia  und  Lucotecia  der  Fall  zu  sein  scheint. 

Betrachten  wir  nun  nochmals  die  Wurzel  LVC  dieses  letztere»  Orts- 
namens, so  könnte  man  auch  an  ein  dem  lateinischen  Worte  locus 
(Wald,  Ilftin),  altlateinisch  loucos,  entsprechendes  keltis<;hes  Wort 
denke»,  wozu  dann  auch  das  keltische  Volk  der  Lucenscs  oder  Lukensii 
in  Spanien  (Philipps,  S.  713  u.  714)  u.  Anderes  zu  nehmen  wäre. 

Das  russische  lug,  böhmische  luh  „Waldwiese,  Busch  wiese"  ge- 
hören wohl  auch  hierher.  Da  dieser  Stamm  auch  im  Deutschen  vor- 
handen ist  und  entlehnte  Wörter  in  früherer  Periode  seltener  vor- 
kommen, so  ist  Urverwandtschaft  aller  dieser  Wörter  anzunehmen. 
Man  kann  daher  das  lateinische  lücns  nicht  als  ein  Er/cugniss  specitisch 
gräko-italiacher  Sprachentwickelung  ansehen,  wie  dies  Ortmann  thut  in 
der  Zeitschrift  für  Gymnasialwescn,  Mai  1878,  S.  308,  in  einem  Aufsatze 
„zu  Tacitus  Germania''.  Die  Bedeutung  von  altdeutsch  „der  loch"  ist 
nämlich  die  von  Buschwald,  niedrigem  Gehölz,  Hain,  und  dies  stimmt 
auch  in  Bezug  aul"  die  Quantität  vollkommen  zu  lateinisch  liicus.  Das- 
sdbe  ist  auch  der  Fall  bei  mittelhochdeutsch  „die  lä'^  oder  „16"  Sumpf- 
wiese, ein  Wort,  das  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  allen  diesen 
Ausdrücken  zu  Grunde  liegenden  Wurzel  beibehalten  zu  haben  scheint. 
Auch  das  erwähnte  lateinische  Wort  könnte  ursprünglich  eine  feuchte 
Bodenstelle,  uiit  Gebüsch  bew;kchsen,  bezeichnet  haben.  Ist  doch  schwä- 
bisch Lauch  =  fliessendes  Wasser  (Birlingers  „Alemannia"  VI,  1). 

Nach  Ort  mann  wäre  lucus  ein  massiger  Bcstaiui  von  dicht- 
stehenden hohen  Bäumeo,  die  nur  ein  Halblicht  durchscheinen  la.ssen, 
ohne  Unterholz  (?).  Das  Wort  hänge  zusammen  mit  liiccre,  nur  nicht 
in  der  von  Festus  überlieferten  Weise:  lucus  a  non  lucendo.  Zum 
Vergleich  böten  sich  das  griechische  amphilyke  nyx  und  lyktiphös» 
sowie  das  im  lex.  Piaton.  von  Timaeus  überlieferte  Uyr^.  Darnach  be- 
zeichne die  Wurzel  lue  ursprünglich  das  Halbdunkel  oder  das  Dämmer- 
licht (1!),  lücus  (dessen  Quantität  von  Ortmano  übrigens  gar  nicht 
beachtet  wirdj  wäre  eine  Specialisjrung  des  Begritles  silva,  und  immer 
sei  das  Schaurige,  Dunkle,  Geheimnissvolle  ein  wesentliches  Merkmai 
des  Begriffes  lucus. 

Den  Gegensatz  dazu  bilde  gleichsam  das  Wort  nemus  [— nemos, 
ein  gräko-italisches  Wort,  nach  Laut  und  BegritI  bekanntlich  eigentlich 


70 


loBchriftliches  auB  Heidelberg. 


die  Waldtrift,  von  Bäumen  beschatteter,  grasreicher  Boden,  vergl. 
Vanicek  4:^3,  Curtiua,  4.  Aufl.,  S.  314—],  dem  das  Heitere,  Freund- 
liche, Liebliche  anhafte,  auch  wo  seine  ursprünghche  Bedeutung  nicht 
festgehalten  werde.  Bilde  dies  einerseits  sein  unterscheidendes  Merkmal 
von  liicus,  so  unterschieden  sich  beide  Ausdrücke,  eben  wegen  der 
erwähnten  wesentlichen  Merkmale  der  Begriffe  (die  etwas  das  Gemüth 
Ansprechendes,  Poetisches  hätten  und  im  deutschen  „Ilain"  zusammen- 
träfen) anderseits  von  silva  und  saltus. 

Gegen  diese  Ausführung  Ortmann's  ist  nun  aber  vor  allen 
Dingen  zu  erinnern,  dass  das  Wort  Idcus,  wie  wir  gesehen  haben,  rein 
arischen  Ursprungs  ist,  d.  h.  der  vor  der  Absonderung  des  gräko- 
italischen  Volksstaroraes  bereits  vorhanden  gewesenen,  gemeinsamen 
arischen  Ursprache  und  Cultur  angehört. 

Die  Ergebnisse  sprachwissenschaftlicher  Forschungen  bestätigen 
daher  solche  aus  arischen  (indoeuropäischen)  Kinzelsprachcu  gezogenen 
Schlüsse  keineswegs.  Die  Bedeutung  einer  Sprachwurzcl  ist  nur  aus 
der  Vergleichung  der  in  diesen  verschiedenen  Einzelsprachen  vorkom- 
menden, von  derselben  Wurzel  abgeleiteten  Wörter  zu  erschlieasen. 

Es  ist  deshalb  eine  unerklärliche  Thatsache,  dass  eine  grosse 
Mehrzahl  von  klassischen  Philologen  lediglich  den  grako-italischen 
Volksstamra  in  das  Bereich  ihrer  etymologischen  Betrachtungen  zieht, 
der  doch,  wie  die  übrigen  europäischen  HauptcuUurstämme,  arischen 
(indoeuropäischen)  Ursprungs  ist  und  sich  von  ihnen  nur  als  selbst- 
ständiges Glied  getrennt  hat,  aber  sonst  in  keiner  Weise  Originalität 
der  Abstammung  beanspruchen  kann.  Der  gemeinsame  Ausgangspunkt, 
die  Heimath  aller  dieser  Völker,  war  ja  das  Hochplateau  von  Mittel- 
asien, wie  mit  Hülfe  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  längst  fest- 
gestellt worden  ist.  Von  hier  aus,  wo  sie  ein  ungetheiltes  Ganze  ge- 
bildet hatten,  breiteten  sie  sich  erst  nach  Europa  aus,  um  sich  dort 
allmählich  als  neue  Typen,  d.  h.  als  Sondervölker  auszubilden.- 

Im  asiatischen  Stammlande  herrschte  .anfangs  nur  eine  gemeinsame 
arische  Ursprache  unter  dem  arischen  Urvolke,  die  sich  aber  schon 
vor  der  Absonderung  und  Ausscheidung  einzelner  Stämme  in  Dialekte 
schied,  aus  welchen  sich  dann  beim  Betreten  des  europäischen  Bodens 
die  Einzelsprachen,  je  nach  der  Folge  der  Ausscheidung  selbstständig 
und  eigenartig  entwickelten. 

Es  ist  im  Allgemeinen  anzunehmen,  dass,  je  näher  sich  räumlich 
die  Stätten  der  ersten  Niederlassungen  der  einzelnen  europäischen 
Culturstamme  an  dem  asiatischen  Stammlande  befinden,  und  je  später 


Imchriftliohes  aua  Ueidelberg. 


71 


ihre  eigene  historische  Entwickelung  fällt,  um  so  mehr  Ursprüngliches 
zeigen  ihre  Spruchen  in  ihrem  Bau  unil  Wortvorrathe.  Die  frühesten 
arischen  Ansiedler  sind  aber  im  mittleren  Europa  wohl  die  Kelten 
gewesen,  die  auch  am  weitesten  nach  Westen  vorgedrungen  sind. 

Diese  Andeutungen  mögen  hier  genügen  um  die  gänzliche  ünhalt- 
barkeit  einer  isolirenden  Behandlungsweise  auf  dem  Gebiete  der  beiden 
sogenannten  klassischen  Sprachen  zu  zeigen,  wie  sie  die  Philologie  im 
Gegensatz  xur  Linguistik  versucht.  Kehren  wir  nun  zurück  zu  unserer 
Frage  bezüglich  der  Herkunft  und  Bedeutung  des  lateinischen  Wortes 
loaco-s,  Bpäter  Kicus  (Hain),  so  finden  wir  seinen  nächsten  Verwandten, 
wie  oben  gesagt  wurde,  im  deutschen 'der  loch' (Gebüsch),  sodann  aber 
vorzüglich  im  litauischen  laukas  (gleichfalls  masc.)  „Feld,  Acker",  auch 
„das  Freie  im  Gegensatz  des  Hauses".  Aber  auch  auf  arischem  Boden 
begegnet  uns  derselbe  Stamm  im  sanskr.  löka  (masc.)  „Ort,  freier 
Raum,  das  Freie,  Raum  überhaupt,  daher  später  auch  Welt,  Leben", 
Fick  I',  199  —  200  setzt  daher  ein  indoeuropäisches  mascul.  rauka, 
später  zu  lauka  entwickelt,  in  der  Bedeutung  von  freier  Kaum.  Lich- 
tung, Ausblick,  lichtes  Gehölz,  Hain  an,  das  er  zu  einer  Wurzel  rauk, 
spater  lauk  'sehen,  schauen,  erblicken,  gewahr  werden*  stellt,  die 
freilich  eine  Weiterbildung  aus  der  Urwurzel  HUK  'leuchten*  ist,  ohne 
dasa  die  letztere  aber  die  BegriffsbJldung  der  aus  lauk  (sanskrit.  lok 
'videre,  aspicere,  intueri')  beeinflusst  haben  könnte.  Also  liicus  non  a 
lücendo,  jedenfalls  nur  in  ganz  übertragener,  indirekter  Weise!  Im 
Eranischen,  sowie  im  Griechischen  fehlt  der  Stamm,  im  Keltischen  ist 
er  aber  wohl  vorhanden  in  kymrisch  llwch  (masc-)*See,  Sumpf,  Bucht, 
Graben',  bretonisch  louch  'Meerbusen',  die  auf  ein  altes  lue  zurück- 
zugehen scheinen,  was  in  mehreren  Städtenainen  in  Gallien  und  Spa- 
nien als  LÜCU3  vorkommt,  auch  zusammengesetzt  z.  B.  in  Penni-  Penne- 
oder Penuolucus  am  Genfer^see  (jetzt  Villeoeuve). 

Hierzu  stimmt  nun  aber  wieder  nicht  der  kurze  Vokal  in  altirisch 
(schottisch)  loch  ,,See",  was  vielmehr  dem  latein.  läcus  lautlich  wie 
begrifflich  entspricht.  (Vergl.  Curtius  *  p,  159  Nr.  80;  Vanicek  824; 
Fick  P,  748,  II,  216.)  Auch  altdeutsch  lacha  (i^Lachc,  Pfütze,  Erd- 
vertiefung mit  stehender  Flüssigkeit«),  das  mit  lat.  l&cus  urverwandt 
sein  könnte,  wenn  es  kein  Lehnwort  daraus  ist,  sowie  das  germanische 
lagu  'Nass,  Meer"  (vergl.  Fick  III,  262)  berühren  sich  nicht  mit  jenem 
altkeltischen  hic-.  Wohl  aber  schwäbisch  Lauch,  Loch  „Wasscrlanf". 
Vielleicht  aber  ist  hiermit  das  schon  erwähnte  mittelhochdeutsche 
die  la  oder  16 'Sumpfwiese'  und  wohl  auch  daz  16  (gen.  löwes)  „Gerber- 


TS 


loechrirtliches  aus  Heidelberg. 


lohe"  (abgelöste  Pflanzentheile),  sodann  slavisch  lach  «Moiir«,  sowie 
lat.  lücus  zu  vergleichen.  Wie  dem  auch  sei,  die  ursprüngliche  Be- 
deutang  dieses  letzteren  muss  »freies  Feldu  gewesen  sein,  die  sieb 
allerdings  aus  dem  Begriff  ».\usblicku  entwickelt  haben  kann,  wie  dies 
auch  Vanicek  p.  818  zugibt'). 

Die  Begriü't?bildung  des  mit  dem  lateinischen  Worte  formell  über- 
einstimmenden keltischen  Wortes  loucos,  spSter  lücus  (in  keltischen 
Ortsnamen),  wenn  wir  als  Bedeutung  des.selben  See,  Sumpf  annehmen, 
kann  nun  die  gewesen  sein^  dass  sich  <Ier  ursprüngliche  Begriif  von 
freiem  Feld,  insofern  dasselbe  feucht  war,  zu  dem  von  sumpfiger  Boden- 
stelle entwickelte;  man  kann  aber  auch  an  eine  direktere  Herkunft 
aus  der  Wurzel  luk  »ileuchten«  denken  und  zwar  ist»  wie  uns  scheint, 
der  leuchtende,  schimraernde  Wasserspiegel  die  Ursache  der  Benennung 
gewesen.  Hat  doch  auch  Cor ssen  in  derselben  Weise  das  allgemeine 
europäische  Wort  mari  (=  lat,  mare)  zu  der  Wurzel  MAR  'tlimmern, 
glänzen' (F ick  I,  719)  gestellt,  nicht  wie  Curtius*  p.  333  und  Fick  I, 
717  zu  Wurzel  MAR  'sterben'  als  «todtes«  Wasser, 

Das  Resultat  dieser  Untersuchung  dQrfte  nun  dies  sein,  dass  im 
Altkeltischen  eine  Stammform  louco  in  doppelter  Bedeutung  bestand, 
einmal  in  der  so  eben  be.-iprochenen  übertragenen,  sodann  aber  auch 
in  einer  ursprflnglichen  direkt  von  der  Wurzel  luk  'leuchten'  abge- 
leiteten. Die  letztere  Bedeutung  tritt  auf  in  einigen  altkeltischen 
Adjektiven  loucios,  loucetios,  loucotios,  lucotios,  lucoticnos,  leucuUos, 
die  als  Eigennamen  von  Personen  und  in  Ortsnamen  vorkommen,  be- 
sonders aber  als  epitheta  des  keltischen  Mars*). 


1)  Seiner  Bedeutung  nach  könnte  zwar  auch  das  lateiniBche  IScua,  wie 
Bopp  in  der  Thal  versucht,  hierher  gestellt  werden,  seino  altlateiniecho  Form 
Btlocas  widerstrebt  aber  (Curtius.  p.  211;  Vanicek  1149).  Gänzlich  unsicher 
ist  es  aber  anderseits  wieder  dieses  Wort  dem  ariscb-etiropäiscben  Stammworte 
stara,  später  sUla  >Ot,  Stellet  zuzutheilen,  wie  Fick  I,  246  und  821;  11,274  tbut. 

2)  Mars  Leucetius  oder  Loucetius  bei  Brambach  929  u.  930  auy  Marien- 
boro;  sodann  ebenfalls  aus  der  Gegend  von  Mainz  ib.  925  (=  Becker,  Mainzer 
Museum  105);  desgl.  ib.  1540.  Aber  auch  bei  Brambach  1790,  auf  einer  von 
uns  verglichenen  Inschrift  ist  derselbe  Mars  zu  verstehen,  wenn  er  auch  nicht 
aasdrücklich  als  solcher  genannt  ist.  Er  ist  indessen  daselbst  mit  der  Lokal- 
göttln  der  Nemetcr  und  Trierer,  mit  Nemetona  gepaart,  wie  auf  einer  Inschrift 
zu  Bath  in  England ,  die  von  einem  »oivia  Trever«  Namens  Peregri  nus  Secundi 
fil.  gewidmet  ist.  Vergl.  Revtie  Archeol.  1878,  p.  103  und  C.  Inscr.  Lat.  VII, 
Nr.  37.  Eine  Inschrift  aus  Piemont  ist  gewidmet  dem  tdeo  Marti  Leucimalaoo« 
(Mowat  Revue  Arch.  1.  c.,  p.  105). 


loBchriftliohoB  aui  Heidelberg. 


78 


Mowat  vergleicht  die  Bedeutung  derselben  mit  dem  Mars  Albiorix 
und  der  Göttin  Albiorica  (vuii  einem  keltisch-lateinischcu  Worte  albus 
»weiss«  und  keltisch  rix,  rica  =  lat.  rfix,  rßgina;  vergl.  Fick  II,  213). 

Ebenso  stellt  er  ein  Ex-voto  hierher,  worauf  sich  die  Widmung 
befindet  'deo  Borvoni  et  Candido'.  Ueber  den  Gott  Borvo  oder  auch 
Bormo,  der  oft  mit  Ai)0llo  identifidrt  wird,  hat  bereits  J.  Becker 
gehandelt  im  Frankfurter  Archiv  von  1805.  Seine  Auffassung  als 
Sonnengott  erklärt  die  Zusammenstellung  mit  einem  Gottc,  dessen 
Name  «Candidus«  die  lateinische  Uebertragung  des  keltischen  Loucetios 
oder  Leucetius  zusein  scheint.  Dieser  Name  ist  nun  aber  wieder  mittelst 
des  Sutfiies  -et  abgeleitet  aus  dem  thenia  louco,  dessen  Nebenform 
leuco  ist,  mit  dem  bekannten  Wechsel  der  ae<iuivalcnten  altkcltischen 
Diphthonge  ou  und  eu. 

Das  einfache  keltische  Adjektiv  Icucos  mit  der  wahrscheinlichen 
Bedeutung  »weiss,  glänzend*«  liegt  vor  im  Namen  eines  gallischen 
Flusses  und  im  Volksnamen  der  gallischen  Leuci,  die  nach  Mowat 
von  der  weissen  Farbe  eines  Theiles  ihrer  Kleidung  genannt  waren. 
Dieselbe  Bedeutung  kam  nun  aber  wie  gesagt  auch  dem  hieraus  abge- 
leiteten Namen  des  Mars  Loucetius  zu,  der  sich  wieder,  was  höchst 
bemerkenswert!!  ist,  formell  mit  dem  römischen  Jupiter  Lucctius 
(oder  Leucesius)  und  mit  der  Juno  Lucetia  deckt  (die  etymologisch 
und  begrifflich  mit  der  Juno  Lucina  (archaisch  Loucina)  überein- 
stimmt. Mit  Recht  bemerkt  Mowat,  wir  hätten  hier  das  interessante 
Beispiel  eines  Wortes,  dessen  Bildung  durch  das  Lateinische  wie  durch 
das  Keltische,  unabhängig  von  einander,  mit  gemeinsamen  linguistischen 
Mitteln  vor  sich  gegangen  sei,  d.  h.  mit  gleicher  Wurzel  und  gleichem 
Suffix.  Wenn  nun  aber  Mowat  auch  den  Namen  von  Paris,  Lutetia, 
hierher  zieht,  das  eigentlich  Loucetia  in  ursprünglichster  Form  geheissen 
habe,  d.  h.  die  weisse  (benannt  vom  Baumaterial),  so  wurde  schon  oben 
dagegen  bemerkt,  dass  ein  selbständiger  Stamm  lut-  im  Keltischen 
nachweisbar  ist,  der  z.  B.  auch  im  Ortsnamen  Luteva  vorliegt.  Sicher 
keltisch  sind  daher  Namen  wie  Lutevus,  Lutullus  (Brambach  1845  u. 
1852)  und  wohl  auch  das  Geotile  Luttonius  (ib.  IJOo).  Lin  von  uns 
zu  Neuenheim  bei  Heidelberg  gefundener  Töpfersterapel  mit  dem  Namen 
LVTKVS  stimmt  freilich  vollkommen  mit  dem  lateinischen  Adjektiv 
Inteus  (»aus  Lehm  gemacht«)  oder  mit  dem  damit  nicht  verwandten 
lüteus  ('goldgelb*,  von  lütum  *gelbe  Farbe',  Gelbkraut)  überein.  (Nach 
Fick  I,  579,  580  u.  11,  83  stände  lütum  für  hliitum  =  hultum  von 
Wurzel  ghal  'grüngelb*.   VergL  auch  Vanicek  249.)    Der  Frauenname 


74 


Inschriftliches  aus  Ueidelberf^. 


LVTEIA  der  vorliegenden  Inschrift  scheint  dagegen  keltisch  za  sein,  be- 
sonders wenn  man  den  Umstand  in  Betracht  zieht,  dass  der  Vater 
derselben  den  ausgesprochen  keltischen  Namen  Carantus  trägt.  Auch 
ist  dieselbe  wie  die  nicht  römischen  Frauen  (und  Männer)  überhaupt 
mit  nur  einem  Namen  bezeichnet,  dem  dann  derjenige  des  Vaters  zur 
Beurkundung  der  Abstammung  beigefügt  ist.  Da  also  kein  cognomen 
folgt,  80  kann  auch  nicht  etwa  eingewandt  werden,  dass  Luteia  ein 
regelrecht  gebildeter  lateinischer  Gentilname  sei  mit  dem  Sufinxe  -eins, 
das  z.  ß.  auch  in  dem  Niuiien  des  C.  Vereins  Clemens  einer  von  uns 
niitgetheilten  neuen  Heidelberger  Inschrift  auftritt  und  von  gleicher 
Bedeutung  ist  wie  die  gewöhnlichere  gentilicische  Endung  -ius.  Zudem 
kennt  die  altkeltischc  Sprache  die  gleichen  ableiterischcn  Suffixe  EI, 
AI  u.  s.  w.,  wie  dies  in  grammatica  celtica,  ed.  II,  p.29  — 32,  sodann 
p.  764  u.  782  von  Zeuss  und  Ebel  nachgewiesen  wird. 

Wie  dem  nun  auch  sei,  so  müssen  wir  den  Namen  LVTEIA  hier 
für  sicher  annehmen,  wenn  auch  das  T  darin  in  Folge  seiner  nahen 
Stellung  bei  dem  vorausgehenden  V  und  einer  Unebenheit  des  Steines 
fast  ein  F  zu  sein  scheint.  (Jedenfalls  ist  es  aber  kein  E,  wofür  es 
Creuzer  ansah.)  Eine  offenbar  zufällige  Vertiefung  im  Steine  nach 
dem  L  kann  natürlich  nicht  als  Punkt  aufgefasst  werden,  da  die  Weiber 
in  der  Kaiserzeit  blos  Gentilnamen  nnd  cognomen  hatten,  oder,  wie  wir 
gesehen  haben  nur  das  letztere,   wenn   sie  keine  Römerinnen  waren  ')• 

Creuzer's  Lesung  L(ucia)  VERIA  oder  Viria  ist  aber  sonst 
auch  verkelirt,  denn  von  einem  R  ist  nirgends  eine  Spur  vorhanden, 
vielmehr  ist  der  betreffende  Buchstabe  ein  ganz  deutliches  E,  das  durch 
eine  kleine  Beschädigung  des  Steines  an  dieser  Stelle  in  nichts  ver- 
ändert wird.  Fickler  gar,  der  den  Aufbewahrungsort  des  Steines 
gar  nicht  kannte,  machte  aus  Creuzer's  Lesung  eine Luceria Carantia 
oder  Carantina  zurecht,  wozu  aber  die  Inschrift  selbst  nicht  die  ge- 
ringste Handhabe  bietet.  Nach  LVTEIA.  CARANTI,  wie  die  vierte 
Zeile  unzweifelhaft  lautet,  kann  aus  absolutem  Raummangel  kein  ein- 
ziger Buchstabe  mehr  gefolgt  sein.    Vielmehr  ist  einfach   das  Wort 


l)  Einzelne  Ausnahmen  hiervon,  deren  Wilnianns  II,  p.  403,  unter 
»praenomioa  muHcrnm  vel  coguomina  praescripta«  erwähnt,  wie  z.  B'  Prima. 
Paulla  können  aber  Belbstvcrständlich  hier  nicTil  iu  Betracht  kommen.  Ebenda 
pag.  404  werden  auch  einzelne  >libcrtae  nomine  servili  pro  praenomine  asae« 
aufgeführt,  z.  B.  Posilla  Senenia;  sodann  gleichfalls  aueuahinsweise  einige 
■Ub«riae  oognomine  careoten«,  denn  die  freigelassenen  Frauen  haben  gewöhnlich 
swei  Namen,  wie  die  Freigeborenen. 


loBchriftlicbes  aus  Heidelberg. 


75 


tilia  zu  ergänzon,  wie  in  so  vielen  FällcDj  wo  es  nicht  ausdrücklich 
durch  die  Sigle  F  bezeichnet  ist. 

Die  Dedikaotin  führt  aläo  wie  gesagt  nur  einen  Namen,  der 
daher  nicht  als  nomen  gentilicium  aufzufassen  ist,  sondern  als  Pcrso- 
nalname  (cognonien),  wie  z,  B,  auch  trotz  seiner  gentilicischen  Form 
der  Name  eines  Galliers  auf  einer  Mainzer  Inschrift  (Hang,  Mann- 
heimer Denksteine  Nr.  42),  Adbogius,  dessen  Abstammung  durch 
»Coinagi  filius«  angedeutet  wird  '). 

Diese  Art  der  Namengebung  steht  also  t.  B.  auf  einer  Linie  mit 
der  eines  weitern  zu  Mannheim  aufbewahrten  Grabsteines  (Haug  Nr.  56), 
worauf  eine  Frau  Aiassa  Siri  erscheint,  mithin  die  Tochter  eines  ge- 
wissen Sirus,  welcher  einen  keltischen  N'aiucn  geführt  haben  könnte 
(Fick  II,  259  hat  sir  »longEsw)>der  auf  einem  Mainzer  Grabsteine  bei 
Becker  Nr.  232  zusammengesetzt  vorkommt:  Blussus  Atusiri  filius. 
Allein  Sirus  ist  doch  eher  das  häufige  cognonien  Syrws  oder  ein  Gcntile 
Syrius,  womit  auch  der  Herr  derÄiassa,  statt  des  Vaters  gemeint  sein  kann. 
Die  Namen  des  betreffenden  Steins  stehen,  wie  wir  uns  überzeugten, 
alle  unzweifelhaft  fest  Der  weibliche  Name  Aiassa  wird  schon  durch  den 
raännlichcn  Aiasus  der  tabula  Vclcias  bei  Wilmanns  2845  gedeckt, 
der  von  dem  griechischen  Namen  Aiax,  Aias  (z.  B.  ib.  2844  vorkom- 
mend) abgeleitet  zu  sein  scheint.  Der  Mann  der  Tochter  oder  Sclavta 
des  Sirus  führt  den  Namen  Arruntio  Curturionis  [seil,  filius  oder  aber 
libertus  oder  servus];  der  Sohn  der  beiden  den  einfachen  Namen 
Clemens,  was  allerdings  auf  eine  Freigelassenen-  oder  eher  Sclaven- 
familie  deutet.  Die  Wörter  servus  und  libertus  werden  ja  öfters  aus- 
gelassen, so  z.B.  zu  Mainz  (Becker  Nr.  36)  Felicio  Secci,  d.  h.  Sclave 
oder  Freigelassener  des  Seccius.    (Vergl.  dazu  ib.  Nr.  244  —  246J  -'). 


1)  Eine  andere  zu  Maniiheim  befindliche  loBohrift,  die  wir  vohon  früher 
Biitgetheilt  haben  (vergl.  Haug,  Nr.  89),  lautet  dagogen  MERfourio?)  || 
OOMITIA  II  FACVND  ||  1NI(A}  PRO  |]  (se  et  suis),  also  Domitia  Facundinia,  wobei 
letsteres  trotz  geDtiticiBcber  Endung  cognom^n  ist,  wie  z.  U.  Ilaug,  Nr.  S3, 
lulia  Vcgeti  fllia  Mandia  steht;  oder  bei  Wilmanns  II,  p.  324  Domitia  Oslatia, 
Domitia  Grapia;  oder  in  Hühner^  epaniBcbom  Inschrirtcnwerk  Domitia  Attia  etc. 
Ebenda  aber  auch  Domitia  Nolaesi,  und  köunte  man  biernacii  auch  zu  Mannheim 
losen  Domitia  Faoundini  (seil  fiUa),  doch  scheinen  noch  Spuren  eines  A  zu  folgen. 

2)  Der  Name  Seccius  wird  auch  Seoius  geschrieben  und  acheint  lateinisch 
zusein,  abgeleitet  von  aecus,  urspriingüoh  >folgend«  (Vanic'^ek  981).  Dies  geht 
äbrigena  anf  eine  indoeuropäische  Wurzel  SAK  »folgern  zurück  (Fick  ^  I,  224 
u.  790),   wozu  auch  der   keltische  Name  Secco    zu  stellen  ist.    Man  konnte  zu 


76 


InschrifLliches  aus  Heidelberg. 


Dieser  Umstand  macht  es  oft  schwierig  zu  entscheiden,  ob  Sciavcn 
oder  freigeborene,  nichtiömische  Männer  oder  Frauen  gemeint  sind, 
da  beide  Classen  mit  nur  einem  einzigen  Namen  bezeichnet  werden. 
Aber  nicht  nur  wenn  dem  letzteren  ein  einfacher  Genitiv  ohne  beige- 
fügtes servus  oder  tiliiis  folgt,  wird  die  Entscheidung  dieser  Frage  oft 
schwer,  sondern  aucli  wenn  gar  nichts  folgt.  In  diesem  Falle  wird 
in  der  Regel  die  Art  des  Namens  zu  entscheiden  haben,  der  bei  Sclaven 
bekanntlich  vielfach  griechisch  oder  doch  sonst  characteristisch  ist. 

Eine  Sciavin  oder  Freigelassene  war  z.  B.  wohl  sicher  die  llomula, 
Gemahlin  eines  Firmius  Firminus  einer  Wiesbadener  Inschrift  (.Bram- 
bach  15U). 

In  andern  Fällen  ist  dies  ganz  ungewiss,  so  z.  B.  beim  Weiber- 
nanicn  I'crpertua  einer  Mainzer  Inschrift  (Becker  Nr.  2^),  oder  bei 
Bella  einer  solchen  aus  Gudesberg  (diese  Jahrbücher  XLIV— V  p.  81), 
indem  dieser  letztere  Name  nicht  allein  lateinisch  ist,  sondern  auch 
keltisch,  wie  der  Name  der  gallischen  Bellovaci  und  der  spanischen 
Belli  beweist.  Vergl.  auch  die  keltischen  Namen  Bellanco  Gimionis 
eines  Votivsteines  aus  Remagen,  zu  Mannheim  (Haug  Nr.  27); 
L.  Bellonius  Marcus  ebenda  aufbewahrt  (ib.  Nr.  10);  Bellius,  Suavig 
filius  zu  Spei  er  (Brambach  1765,  Ton  Ilaug  verbessert);  Belatulla 
(Brambach  1773,  nicht  aber  1775,  wie  im  index  cogn.  steht};  BelatuUus 
m  Mainz  (Becker  Nr.  82  u.  p,  102  Nr.  2G)  und  auf  Stempeln  aus 
Miltenberg  u.  s.  w.   Es  laufen  hier  verschiedene  Stämme  durcheinander: 

1)  lateinisch  bellum  (für  duellum),  wozu  der  Name  der  römischen 
Kriegsgöttiu  Bellona  gehört,  desgleichen  die  Bezeichnung  Bellius  (fQr 
duellius);  bellator  'Krieger',  fem.  bellatris  etc.  (vergl.  Vanicek  373). 

2)  lat.  bellusi  'hübsch,  schön*  aus  bonulus  entstanden  (ib.  875). 
H)  eine  indoeuropäische  Wurzel  BAL  »stark  sein»,  die  im  sanskr. 

bali  voilicgi,  äuvrie  wohl  auch  im  lateiu.  valere  (ib.  566).  Hierzu 
können  vielleicht  auch  die  keltischen  Namen  gestellt  werden.  Ein 
solcher  ist  auch  Bellutorix  (Brambach  1877,  nicht  1878,  wie  im  index 
siebt,  zusammengesetzt  mit  keltisch  rtx  (lat  r^xj.  Bellus,  der 
entsprediende  Männernaine  xu  Bella  auf  einem  Mainzer  Legions- 
stcinc  (Brambach  1302)  kann  natürlich,  wie  Freudenberg  an- 
nimmt, eben  so  gut  lateinisch  sein.  Sicher  keltisch  ist  dagegen 
wieder  der  Name  einer  Frau  Mcddil«  auf  einem  Grabsteine  aus  Neckar- 


diMem  Ntmen   über   auch   di«  Wanel   mk  ■ 
tioliQD  (vorgl,  Vnuiiick  999;  Ftck  11,  2h2). 


Ut«in.  seoare  »MhDeidea«  heran- 


Inschrifltlicliea  aua  Heidelberg. 


77 


gomünd  (Hang  85),  der  zu  dem  liekannten  keltischen  Namensstanime 
MEBÖ  gehört,  mit  sog.  gestrichcnein  keltischen  B  (vergl.  die  Revue 
Arcli6ol.  Fevrier  1878  p.  98),  während  Fiauenuamen  wie  Medella 
(bei  Wilraanns  177)  und  medulla  (ib.  2128)  lateinisch  sind,  vom 
Stamme  medio,  medi  —  woher  auch  das  Wort  medulla  eigentl.  das 
Innerste,  Mark,  sowie  der  Name  einer  albani.schen  Colonif  bei  Rom 
Medullia.  (Vergl.  Vanicek  ötl7;  Fickll,  106.)  Dies  inedio  ist  aber  auch 
keltisch,  daher  Medio-niatrici  „die  um  die  (elsässische)  Matra  wohnen". 

Wi'M'ter  wie  meditiiri  )ibedenken«i,  mcdi'Ti  'heilen',  medela  'Heil- 
mittel', medicus  'Hcilkünstler*  sind  aber  andern  Stammes.  Diese  ge- 
boren zu  einer  indoeuropäischen  Wurztd  madh  'klug  sein,  lernen,  heilen', 
die  auch  in  der  griechischen  Stammform  math  vorliegt  (vergl.  Vanicek 
665  u.  669;  Curttus''  \k  242  —  243  u.  p.  312  —  3i;i;  Fjck"  I,  107 
u.  714  —  715.  Hierher  sind  wohl  auch  die  obigen  keltischen  Namen 
des  Stammes  medh  oder  metth  zu.  stellen,  wenn  man  auch  an  indo- 
europäisches madhu,  medhu  'ein  süsses  Getränk'  denken  könnte 
(Curtius*  p.  260;   Fick  1,  711;   II,  190;    111,  242;    Vaaicek  694). 

Komnica  wir  nun  nach  diesen  Auseinandersetzungen  zurück  auf 
unsere  Luteia  Caranti  (nicht  Carantii,  denn  das  scheinbar  längere  I 
am  Ende  des  Wortes  beruht  auf  einer  Verletzung  des  Steines),  so 
ergibt  sich  aus  ihnen,  dass  wij-  die  letztere  nicht  sowohl  als  Sclavin 
oder  weibliche  Freigelassene  des  Carautus  zu  denken  hiiben,  sondern 
als  freigeborene  Tochter  eines  gallischen  Peregrineu.  Sein  Name 
Carautus  kommt  vielfach  auf  rhetnischeu  Inschriften  vor;  so  Branibach 
921,  1321  und  1769  =  Haug,  Mannheimer  Denkstein  55,  wo  eiu 
Quintus  (hier,  wie  sehr  häutig  cognomcn)  und  eine  Saturnina  als 
Kinder  eines  Carantus  erscheinen.  Desgleichen  nach  Art  unseres 
Volcius  obwohl  keltisch,  doch  als  römisches  Gentilc  verwandt  in  der 
Form  Carantius,  bei  Branibach  108,  713,  710,  1968  a,  1331  — 
Becker,  Mainzer  Museum  127;  aber  auch  anscheinend  als  oognomen 
in  dem  ganz  keltischen  Namen  Meddillius  Carantius  mit  seiner  Tochter 
daran tia  Ae  1 1 a  bei  B  r  a  m b  a  c  h  15 69  ' ). 


1)  Dieso  ftrabschrjft  zeigt  viole  Aehnlichkeit  mit  der  nchon  orwähnten,  aus 
Neckargemünd  (Haug  85),  weiche  ein  FORTIO  IlLIVS,  d.  b,  EliiiH  (AeliuB), 
deaseu  Namen  nach  unserer  •wiederholten  Vorgleichunjij  vollut&ndig  sicher  ist, 
dem  Petoatix  und  der  Mcddita  setzen. 

Hüljuer  apricht  Tiiin  zwar  in  der  Jeaaer  Literaturz«iiuog  1877,  Artikel  396, 
die  Vermutbaiig  aus,  hier  Htünde  gewiss  uur,  oder  wäre  gomcint,  »Fortis  tilins«, 
ftlleiii  dfi-  StPJD  zeigt  so  scharfe  uud  tief  eiugebaaede  Züge,  das»  au  obiger  Lesung 


78 


InschriflliclieB  aus  Heidelberg. 


Die  Mutter  führt  zwar  nur  den  einfachen  Namen  Victorina,  il 
Geschlechtsnanie  war  aber  wahrscheinlich  Aelia,  den  sich  die  Tochti 
nach-  statt  vorsetzte,  was  gegen  die  gowöhnliche  Regel,  in  späterer  Zeij 
dennoch  öfters  so  vorkommt,  wie  denn  auch  der  Gebrauch,  den  Gentil 
nameo  der  Mutter  statt  den  des  Vaters  anzunebraen  (z.  B.  Haug  Nr.  73j 
Auch   der  Vater  hiess    vielleicht   eigentlich   in  umgekehrter  Ordnung 
Carantius   (Gentile)  Meddillius  (cognomcn)}   seine  Frau,   wie   gesagt^! 
Aelia  Victorina  uud  die  Tochter  Aelia  Carantia.    In  jedem  Falle   i«^* 
aber  Carantia  als  cognomen   anzusehen,  entnommen   aus  dem    väter-_ 
liehen  Namen. 

Sonst  führt  die  älteste  Tochter  gewöhnlich  das  cognomen  der 
Mutter  (oder  auch  ein  daraus  gebildetes  Gentile,  wie  z.  B.  Becker 
Mainzer  Museum  22n).  Carantius  als  Gentile  kommt  auch  andern  Orts 
in  Keltenländern  vor,  so  »prope  Genavam«  (Wilmanns  1584).  Daraus 
entwickeln  sich  weiter  Carantinus  (im  Luxemburgischen)  und  hieraus 
wieder  ein  Gentile  Carantinius  zu  Mainz  (Brambach  1329:=  Wil- 
manns 2277  [nicht,  wie  es  im  iodcx  heisst  2272]  =  Becker  Mainzer 
Museum  86  und  ähalicbe  Sprossformen,  die  Becker  schon  in  den 
Nassauischen  Annalen  VII  S.  33  einem  keltischen  Stamme  CARAN"] 
zugewiesen  hat. 

Derselbe  ist  aber  wohl  nur  eine  Nasalirung  des  einfachen  Stamme 
CARAT,  der  in  keltischen  Namen  wie  Caratius  (Brambach  1862 
18(>3),  Caratacus  (ib.  1390),  CaratuUus  (1639)  u.  s.  w.  auftritt. 

Die  arische  Wurzel,  wozu  diese  Worte  gehören,  ist  vielleicht 
dioselbe,  wozu  auch  griechisch  keryx  (Bote,  Herold)  zu  stellen  ist, 
dessen  dorische  Form  käryx  lautete  (vergl.  die  „Revue  Critique" 
1878  p.  150). 


nicht  zu  7.weife]n  ist.  Der  Name  Portio  (nicht  Fortis)  wurde  zudem  von  an» 
auch  an  anderer  Stelle  belegt,  d.  h.  aaf  einer  Oaterburkener  Inschrift,  worauf 
Btebt  Cattonius  Fortio  S.  oder  -^  (=3  singularis  oder  aber  centurio)  ex  comi- 
o(ulario).  Auch  aaf  einer  eu  Miltenberg  am  Main  gefundenen  Griffelitischrift 
kommt  nach  unserer  Vergleichung  der  Name  Fortio  vor. 

HiDsictitlicb  dea  IILIVS  könnte  man  nur  annehmen,  der  Steinhauer  habe 
die  Aus7.eichnuiig  ala  F  vergeaaeu ,  allein  es  erscheint  doch  in  derselben  Zeil 
ganr.  deutlich  mit  der  bekannten  Form  F  (ähnlich  wie  ein  K)  im  Namen  Fortio^ 
ebenso  ia  der  letzten  Zeile,  so  dass  man  nicht  annehmen  kann,  es  läge  hier  ein 
Versehen  vor.  Es  bleibt  daher  kaum  etwas  Anderes  übrig,  als  IILIVS  für  ELIVS 
EU  nehmen,  da  der  Stein  alle  E  durch  II  bezeichnet,  wie  er  überhaupt  solche 
spätere  Schriflformen  mit  Hinneigung  zur  Coraive  aeigt. 


iDRchriftliches  ttiiB  [leidelberf;. 


79 


Dieses  Wort  liegt  auch  im  Sanskrit  vor,  wo  käru  ^Sänger*  berleutet 
(von  Wurzel  kar  'rufen,  neoneii,  tönen'],  Vergl.  Fick,  3.  Auflage, 
I.  p.  41  u.  II.  p.  53;  Vanicek  140.  Näher  noch  liegt  aber  dem 
keltischen  Wortstamme  ein  indoeuropäisches  kara,  karant,  'junger 
Mann,  Diener',  dessen  verschiedene  Formen  in  den  Einzelsprachen 
Fick  I,  p.  43  u.  p.  521  —  522  unter  der  Wurzel  kar  »currere« 
zusammengestellt. 

Noch  andere  Vergleichungen  böten  sich  im  Namen  der  Ceres 
(der  altitalischen  Göttin  des  Getreidebaues  und  der  Feldfrüchte),  sowie 
im  altlateiu.  cerus  nSchöpfer«  (von  der  Wurzel  kar  im  Sinne  von 
»machen,  schaffen  und  gedeihen^;  vergl  Vanicek  120;  Fick  I  p.520 
u.  II,  53)  oder  im  griech.  kara  »Haupt«  (vergl.  Curtius,  4,  Aufl. 
p.  142;  Vanicek  125). 

Eine  nähere  Begründung  dieser,  sowie  überhaupt  der  Etymologien 
auf  dem  Gebiete  des  Keltischen  unter  Zuziehung  aller  verwandten 
arischen  Sprachen  wird  erst  möglich  sein,  wenn  die  Specialgrammatik 
und  Etymologie  der  einzelnen  keltischen  Dialekte,  bis  jetzt  einer  der 
vernachlässigtsten  Theile  der  vprgleicheuden  Grammatik,  eine  einge- 
hendere Behandlung  erfährt.  Unsere  grössten  Hoffnungen  setzen  wir 
in  dieser  Beziehung  auf  W  indisch  in  Strassburg.  Von  ihm  allein 
könnte  eine  dritte  Auflage  der  berühmten  gramraatica  celtica  aus- 
gehn!  Wenn  man  weiss,  welcher  Unfug  auf  keltischem  Gebiete  zum 
Theil  noch  heutigen  Tages  von  Seiten  der  Dilettanterie ,  den  sog. 
Keltomanen  verübt  wird,  so  muss  man  nur  urasomehr  die  Calamität 
beklagen,  dass  die  Mehrzahl  der  Philologen  fortfährt,  bloa  die  bekannteren 
Bahnen  der  griechischen  und  lateinischen  Grammatik  zu  wandeln,  ohne 
zugleich  auch  die  übrigen  Zweige  des  arisch-europäischen  Sprachstiimmes 
zu  berücksichtigen. 

Diese  Beschränkung  auf  das  sog.  klassische  Alterthum  mag  ja  aus 
äusseren  Gründen  gerechtfertigt  erscheinen^  ist  aber  an  sich  doch  nur  zu- 
fällig und  liegt  durchaus  nicht  im  Wesen  der  Philologie  begründet. 
Fasst  man  deren  sprachliche  Seite  zunächst  ins  Auge,  so  kann  man 
in  ihr  nur  einen  Theil  der  Linguistik  erkennen,  wie  dies  ganz  neuer- 
dings (»Sur  les  rapports  de  la  linguistique  et  de  la  philologie«)  auch 
in  der  sehr  empfehlenswerthen  neuen  französischen  Zeitschrift  nRevue 
de  Philologie«,  tome  II,  Janvier  1878,  von  einem  der  gewiegtesten 
I  französischen  Sprachforscher  anerkannt  wird.  Die  äusserst  nahe  Ver- 
wandtschaft zwischen  der  italischen  und  keltischen  Sprachfamilie,  das 
Vorkommen  zahlloser  keltischi'r  Namen  und  Gottheiten  in   der   latei- 


80 


InBchrirtlichaq  an»  Heidelberg. 


nifichon  Literatur,  besonders  aber  in  der  Epigraphik,  die  Vermischung 
römischer  und  keltischer  Cultus-  und  Culturformen ,  das  Abspielen 
eines  wesentlichen  Theiles  der  römischen  Geschichte  auf  keltischem 
ßodeti  u.  8.  w.,  dies  Alles  drängt  aber  unaufhaltsam  darauf  hin,  dass 
endlich  einmal  das  Gebiet  der  klassischen  Philologie  wenigstens  nach 
dieser  Seite  liin  erweitert  werde.  Betont  man  endlich,  wie  die  Mehr- 
zahl ihrer  Vertreter  thun,  mehr  die  geschichtliche  Seite  der  Philologie, 
deren  Begriff  ja  mit.  dem  der  Gpschiehte  im  weitesten  Sinne  zusam- 
menhilngt,  indem  mati  beide  Disciplinen  mit  Böckh  nals  Erkenntniss 
des  Erkannten«  betrachtet,  —  so  ist  gerade  aus  den  eben  angedeuteten 
Punkten  zu  entnehmen,  welch  grossen  Gewinn  die  Geschichte  des 
Altcrthums  aus  der  plaiinilissigen  streng  philologischen  Durchforschung 
dos  vorhandenen  epigraphisch-literarischen  Materials  der  gallischen 
Sprache  und  der  daraus  hervorgehenden  Erkenntniss  des  Culturzustandes 
des  keltischen  Vulksstummes  Oberhaupt  /ii  ziehen  berechtigt  ist.  Diese 
Erkenntniss  ist  aber  nur  möglich  durch  gemeinsame,  dasselbe  Ziel  ins 
Auge  fa.ssende  Arbeit  von  Linguistik  und  I'hilologie  und  kann  nur  auf 
Grund  der  vielseitigsten  Einzelforschuogen  allmählich  erreicht  werden. 


Nachschrift. 

Hinsichtlich  des  auf  »ler  oben  beschriebenen  Grab-Stele  unter  der 
Inschrift  betindlichen  Basreliefs,  welches  wir  für  eiuen  Genius  erklärten, 
erlaubten  wir  uns  nachträglich  auch  die  Ansicht  eines  der  ersten 
Kenner  auf  diesem  Gebiete,  des  Herrn  Hofrath  Stark  einzuholen  und 
stehn  nii-ht  an,  weiter  unten,  zum  Schlüsse  seiue,  von  der  unsern  im 
Ganzen  abweichende  Anschauung,  wörtlich  mitzutheilen. 

Natürlich  kann  es  uns  nicht  iu  den  Sinn  kommen,  derselben  in 
dem  vorliegenden  speciellen  Falle  entgegentreten  zu  wollen,  indessen 
wagen  wir  iu  einem  besonderen  folgenden  .Vnhang  uusere  eigene  Mei- 
nung in  Bezug  auf  diese  Art  DarstclluDg  von  Genien  überhaupt,  näher 
SKU  begronden. 

Zur  Vermittlung  beider  Ansichten  liesse  sich  sagen,  dass  wenn 
auch  nach  Stark 's  Annahme  auf  dem  abgebildeten  Grabsteine  wirklich 
ein  Vjos,  wie  in  so  vielen  Fällen  •),  als  Tafelhalter  verwandt  ist,  dabei 


1)  Ein  intere«MUit«r  Grabstein  dieser  Art  von  hober  Schönbeit  der  oma- 
mentalen  Composition  ist  derjenift«  der  Claudia  Semne  fWilmanns  Nr.  240). 
Entsprfditmd  der  Widmung  >Fortuo»e,  Spei,  Venen  et  memoriae  (iUius) 
Sacrutn*   sind    die  Symbole   dieser  Gottbeiten  dargestellt,  worunter    auch,  wiq 


Inschriftlicbeg  aus  Heidelberg. 

dennoch  die  Idee  eines  geflügelten  Genius,  etwa  als  Symbol  der  Zeit  und 
Ewigkeit,  mit  unterlief,  wie  wir  ihn  ähnlich  in  so  musterhafter  Technik 
z.  B.  auf  der  oben  schon  erwähn tec  Ehrcnaäule  des  Antoninus  Pius 
zu  Rom  erblicken. 

Die  Aehnlichkeit  in  der  Darstellung  von  Amoretten  und  Genien, 
die  beide  als  jugendlich  nackte  Flügelgeatalten  erscheinen  und  das 
künstlerische  Bestreben,  sie  beide  auf  Grund  strenger  stilistischer 
Anforderungen  als  der  Ornamentirung  dienende  Motive  zu  verwenden, 
mussten  zu  einer  Vermengung  derselben  führen. 

Der  Umstand  jedoch,  dass  diese  Flügelgestalten  zumeist  auf 
Grabdenkmälern  zur  Verwendung  kamen,  bewirkte  unzweifelhaft,  dass 
man  in  ihnen  schliesslich  nur  noch  eine  Beziehung  auf  ein  neues  Leben 
nach  dem  Tode  erkannte  und  sie  demnach  für  die  Idealgestalten  der 
Verstorbenen  hielt.  Zur  Begründung  dieser  Ansicht  mag  folgender 
Anhang  dienen: 

Zur  Gräbersymbolik  uud  über  die  Oenien  im  Allgemeinen. 

Das  Gemeinsame  der  religiösen  Anschauungen  bei  grösster  Ver- 
schiedenheit der  Glaubenskreise  UDd  Völkerindividuen,  wie  es  sich  auch 
in  Bezug  auf  den  Unsterblichkeitsglauben  deutlich  zeigt,  geht  aus  dem 
überall  sich  gleichbleibenden  innerster^  Wesen  der  menschlichen  Natur 
hervor,  das  zu  seiner  Entfaltung  allerdings  einer  gewissen  Stufe  der 
Cultur  bedarf).  Ist  diese  aber  einmal  gewonnen,  dann  sehen  wir,  wie 
sich  häufig  in  dem  religiösen  Vorstell ungskreis  der  verschiedensten 
Völker  dieselben  Gestalten  bilden,  ohne  dass  man  dabei  immer  an 
EntlehnuDgen  von  einander  zu  denken  hat.  So  ändet  sich  denn  auch 
der  Glaube  an  individuelle  Sehutzgeister  bei  sehr  vielen  Viilkern. 

Dies  kann  bei  den  polytheistischen  Religionen  der  Arischen  Familie 
natürlich  nicht  auffallen.    Neben  die  Götter,  die  nur  das  grosse  Ganze 


Wilraann*  aich  ausdrückt,  eine  »Corona  quam  duf>  Amoret  sustinent«.  Von 
Interesse  ist  auch  die  in  der  Inschrift  aaogeiprochene  BestlTuniung:  >huic  monn- 
meoto  cedet  borlaa  in  quo  aedicolae ,  in  quibua  simulaora  Claudiae  S6mnea  in 
formam  deorom«  etc. 

1)  Die  Ergebaiise  der  Forschungen  auf  dieiem  Gebiete  hat  neuerdings 
Edmund  Spicsa  EusammengeatelU  in  seiner  »Entwicklungageschicbte  der  Vor- 
stellungen vom  Zustande  na<:h  dem  Tode,  anf  Grund  vergleichender  Religious- 
forschung«  (Jena  1877),  woeu  die  auafuhrliche  Besprechung  dieses  Werkes  von 
Moll  in  Oskar  Schade's  »wiasenscbaftliobeQ  Monats  blättern«  von  1878,  Nr.  3, 

SU  y«rgltiiohen  ist. 

6 


82 


Inachriftliche?  auR  Heidelberg. 


im  Auge  hatten,  stellten  sich  hier  naturgeniäss  unsichtbare  göttliche 
Wesen,  welche  für  Wolü  uutl  Wehe  der  einzelnen  Menschen  sorgten. 
Sie  spielten  eine  Vermittlerrolle  zwischen  den  Menschen  und  den 
Göttern,  in  der  Art  etwa,  wie  in  der  modernen  Spiritiatenlehre  sog. 
Media  den  angeblichen  Verkehr  mit  den  abgeschiedenen  Seelen  ver- 
mitteln. Ganz  dieselbe  Vorstellung  finden  wir  nun  aber  merkwürdiger 
Weise  auch  bei  semitischen  Völkern,  trotz  deren  ursprünglichem  Mono- 
theismus, dessen  absolute  Gewalt  hierdurch  bedeutend  gemildert 
»'rscheint.  Die  biblischen  Engel  sind  nach  altorientalischer  Anschauung 
zunächst  Mittelwesen  zwischen  Gott  und  den  Menschcu.  Allmählich 
dehnte  sich  aber  die  Engellehre  viel  weiter  aus.  Man  dachte  sich  ein 
Heer  von  Engeln  als  förmlichen  Hofstaat  und  Dienerschaft  Gotte,s, 
dessen  Thron  umgebend.  Dire  Anfangs  geringere  Zahl  wuchs  auf  diese 
Weise  nach  und  nach  in'a  Unen<lliche.  Am  ausgebildctsten  zeigt  sich 
dann  das  Sywtcm  der  Engel  im  neuen  Testament  und  fortan  im  Christen- 
thum.  Hier  wird  ihnen  neben  Geschlechtslosigkeit  auch  die  Flügel- 
geatalt  zugeschrieben,  und  es  erfolgt  so  allmählich  ihre  Vermischung  mit 
den  römischen  Genien,  in  deren  Formen  sie  nun,  wie  schon  oben  bemerkt 
wurde,  mehr  oder  weniger  hinüberwuchsen.  Die  Bedeutung  der  jüdisch- 
christlichen F.ngel  und  der  Genien  des  italischen  Glaubens  war  schliesslich 
eine  so  übereinstimmende,  dass  bei  Annahme  des  christlichen  Glaubens 
von  Seiten  der  Römer  keinerlei  Aendei'ung  der  Anschauungen  in  Bezug 
auf  diese  Art  Wesen  mehr  stattzufinden  brauchte.  Bios  der  Name 
änderte  sich,  indem  der  bislierige  rüraische  Genius  einfach  als  angelus 
fortlebte.  Die  polytheistische  Vorstellung,  die  dabei  zu  Grunde  liegt, 
blieb  aber  auch  in  der  christlichen  Kirche  ganz  dieselbe.  Waren  doch 
schon  seit  den  Zeiten  des  babylonischen  Exils,  ganz  im  Sinne  des 
Polytheismus,  der  Einwirkung  der  himralischen  Heerschaaren  die  ver- 
schiedenen Erscheinungen  der  Natur  unterstellt. 

Lagen  in  dieser  Beziehung  schon  vielfache  Anknüpfungspunkte  an 
das  römische  Genienwesen,  wonach  ebensowohl  wie  jeder  Mensch,  auch 
jeder  Ort  seinen  besonderen  Genius  hatte  (gleichsam  die  verborgene 
Seele  der  betreffenden  Lokalität,  die  höhere  Ursache  ihres  Vorhanden- 
seins bezeichnend),  —  so  erschien  das  die  besonderen  Religionen  in 
dieser  Hinsicht  noch  Unterscheidende  völlig  aufgehoben  in  der  sowohl 
altrömischen,  wie  alijüdisch-christlichen  Lehre,  dass  die  Ueberwachung 
und  Leitung  nicht  blos  der  einzelneit  Iinlividuen,  sondern  auch  ganzer 
Völker  und  LändiT  besonderen  Schutzgöttern  übertragen  sei.  So  be- 
kamen einerseits  ultmiihiich  auch  alle  Vorgänge   des  Geschichtsleben.s 


Inschriftlicliea  tiis  Ileidelherg. 


m 


ier  Menschheit  schon  bei  den  alten  Juden  besondere  Vorstände  in  der 
Engelwelt,  so  wurde  später  8t.  Michael  unter  Andern  der  Schutzengel 
der  Deutschen,  so  erhielt  aber  auch  anderseits  bei  den  alten  Römern, 
als  sich  der  Glaube  an  Genien  immer  weiter  ausdehnte,  jedes  irdische 
Verhältniss,  jede  bedeutende  Thiitigkeit  und  Lebensbestim mung  ihren 
Genius.  Nirgends  war  ja  diese  Lehre  so  vollkommen  ausgebildet  und 
zum  Cultus  erhoben,  wie  in  Rom. 

Wenn  man  hier  nun  glaubte,  dass  jeder  Person  ihr  Schutzgott, 
der  durchs  ganze  Leben  hindurch  eine,  besondere  Aufsicht  über  sie  zu 
fahren  berufen  sei  und  selbst  nach  ihrem  Tode  schützend  fortwirken 
konnte,  schon  von  dem  Augenblicke  ihrer  Geburt  an  beigegeben  wäre, 
80  beruht  dies  auf  dem  Bewusstsein  der  urspiüiif!;lichen  Bedeutung  des 
Wortes  Genius,  die  nian  auch  darin  anerkannte,  dass  man  diese  Art 
Götter  nicht  nur  an  allgemeinen  Festtagen  öffentlich  verehrte^  sondern 
ihnen,  Jeder  für  sich,  auch  an  seinem  Geburtstage  Opfer  brachte. 

Genius  lautet  nun  in  seiner  indoeuropäischen  Urform  gania  mit 
der  Bedeutung  'erzeugend'  und  medial  »erzeugt^i  (von  der  Wurzel 
GAN  »zeugen«,  dann  »entstehen«).  Die  übertragene  Bedeutung  des 
Stammwortes  gania,  in  späterer  gräko-italo-keltischer  Form  genio,  ist 
besonders  ersichtlich  im  Altirischen,  wn  gein  "Kind«,  geine  i>Geschlecht« 
bedeutet,  wie  lat.  pro-genies  (vergl.  Fick  "  1,  6(3  u.  558,  II,  85). 

Am  nächsten  kommt  der  Bedeutung  von  genins  aber  das  lat. 
Wort  in-gen«ura  d.  h.  die  angeborene,  natürliche  Art  und  Beschaffen- 
heit, Natur,  (iemüthsart,  Sinnesweise,  geistige  Anlage  u.  s.  w.  kurz 
das  Wesen,  die  ideale  Seite  des  Menschen,  welche  eben  in  dem  genius 
gleichsam  göttliche  Individualität  gewonnen  hat.  Man  kann  denselben 
hiernach  als  Verkörperung  des  ingenium's  oder  als  personificirtes,  indi- 
vidualisirtes  nunien  betrachten,  insofern  dasselbe,  um  zur  Darstellung 
zu  gelangen,  einer  Vermenschlichung  bedurfte.  Die  Genii  sind  indessen 
blos  Repräsentanten  des  Ideals  der  Männlichkeit,  gerade  wie  die  soge- 
nannten lunones  solche  der  Frauen.  Wie  jeder  Mann  seinen  Genius 
hatte,  so  hatte  jede  Frau  ihre  Juno. 

Man  findet  nämlich  ausserordentlich  häufig  auf  Götteraltären  die 
Juno  opfernd  dargestellt  nach  Art  einer  römischen  Ehe-  oder  Hausfrau, 
deren  Ideaiisirung  sie  ja  bei  den  Rümeru  war  (wesshalb  sie  denn  auch 
als  Mutter  des  römischen  Staates  galt),  während  sie  bei  den  idealer 
angelegten  Griechen  noch  als  Repräsentation  des  Ideals  erhabener 
Weiblichkeit  überhaupt  angesehen  wurde,  was  mehr  ihrer  ursprüng- 
lichen Bedeutung  als  höchster  Himmelskönigin   entsprach   (Jü-no  wie 


84 


iDschrifUicbuB  aua  Heidelberg. 


Jö-piter  von  indoeurop.  DIV  'Tag,  Himmei',  vergl.  Fick  II,  128). 
Wie  nun  Juno  als  Oplerfrau,  so  wurde  vielfach  in  ganz  analoger  Weise 
auch  der  Genius  als  opfernd  dargestellt.  Das  Opfer,  welches  einerseits 
die  Frauen,  anderseits  die  Männer  den  genannten  Gottlieiten  sonst 
als  Symbol  der  Frömmigkeit  der  Menschen  selbst  darbringen,  erscheint 
also  hier  auf  diejenigen  guttlichen  Wesen  übertragen,  in  welchen  sie 
sich  idealisirt  dachten.  Kurz  der  Genius  ist  das  Wesen,  die  Ideal- 
gestaJt  des  Mannes  und  wird  hieraus  auch  klar,  was  es  mit  den  schon 
weiter  oben  erwähnten  inscliriltlichen  Genien  von  Göttern  auf  sich  hat 
Preller  (röm,  Mythol.  74  f.)  hält  dieselben  für  das  »lokalisirte  uumeu« 
der  betreuenden  Gottheit,  allein  es  handelt  sich  hier  ja  gar  nicht  um 
Gottheiten,  die  in  einem  bestimmten  Ortlichen  Cultua  verehrt  wurden, 
sondern  um  Darstellungen  von  miiunlichen  Göttern,  die  anstatt  in 
ihrer  eigenen  Gestalt  mit  den  ihneu  selbst  zukommenden  Attributen, 
als  Genien  mit  Füllhorn  und  Opferschale  gebildet  sind.  Der  Zweck 
dieser  Darstellung  war  aber  offenbar  wieder  ganz  derselbe:  wie  man 
die  Menschen  idealisii-te  und  als  opfernde  Genien  darstellte,  so  war 
dies  auch  mit  den  Göttern  der  Fall. 

So  linden  wir  also  z.  B.  auf  einem  Votiv-Denkmal  des  würtem- 
bergischen  Neckarkreises  die  Widmung  »genio  Martis«  und  darüber 
das  Bild  eines  opfernden  Genius,  nicht  aber  das  des  Mars  (vergl. 
Brarabach  1011;  Hang  »Inschriften  in  würtem bergisch  Frankeno 
Nr.  15).  Ebenso  war  eine  .Mannheimer  Basis  mit  der  Widmung  »genio 
Mercurii  Alauni«  offenbar  nicht  die  einer  Merkursstatue,  sondern  die 
eines  (jetzt  verlorenen)  kleinen  Bildes  eines  Genius  (vergl.  Hang 
'römische  Denksteine  in  Mannheim'  Nr.  88). 

In  beiden  Fällen,  wie  in  allen  andern  hegt  eine  Idealisirnng  des 
in  der  Inschrift  genannten  Gottes  vor,  der  nicht  nach  seiner  gewöhn- 
lichen Erscheinung  und  Ausrüstung  aufgefasst  ist,  sondern  dessen 
Charakter  imd  innerstes  Wesen  in  erkennbarer  Weise  sinnlich  ver- 
dichtet werden  sollte.  Hierzu  wurde  aber  einfach  die  typische  Dar- 
stellung des  opfernden  Genius  verwandt,  dessen  Funktionen  ihn  in 
zweierlei  Beziehung  charakterisiren :  Einnial  durch  die  rein  menschliche 
Handlung  des  Opfems  und  die  Jünglingsgestalt  als  idealisirten  Menschen, 
sodann  aber  wieder  durch  das  auf  solchen  Darstellungen  gewöhnliche 
Attribut  eines  Füllhornes  als  göttliches  Wesen. 

In  dieser  Vertlieilung  der  Symbole  nach  beiderlei  Richtung  hin 
spricht  sich  deutlich  da.s  Bestreben  aus,  das  Menschliche  in  der  Götter- 
natur und  das  Göttliche  in  der  Menschenuatur,  also  so  zu  sagen  den 


luBChriftHcbes  aus  Heidelheri^. 

Anthropoinorphismus  zur  Darstellung  zu  bringen.  Insofern  nun  diese  Art 
Idealgestalten  Ropräsentanten  von  in  der  Widmung  genannten,  be- 
stimmten Göltern  vorstellen,  so  kann  man  doch  weniger  mit  Prellcr 
sagen,  dass  sie,  die  ja  aktiv  opfernd  dargestellt  sind,  '»gleichsara  an- 
statt dieser  Gottheit  die  Opfer,  Gebete  und  Gelübde  der  Frommen  in 
Empfang  nehmen«.  Da  sie  vielmehr  das  Opfer  selbst  ausüben,  so 
sollen  sie  hiermit  als  ideale  Ilcberbringer  oder  VermittJer  desiselben 
an  die  betreffenden  Götter  gekennzeichnet  sein.  Sie  sind  es,  welche 
durch  ihr  Beispiel  zeigen,  was  der  Mensch  diesen  letzteren  schuldig 
ist  und  auf  welche  Weise  er  diese  Schuldigkeit  zu  bezeugeu  hat. 

Diese  Art  Darstellung  der  Genien  auf  GMteraltären  und  Votiv- 
steinen  ist  nun  aber  nicht  die  einzige,  in  welcher  sie  erschienen,  indem 
wir  schon  oben  von  einer  andern  Auffassung  derselben,  als  Flügcl- 
gestalt  gesprochen  haben.  Auch  war  es  nur  diese  zumeist  auf  Grab- 
monumenten veiTvandte  Darstellung,  welche  auf  die  christlichen  Kngei 
überging,  als  dieselben  allmählich  auch  Flügel  annahmen.  So  hat 
sich  die  schöne  antike  Anschauung  des  Unsterblichkeitsglaubens^  welche 
sich  den  Verstorbenen  in  gertügelter  Idealgestalt  wieder  auHebend 
dachte  und  ihn  so  darstellte,  bis  auf  unsere  Tage  ungeschwächt  fort- 
erhalten. Die  Idee  des  Genius  ist  die  der  Ewigkeit,  des  Absoluten, 
des  Wesens  der  Dinge;  sie  ist  »das  Ding  an  sich«,  welches,  um  in  die 
Welt  der  Erscheinung  treten  zu  können,  einer  Darstellung  bedurfte 
und  dies  war  eben  die  der  Genien.  Karl   Christ. 


An  Herrn  Carl  Christ. 
Beifolgend  theile  ich  Ihnen   meine  Auffassung  der  merkwürdigen 
Darstellung  auf  unserem  Grabsteine  des  Volcius  Mercator  mit. 

Zo  dem  Steine  des  Vnlcins  Mercator. 

Die  im  Flachrelief  gebildete,  ganz  en  face  erscheinende,  nackte 
'geflügelte  Knabcngestalt,  welche  mit  breit  auseinander  gesetzten  Füssen 
kauernd  sitzt  und  zugleich  mit  ausgebreiteten  Armen  und  dem  mit 
reichem  Haarwuchs  bedeckten  Haupt  die  darüber  befindliche  grosse 
Inschrifttafel  berührt,  sie  zu  stützen  scheint,  hat  zunächst  eine  rein 
künstlerische  Bedeutung  in  diesem  Motiv,  als  Tafelhaltor.  So  lialten 
auf  unzähligen  Sarkophagen  und  überhaupt  Denkmälern  schwebende 
Flügelgestalten  links  und  rechts  eine  Inschrifttafel,  ein  Porträtmedaillon 
u.  dcrgl.  Dieser  gehaltene  Gegenstand  erhält  dadurch  den  Charakter 
des  Freischwebenden,  frei  Aufgestellten  und  zugleich  weithin  Sichtbaren ; 


86 


loscbrifllichea  auB  Heidelberg. 


diese  Flügelgcstaltcn  machen  auf  ihn  aufmerksam  und  sind  wie  Ver- 
künder des  Inhaltes. 

Damit  ist  aber  die  Sache  nicht  erschöpft,  Die  geflügelte  Knaben- 
gestalt  gehört  zu  dem  weiteren  Bereiche  der  Eroten,  diesen  Reprä- 
sentanten aller  Wünsche,  Neigungen,  lebhaften  EmpfioduDgen  des 
Menschen,  welche  sein  Schicksal  mit  bestimmen  (Philostrat.  Imag.  I,  5: 
To  &vrjxnv  ixnav  dtcuißeQvöints,  JioXXni  dia  nnUa  lov  igiüatv  ol 
ttv&Qumni).  Er  ist  weder  ein  Todesgenius  im  Allgemeinen,  wie  Creuzer 
(Deutsche  Schriften  II,  2.  S.  454)  meint,  noch  etwa  stellt  er  die  Dii 
Manes  dar.  Sehen  wir  ihn  uns  nun  näher  an,  so  muss  uns  sofort  die 
eigenthüniliche  Bildung  der  Flügel  auffallen,  sie  bestehen  aus  wenigen 
sangen,  weitgeschwungenen  Fodern,  deren  oberes  Ende  sich  aber  in  sich 
leibst  zurückrollt,  Flügel  ähnlich  denen  des  Auerhahns  und  anderer 
Hähne  des  Waldes. 

Diese  Flügel  gehören  aber  aus  dem  grossen  Bereiche  der  Eroten 
einer  bestimmten  Classc  derselben  an.  Emil  Braun  hat  zuerst  fein- 
sinnig bei  Publikation  eines  Reliefs  im  Palazzo  Colonna  mit  zwei  im 
Fackelrennen  wetteifernden  Eroten  und  des  Reliefs  aus  Ischia,  jetzt  in 
Neapel  mit  zwei  um  eine  Palme  ringenden  Eroten  (Antike  Marmorwerke, 
2.  Dekade  Tafel  V.  a.  b.)  unter  Heranziehung  von  Pausauias  VI,  23,  3,  5 
darauf  aufmerksam  gemacht,  wo  uns  genau  dasselbe  Relief  ausOlj'mpia 
geschildert  wird,  und  den  einen  der  Streitenden  mit  solchen  Flügeln  Anteros 
genannt.  Beide  Male  sind  es  diejenigen  Eroten,  welche  den  Kürzeren 
ziehen,  welche  vergeblich  um  die  Palme  kämpfen,  welche  zurückbleiben  im 
Wettlauf.  Die  Sage  vom  Culte  des  Anteros,  des  Bruders  des  Eros  in  Athen, 
zeigt  ihn  als  Dämon  unglücklicher  Liebe  des  Metoeken  gegenüber  dem 
Bürger,  als  den  zum  Tode  führenden  Dämon,  der  unerhörte  Liebe 
auch  rächt.  Sehen  wir  uns  nun  die  nicht  sehr  zahlreichen  Dar- 
stellungen dieses  Eros  an,  wie  sie  bei  Müller-Wicseler,  D.d.  alten 
Kunst  IL  Taf.  51  ff.  unter  andere  Erotendarstellungen  gemischt  sind, 
so  Taf.  LI,  64fi;  Lü,  664,  6r>7;  1.111,071,  660;  LlV,fi83;  LV,  706,  so 
tritt  uns  überall  die  Beziehung  zu  einer  Liebe,  die  ilu"  Ziel  nicht  erreicht, 
oder  die  uin  den  Geliebten  trauert,  die  den  Gegenstand  der  Liebe  verloren 
hat,  entgegen;  besonders  charakteristisch  ist  die  Sarkophagdarstellung  des 
PublilJusSevereanus  uml  seines  Sohnes  Blulo  (Nr.6G9).  Wir  zweifeln  daher 
keinen  Augenblick  {laran,  dass  auch  auf  unserem  Steine,  den  eine  treue 
Gattin  ihrem  früh  verstorbenen  Manne  gesetzt  hat,  in  jenem  Eros  ans 
die  Beziehung  zur  Liebe,  die  ihren  Gegenstand  verloren  hat,  gegeben  ist. 

B.  Stark. 


Insühriftlichea  aus  Heidelberg. 


87 


Schlussbemerkung. 

Eine  merkwürdige  Bestätigung  des  voo  uns  oben  ausgesprochenen 
Gedankens,  dass  die  Bedeutung  der  Genien  in  ihrer  Verwendung  als 
Motive  zu  Grabzier  raten  mit  derjenigen  von  Amoretten,  als  welche 
diese  Art  Grabestypen  von  Stark  aufgefasst  werden,  zusammenfalle, 
erhalten  wir  nun  ganz  neuerdings  von  K,  Dilthey  in  seiner  höchst 
lehrreichen  Besprechung  von  Kckul('''s  ,, Griechischen  Thonfiguren"  aus 
Tanagra,  in   der  Jenaer  Literaturzeitung   vom  13.  Juli  1878,  Nr.  28: 

„Nach  uraltem  Glauben  der  Griechen  ist  Aphrodite  Herrscherin 
im  Todtenreich,  Artemis,  die  Jägerin,  der  Frauen  Todesgöttin,  und  me 
die  Gestalten  aus  der  Umgebung  des  Baltchos  uns  mahnen  an  die  alt- 
vererbten Vorstellungen  vou  dionysischer  Lust  und  ewiger  Trunkenheit 
der  Abgeschiedenen,  so  haben  die  Eroten  in  gewissen  typischen  Ver- 
bindungen und  dekorativen  Verwendungen  glrichsam  die  Bedeutung  von 
Genien  bewahrt,  die  in  den  heitern  Regionen  der  Seligen  walten  und 
bisweilen  mit  dem  Bilde  der  seligen  Abgeschiedenen  selber  in  Eines 
zusammenlliessen,  ganz  so  wie  die  Enget  der  christlichen  Mythologie, 
die  eben  nur  getaufte  und  leicht  verkleidete  Eroten  sind." 

Der  letztere  Satz  ist  nun  freilich  nicht  vollkommen  richtig,  da 
das  Wesen  der  christlichen  Engel  zunächst,  wie  wir  gesehen  haben, 
aas  dem  alten  Testamente  übernommen  und  nur  ihre  äussere  Dar- 
stellung den  Flügelgestalteo  römischer  Gräberausstattung  nachgebildet 
ißt.  Insofern  man  diese  letzteren  aber  zunächst  als  Genien,  also  eine 
Art  Mittel wesen  zwischen  den  Menschen  und  Göttern  auffasst,  welche 
auch  die  seligen  Abgeschiedenen  selbst  repräsentircn  können  und  die 
als  solche  geflügelt  erscheinen:  so  waren  es  mehr  die  Genien,  wie  die 
Eroten ,  an  welche  sich  die  jüdisch-christlichen  Engel  als  Vermittler 
zwi.schcn  Gott  und  den  Menschen,  als  stete  Begleiter  der  Letzteren  und 
in  noch  vielen  weiteren  Beziehungen  anlehnen  konnten. 

Die  sich  in  diesen  verschiedenen  Eigenschaften  aussprechenrle  reli- 
giöse und  mythologische  Bedeutsamkeit  der  alttestamentarischcn  Lehre 
von  den  Engeln  zeigt  sich  ferner  aucli  darin,  dass  ihre  Grundzüge  auch 
iu  den  Islam  aufgenommen  worden  sind,  wo  es  ebenfalls  Legionen  guter 
Engel  giebt,  wclclic  Gottes  Thron  tragen,  seine  Befehle  ausrichten  und 
die  übrigen  der  geschilderten  Funktionen  verrichten, 

(In  hervorragender  Weise  ist  hier  aber  daneben  auch  die  Lehre 
von  bösen  Engeln,  Dämonen  ausgebildet,  welche  als  Genossen  des 
Satans  den  Menschen  zum  Bösen  verleiten  und  ihn  Zaubereien  lehren. 
Vergl.  „Einige  Glaubensartikel  de.s  Islam  in  der  Zeitschrift  ,,Ausland" 
1878,  Nr.  27.").  _____  Karl  Christ. 


88    Griecb.,  röm.  u.  etruak.  (iegenatinde  in  dof  Hamburger  Altertbämer-Sammlung. 


4.   Beschreibung  der  in  der  Hamburger  Alterthümer-Sammlung 
befindlichen  griechischen,  römischen  und  etruskischen  Gegenstände. 


1.    Etruskischer  Spi«gel.    S.  g.  Kabiren. 

Bronze.  Durchm.  0,13.  Am  Griffe  durchgebrochen,  doch  fast 
ganz  erhalten.    Die  convexe  Spicgelseite  sehr  von  Rost  zerfressen. 

Die  coDoave  RQckseit«  des  Spiegels  ist  mit  folgender  cingravirter 
Darstellung  geschmückt:  In  der  Mitte  steht  ein  nackter,  mit  verbrämten 
Stiefeln  und  einer  vor  der  Brust  zusammengeknöpften  Chlamys,  die  im 
Rücken  lierunterhängt,  bekleideter  Jüngling.  Seine  erhobene  R.  hält 
einen  aufgestützten  Stab,  die  L.  hängt  herab;  auf  seinem  lockigen  Haar 
scheint  eine  Zackenkrone  zu  liegen.  Die  Muskulatur  seines  r.  Beines 
ist  durch  eine  fein  schraffirte  Linie  ausgedrückt.  Da.s  Antlitz  wendet 
er  auf  den  r.  sitzenden,  an  seinem  Pilos  kenntlichen  Dioskuren,  welcher 
die  auf  seinem  emporgezogenen  r.  Beine  mit  dem  Ellenbogen  ruhende 
R.  wie  im  Gespräch  mit  der  beschriebenen  Figur  erhebt,  während  er 
mit  der  herabhängenden  L.  das  um  seinen  Unterkörper  geschlungene 
Gewand  festhält.  Die  Füsse  sind  beschuht  Sein  Profil  (n.  I.)  ist  etwas 
missrathen.  Ihm  gegenüber  sitzt  1.  der  zweite,  wie  der  vorige  ge- 
kleidete und  ihm  auch  in  der  Kürperhaltung  entsprechende  Dioskur 
(n.  r.).  Seine  Arme  hängen  beide  herab.  Im  Hintergründe  zieht 
sich  über  den  Köpfen  der  drei  Personen  eine  mit  kegelförmigen  pe- 
genständen  besetzte  Leiste  (jedenfalls  die  wie  oft  bei  diesen  Spiegeln 
höchst  flüchtige  Andeutung  einer  Bautichkeit)  hin,  von  welcher  sich  r. 
und  L,  wie  derContour  eines  zusammengerafften  Parapetasma's,  je  eine 
Linie  abzweigt.  Der  Rand  der  Darstellung  ist  mit  zwei  von  dem  Griffe 
ausgehenden,  sich  kranzartig  vereinigenden  Lorberzweigen  geschmückt. 
Der  einfach  aber  stilvoll  ornamentirte  Griff  endet  in  einem  stiliairten, 
fiscbartigen,  aber  rait  Ohren  versehenen  Thierkopfe.  Die  schon  sehr 
handwerksmässige,  doch  keineswegs  rohe  Zeichnung,  welche  ohne  Zweifel 
die  in  der  grossen  Masse  der  Apuliscben  und  Lucanischen  Vasen  er- 
reichte Kunstentwicklung  erst  zu  ihrer  Voraussetzung  hat,  darf  somit 
zeitlich  auf  keinen  Fall  früher  als  die  Nachalexandrinische  Epoche 
angesetzt  werden. 


Gnech,,  röm.  u.  etrusk.  Gegenst&Qde  in  der  Hamburger  Alterlhtinier-Sammlung.    89 

Sehr  ähnliche  Griffe  findet  man  abgebildet  bei  Gerbard,  Etr. 
Spiegel  I,  XXil,  7,  XXUI,  :i  tf.  und  besonders  XXIV,  12.  —  Ein  archi- 
tektonischer Abschluss  verwandter  Art  ebendas.  I,  XC.  —  Die  Dios- 
kuren  im  Gespräch  miteinander,  ein  auf  etruskischen  Spiegeln  bekatmt- 
lich  überaus  häufig  dargestellter  Gegenstand,  findet  man  bei  Gerhard, 
a.  u.  0. 1,  XLIV— LIl,  mit  einer  weiblichen  Figur  (Helena?  Aphrodite?) 
zwischen  sich  II,  CCIII  und  mit  einer  männlichen  Figur  gruppirt  I, 
LV,  7;  besonders  ähnhch  erscheinen  die  Spiegel  III,  CCLVl,  1  und  2, 
—  Die  Zackenkrone  kehrt  gleichfalls  öfter  wieder,  so  bei  Gerhard, 
a,  a.  0.  III,  CCLXXVI.  Die  besonders  von  Gerhard  vertreteiiG  An- 
sicht, nach  welcher  die  Dioskuren  mit  einer  dritten  Person  gruppirt  als 
„Kabiren"  gelten  sollen,  hat  nicht  einmal  den  Grund  der  „Dreizahl" 
(vgl.  Fricderichs,  Berlins  Ant.  Bilder  II,  S.  iM,  No.  105)  für  sich, 
da  dieselben  Dioskuren  auch  mit  zwei  anderen  Personen,  sowol  männ- 
lichen als  weiblichen^  gruppirt  erscheinen,  ausserdem  die  dritte  P'igur 
einmal  inschriftlich  als  Menelaos,  ein  ander  Mal  uls  Jolaos  bezeichnet 
wird  (vgl.  Friederichs,  a.  a.  0.  S.  <.irt,  No.  lli),  die  Bezeichnung 
der  ,*!l^mxfg"  aber,  welche  vielleicht  die  Verschmelzung  der  Dioskureu 
mit  den  Kabiren  vermittelte  (vgl.  Preller,  Griech.  Myth.  672,  Anm.  3), 
doch  nur  auf  jene  passt.  Uebrigens  scheint  es,  als  ob  weniger  die  Bedeut- 
samkeit des  Gegenstandes  als  der  Umstand,  dass  gerade  die  beiden  sym- 
metrisch sitzenden  Dioskuren  mit  einer  stehenden  Figur  in  ihrer  Mitte 
sich  zur  Ausfiillung  eines  Spiegelrundes"  eigneten,  zu  der  Häufigkeit  der 
Darstellung  Veranlassung  bot.  —  Der  CuUus  der  Dioskuren  muss  schon 
ziemhch  früh  zu  den  Etruskem  gelangt  sein  (vgl.  Corssen,  Spr.  d.  Etr. 
I,  858  f,),  dennoch  begegnet  man  ihrer  Darstellung  auf  andern  etruski- 
schen Bildwerken  als  Spiegeln  nur  höchst  selten. 


2.  Fragment  eines  Marmorkopfes  in  Form  eines  Reliefs. 

Erhalten  hat  sich  nur  die  r.  Profilseite  eines  auf  eine  quadratische 
Platte  von  ital.  Marmor  reliefarlig  aufgeleimten  Kopfes  von  mehr  grob- 
körnigem, wohl  griech.  Marmor  (Gsl.  0,14).  Erg.  Nase,  Stück  des  Halses 
und  eine  lose  in  den  Nacken  hängende  Locke. 

Der  Kopf  hat  stark  gesträhntes,  von  einem  Bande  zusammen- 
gehaltenes Haar,  welches  über  den  Schläfen  und  hinter  dem  Ohre  zu- 
rückgeschlagen ist.  In  dem  etwas  vorstehenden  Munde  wie  in  den 
schmal  geöffneten  Äugen  und  der  niedrigen  Stirn  liegt  etwas  portrait- 
haftes,  das  jedoch  in  eigenthümlicher  Weise  mit  einem  archaistrenden 
Element  vermischt  erscheint.    Letzteres  zeigt  sich  besonders  in  dorn 


90    Grieob..  röm.  u.  eiruBk.  Gegenstände  in  der  Hamburger  Allerthümer-Sammlang. 

etwas  hochstehenden  Ober-  und  Hinterkopf,  der  besonders  an  archai- 
schen ApoUonköpfen  gewöhnlichen  Haarbehaudlung  uod  deo  noch  ftwas 
schräg  gestellten  Augen.  Das  Haar  ist  scharf  und  dnihtartig  wie  nac 
Bronze  ausgearbeitet. 

Der  Umstand,  dass  in  der  Hamburger  Sammlung  einst  ein  Kopf 
des  Antinoos  vorhanden  gewesen  sein  soll,  legt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  sich  in  vorliegendem  Fragmente  der  Rest  davon  erhalten  hat. 
Der  stilistische  Charakter  desselben  spricht  durchaus  für  die  Zeit  des 
Hadrian,  dessen  Liebling  übrigens  auch  oft  in  göttlichen  Gestalten 
dargestellt  worden  ist.  Vgl.  Meyer,  Gesch.  d.  bild.  K.  II,  p.251  ff. 
und  Overbeck,  Gesch.  d.  gr.  Tl.  U,  S.  372  f. 

3.   Bemalte  griechische  Vase. 

Durchm.  0,19,H.  0,08.  Schwarzfigurig.  Flache,  zweihenkeJige,  runde 

Schale  mit  einfachem  Fuss.  In  mehrere  Stücke  zerbrochen,  aber  wieder 
zusanmiengcleimt.  Trägt  vielfach  die  Spuren  einer  Ausgrabung,  stammt 
also  wohl  aus  einem  Grabe.  Im  Innern  der  Schale  befindet  sich  ein 
Zettel  befestigt  mit  der  Aufschrift:  „Marathon". 

Die  Darstellung  wird  r.  und  1.  von  einem,  auf  ithyithallischem 
Maulthier  reitenden,  mit  einer  Chlamys  bekleideten  Reiter  abgeschlossen, 
welcher  einen  Rebzweig  hält.  Zwischen  beiden  Heitern  erblickt  man 
eine  in  einen  langen  Mantel  gehüllte  Figur,  die  im  BegrifT  ist,  einen 
Wagen  zu  besteigen  und  mit  beiden  Händen  die  Zügel  der  4  (?)  den 
Wagen  ziehenden  Pferde  ergriffen  hat.  Hinter  diesen  ragt  der  Ober- 
körper eines  mit  einem  Mantel  bekleideten  Mannes  (Apollon)  n.  r. 
hervor,  welcher  eine  Lyra  hält.  Dem  Zuge  entgegengekehrt  und  halb 
von  den  Pferden  verdeckt,  steht  der  bekleidete,  bärtige  und  bekränzte 
Dionysos,  welcher  einen  besonders  langen  Rebzweig  hält.  Die  Schenkel 
der  Reiter,  die  also  wohl  dadurch  als  Knaben  (Satyrn?)  bezeichnet 
werden  sollen,  sind  weiss,  ebenso  der  Saum  am  Gewände  des  Dionysos, 
und  wie  es  scheint,  haben  sich  auch  Spuren  weisser  Farbe  am  Gesicht 
der  den  Wagen  besteigenden  Figur  erhalten.  —  Dieselbe  Darstellung 
wiederholt  sich  auf  der  Gegenseite  der  Schale.  Als  Mittelbild  der 
Innenseite  ist  ein  Kreis  ausgespart  und  in  diesem  eine  in  einen  Mantel 
gehüllte,  eilig  nach  r.  schreitende  Figur,  welche  in  der  Linken  die 
Lyra  h&lt,  aufgemalt.  Die  Falten  der  Gewänder,  Einzelheiten  der  Ge- 
sichter, sowie  Zügel,  Beine  und  Schwänze  der  Pferde  sind  dnrch  ein- 
geritzte, ziemlich  tlott  gezogene  und  mit  weisser  Farbe  ausgefüllte 
Linien  angegeben,  die  sich  jedoch  keineswegs  immer  mit  den  Umrissen 


iriocb.,  rom.  u.  etruak.  Gegenetäude  in  der  Hamburger  Alterlhümer-Sftmmlung.     91 

der   Figuren    ilecken.    Der  Stil  der  Vase  ist  archaisch,  jedoch  ohne 
Sorgfalt  bebandelt. 

Vgl.  0.  Jahn,  Beschr.  d.  Vasens.  zu  München,  p.  CLVIII  ff. 
Die  Form  der  Schale  entspricht  den  bei  0.  Jahn  a.  a.  0.  Taf.  I,  12 
und  lleydemann,  Vasens.  des  Museo  Naz.  Taf.  I,  14  abgebildeten. 
Figuren,  meistens  Mann  und  Frau,  ein  Viergespann  besteigend,  von 
Äpollon  mit  der  Lyra  begleitet,  von  Dionysos  empfangen  sind  überaus 
häufig  auf  archaischen  Vasen ,  wenn  auch  in  ihrer  Bedeutung  noch 
nicht  hinreichend  aufgeklärt.  Vgl.  bes.  die  Zusammenstellung  bei 
0.  Jahn,  Arcii.  Aufsätze,  S.  92  ff.  Weit  seltener  erscheint  in  dieser 
Darstellung  ein  einzelner  Mann,  den  Wagen  besteigend,  so  bei  Ger- 
bard, Auserlesene  gr.  Vasenb.  I,  XVIII,  zwischen  Hermes,  Dionysos 
und  Athena,  einmal  ist  derselbe  durch  den  Dreizack  als  I'oseidon  be- 
zeichnet (Gerhard,  a.  a.  0.  IX.).  Sollte  die  den  Wagen  bestei- 
gende Figur  in  der  That  weiblich  sein,  so  wäre  die  Münchener  Vase 
(0.  Jahn,  Vasens.  353),  wo  Athene  den  Wagen  besteigt,  und  Dio- 
nysos neben  ihr  steht,  oder  484,  woselbst  sich  der  Göttin  ApoUon, 
Lyra  spielend,  Dionysos,  Herakles  und  Hermes  zugesellen,  zu  ver- 
gleichen. Der  Bakchischc  Character  der  Darstellung  ist  hier  übrigens 
noch  besonders  durch  die  Reiter,  jedenfalls  Satyrn,  auf  ithy phallischen 
Maulthieren  angedeutet,  welche  auch  sonst  auf  Vasen  Bakchische  Dar- 
stellungen abschliessen,  z.  B.  auf  der  Etrurischen  Vase  bei  H  e  y  d  e  - 
mann  ,  a.  a.  0.  2615.  Nahe  verwandt  ist  auch  die  Composition  einer 
Vase  aus  Ruvo  ebenilas.  Nr.  2451.  Ein  Innenbild  (Lyra  spielender 
Knabe,  davor  ein  Mann)  einer  Vase  bei  Gerhard,  a.  a.  0.  III, 
CCXXXIX. 

4.  Schwarz  figurige   Lekythos. 

H.  0,22.  Grösster  Umfang  0,33.  —  Zum  Theil  sehr  beschädigt. 
L.  steht,  in  langen  Mantel  gehüllt,  ein  Mann  (n.  r.),  in  der  Linken 
einen  Speer  haltend.  R.  von  ihm  schreitet  ein  Krieger,  bekleidet  mit 
kurzem  Chiton(?),  Beinschienen  und  Helm  mit  grossem  Bügel  (n.  l), 
mit  der  Linken  einen  grossen  runden  Schild  nebst  Lanze  haltend;  er 
wendet  den  Kopf  zurück  und  greift  mit  der  Rechten  nach  einer  ihm 
folgenden,  mit  langem  Chiton  und  umgeschlagenem  Mantel  bekleideten 
Frau,  welche  die  Rechte  etwas  erhoben  hat.  Ihr  folgt  r.  in  ruhigem  Schritt 
ein  wie  der  vorige  gerüsteter  Krieger,  der  den  Helm  vor  das  Gesicht 
gezogen  hat.  Den  Schluss  dieser  Gruppe  bildet  r.  eine  bekleidete,  ruhig 
dastehende,  sehr  verwischte  Figur  mit  k:ippemirtigeni  Helm,  deren  Ge- 


92    Grieoh.,  röm.  n.  einiak.  G«g«ii»(iiiile  in  d«r  Hsmbnrgrer  Alicrthiimer-SBininlao^. 

sieht  eioen  weiblichen  Eindruck  macht  (Atheoa?);  sie  hält  in  der  Linken 
eine  Lauze.  Der  Hals  der  Lekythos  ist  mit  einem  auf  Vasen  archai- 
sdien  Stils  (z,  B.  auch  auf  der  Amphora  des  Berliner  Museums,  A  r  c  h. 
Zeit.  1868,  Taf.  9)  öfters  wiederkehrenden,  aus  stilisirten,  ineinander- 
geflochtencn  Rebzweigen  bestehenden  Ornament  bemalt.  Die  inneren 
Conluuren  der  Figuren  sind  wie  bei  der  Vase  Nr.  3  behandelt.  An 
den  doppelt  umnss^en  Schildiündern  bemerkt  man  deutlich,  das  aie 
mit  einem  zirkelartigen  Instrument  hergestellt  sind. 

Die  Darstellung  der  Mittelgruppe  —  auch  das  umsehen  deoi 
einen  ivriegers  nach  der  Gefangenen  —  wiederholt  sich  auf  achaisdiea 
Yftsen  Öfters,  wie  die  von  0.  Jahn,  Arch.  Beitr.,  S.  d6,  Anm.  95 
ud  H.  11  ey  de  mann,  üiupersis,  S.  21,  Anm.  8  und  8.  22,  Adid  3 
goammelten  Beispiele  lehren.  Mao  hat  bei  ihrer  Erkliruog  zwischen 
der  Befreiung  der  Helena  durch  die  Dioskuren  uud  der  der  Aithra 
durch  Damophon  und  Akamas  geschwankt.  Heydemann  a.  a.  O.  tieht 
er  vor,  si^gar  Huf  jede  «heroische*  Erklärung  zu  verzichten;  nlleiodie 
Aüwescnheit  der  Athen«  scheint  ziemlich  bestimmt  für  die  ZtigeiiOi%- 
keit  wenigstens  der  vorliegenden  DarsteUong  zum  Troischeo  Sageo- 
kreine  zu  spredieiL 


5.   Schwsrzf tgnrige  Lekjthos. 

An  Grßsse,  Form,  Omamentining  osd  Stil  Nr.  4  estsprecbeod« 
dodi  etwas  besser  erhalten. 

In  der  Mitte  sitzt  auf  einen  mit  Polster  bdegten  Sttse  Athen«, 
bekleidet  mit  langem  Chiton  ond  omgeschUgeneoi  Mantel,  in  der 
Lmken  einen  Speer  halteod  und  den  Kopf  ra  dem  engten  der  beideB 
1.  Ton  ihr  alebendea  Figuren  wendend,  welche  beide  mit  Ingm  CSötoa 
Mantel  bekleidet  sind  nnd  mit  der  linken  eine 
Lnue  kalten.  Zwei  ebenen  gekleidete  Fignren  (n.  L) 
■iahen  r.  Ton  der  Göttin.  Die  inaiwmte  Figur  r.  txigt  ein  Bnad  im 
Htar,  doch  darf  man  wohl  anch  in  ihr,  wie  in  den  drei  ibcigen  Per- 
stMi  «iMn  Unna  orkcMen.  Allerthüükher  StiL  Die  Mnkrei  ist 
ohM  Feinheit  ■niyfthrt. 

Atikene  iniM.hijn  B|>ielendM  Kriegvn  bei  Gerhnrd,  AuerL 
gr.  Vn&L.  Tal  OCXCL,  zwischen  je  eiaem  Beüer  and  Krieger  aof  eiaer 
Vase  (bei  a  J nhn,  Dewhtdbang elc,  Nr  7221.  iwisehea 
KfifBgera,  ebpafilli  «af  cIbv  Miachwnfr  Vase  (0.  Jahn, 
n.n.  a  13SS). 


Oriecb.,  rüm.  u.  etrusk.  OegfeiiständL'  in  (]«r  Haiiiltur^<*r  AlttirthüTner-Sammlung.     93 

6.   Roth  figurige  Vase,  s.  g.  Oxybaphon. 

Die  Vase  entspricht  iu  der  Form  der  bei  H  e  y  d  e  ni  a  d  d  ,  Vasens. 
Taf.  U.  34,  0.  Jahn,  Beschreib,  d.  Vasens.  etc.  II,  54  und  Ger- 
hard, Berlins  ant.  ßildii.  I,  18  abgebildete«.  H.  0^30.  Durcbin.  0,30. 
—  Das  Gefäss  ist  durchgebrochen,  aber  wieder  zusammengeleimt. 
Einzelheiten  sind  mit  schwarzer,  brauner,  weisser  und  gelber  P'arbe 
aufgemalt.    Ergänzt  ist  ein  kleines  Stück  der  Vorderseite. 

Die  Darstellung  betindet  sich  oberhalb  eines  ringsumlaufenden 
Mäanderstreifens. 

A.  Von  I-  schreitet  ein  bis  auf  eine,  über  den  linken  Unterarm 
geworfene  Chlamys  nackter  Jöngling,  durch  dessen  Haar  eine  weisse 
Binde  geht,  heran,  in  der  xurückgestreckten  Rechten  einen  Stab,  in  der 
Linken  eine  Patera,  über  welcher  ein  Zweig  liegt,  haltend.  Kr  blickt 
auf  eine  vor  iliuu  auf  einer  natürlichen  Erhöhung  sitzende  Frau,  welche 
mit  Schuhen  und  langem  gegürteten  Chiton  bekleidet  ist.  Ihr  Haar 
ist  mit  einer  Sphendone  zusunimengehalten ;  die  Linke  ruht  auf  dem 
Sitze,  die  mit  einem  Armband  geschmückte  Rechte  greift  um  den 
Stamm  einer  kleinen  neben  ihr  wachsenden  Palme  (?).  Ueber  den  Figuren 
aur  Ausfüllung  des  Raumes  drei  Rosetten  angegeben. 

B.  Zwei  eng  in  ihre  langen  Mäntel  gehüllte  Jünglinge,  welche 
dt'n  linken  Arm  in  die  Seite  gestützt  haben,  stehen  sich  anblickend 
einander  gegenüber.  Zwischen  ihnen  spriesst  eine  stiliairte  Pflanze 
emjjor.     Ueber  ihnen  schweben  zur  Ausfüllung  des  Raumes  drei  Bälle. 

Unter  den  Henkeln  je  ein  Palmettenornament.  Ueber  der  Dar- 
stellung beider  Seiten  zieht  sich  ein  Lorbeerzweig  hin.  Leichte  ge- 
wandte Zeichnung,  offenbar  unteritalischer  Herkunft.  —  Auf  dem  Boden 
der  Vase  ist  ein  rundes  Loch  st-chen  geblieben;  dieselbe  war  also  wohl 
nicht  für  den  Gebrauch,  sondern  nur  zum  Schmuck  des  Grabes  be- 
stimmt. Ueber  die  Verwendung  von  PttanKenoruaraenten  zur  Aus- 
füllung des  Raumes  vgl  0.  Jahn,  Be.schreibung  etc.  p.  CCXX. 

7—56.  T  h  0  n  1  a  m  p  e  D. 

7.  0.  H.  Vorn  abgebrochen.  Ein  oben  und  unten  profilirter 
viereckiger  Altar  in  perspektivischer  Darstellung  mit  brennenden  Früchten 
und  r.  und  I.  davon  je  eine  Cypresse. 

Analoge  Darstellungen  auf  Lampen  angeführt  in  den  Bonner 
Jahrbüchern,  LXI,  S.  111,  Nr.  86.  Vgl.  auch  B  e  g  e  r ,  Lucemae 
vet,  sop.  I,  13. 

8.  Bruatbild  eines  bärtigen  Mannes  (o.  1.)  mit  Panzer  und  grie- 


94    Grieche  röm.  u.  etroBk,  Gegen^tinde  in  der  Hamburger  Alterthainer»S>nnnlimg. 

chischein  Helm  mit  hohem  Busche.  —  Vorn  dn  feines  Loch  «am  Dorcb- 

stecken  der  Nadel,  —  Rcks. : 

@ 
CIVNSIT 


Ein  ähnliches  Brustbild  auf  einer  Lampe  wird  von  Passeri 
(Lucernae  I,  XXII)  auf  Mars  gedeutet,  was  gewiss  nicht  richtig  isL 
Eher  wird  man  an  den  Portraitkopl  eines  Feldherrn  oder  Kaisers  n 
denken  haben.  Kaiserköpfe  auf  lumpen  z.  B.  in  der  Sammlang  des 
Wiener  Antikencabinets,  beschrieben  von  Kenner,  Die  antiken  Tbon- 
laropen  etc.  zu  Nr.  S5  ff. 

9.  Trimyxos  o.  H.  Ein  Scorpion,  welcher  seine  Scheeren  am  das 
Oelloch  legt.  —  Rcks,: 

FABL  (I?) 
F 
Wahrscheinlich  eine  christhche  Lampe;  rgl.  Bonner  Jahrbb.  LXI^ 
S.  110,  Nr,  82  und  Fröhner,  Inscr.  t  c  raa.  Nr.  1065  :  OF  FABI. 

10.  0.  H,  Ein  gettagelter  nackter  Erot,  das  linke  Knie  auf  eine 
Erhöhung  (Felsen?)  seilend,  den  Kopf  nach  L  wendend  und  mit  beiden 
Händen  einen  schmalen  Gegenstand  (Fackel?)  gegen  die  Erde  kdirend 
oder  von  der^lben  aufhebend. 

11.  0.  U.  Etwas  beschädigt.  In  einem  Kreise,  da  mit  einem 
uagetahnten  Rande  umgeben  ist  (vielleicht  Nachahmung  eines  Nim- 
bus?), befindet  sich  das  bekleidete  BrustbUd  der  Selene  vor  einer  llood- 
akhel  Ceber  ihrer  rechten  Schulter  scheint  der  Köcher  her>  orzuragen ; 
durch  das  Haar  geht  ein  Band. 

Vgl  Passeri,  Lucemae  H,  LXXXIQ  ff.  und  Kenner,  a.  a.  0.. 
a  29  L 

U.  O.  H.  finutbiki  d^  beUeideCeB  Seloie  (o.  r.),  auf  deren  Stirn 
die  Ifondaickel  schwebt;  abrigeas  ist  der  Kopf  Terkehrt  ai%epresst, 
da  die  Brust  der  Henkebeite  der  Lampe  zagevendet  ist. 

S.  «u  Nr.  11. 

13.  fitwaa  DerbrodnDf  aber  oflieBbar  aiemalB  griiraaciiL  Zwei- 
keakdige,  zieaüidi  flache  Vase,  derea  Baach  mü  Zweigca  gesehmaekt 
aa  aeia  acheiaC  Vom  ein  feiaes  Lodi  warn  Vnnloawii  dea  Dochteai 
Rcks.:  üaleBerlieher  StempeL 

AehaKehe  GefXase  aad  Vasen  bei  Kenner,  a.  a.  O.,  S.  64,  Nr. 
2M  £ 


kriech.,  rom.  ii.  etrutik.  Gegenstände  in  der  Hamburger  Alterthütner-SaminluDg.     95 

14.  Nach  r.  hinspringender  Hund  (?)  mit  geöffnetem  Maule. —  Rcks. 
C  POMDI  O 

(Etwa  C,  Pompei  Digni  —  Di?i  —  o  fficina?).  Vgl.  Kenner, 
a.  a.  0.,  Nr.  154. 

15.  0.  H.  Vorn  ein  feines  Loch  zum  Vorstossen  des  Dochtes.  — 
Auf  einem  n.  r.  galoppirenden  Pferde  sitzt  ein  nackter  Knabe,  mit  der 
Linken  die  Ziegel  anziehend,  die  Rechte  wie  zum  Schhige  erhebend. 
Die  Darstellung  des  Pferdes  ist  sehr  gut. 

16.  In  der  Mitte  eine  Rosette.  Der  umlaufende  Rand  ist  mit 
Rebzweigen  und  Trauben  ornamentirt.  —  Rcks.:  Nackter  Fuss  als 
Stempel. 

Ueber  das  vermuthlich  christliche  Symbol  dieses  Stempels  vgl. 
Bonner  Jahrbücher,  LXI,  S.  110,  77,  Aehnlich  verzierte  Lampen 
finden  sich  auch  in  der  Sammlung  Herstadt  in  Köln. 

17.  In  der  Mitte  eine  Rosette;  der  umlaufende  Rand  ist  mit 
Perlen  ornamentirt.  —  Rcks.: 


Wahrscheinlich  ein  Fabrikstempel. 

18 — 21.  Christliche  Larapen  von  plumper  Form  („Geschenk  des 
Herrn  Fr.  Stammann,  1876")  nach  beigefügter  Notiz  „di  Catacombe  di 
S.  Lorenzo  fuori  le  mura".  Grosses  Oelloch;  der  obere  Rand  mit  kleinen 
Tüpfchen  besetzt. 

19.  Um  das  Eingussloch  herara  ausgebrochen.  Am  Rande  be- 
finden sich  drei  deutliche  Ansätze,  durch  welche  ein  Draht  oder  Faden 
zum  Aufhängen  der  Lampe  gezogen  werden  konnte.    Rcks.: 


MARCEL 

^- 

Der  Zweig  deutet  vielleicht  auf  die  Lampenfahrik  eioes  christ- 
lichen Besitzers.  Vgl  Bonner  Jahrbücher  LXI,  S.  114,  118  und 
110,  80.    Fröhner.  a.  a.  0.  1457-64. 

20.  Lampe  von  ähnlicher  Form  und  gleicher  Herkunft  wie  Nr.  18. 
—  Rcks.: 

VIBIAT  (?) 


9(i     Oriecb.,  rata.  u.  etnrak.  Gegenstände  in  der  Hamburger  Altertbümer-Sammluug. 

Vielleicht  VIBIAN,     wie    auf    einer   Lampe    bei    Kenner, 

a.  a.  0.  Nr.  377  ft.    Fröhner  a.  a.  0.  2119. 

21.  0,  U.— Ikks.: 

ATIMETI 
Vgl.  Fröhner,  a.  a.  0.  206. 

22.  Rcks.:  FORTIS  und  darunter  ein  Kranz  mit  flatternden 
Bändern. 

Lampen  mit  demselben  Stempel  und  Fabrikzeichen  und  gleich- 
falls ohne  bildliche  Darstellung,  befinden  sich  in  der  Sammlung  Her- 
stadt in  Köln  (vgl.  B.  Jahrb.  a.  a.  O.,  S.  97,  10  und  S.  98,  15).  Der 
Stempel  FORTIS  findet  sich  übrigens  auch  häufig  mit  andern,  sowie 
ganz  ohne  Fabrikzeichen. 

23.  Christliche   Lampe.     Henkel  abgebrocben.     Zwiacheo  zwei 

Eingusslüchern  das  Monogramm 


Am  Rande  schraffirte  Dreiecke  nebeneinander  gestellt. 

Lampen  in  ähnlicher  Weise  ornamentirt  sind  aufgezählt  in  den 
Bonner  Jahrbb.,  a.a.O.,  S,  110,  78,  Vgl.  auch  Beger,  a.  a.  O.  III,  26. 
Das  Monogramm,  wobei  das  P  in  ähnlicher  Weise  aufgelöst  ist,  nicht 
ein  „Hakenkreuz"  wird  auch  auf  der  Kölner  Lampe  (Bonner  Jahrbb., 
LXI,  S.  115,  Nr.  122)  anzunehmen  sein. 

24.  Christliche  Lampe.  In  der  Mitte  ein  Fisch;  der  umlaufende 
Rand  ist  mit  Blättern  und  conceatrischen  Kreisen  ornamentirt.  —  llcks. : 

@ 
2.'j.  In  der  Mitte  zwischen  zwei  Eingusslöchern  ein  nach  1.  schrei- 
tender Hahn  in   flach   gedrücktem  Relief  mit  stitisirten  Federn.     Der 
herumlaufende    Rand   ist  mit    concentrischen    Kreisen,    Lotosblüthen, 
Schachbrettmuster   und   herzförmigen  Blättern  ornamentirt.  —  Rcks.: 


Die  Lampe  stammt  also  wohl  aus  derselben  Fabrik  wie  Nr.  24. 
Dass  sie  christlich  ist,  darauf  scheinen  sowohl  Lotosblütheu  als  Hahn 
(„der  Verkundiger  des  Lichtes  und  der  Auferstehung")  liinzuweiseu. 

26.  0.  H.  Ein  Ornament,  b&stehend  aus  vier  Kreisen,  hinter 
denen  zwei  sich  kreuzende  Zweige  hervorsehen.  Wahrscheinlich  christ- 
liche Lampe. 

27.  Lampe,  welche  napfartig  zur  Aufnahme  des  Oels  geöffnet  ist. 


Griecli.,  röm.  ti.  etru«1c.  Gegenstände  in  der  Hamburger  Altertbümer-Sammlutij^.    9T 

mit  einem  zapfenartigen  Ansatz  in  der  Mitte,  um  welchen  vermuthlJch 
der  Docht  heriiingelegt  werden  konnte. 

Lauipen  von  gleiclicr  Foini  beschrieben  in  den  B.  Jahrbb., a. a.  0., 
LXI,  S.  113  und  abgebildet  bei  Ueydemann,  Vasensammlmigen  des 
Mus.  Naz.  z.  Neapel,  III,  180. 

28 — 56,  Fragment  von  I-,inipeii,  in  zwei  ßypstafeln  eingelassen. 

28,  Löwe,  der  auf  ein  Thier  (Reh?)  sjiringt. 

29,  Nach  I.  sclireitender  Lüwe. 

30,  Pantherweibciien,  die  Vorderfüsse  auf  eine  mit  Frachten  ge- 
fällte Vase  setzend. 

Vgl.  Bonner  Jahrbb.,  LXI,  S.  96,  1. 

31—36.    Springende,  wilde  Thiere. 

37.  Ein  Reh  (?)  n.  r.  wendet  den  Kopf  zurück  nach  einem  an 
seinem  Euter  saugenden  Jungen  (V). 

38.  Ein  Huhn,  der  einen  Palmzweig  in  der  Kralle  trägt. 
Vgl  dazu  Bonner  Jahrbb.  LXI,  S.  99,  12. 

39.  Sitzende,  mit  doppeltem  Gewände  bekleidete  Fratiengestalt 
(e,  f.),  eine  Tateia  iu  der  Lirikeu  haltend,  wahrscheinlich  Fortuna. 

Vgl.  Passer i,  a.  a.  0.  II,  LXVL 

40.  Zwei  miteinander  kämpfende  (iiadiatoren. 

41.  Mänulicher,  bärtiger  Protilkopf  (n.  I.)  mit  Helm, 
Vgl.  zu  Nr.  8. 

42.  Weibliches  Brustbild  (e.  f.)  mit  perückenartigeiii  Haar,  von 
welchem  fünf  Sti-alilen  ausgehen.    (Selene?) 

Vgl.  zu  Nr.  11. 

43.  Aehnlich  wie  Nr.  42. 

44.  Weibliches  Brustbild  (e.  f.);  von  der  Brust  gehen  zwei  Flügel 
aus  (Sphinx  0. 

45.  Fragment  eines  weiblichen  Profilkopfes  (n.  r.)  mit  zurück- 
gestrichenem Haar,  auf  welchem  wie  ein  zurikkgcschobener  Helm  die 
Haut  eines  Menschenkopfes  ntit  geringeltem,  walleudem  Haar  —  MedusaV 
—  ruht.    Modern? 

46.  Kopf  des  Zeus  Ammon  (e.  f.)- 
Vgl.  Bonner  Jahrbb.  LXI,  S.  97,  8. 

47.  Zottige,  bärtige  Figur  (vielleicht  Pan?)  von  sehr  barbarischem 
Aussehen,  die  Arme  in  die  Seite  stemmend. 

48.  Tragische  Maske,  von  welcher  r.  und  1,  Lorbeerzweige  ausgehen. 
Vgl.  Passeri,  a.  a.  0.  II,  53—57. 


98    Orieob.,  röm.  q.  etmik.  Gegenstände  in  der  Hamburger  Alterlliänier-Sftiniiilra^ 

50—56.  Sieben  Lampenfragmente  mit  Masken,  theils  tragisch 
theils  komischen,  mit  aufgerissenem  Munde. 

Mit  diesen  Fragmeuten  vermischt  sind  die  folgenden  Bruchstücke: 

57.  Weibliches  Köpfchen  von  Terracotta  mit  Schleier  auf  dem 
Iliüterhaupte. 

58.  Ein  dickes  Kinderköpfchen  (h.  0,04)  von  Thon. 
59  u.  60.  Scherben  von  Gefässen  aus  teiTa  sigillata,  darunter  ein 

aus   einer  Grotte   hervorspringendes  Thier   und   der  bocksartige  Kopf 
eines  gehörnten,  bärtigen  Paus. 

Unter  den  griechischen  Thongefässen  ohne  bildlichen  Schmuck 
und  von  sehr  verschiedenen  Formen  sind  hervorzuheben  eine  unten 
spitz  zulaufende  Amphora,  kleine  Balsamerien,  offene  Ilenkelschaleu 
und  Oiuochoen.  Ein  roraisches  Gefäss  von  Porpbyrerde  mit  acht  länglich 
runden  Eindrücken   im  Bauche  ist  vernuithlith  Kheinischeo  Fundorts. 

Unter  den  zerstreut  nebeneinander  liegenden  Thonfragmenten  sin^ 
bemerkenswerth  ein  männlicher,  bärtiger,  mit  Stephane  geschmückter' 
Kopf  von  archaistischem  Charakter  —  unter  der  Stephane  kommt  das 
Haar  in  kurzen,  regelmässigen  Locken  hervor;  eine  komische  Maske 
mit  weit  aufgerissenem  Munde;  ein  Satyrköpfchen  mit  weit  aufgerissenem 
Munde  und  dicht  bekrilnztem  Haar;  ein  weiblicher  mit  Stephane  und 
hinten  herabhängendem  Schleier  geschmückter  Kopf,  an  welchem  noch 
Farbspuren  bemerkbar  sind;  das  Fragment  eines  Medusenkopfes;  das 
Fragment  eines  weibliehen,  maskenartig  gearbeiteten  Kopfes,  wie  solche 
L.  Ross  (Arch.  Aufsätze  I,  71)  aus  Gräbern  von  Kheuaia  stammend 
in  Mykonos  gesehen  haben  will;  endlich  eine  ganze  Auitahl  weiblicher, 
theils  Köpfe,  theils  Brustbilder  mit  hohem  Kopfschmuck,  von  Figurei 
die  auf  der  linken  Schulter  mit  der  Linken  ein  Kästchen  halten  unc 
deren  rechte  Brust  oft  entblosst  ist;  einige  von  ihnen  sollen  aus  Pästum^ 
stammen;  vielleicht  sind  es  Fragmente  von  ausgehöhlten  Thonreliefs, 
wie  ich  deren  ähnlich  aus  Kölner  Sammlungen  (Bonner  Jahrbb.  LXI, 
S.  121 ,  Nr.  173  f.)  beschrieben  habe.  Thonreliefs  der  Art  kommen 
Dach  Ross  a.  a.  0.  gleichfalls  in  griechischen  Gräbern  vor. 


Die  auf  zwei  Gipstafeln  eingelassenen  Stücke  von  Wandmalereien 
sind  ohne  besonderen  Werth,  bemerkenswerth  darunter  ist  nur  das 
Fragment  eines  schön  gezeichneten,  über  Ranken  dahinschreitendc 
Pferdes.  U.  Dutschke. 


Römisohe  Gläser. 


99 


5.  Römische  Gläser. 

a.  Altchristliche  Goltlgläser  vom  Rhein. 
(Hierzu  Taf.  IV  ».  V.) 

Bis  zur  Veröffentlichung  der  Anfungs  der  Sechsziger  Jahr«  in 
Köln  bei  S.  Ursula  und  S.  Severin  getiindenen,  im  36.  und  42.  Hefte 
unserer  Jahrbücher  verötfeiitlichten  römischen  Glasschalen  mit  gold- 
gemalten  chri.'^tlichen  Darstellungen  ■),  hegte  man  die  bestimmte  Moinung, 
es  seien  solche  üoliigläser  eine  lediglich  den  Kntakoniheii  und  ihren 
christlichen  Bewohnern  eigenthiindiche  und  auf  Rom  beschränkte  Kunst- 
art*). Freilieh  hätte  von  einer  solchen  Annahme  die  Erwägung,  dass 
das  jugendliche  Christenthum  seiner  ganzen  Natur  nach  nicht  geeignet 
war,  als  Schöpfeiin  neuer  Kunstrichtungen  und  bisher  nicht  geübter 
Kunstgewerbe  aufzutreten,  ebenso  abhalten  sollen,  wie  die  Wahrneh- 
mung der  mannigfachen,  rein  heidnischen  Darstellungen  auf  denselben. 
Folgerichtig  müssen  solche  zu  den  christlichen  Anschauungen  in 
keinerlei  Beziehungen  zu  bringende  Bilder  heidnischen  und  mytho- 
logischen Inhaltes:  des  Herkules  und  Achill,  der  Venus,  Grazien, 
Kingkümpfer,  Wagenlenker,  Handwerker  u.  dergl.  doch  zu  der  Ueher- 
zeugung  führen,  dass  das  praktisi;he  christliche  Bethlrfniss  des  Ge- 
brauchs von  Glaagefässen  sich  der  bereits  im  häuslichen  Leben  vor- 
handenen bediente  und  zu  keinen  neuen  Erfindungen  schritt.  Weiter- 
hin deutet  dann  das  gleich  massige  Vorkf^nmen  dieser  Goldglüser  in 
den  Katakomben  auf  eine  gleiche  gemeinsame  Zweckbestimmung  daselbst. 

Durchgiingig  waren  nämlich  diese  Gläser  in  den  frischen  Kalk- 
bewurf der  äusseren  Grabwände  eingedrückt,  sf>  dass  der  Fuss  und  der 
untere  Theil  der  Schaale  in  diesem  gefestigt  erschienen,  während  der 


1)  Die  GlaBpateoe  mit  kleioen  lilauen,  in  6old  figurirtcD  Modaillons  \m 
8.  Severin  gefunden,  Heft  36,  Taf.  III,  befindet  sich  noch  in  der  uuvergleichlicb 
kostbaren  Sammlung  römiacber  tTläser  des  Herrn  Carl  Disch  in  Köln;  während 
der  bei  S.  Ursula  gefundene,  Hüft  42,  Taf.  V  abgebildete  Glas-Teller  ans  dem 
Besitz  des  Herrn  Eduard  Heratatt  in  Köln  mit  der  Sflinuiluug  Slade  in  das  Bri- 
tische Musenm  gelangte.  S.  50  dea  Catalogue  of  tho  Collection  of  Glass  formed 
bei  F.  Slade,  London  1871;  de  Rossi,  Bulletino  1864  u    1866. 

2)  Garocci  bei  Kraus,  Koma  Sotterauea,  S.  291. 


100 


Römisch«  flliiwr. 


offene  obere  Theil  gleich  einem  umrahmten  Medaillon  anschaabar 
die  Wandtläche  hinausragte.  Dadurch  erklärt  es  sich  von  selbst^  dass 
die  vorstehenden  dünnen  Gefässwände  im  Verlaufe  der  Zeit  leicht  ab- 
gestosscn  wurden  und  nur  die  im  Mörtel  eingeknickten  goldgeschmiickten 
Gefässbüden  —  die  deshalb  den  Namen  fondi  d"oro  bekamen  — 
sich  erhieUeo.  Dennoch  dürfte  die  merkwürdige  Thatsache,  dass  mit 
wenigen  Ausnahmen  an  allen  römischen  fondi  d'oro  die  Reste  und 
Spuren  der  Gefassraäntel  fehlen,  nicht  nur  durch  Zerbrechen,  sondern 
durch  andere  Gründe  zu  erklären  sein ')-  Indem  die  Controverse,  ob  diese 
GUser  bei  den  Christen  als  Abendmahlsgefasse  oder  als  Tiinkbecber  dtr 
Liebe^m&hle,  oder  wie  sonst  anzusehen  sind,  hier  dahin  gestellt  bleiben 
mag*),  können  wir  als  feststehend  ansehen,  dass  ihre  weitere  Ver- 
wendung zum  iosseren  Grabschmuck  sehr  bald  eine  aasgebreitete*) 
und  eine  solche  war,  der  nicht  sowohl  oder  nur  das  Andenken  an  den 
orBprltaigbciien  Gebnveh,  sondern  wesentlich  die  Anschaanng  der  igtr- 
tiefaea  Dar^efloii;  za  Grande',  lag.  Die^Bilderfeindlickkeit  den  CkriaCai- 
tkons  steht  dem  nicht  entgegen,  da  nasere  Glaser  scboa  den  S.  nd 
4.  Jahrhundert  angehören*). 

Tketll  laaB  ana  die  Aaskht,  dass  die  Aageböng««  (ier  Verstoi 
bei  Aabeftnag  der  goUfigarirtoi  GUser  in  dea  swistea  FiOen  aar  die  AI 
aidit  hegten,  das  Grab  nüt  jenea  hetligen  Daratellangen  dert*oldmeda3loa8 
der  GefiissbAien  n  sdiaUkken,  daan  wird  nua  gewiss  aach  aiit  Baehl 
verauithea  dtifea,  dass  «fiese  MedaiUaas  gesoadect  aad  aUete  fir  ach 
§eiert%t  aad  als  BiMcr  sDetn  aad  fSur  äA  iiiauadtt  varden.  Diese 
faa  mar  bereits  vor  14  Jabrea  aasgespro^aae  Miiaaag  erhält  ihre 
«•Da  Bititigawg  darcfa  die  Betrachtnag  der  becUaMeB  Glaa-FaiaM 
dw  Tlswnlai^  des  Herrn  e  ari  Disdi  ia  KSIa.  Die  chmbI 
dtoeea  aad  einer  AaiaU  äbnlicb«^  GUstst  laaca  aicfat  dea 


1)  Wirw  alt  Ibodi  i^mo  BUn 

Bm*  far  wcki  mtäm.     Sms  « 
lULXXnX  7«  •.  Tbc    1» 


1)  Kr«««,  Boa 

S)  Dm  «iim<i  A« 

Tairi  Maaftt  «  6|«M  M 

4)  6«r«c«i.  TfeC 


SLaot. 


mh  fi*rr««ei 


Kr»««,  S. 


Römische  Glftser. 


101 


Zweifel  dailiber  Gestehen ,  dass  die  Hprstelhing  der  Gefässe  und  der 
daran  befindlichen  kleinen  bunten  Medaillons  eine  getrennte  und  von 
einander  unabhängige  war.  Man  kann  nämlich  sowohl  an  dem  Disch'sdien 
Glase,  wie  an  den  auf  Taf.  V,  1,  2  u.  3  ab^^cbildcten  Bechern  der  Vereins- 
sanimlung  und  des  rrovinzialmuseums  in  Bonn  deutlich  erkennen,  dass 
diese  kleinen  Medaillons  in  die  äusseren  Wandungen  der  geblaseneu 
Gefässe,  während  diese  noch  flüssig  waren,  eiugedrück't  wurden'),  sie 
mithin  vorher  für  sich  gefertigt  und  in  Vorrath  zur  Hand  sein  mussten. 
Wenn  man  nun  den  Zustand  und  die  Herstellungsart  der  fondi 
d'oro  studiert,  wird  man  zu  dem  Resultate  gelangen,  dass  auch  diese 
Medaillons  für  sich  fabricirt  und  dann  später  als  fertige  Stücke 
ebenso  zu  solchen  Gefassen  liinzu  genommen  wurden,  deren  Böden  man 
damit  zw  schmücken  gedachte.  Noch  heute  werden  Medaillons  ähn- 
licher Art  zu  amiereni  Zwecke  gemacht.  Die  Olaswürfel,  welche  zur 
Herstellung  der  goldenen  Hintergründe  der  römischen  und  byzantinischen 
Wand-Mosaiken  dienten,  geben  dazu  eine  erwünschte  Analogie.  Prüft 
man  diese  Würfel,  so  sieht  man,  dass  sie  bezüglich  der  Herstellung 
wie  die  fondi  d'oro  beschaffen  sind,  indem  das  auf  einer  Glasfläche 
durch  einen  Klebstoff  gefestigte  Schaumgold  —  in  welches  man  bei  den 
fondi  d'oro  die  Darstellung  gravirt  —  durch  einen  Ueberfang  von  Glas 
geschützt  wrd.  Aber  die  so  hergestellten  (ilaswürfel,  welche  man  bei 
einem  grossen  Wand-  oder  Kuppel-Mosaik  zu  Hunderttausenden  ver- 
braucht, ist  es  nicht  üblich  einzeln  zu  verfertigen.  Ginge  das  auch  an, 
so  würde  es  dem  Bedürfniss  des  ausführenden  Mosaicisten,  bald  einen 
kleineren,  bald  einen  grösseren,  bald  einen  Würfel  von  dieser,  bald  von 
jener  Gestalt  zu  verwenden,  nicht  entsprechen,  einen  Vorrath  gleich 
grosser,  regelmässiger  Würfel  zu  haben.  Die  Seitenwände  der  Glasstifte 
zeigen  auch  deutlich,  dass  sie  aus  grösseren  Stücken  nach  Belieben 
und  Bedürfniss  wahrscheinlich  mit  der  Zange  gebrochen  oder  mit 
dem  Hammer  abgeschlagen  sind.  Der  belehrenden  Freundlichkeit 
des  bekannten  Erneuerers  der  alten  venetianischen  Glasindustrie  uud 
besonders  der  byzantinischen  Wand-Miisaiken,  Herrn  Dr,  Salviati  in 
Venedig,  verdanke  ich  eine  der  Platten ,  wie  sie  in  seiner  Fabrik  als 
Material   für  die   weitere  Mosaikarbeit   hergestellt  werden.    Es  sind 


l)  Innen  läuft  die  Glaswandung  annnterbrochen  ober  die  Medaillons  htn- 
Kwg.  Vor«!.  Taf.  IV,  6,6a  a.  6b,  welche  an  einem  Fragmente  des  Glases  von 
Ditcb  die  Art  und  Weise  zeigen,  wie  die  blauen  Medaillons  in  den  weissen  Ge- 
da^Wandungen  eingesetzt  sind. 


102 


Römische  Gläser. 


runde  Glasscheiben,  deren  Unifiingsich  nach  der  Grösse  aeraufltegendea 
viereckigen  Schaumgoldblätter  —  dieselben,  die  zu  allen  rindern  Ver- 
goldungen im  Handel  zwischen  dünnem  rajjier  in  Büchelchen  verkauft 
werden  —  richtet.  Aus  dieseo  Scheiben  (Taf.  IV,  5)  schlägt  der  Mo- 
saicist  seine  Stifte,  so  wie  er  sie  braucht,  heraus. 

Mir  ist  es  nicht  zweifelhaft,  dass  man  die  Boden-Bilder  der  Gold- 
gläser in  ähnlicher  Weise  zunächst  für  sich  allein,  vielleicht  in  besonderen 
Fabriken  als  Medaillons  anfertigte  und  dann  einestheils  als  Bilder,  andern- 
theils,  je  nach  Bestellung  und  besonderen  Zwecken,  als  figurirte  Gefiiss- 
böden  verwandte,  indem  man  die  Gefässwände  nachträglich  besonders 
aDblies.  Denn  so  gut  wie  man  in  dem  noch  elastischen  Mantel  der 
Kölner  Schaale  die  kleinen  blauen  Medaillons  eindrücken  konnte,  wird 
man  auch  die  Ränder  der  grossen  Medaillons  so  weit  wieder  zu  erglühen 
vermocht  haben,  um  daran  einen  Mantel  anblasen  zu  können,  oder  aber 
in  die  fertig  geblasene,  indess  noch  glühende  Schale  das  vorhandene 
Medaillon  in  den  Boden  einzudrücken  vermocht  haben. 

Ist  diese  Ilerstellungstheorie,  welche  mir  das  Disch'sche  Glas  ao 
die  Hand  gab  und  welche  die  weiterhin  abgebildeten  und  manche  andere 
Gläser ')  bestätigen,  richtig,  so  hat  sie  eine  bedeutsame  Folgerung  für  die 
Beurtheilung  der  fondi  d'oro.  Waren  nämlich  die  heiligen  Darstellungen 
der  für  den  sacralen  Gebrauch  bestimmten  Glasschalen  in  der  Bilder- 
erlaubten Zeit  erst  einmal  beliebt,  ein  Gegenstand  des  Wunsches  frommer 
Geniüther,  so  wird  man  schnell  dazu  übergegangen  sein,  sich  lediglich 
diese,  die  im  Handel  zu  huhendeo  Medaillons  zu  kaufen,  um  sie  als 
christliches  Bild  zu  Trost  und  Schutz  so  anzubriogeQ,  wie  wir  dieselben 
an  den  Grabwänden  der  Katakomben  vorfinden. 

Die  Mehrzahl  der  fondi  d  oro  sind  aber  dann  niemals  Böden  zer- 
brochener Gefässe  gewesen,  sondern  sie  sind  heute  noch,  was  sie  ehe- 
mals waren,  religiöse  Bilder  in  der  Form  runder  Glas-Medaillons*). 

Wie  ich  bereits  vor  14  Jahren  in  der  glücklichen  Lage  war,  durch 
i'ublicirung  des  Disch'schen  Glases  die  Ansicht  von  der  lediglich  in 
Rom,  beziehentlich  lediglich  in  Italien  vorhandenen  Technilc  der  Gold- 
gläser zu  erweitern  und  hinzuftigen  darf,  dass  auch  vor  2  Jahren  bei 


1)  Ein  Glas  mit  glsltcn  blauen  wie  grünen  MedailloDS  im  Kölner  Mus. 
erw&hole  ich  bereila  Heft  30,  S.  128. 

2)  Cennini  in  geinem  Traotat  «1er  Malerei  (14.  Jahrb.),  herausgegeben  von 
Ilg  (Wien  1871),  lehrt  c.  172  die  Anfertigung  ähnlicher  Glaebilder  mit  Gold  und 
Farbi<u  und  sagt  auadrücklich,  de  seien  zur  Verzierung  der  Reliquien  entatanden. 


Römische  Gläser. 


108 


S.  Ursula  nochmals  ein  Rest  eines  fondi  d'oro  inCöIn  gefunden  wurde'), 
80  bin  ich  heute  im  Stande,  nicht  aliein  die  geographische  Ausdehnung 
der  Funde  abermals  zu  erweitern,  sondern  auch  die  Ausdehnung  der 
eigeöthümlichen  Kunstart  auf  andere  Geräthe  als  Gefäss-Böden. 

Unsere  Taf.  IV  zeigte  in  gleicher  Grösse  4  Glas-Plättchen,  welche 
einst  die  Wände  eines  kleinen  Kastens  bildeten.  Zum  Deckel  diente 
Platte  1,  als  Langseiten  haben  wir  2  und  4  anzusehen,  wahrend  3  und 
ein  bis  auf  undeutliche  Spuren  schmucklos  gewordenes  und  deshalb 
nicht  abgebildetes  Täfelchen  die  Schmalseiten  abgaben.  Hass  sich  an 
einer  der  Laogseiten  ein  Verschluss  befand,  ergiebt  die  Raunmus^pa- 
ruDg  an  der  oberen  Seite  der  zweiten  Tafel.  Die  Berandung  sänimt- 
licher  Stücke  bildet  ein  einfaches  Zickzackornament  mit  Piinktinmgcn, 
ausgeführt  in  rother,  blauer  und  gelber  Farbe.  Die  bildlichen  Dar- 
stellungen sind  aus  aufgeklebtem  Schaumgold  herausgearbeitet.  Ein 
Zusammenhang  unter  denselben,  eine  Beziehung  der  einen  Darstellung 
auf  die  andere  ist  nicht  zu  erkennen,  um  so  weniger,  als  die  Zer- 
störung schon  beim  Funde  zu  weit  vorgeschritten  war,  um  die  sichere 
Bestimmung  sämmtlicher  Figuren  zu  ermöglichen. 

Betrachten  wir  zuerst  das  Deckelbild.  Von  den  drei  Figuren 
desselben  sind  die  beiden  zur  Seite  befindlichen  als  Petrus  und  Paulus 
überschrieben.  Dadurch  ergiebt  sich  von  selbst,  dass  in  der  Mitte 
zwischen  diesen  beiden  Aposteln  der  Heiland  anzunehmen  ist,  eine 
Annahme,  der  auch  die  segnende  Rechte  der  mittleren  Figur  entspricht. 
Ob  der  Erlüscr  in  der  Linken,  wie  waht^cheitilich  ist,  ein  Buch  hielt, 
ob  er  auf  einem  Throne  sitzend  dargestellt  war,  ob  die  Pfauenaugen, 
die  den  unteren  Körper  umgeben,  dem  Gewand  angehören,  ob  innerhalb 
des  Himraelsbogens  zu  seinen  Füssen,  noch  eine  symbolische  Gestalt, 
vielleicht  die  des  Himmels*)  sich  befand:  das  Alles  sind  Fragen,  welche 
sich  aus  der  maogeShaften  Abbildung  nicht  beantworten  lassen. 

Etwas  besser  erhalten  erscheint  die  zweite  Dar.^'telluug.  An  den 
Seiten  stehen,  ebenso  wie  in  den  vorigen,  zwei  männliche  Gestalten 
mit  der  Beischrift  IPPSLITS  und  SVSTVS,  Der  letzte  Name  ist  in 
dieser  alten,   meines  Wissens  auch  in  den  Katakomben  vorkommenden 


1)  Die  fragmentirto  Platte  kam  aus  dem  Kunathandel  in  den  Besitz  des 
Herra  Carl  Discli  und  wird  im  Catalog  der  Kölner  kunathistorisohen  AuBBtellung 
TOD  1876,  S.  6,  Nr.  30  als  Evangelist  Marcus  init  dem  Löwen  bezeichnet 

2)  So  auf  dem  Sarkophag  des  Juuius  Bassuö  und  anderwärts,  rerg).  Piper 
Mythol.  und  Symbolik  der  cbriatl.  Kirche  II,  S.  44. 


104 


Römiflche  Oliaer. 


Schreibung  gleichbedeutend  mit  Sistus  und  Sixtus  und  bezeichnet  den 
im  Leben  des  S.  Laurenliua  vorkommenden  Papst  und  Märtyrer.  Im 
ersten  Namen  wird  man  im  vierten  Buchstaben  einen  Schreibfehler 
anzunehmen  und  statt  des  S  ein  O  zu  setzen  und  ippoiit(u)s  zu  lesen 
haben.  Hyppolitus,  Märtyrer  und  Zeitgenosse  des  h.  Sixtus  kommt 
ebenfalls  in  Gemeinschaft  mit  dem  h.  Laurentius  vor,  der  ihn  taufte. 
Hippolitus  scheint  in  der  Rechten  ein  Buch  getragen  zu  haben.  Die 
zwischen  den  Märtyrern  Sixtus  und  Hyppolitns  vorgehende  Handlung 
begiebt  sich,  wie  zwei  die  Localität  andeutende  Bäume  zeigen,  im 
Freien.  Eine  männliche  Person  sitzt  auf  einer  Erhöhung,  eine  andere 
steht  abgewendeten  Gesichtes  vor  ihr  und  hält  eine  an  langem  Stil 
befestigte  Scheibe  ihr  entgegen.  Die  Ueberschrift  lautet  lOB  BLASTEMA. 
Auch  hier  haben  wir  einen  Schreibfehler  des  Zeichners  und  statt 
T  die  Buchstaben  PH  im  letzten  Worte  anzunehmen,  wodurch 
uns  die  ganze  Darstellung  sofort  klar  wird  als  die  Trübsal  Job's. 
Job  sitzt,  dürftig  bekleidet,  auf  einem  Mist-  oder  Ascheuhaufen  und 
vor  ihm  erscheint,  mit  abguwendetem  Gesicht,  seine  Frau.  Das  ab- 
gewendete Gesicht  spricht  offenbar  Ekel  und  Angst  vor  Ansteckung 
aus.  Zur  deutlicheren  Kennzeichnung  dieser  Emptindungcn  dient  häufig 
auf  sonstigen  Denkmälern  <ler  Leiden  Job's  das  Zuhalten  der  Nase. 
In  unserem  Bilde  tritt  ein  anderes  Moment  mehr  in  den  Vordergrund, 
indem  die  Gattin  des  frommen  Dulders,  zwischen  Angst  und  Mitleid 
schwankend,  zwar  das  Gesicht  abwendet,  aber  doch  zugleich  demselben 
auf  langer  Stange  einen  Gegenstand  hinreicht.  Beide  Momente  sieht 
mau  auf  dem  berühmten  Sarkophag  des  Junius  Bassos  in  den  Vati- 
canischen  Grotten  vereinigt:  Vor  dem  auf  einem  Aschenhaufen  sitzenden 
Job  stehen  seine  beiden  Freunde,  von  denen  sich  der  eine  die  Na»e 
zuhält,  der  andere  den  gleichgeformten  runden  Gegenstand  dem  ge- 
prüften Gottesmanne  entgegenhält.  Auch  auf  mannigfachen  anderen 
Monumenten-)  wiederholt  sich  derselbe  Vorgang.  Man  hat  den  hiniJie- 
haltenen  Gegenstand  bald  für  einen  Wedel  oder  Fächer,  bald  für  einen 
Spiegel,  ein  Weinsieb,  einen  Prügel  u.  dergl.  gehalten'),  ohne  zu  be- 
denken,   dass  derselbe   doch  jedenfalls  die  Zweckbestimmung    hatte. 


1)  Halitam  meum  exliorrmt  nior  mea.     Job  19,  7  (YulgraU).  BottariXCl. 

2)  Maoasor.  d.  Greg.  V.  Nuianz  der  Paris.  Bibl.  (m.  gr.  Nr  510  fol.  71) 
abgebildet  in  les  arts  eomptuaires.  Vergl.  Revue  aroheol.  y.  1860  eto.  Mar- 
ti gn  7,  DicUonaire  des  Antiqa.  obret.  nouv.  Edition  1877,  S.  396. 

8)  Bottari  zu  Taf.  XV,  Garucot,  Hogiogl)*pha,  Note  tu  p.  60. 


Römisch»  QltB«r. 


106 


JTgetid  ein  Bedtirfniss  des  LeHletidcn  zru  bpfViedigen,  seine  Lage  zu  er- 
leichtern. Scverauo*),  der  Hcrausfj^cber  von  Bosio's  Roma  sottcranea, 
und  später  in  besonderer  Schrift  Ediiioud  le  Blaot*)  haben  richtig 
erkannt,  dass  es  ein  rundes  Brod  ist,  welches  JoVs  l'Yau  hier  ihrem 
Gatti-iQ,  in  dessen  unmittelbare  Nähe  sie  weder  zu  kommen  noch  ihn  mit 
der  Uünd  zu  berühren  wagt  —  auf  langer  Stange  dnrreichL  Wollte 
mau  aus  innereiiGründen  diese  Deutung  noch  nicht  für  zwingend 
erachten,  so  würde  schon  die  vollständige  rileirhheit  der  römischen 
Brode.  wie  man  sie  in  Pompeji  gefundtni,  mit  der  runden  Form  und 
sternförmiger  Verzierung  in  unserem  Bilde  dieselbe  rechtfertigen'). 
I  Die  Darstellung  auf  der  entsprechenden  anderen  Langseite  (4)  ist 
leider  in  der  Mitte  zerstört  und  lässt  deshalb  keine  ganz  bestimmte 
oder  vielmehr  eine  mehrfache  Deutung  zu.  Auf  der  einen  Seit^j  erblickt 
man  eine  stehende  Figur  mit  der  Beiachrift  PETR(V)S,  auf  der  andern 
einen  durch  Bart  und  Mtltze  gekennzeichneten  Juden,  dessen  aufge- 
hobene Hände  Firstaunen  über  einen  Vorgang  aui-idrücken,  der  zwischen 
Petrus  und  einer  vor  diesem  kriieendeii  Person  statthat.  Petrus  hält 
mit  der  rechten  Hand  ein  Schwert  oder  einen  Stab,  was  nach  der 
Mangelhaftigkeit  der  Zeichnung  des  sehr  zei'störten  Bildes  mit  Sicher- 
heit nicht  festzustellen  ist.  Entscheidet  man  sich  flir  ein  Schwert,  so 
werden  wir  im  Garten  von  Gethsemane  den  Moment  dargestellt  er- 
blicken, wo  Petms  dem  Malchus  ein  Ohr  abhaut  und  der  Heiland  dies 
wieder  anheilt.  Das  aufgehobene  Schwert  deutet  auf  die  That  selbst, 
wohingegen  das  Knieen  des  Makhus  und  das  l^rstaunen  des  Juden 
mehr  auf  das  Wunder  der  Heilung  hinweisen.  In  diesem  Falle  würde 
in  der  zerstörten  Mittelflächc  die  Gestalt  des  Heilandes  anzunehmen 
sein.  Es  kommen  nun  in  symbolischer  Bedeutung  auch  Dar.stelluageu 
Petri  im  Bilde  des  aus  dem  Felsen  Wasser  schlagenden  Moses  vor. 
loa  vom  herein  würde  man  gewiss  entfernt  nicht  daran  denken,  jene 
»artigen,  mit  dem  Stabe  den  Felsen  anschlagenden  Gestalten  zweier 
Ibndi  d'oro  für  diejenigen  des  Petrus  zu  halten;  ja  es  würde  absurd 
[sein,  nicht  Moses  darin  erkennen  zu  wollen,  —  wäre  nicht  ausdrücklich 


1)  Baaio,   Koma  soiteranea  1,  U,  o. 8.  u.  S,  614.  of.  Arin^hi  üb.  IL  c.  10. 
ä)  Edm.  Ic  Blaut,  d'une  Rcpreacnlation  inödite  de  Job  sur  an  Sarcopliag;e 
l*Arl68.    Paris  1860. 

8)  Man  vergl.  die  Brode  bei  Overbeck,   Pompeji  S,  611;  Rieh,  Wörter- 
^ch  d.  Auig.  V.  Müller,  S.  442  uad  auf  den  cbristl.  iSarkophagen  bei  Bosio 
Sm.  42&.  &13. 


106 


Römische  Gläser. 


der  Name  Petrus  beigeschrieben'}.  Ob  aber  hier  die  Annahme  eines 
Stabes  den  Vorzug  vor  dem  Schwerte  verdient,  Petrus  als  der  dem 
Felsen  Wasser  entlockende  Moses  anzusehen  ist,  möchte  ich  nach  Ver- 
gleich sämratlichpr  mir  vorliegender  Copien  unseres  kleinen  Denkmals 
bezweifeln :  die  meisten  derselben  deuten  in  der  Nähe  der  fassenden 
Hand  auf  einen  Schwertgriff'). 

Von  den  Tafeln  der  beiden  Schmalseiten  war  die  eine  bis  auf  die 
Spuren  einer  mittleren  Fi^iur  und  die  links  neben  dem  Kopfe  stehenden 
Buchstaben  10,  welche  ebenso  wohl  auf  lOB  wie  lOH ANNES  deutbar 
sind,  zerstört;  die  andere  vergegenwärtigt  den  Sündenfall  und  zeigt 
den  l^aum  mit  der  Schlange,  wie  die  Gestalt  der  Eva  noch  wohl  erhalten, 
während  die  Figur  des  Adam  zerstört  ist.  Man  erkennt  deutlich,  dass 
I'',va ,  auf  Adam  schauend  ^  ihn  zum  Essen  des  Apfels  auffordert,  und 
durch  die  Handbewegung  auf  ihren  Mund  besagen  will,  dass  sie  bereits 
von  der  verbotenen  Frucht  genossen  hat. 

So  zerstört  auch  diese  Tafeln,  so  roh  sie  in  ihrer  Zeichnung  sind, 
80  wichtig  erscheinen  sie  für  die  weitere  Bestätigung  der  geographischen 
Verbreitung  der  Goldgläser-Industrie  über  Rom  hinaus,  ganz  besonders 
aber  für  die  zum  ersten  Male  bekannt  werdende  Ausdebnong  derselben 
auf  andere  Gegenstände,  als  die  fondi  d'oro. 

Die  Täfelchen  gehören  einem  am  12.  März  1847  in  Neuss  ge- 
machten Grabfunde  an  und  gingen  sofort  in  den  Besitz  des  um  die 
Rheinische  Alterthumskunde  hochverdienten  Sanitätsrathes  Dr.  Jäger 
in  Neuss  über.  Das  Einzige,  was  über  den  Fund  bekannt  wurde,  ist 
die  nachfolgende  Mittheilung  vom  20.  März  1847  im  Feuilleton  der 
Dnsseldorfer  Zeitung: 

Zur  Alterthumskunde  von  Neuss. 
Zu  dem  Funde  von  römischen  und  mittelalterlichen  Alterihüroem,  den 
icb  im  Feoilleton  der  Nr.  73  dieser  Zeit,  beedirieben,  bat  aidi  am  12.  d. 
M.  Math  1647  schon  ein  anderer  eines  antiken  Grabes  aogereibei,  valchca 
in  vielen  Beziehongen,  besonders  aber  weg«n  der  achSnen  gläsemeo  Gefiase 
und  Glaat&felchen  mit  Goldmalereiea  *),  als  höchst  intereasaat  arsclMiat. 


I)  Abbildang  bei  Eraua,  B.  800  u.  Tat  VI,  4.  Martignj  L  c  S.  474. 
da  Roati,  Bollctioo  1S77,  S.  T7  C 

3)  Dem  ersten  Etndmck  nach  könnte  man  such  wolü  die  knieende  Figur 
fir  «i»a  «aibiieh«  bähen  oad  darin  eine  der  Mägd«  arhaaiwa,  daMB  geg—Sbar 
Tvlraa  dsn  Harm  variaag— te. 

3)   Bekanntliob    gehörtaa   glisen«  GeftaM  od  GlaHaoboB  ibttkaopi  sa 


Eb  fand  nämlich  der,  mit  Aufschürfen  seinen  Gartens  behufs  Sand- 
gewinnang,  der  er  im  Winter  gewöhnlich  obzuliegen  pflegte,  vor  dem  Ober- 
thore  zu  Neuss,  rechts  von  der  Kölner  Strasse,  dicht  am  sogenannten 
Gütchen  nnd  am  Erftkanal  wobneode  Gärtner  und  Blumenhändler  Gif  1er, 
zwei  FuBS  unter  Dammerde  auf  Sand  ruhend,  einen  mit  einem  steinernen 
Deckel  versehenen,  sechs  und  einen  halben  Fuss  langen,  zwei  Fuss  tiefen 
und  eben  so  breiten,  drei  Zoll  dicken,  oben  etwas  weitern  als  unten  mas- 
siven Sarg,  aus  Liedberger  Braunkohlensnndstein  konätruirt.  Der  Deckel, 
welcher,  wie  der  Sarg  selber,  durch  den  Einfluss  der  Jahrhunderte  lang 
eingewirkt  habenden  Nässe  des  Bodens  erweicht  und  fast  bröcklig  gemacht, 
wurde  beim  Abnehmen  zerbrochen,  ist  aber  in  seinen  Stücken  noch  vor- 
banden. Der  Inhalt  des  Sarges  wur  folgender:  Im  Schlaram  schwimmend 
lag  ein  nach  Osten  gerichteter,  sehr  vermodeiier,  morscher  Körper  eines 
Erwachsenen,  wovon  sieb  besonders  die  Wirbelsäule  and  die  Höbrenknochen 
der  Glieder  erkenntlich  machten.  Ueber  diesem  Skelette  waren  einige  Eimer 
einer  weissen  in  Elumpcn  vertbeüten  schmierigfettig  anzufühlenden  Masse  ver- 
breitet, welche  sich  bei  der  mit  ihr  in  der  Apotheke  des  Herrn  Sels  hier- 
selbst  vorgenommenen  genauen  Untersuchung  als  nichts  Organisches, 
sondern  als  Gips  erwies.  Vielleicht  rührte  diese  Substanz  von  zerbröckelten 
Statuetten  von  Heiligeabilder,  so  mau  dem  Grabe  beigefügt  hatte,  oder 
von  einem  Gubb  zur  Conservirung  des  Leichnams  her.  So  findet  man  bei 
den  römischen  Gräbern  in  Särgen  und  Tufstein  genauer  eine  ähnliche  Be- 
legung mit  präparirtem  Thon,    oft  von  P/it  Fuss  Dicke.     Weiter    enthielt 


den  kostbarsten  Gegenständen  des  hohen  Alterthunis.  Viele  Jahrhnnderte  waren 
die  Phönizier  allein  im  Besitze  der  von  ihnen  erfundenen  Fabrikaliou  dea  Glases, 
wozu  einige  an  Nitram  reiche  Stellen  der  Küste  ihnen  das  nöthige  Material 
lieferten.  Als  aber  die  Glasfabriken  in  Sidon  und  Sarepta'nach  der  Eroberung 
des  Landes  unter  Alexander  ihr  gewinnreicUes  Monopol  verloren  hatten,  erhob 
sich  in  der  neuen  cgyptiacheu  HauptaLadt  Alexandria  die  Glasfatbrikation  zur 
grossen  Vollkommenheit,  da  in  Egypten  eine  Bchmeizbare  Erde  gefunden  wurde, 
ohne  welche  die  beliebten  vielfarbigen  oder  schillernden  Gläser  nicht  gemacht 
werden  konnten.  Was  Strabo  (XYI,  2)  von  der  Leichtigkeit  und  Färbung  des 
römischen  Glases  bemerkt,  wird  durch  die  im  Nassauisohen  bei  Mains,  Trier, 
Köln,  Xanten,  Zell,  Neuss  gefundenen  Gläser  vollkommen  bestätigt.  Man  findet 
aber  nicht  nur  buntes,  sondern  auch  helles,  crystallähnlicbeB,  weisses  Glas  in 
römischen  Gräbern,  das  vorzüglich  hoch  geschätzt  wurde.  (S.  Bokmannn's 
Beiträge  zur  Geschichte  der  Erfindungen,  I.  Band;  Creuzer's  Abriss  röm.  Anti» 
quitäten,  Becker's  Gallus,  Boettiger's  kleine  Schriften  und  Houben's  Anti- 
quarium  etc.) 


t98 


Römische  Gläser. 


der  Sarg  1)  eine  toUergroese  flach«,  blaue  grünlich  violette  anjirolnof 
SchüBsel  (Opferscbftale)  von  Glas;  2)  «wei  gläeerne  Thranenfläschchea  — 
Lacriinatorien  —  dickhäuchig,  mit  Inngeni  Halse,  wie  eines  in  dem  lloa- 
beDBcheu  Fürstengrab  vorgcfandcn  nnd  auf  Taful  48  abgebildet  iBt*)d 
3)  eine  grosse  itinde  dickbivuchigc  Flasche  mit  engem  langem  Halse  von 
gräulich  Bchillerndem  dicken  (ilase,  ühnlich  von  Nr.  6  auf  der  Tafel  30  des 
Antiqanriama  von  Honbeo.  Yermiitblich  ist  es  ein  Behälter  für  Weihwasser 
gewesen ;  4)  eine  kleinere  dickbäuchige  Flasche  von  weissem  dickem  kry- 
stallhellem  Glase,  welches  zum  Aulheben  von  Schminke  oder  einer  wohl- 
riechenden Essenz  gedient  haben  kann;  5)  flinf  an  ihreo  Rändern  mit 
banten  röthlich-blau-gelber  Färbung  verzierten  Streifen  and  im  Schilde  mit 
Güldmalerei  aasgescfamiickte  Glastafeln  von  etwa  6  Zoll  Breite  und  3  Zoll 
Höhe  mit  vier  dazu  gehörigen  ungefähr  einen  Zoll  breiten  Glasstüoken, 
welche  Letztere  Kimi  Befestigen  der  Kanten  dieser  Tafelcfaen  geganenmodor 
benutzt  gewesen. 

Die    Malerei,    durch    aufgeklebte    und    radrrie   Goldblättchen    darf^ 
Btellt,  seigt  ahtegtameutnrische  nud  biblisch-chrlBtliche  Vorgünge  in  Bildern, 
deren  Bezeichnung  reBp.  Aufschrift  ganz  leserlich  und  in  römischer  Lapidar- 1 
Bcbrift  gegeben  war;    eines    dieser   Täfekhen,    das    grösst«    und    schönste, 
hatte  in  der  Mitte   der   hintein  Leist-e    einen  ZoU  weiten    und    einen    Unit 


1)    Houben    sogt  Seite  37    seines  Autiquariums:    Es    lässt  sich   aber  ans 
keiner  Stelle    der  Alten   jene    gar   zu    Benlimciital«  Sitte  beweisen,   wonach  die 
Leidtragenden    oder   die  Klagofrauon  Fläschclien    unter   die  Augen   hielten  und 
ihre  Thränen    einträiifolu    licsseu.    Die   grfliidlicbslen  Alterthumsforscher  haben  i 
gezeigt,   dnss   diese   kleinen  (lefnsse    von  Glas  oder  Thon   stets   zu  Salben  und] 
wohlriechenden  Essenzen  bestimmt  gewesen  sind.    Die  Stellen  der  alten  Dichter^^ 
welche    einige  Antiquare    für  die  Existenz  der  ThräDenfläschchcn  aufrufen ,    b«>- 
weisen  nur  das  Anfeuchten  der  Aj^che  mit  Thränen.     Die  alte  lateinische  Sprache 
hat   nicht   eüima]   ein  Wort  für   ein  solches  Thränen krüglein;  erst  die  neueren 
Sprachen  haben  ein  Lacrimatorio,  Laerimatoire,   Vascukim  lacrimatorium  in  der 
Latinität    den    .Antiquare    des    17.    Jahrhunderts;     auch    in    christlich-rnmischcn 
Gräbern,   wie  das   jetzt  aufgefundene  ein  solches  darstellt  —  findet  man    dies«J 
Flfisohchen,    die   hier  aber  mit  dem  Chrisam  oder  mit  Weihwasser  gefällt,  dem! 
Todten  in'«  Grab  gegeben  wurden,  oder  das  Weibwasser,  womit  der  Priester  deaj 
Körper  znlutzt  besprengt  hatte,  war  darin  gewesen,  nach  vollzogener  Bestattunf 
rief  man  den  Manen  des  Todten  noch  das  letxte  Lebewohl  zu  und  wenn  die  Veawl 
Sammlung    durch  Besprengen  mit  geweihtem  Wasser  gereinigt  war  (Lustratio)J 
wnrde    sie    mit   dorn  Kufe:  iliuet  entlaaseu;    die   vorgefundene  Opferscbaale  and 
die  grossen  Flaschen  von  Glas  halten  wahrschcinbch  bei  dem  inglichen  Tc 
zu  diesen  Verrichtungen  gedient. 


Römiaobe  GliMr. 


loe 


■inen  halben  Zoll  tiefen  Einschnitt,  worin  TieUeacht   ein  SchlosB    oder    ein 
Charnier  befestigt  gewesen. 

Ea  hat  mathmastUcb  Kam  Deckel  eines  Kiatchena  gedient,  welches 
BUS  den  fünf  glüBcrnen  Tiifelchin  construirt  war,  das  obere  Täfelchen  war 
mit  der  Aufschrift:  Job  piftstema  (violleioht  der  Name  des  Aofertigers  der 
Glasmalerei)  in  Lapidarsehrift  versehen  und  zeigte  eine  Gruppe  von  Figuren 
mit  alterthümlichen  Trachten;  dieses  SchnmckkiBtchen  enthielt  Tielleicht 
bei  der  Beerdigung  des  Todten  wcrthruUe  Kleinodien  desselben ,  die  mit 
der  Zeit  zerstört  oder  in  dem  Schlamme  des  iSarges  verloren  gegangen  sind^). 

6)  Das  Fragment  eines  feinen,  glatten,  mit  edlem  Rost  bedeckten 
Metallspiegels  in  ähnlicher  Art,  wie  wir  ihn  auf  Tafel  3  in  Houbens  Anti' 
quarium  seht'u;  endlich  7),  S)  und  9)  von  Thongefässen  eine  Amphora  — 
zweihenkeliger  Krug  —  von  feinem  weissem  Thon,  ein  Opferteller  mit  nach 
innen  umgebogenem  Rand  von  grober  rother  Erde,  und  ein  einhenkeliger 
Ascbenkrag  mit  weiter  Mündung  von  gleicher  Beechaflenheit ').  Die  glä- 
sernen und  thonernen  Oefässe  waren  sämmtlich  mit  Sand  angefüllt,  die 
niedrige  Lage  dos  Terrains  in  der  Nühe  der  Neusaer  \Viese  und  des  Erft- 
kanals  nach  Selikum,  wo  der  Sarg  lag,  machte  denselben  den  vielfachen 
Ueberschwcmmungen  bei  Neuss  zugänglich  und  verursachte  es,  dasa  das 
Grab  hunderte  und  hunderte  Mal  mit  Wasser  angefüllt  gewesen,  beim 
Zurückweichen  des  letzteren  blieben  sodann  Lette  und  Band  zurück  und 
föilten  nebst  dem  Sarge  die  darin  befindlichen  Gefäaae  trotz  dem,  das« 
ersterer  mit  einem  Deckel  versehen  war,  an.  Ueberdies  saugte  der  poröse 
Sandstein  oft  F-enchtigkeit  au»  dem  Hoden  ein,  die  dann  ebenfalls  das 
Innere  des  Sarges   durchdrang.     Man    kann    sich    deshalb    nicht    über    die 


1)  Es  ist  von  dem  bieaigon  Zeichnenlehrer  und  Maler  Herrn  Küppers  eine 
Abzeichnung  der  Bilder  der  fünf  Täfelchen  entworfen  worden,  die  später  litho- 
graphirt  und  mit  einer  Beschreibung  dca  Fundes  vervieirältigt  der  Publicität 
übergeben  werden  soll. 

2)  Die  Form  dieser  Thongefässe  ist  zwar  immer  noch  gefällig  im  römi- 
schen Styl,  aber  wie  man  auch  am  Bruch  und  an  der  Glasur  des  Opfertetlers 
und  des  Aschenkruges  deutlich  sehen  konnte,  ist  dazu  anstatt  feinem  weissem 
Thon  grobe  grau-rölhlichc  Erde  angewandt  worden.  Bereits  mit  Ende  des  2. 
Jahrhunderts  nach  Chr.  linden  wir  in  den  römiHchen  Thongeßasen  die  Masse 
früher  stets  von  feiner  lehmiacher  Erde  hergenommen,  ihre  Bearbeitung  und 
Färbung  verschlechtert,  es  hatte  der  Verfall  der  Kerameutik  oder  Töpferkunst 
begonnen  und  später,  besonders  in  der  Zeitepocbe,  wo  unser  Orak  entstanden, 
viertes,  fünftes  oder  sechstes  Jahrhundert,  war  dieses  noch  mehr  der  Fall. 


HO 


BSfldaohe  Gläser. 


Zerstörungen  wundern ,  die  die  Zeit  auf  den  Inhalt  des  Grnbes  ausgeübt 
hat.  Man  moss  aber  dabei  noch  gesteben,  dass  die  Goldnialerei  sich  bei 
der  langen  Zeit,  in  der  sie  diesen  verderblichen  Einflüssen  ausgesetzt 
gewesen,  noch  ziemlich  gut  erbalten  hat. 

Das  Grab  stammt  ohnstreilig  aus  einer  vornoittelalterlichen  frühem 
christlichen  Zeit,  aus  einer  Epoche  her,  wo  die  Römer  eben  den  deutschen 
Boden  durch  den  Einfall  der  Völker  aus  dem  fernen  Osten  —  Hunnen-, 
Gothen-  und  Franken-Wanderungen  —  verlassen  hatten '),  wo  in  den  Ge- 
bräuchen und  Sitten  unserer  Altvordern  noch  vieles  von  Römern,  die  hier 
über  vier  Jahrhundertc  lang  ansässig  gewesen,  anklebend  geblieben;  daher 
das  Gemisch  von  römischen  und  christlichen  AuBSchmückungen  in  dem 
steinernen  Sarge,  das  Nichtverbrennen  der  Leiche,  welches  das  Christea- 
thum  verbot,  das  Beisetzen  von  gläsernen  uad  thönernen  Gef&ssen,  von 
Geräthen  aus  Erz  mit  römischen  Formen  unter  Bi?ifügung  von  Bildern, 
die  dem  christlichen  Cultus  angehören^). 

Was  es  aber  för  eine  Person  gewesen ,  die  hier  der  Erde  wieder- 
gegeben worden,  und  Was  es  endlich  in  kunstgeachichtlicher  Hinsicht  mit 
diesen  Goldmalereien  auf  Glas,  ob  sie  eine  Art  Enkaustik,  Wachsmalerei 
der  Alten,  so  Pliniua  in  seiner  historia  naturalis  35  so  meisterhaft  be- 
schrieben und  der  Winckelraann  und  Goethe  einen  Theil  ihrer  Forschungen 
gewidmet,  ist  oder  nicht  —  für  eine  Bewandtntss  hat,  überlasse  ich  der 
Beurtheilung  einer  tiefern  Forschung  der  Arohaeologen,  der  Techniker  ond 
Kunstkenner,  und  will  hier  deren  Urtheilen  in  dieser  Sache  nicht  vorgreifen. 

Es  muBs  schliesslich  noch  bemerkt  werden,    dass    der  Gärtner   Gifler 

während  dieses  Sommers  den  Fund  dem  Publikum  gegen  eine  kleine  Ver- 
gütung gerne  zeigen  wird. 

Netus,  den  Ifi.  März  1847.  Dr.  Jftger. 

So  sehr  es  diesem  Berichte,  den  wir  zugleich  aus  Pietät  für  den 
um  die  AlterthumskuDde  von  Neues  und  unsern  Verein  so  hoch  ver> 


1)  Es  steht  historisch  fest,  daaa  schon  seit  der  Mitte  des  dritten  Jahr- 
hundert« die  Franken  kÄnflg  vom  rechten  Rheinufer  Einfalle  in  das  römische 
Land  am  Niederrbein  machten  und  sich  zu  Anfatig  des  fünften  Jahrhunderts  ganz 
in  den  Besitz  der  römischen  Provinzen  Germanien,  Belgien  und  Gallien  setzten. 

2)  Da  hier  keine  Verbrennung  der  Leiche,  keine  Ascbo  und  Kohle  um  das 
Grab  vorgefunden  worden,  so  kann  die  Beerdigung  nur  nach  altgermanisoher, 
christlich-römischer  Sitte  vor  sich  gegangen  sein. 


Komische  Gläser. 


111 


dienten  Verfasser  hier  zum  Alnlruck  bringen  *)  —  bezüglich  der  so 
überaus  wichtigen  Glastafeln  an  Ausführlichkeit  und  Genauigkeit  fehlt, 
so  bestimmt  können  wir  daraus  auf  ein  Grab  schliessen,  welches  der 
allerletzten  Römischen  Zeit,  vielleicht  !?chon  der  fränkischen  Prrtode 
angehört.  Nicht  allein  die  lange  Sargform,  der  unverbrtuinte  Leichnam, 
sondern  besonders  die  Uebei'giessung  desselben  mit  Gips  deuti-n  auf 
diege  späte  Zeit').  Leider  erfahren  wir  nicht,  ob  di»  goldenen  Figuren 
mit  der  charakteristisilirm  Ginsschicht  liberMasen  waren^),  auch  stimmen 
die  angegebenen  Masse  nicht  mit  der  wirklichen  Grösse  unserer  Zeich-' 
nuDg  überein.  Von  den  vier,  einen  Zoll  breiten  Ginsleisten,  welche  die 
Täfelchcn  gegen  eimmder  befestigten,  wissen  wir  nichts  Genaueres ;  eben- 
sowenig, ob  der  kleine  Glaskasten  ein  Futter  oder  einen  Einsatz  hatte, 
denn  leider  sind  sümmtliche  Täfelcben  wie  Leisten  bis  auf 
diesen  Tag  spurlos  verschwunden. 

Von  dem  im  Princip  richtigen  Standpunkte,  dass  die  Funde  von 
Alterthümern  ihre  volle  Bedeutung  erst  im  Zusammenhang  mit  dem 
Fundorte  gewinnen,  hatte  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  im  Jahre  1844 
und  1845  dem  Sanitätsrath  Jäger  Zuschüsse  zu  seinen  Ausgrabungen 
bewilligt,  um  daraus  in  Neuss  ein  Local-Museum  zu  bilden,  welches 
zuerst  int  Rathhause,  dann  im  Gymnasium  seine  Aufstellung  fand  und 
nach.Jäger's  Bericht  inventarisirt  war*).  Wie  bei  so  vielen  ähnlichen 
Lokal-Musceu  hat  sich  auch  hier  die  traurige  Erfahrung  bewahrheitet, 
dass  ohne  dauernde  und  verantwortliche  Verwaltung  eine  Sicherung 
des  Besitzes  nicht  zu  erlangen  ist.  Durch  Jäger'a  Begeisterung  ent- 
standen, verlor  das  werthvolle  Neusser  Museum  mit  seinem  Tode  bald 
die  WeiterfUhruDg  und  Aufsicht*).    Möge  es  dem  neuerdings  gebildeten 


1)  Dr.  Jäger  erscheint  schon  im  ersten  Verzeichnias  (li;r  VercinBinitgUeder, 
Jftbrb.  I,  S.  136,  als  Mitglied  und  ausw,  Secretär  und  gab  in  den  Jahrb.  II,  45; 
m,  125;  IV,  204;  V,  407;  VIII,  131  Derichte  seiner  Ausgrabungen. 

2j  Vergl.  JahrL    LIX,  S.  64. 

S)  Es  lässt  sich  wohl  annehmen,  dass  ohne  einen  schütsenden  Ueberfang 
die  Bilder  in  dem  aufgogosseneu  Gips  ganz  zerstört  worden  wären.  Es  darf 
hier  freilich  nicht  verschwiegen  werden,  daas  auch  der  Herstatt'schen  Glaspatene 
der  Ueberfang  fehlte.  Da  von  dieser  aber  der  Raud  abgeschlagen  war,  so  kann 
mit  demselben  auch  der  Ueberfang  sich  abgelöst  haben.  Glasmalereieti  in  der 
Art  der  footli  d'oro  ohne  Ueberfang,  wie  sie  C  e  n  n  i  n  i  in  der  angeführten  Stelle 
beschreibt,  dQrften  vor  dem   14.  Jahrhundert  nicht  nachzuweisen  sein. 

4)  Jahrb.  YIU,  S.  182. 

5)  Ein  Beispiel  dafür,  dass  die  hervorragendsten  Local-Bestrebungen  durch 
die  Begeisterung  einer  einzelnen  Persönlichkeit  entstehen  und  mit  derselben  ver- 


112 


Römisobe  OlSaer. 


Neosser  Alterthums- Verein  gelingen,  wenigstens  Theile  das  Verlorenen 
wieder  zu  beschaffen;  vor  Allem  mit  grösserem  Erfolge  die  Bemühungen 
fortzusetzen,  die  ich  seit  mehr  deun  10  Jahren  auf  die  Auffindung 
der  üold-Täfelchen  verwendete. 

Gleich  nach  ihrem  Bekanntwerden  wurden  die  Fragmente  der 
kleinen  Glas-Cassette  zur  V^orzeigung  beim  Könige  nach  Berhn  gesandt. 
Von  dort  kamen  sie,  gemäss  einer  an  mich  gerichteten  Mittheiluug  des 
verstorbenen  Geueral-Directors  der  Köiiigl.  Museen  v.  (Uters  vom 
16.  Februar  1869  nach  Neuss  zurück').  Zum  Zwecke  der  Besjirechung 
am  Winckelniann's  Feste.  9.  December  1847*),  und  der  VcntÖffntlichung 
in  unsern  Jahrbüchern,  schickte  Dr.  Jäger  die  Täfelchen  dann  nach 
Bonn  an  den  derzeitigen  Vereinssecretär  Dr.  Laurenz  L  er  seh  3).  üeber 
ihre  Rücksendung  von  hier  finde  ich  keine  Notiz.  Ebenso  wenig 
erinnern  sich  derselben  die  noch  lebenden  Mitglieder  des  damaligen 
Vorstandes  die  Herren  Consistorialrath  Prof.  K  r  af  ft  und  Prof.  Freuden- 
berg. Dr.  Jäger  starb  1848  kinderlos.  Seine  Erben  waren  sein  Bruder 
der  Antiquar  Jäger  in  Köln  und  seinein  zweiter  Ehe  mit  dem  Justizrath 
Schmelzer  in  Düsseldorf  verheirathete  Wittwe.  Weder  im  Ncusser  Mu- 
seum*), noch  im  Nachlass  der  Familie  Jäger"^)  war  eine  Spur  des  Vcr- 


BchwindeD,  gevitirt  der  Verein  von  S.Wendel,  der  1836  durch  die  Thätigkeit 
dea  Regierunggrathes  Engelmann  GnUtand  und  mit  dessen  Tod  voltsTändig 
einschlief.  Das  Bchätzenswerthe  Muaenin  (vprgl.  I.  Bericht  dns  Vereins  von 
S.  Wendel.  Zwcibräcken  1838)  ist  deshalb  dem  Provinzial-Museum  in  Trier 
nunmehr  glücklicher  Weise  einverleibt  worden. 

1)  .,Die  mit  Figuren  in  Gold  geschmückten  Glastafeln  sind  von  Neusa  nur 
hierher  geschickt  worden,  um  dem  hoohaeligen  Könige  gezeigt  zu  werden,  da  er 
SU  den  Nachsuchungen  bei  Grimmlingbauaen  die  Kosten  auf  meine  Bitte  hergab; 
sie  gingen  an  den  Dr.  Jäger  zurück,  welcher  die  Sammlung  zuerst  bei  sic^,  dann 
im  Rathhause  und  endlich,  wenn  ich  nicht  irre,  im  Gymnasium  in  guter,  Eweck- 
m&asiger  Ordnung  aufgestellt  hatte."    gez.  v.  Olfers. 

2)  Jahrb.  Xil,  S.  202. 

3)  J&ger  schreibt  am  16.  Februar  1848  an  Lora  ob:  „Wenn  die  Vor- 
richtung zum  bossern  Schutze  der  Glastafeln  nicht  kostspielig  ist,  so  bitte  ich 
selbige  für  mich  anfertigen  zu  lassen.  Ich  komme  binnen  kurzer  Zeit  nach  Bonn 
und  werde  sie  dann  wieder  abholen.  Verrauthlich  werden  Sie  dann  auch  deren 
Anschauung  zu  den  Mittlieilungen  in  dem  nächsten  Hefte  über  diesen  Fund 
genügend  Iwnut^t  haben." 

4)  Für  die  freundliche  Beihülfe  meiner  Nachforschungen  in  Neuss  statte 
ich  den  Herren  Bürgermeister  lliddcr,  Com.  Keiadorf  und  Bildhauer  Künen 
meinen  TerbiodliohBtcD  Dank  ab. 

5}    Der   verstorbene  Kölner  Antiquariua   Jäger  vermuthete  die  üildcbeu 


Römiacfaa  Ol&ser. 


US 


bleib's  der  einzig  in  ihrer  Art  dastehenden  christlichen  Goldbihler  zu 
entdecken.  Unsere  ganze  Kenntnis»  derselben  beschränkt  sich  deshalb 
auf  eine  Anzahl  Zeichnungen,  die  im  Archiv  unseres  Vereins,  im  Nach- 
lass  des  Professors  Franz  Fiedler  in  Wesel  und  im  Besitze  des  Herrn 
C.  Reisdorf  in  Neuss  sich  vorfanden.  Sie  sind,  mit  Ausnahme  der 
Reisdorf'schen,  meistens  Copien  der  ersten  Zeichnung,  welche  der  Üym- 
nasial-Zeichenlehrer  Küppers  füf  Dr.  Jäger  1847  anfertigte,  und  in 
keiner  Weise  hinreichend  für  die  Würdigung  der  Darstellung  und  ihres 
Stils').  Wir  müssen  eine  solche  deshalb  bis  zu  dem  Zeitpunkte  hinaus- 
schieben, wo  ein  glücklicher  Zufall,  oder  vielleicht  die  durch  diese 
Zeilen  hervorgerufene  Aufmerksamkeit  das  kleine  ßcliquiari um  von 
Neuss  wieder  zum  Vorschein  bringen,  denn  ein  solches  war  es  gewiss, 
bestimmt,  durch  seinen  heiligen  Inhalt  für  den  Verstorbenen  eine 
schützende  Beigabe  zu  bilden. 

Der  Schlussfolgerung >  dass  das  dreimal  wiederholte  Vorkommen 
der  Goldgläaer  in  Köln  und  der  Fund  des  kleinen  Schreins  in  Neuss 
auf  eine  Fabrikation  ausserhalb  Rom 's  und  zwar  am  Rhein  schliessen 
lasse,  milchte  ich  vorerst  noch  keine  Berechtigung  zuerkennen.  Sollten 
aber  hierfür  weiterhin  häufigere  Funde  entscheiden,  so  würde  —  ebenso 
wie  für  die  Fabrikation  der  Terra-Sigillata-Gefässe  und  der  schwarzen 
Trinkbecher  mit  weissen  Aufschriften  —  der  Kölner  Bezirk  vor  jedem 
andern  den  Vorzug  beanspruchen  dilrfen. 

Daran  wird  man  festhalten  müssen,  dass  die  griechischen  Inschriften 
vieler  Goldgläser  auf  eine  ursprüngliche  griechische  Herkunft 
deuten.  Auch  die  von  Athenäus'}  ervi&hnieü  iähva  Siäxevaa  Ovo  des 
Ptolemäus  beziehe  ich  gegen  Garucci,  den  sein  Standpunkt,  nur  Rom 
und  den  Christen  die  Goldgläser  zuzusprechen,  davon  abhält,  auf  letztere. 
Ueberleitung  der  Fabrikation  nach  Rom  mag  zwar  frühzeitig  geschehen 


im  Scbmelzer'Bchen  Besitze.  Die  dahin  (j^eheDden ,  besonders  durch  Herrn 
Archivrath  Harleas  in  Düsseldorf  unterstützten  Naohforsohangen  de«  Sohuiel- 
eer^sohen  Nachlasses  (Sohmelz^r  starb  1865,  seine  Wiltwe  18fi8)  ergaben  kein 
Küsultat. 

1)  Man  gewahrt  bei  Betrachtung  der  ZeichnungeD  sofort,  dass  ihre  Anfer> 
tiger  die  dargestellten  Vorgänge  nicht  erkannten ,  was  die  verFchriebenen  Bei- 
acbriften,  die  Anfügung  eines  Bartes  im  Gesichte  der  Frau  Job's  u.  dergl. 
deutlich  beweisen. 

2)  Athenäus,  Deipnos.  V.  199  ff. 

8 


lU 


Bömische  Gläser. 


sein;  sie  war  aber  jedenfalls  im  10.  Jahrhundert  dort  erloschen'), 
während  sie  in  Byzanz  noch  im  11.  Jahrhundert  bestand*). 

Die  Kunst  „Cennini's"  im  14.  Jahrhundert  ist  eine  andere,  eine 
neue  und  durchweg  verschiedene  Technik ,  nicht  allein  wegen  der  Zu- 
that  von  Farben,  welche  ja  auch  hin  und  wieder  bei  den  fondi  d'oro, 
bei  dem  Herstatt'schen  Glase  und  an  den  Leisten  des  Neusser  Käst- 
clieus  vorkommen,  sondern  weil  hier  eine  Bemalung  der  Glastafeln  zu 
beiden  Seiten  atattzußnden  .scheint,  und  von  einem  schützenden  Glas- 
überfang  überhaupt  nicht  mehr  die  Rede  ist. 

Ein  merkwürdiges  Stück  dieser  Art  scheint  mir  ein  im  Museum 
zu  Basel  befindliches  Fragment  eines  kleinen  GlasTellei"s  zu  sein, 
welcher  auf  blauem,  goldbesterntem  Hintergrunde  einen  thronenden 
König  in  grünem  Gewände  und  rothem  Mantel  darstellt.  Obgleich  ich 
der  gütigen  Vermittlung  des  Herrn  I'pf.  Bern  o  ul  li  eine  colorirte  Abzeich- 
nung venlanke,  bin  ich  doch  vor  genauerer  Untersuchung  des  Originals 
zu  einer  weiteren  Aeusserung  nicht  im  Stande.  Cennini's  Bilder 
sind  in  Oclfarhon  ausgeführt,  E^s  wird  deshalb  zunächst  vor  Allem 
darauf  anknmmen,  festzustellen,  ob  solche  auch  bei  dem  Baseler  Bilde 
zur  Anwendung  gelangten. 

Es  liegt  ganz  ausserhalb  meioer  Absicht  bei  dieser  Gelegen- 
heit, wo  lediglich  eine  vorläufige  Kcnntniss  des  merkwürdigen  kleinen 
Denkmals  von  Neuss  gegeben  werden  soll,  in  die  kritische  Prüfung 
des  gesammten  Materials  der  Goldgläser  einzutreten,  um  so  weniger, 
als  ich  demnächst  4iarauf  zurück  zu  kommen  veranlasst  sein  werde'). 

E.  aus'm  Weerth. 


1)  Ich  kann  mit  Friedrich  (Ueber  die  üoldgläser,  in  der  „Wartburg" 
Nr.  9  V.  7G/77)  und  gegen  ll||f  (Ueraoliu»,  vod  den  Farben  und  Künsten  der 
Römer,  berausgegebon  votillg.  Wien  167S)  die  Verse  dcsHeraclius  (10.  Jahrb.) 
8.  7  „de  fiolifi  auro  decoratio''  nur  bo  veretehen,  dass  derselbe  eine  bei  den  Uömern 
verloren  gegangene  Kunst  wieder  erfand,  nicht  aber,  ala  habe  Ueraclius  sie 
noob  vorgefunden. 

2)  Thaophilui  (11.  Jahrh.)   Sohedula  diversarum  artium  Attb.  1.  o.  18. 

3)  Die  DarsteUoQg  des  altchristlicheu  Glasbechers  Taf.  V.  4  u.  4a  gehört 
schc»n  KU  meinem  zweiten  Aufsätze  über  ßömiache  tiläaer  im  nächstco  Jahrbuoh. 


Du  Haue  des  Hersog«  voo  Brsbaat  so  Eöla. 


IIB 


6.  Das  Haus  des  Herzogs  von  Brabant  zu  Köln. 

I. 

Die  Bewohner  der  vielfach  gesegneten  Gebiete  des  Herzogthums 
Brabant  und  des  Erzstifts  Köln  standen  von  je  her  in  lebhaften  ge- 
genseitigen Verkehrsverhältnisseil,  die  sich  aus  dem  früh  gehobenen 
Culturzustande,  der  regen  Handels-,  Kunst-  und  Gewerbethätigkeit, 
der  daraus  hervorgegangeneu  Wohlhabigkeit  und  ganz  besonders  auch 
aus  der  nachbarlichen  Lage  der  beide»  Länder,  bei  Uebereinstimrnung 
der  Sitten  und  verwandter  Sprache,  naturgcmäss  entwickeln  mussten. 
Um  80  mehr  sahen  sich  denn  auch  üire  Fürsten  nahegebracht.  Die 
Geschichte  leitet  aber  noch  zu  Thatsachen,  denen  man  ebcofalls  eine 
erhebliche  und  dauernde  Kinwirkung  auf  diese  Verbindung  zuschreiben 
mochte.  Wir  gedenken  nicht,  in  die  Ejioche  der  Rönierherrschaft  zurück- 
zublicken, selbst  nicht  in  die  Zeiten  der  merovingisoheu  und  karoiin- 
gischen  Könige  des  Frankenreiches.  Wir  erinnern  nur,  dass  schon  im 
Jahre  843  Brabant  und  das  kölner  Land  in  engerer  Verbindung  unter 
ein  gemeinsames  Scejtter  gekommen  sind;  beide  gehörten  bei  der 
Theilung  des  väterlichen  Reiches  zwischen  den  Söhnen  Kaiser  Lud- 
wig's  L,  des  Froramen,  zu  den  Bestandthcilen  des  von  Kaiser  Lothar  L 
behen'schten,  noch  immer  grossen  Ländergebietes.  Schon  nnter  dessen 
drei  Söhnen  wurde  dasselbe  wieder  getheilt,  in  Italien,  ßurgund  und  ein 
Lotharingien,  welches  jedoch  von  weiterem  Umfange  war,  als  das  ein 
Jahrhundert  später  bestandene.  Bei  diesem  letzteren  suchen  wir  die 
näheren  Beziehnngen  zwischen  den  beiden  Ländern  auf. 

Nach  dem  Ableben  des  Erzbischofs  Wichfnd  von  Köln  wurde  sm 
Jahre  953  Bruno  L,  Kaiser  Heinrich's  L  und  Mathildcos  der  Heiligen 
jüngster  Sohn,  zu  seinem  Nachfolger  gewählt.  Bruno  war  damals  am 
Hofe  seines  Bruders,  Kaiser  Otto's  des  Grossen,  und  versah  mit 
höchstem  Ruhme  das  Amt  des  Erzkanzlers.  Ein  gewaltiger  Aufruhr 
durchwiithete  das  deutsche  Reich,  dessen  Hauptschaupiatz  am  Ober- 
üod  Niederrheine  war.  Lndolf,  des  Kaisers  ältester  Sohn  aus  früherer 
Ehe,  und  Herzog  Konrad  von  Lothringen,  Otto's  Schwiegersohn,  waren 
die  Anführer  der  Rebellion.  Der  Kaiser  entsetzte  Konrad  und  übertrug, 
bevor  er  mit  seinem  Heere  nach  Baiern  zog,  die  Verwaltung  der  west- 
lichen Lande,  nämlich  Lothringen's,  seinem  Bruder,  dem  Bisehof  Bruno. 
Dies  war  die  Veranlassung,  wodurch  Bruno  mit  dem  Herzogthura 
Lothringen,  von  welchem  Lande  das   erst  später  entstandene  Herzog- 


116 


Dta  Haus  det  Hereogs  von  Brabant  eu  KöId. 


thum  Brabant  einen  Theil  bildete,  belehnt  worden  ist.  Ich  gebe  zu- 
nächst hier  den  (theil weise  freilich  irrigen)  Bericht  der  Koelhof sehen 
Chronik  der  Stadt  Köln  aus  dem  Jahre  1499: 

„Wie  LothriDf?en  das  Herzogthuin  und  durch  wen  an  das  Bis- 
tbum  von  Köln  gekommen  ist,  und  zu  welcher  Zeit  ein  Bischof 
von  Köln  ist  belehnt  worden  mit  dem  weltlichen  Schwerte. 

In  der  Zeit  (von  Kaiser  Otto 's  Abwesenheit  in  Italien)  sog 
Herzog  Giselbrecht  von  Lothringen  nach  Deutschland  und  trieb 
viel  Brandes  und  Raubes»  besonders  viel  in  dem  Stift  von  KuId, 
und  plünderte  viele  Schätze  und  Heiligthilmer  und  führte  sie  mit 
sich  nach  Lothringen.  Das  ward  Bischof  Bruno  kund  gemacht, 
der  brach  auf  mit  einem  Theile  seines  Heeres  gegen  Herzog  Gisel- 
brecht und  gewann  Lothringen  und  plünderte  die  Hauptstadt  und 
äng  den  Herzog  mit  all  seinem  Ilaube  und  führte  das  alles  mit 
sich  und  hielt  ihn  im  Getangniss  bis  zur  Zurückkunft  seines  Bru- 
ders Otto,  des  Kaisers,  damit  der  Über  ihn  Gericht  halte  und  ein 
Urtheil  spreche.  Als  Kaiser  Otto  wieder  in's  Land  gekommen 
war,  berief  er  einen  grossen  Hof  und  er  besprach  sich  mit  den 
Fürsten  darüber,  und  mit  Bewilligung  und  gleichem  Rathe  aller 
Fürsten  ward  ausgesprochen,  dass  das  Herzogthum  des  überwun- 
denen Herzogs  dem  Bischof  V(m  Köln  und  allen  seinen  Nachfolgern 
gehörten  solle.  Und  wie  sie  sich  Bischöfe  schrieben,  so  sollten  sie 
fortan  sich  auch  Herzoge  nennen  und  mit  dem  Schwerte  urtheilen, 
fechten  und  streiten,  sie,  die  vorhin  nur  einen  Stab  mit  einer 
Krücke  zu  gebrauchen  piiegten.  So  entsetzte  (ier  Kaiser  den  Her- 
zog Giselbrecht  von  Lothringen  und  belehnte  Bischof  Bruno  damit, 
ewiglich  sein  Herzogthum  zu  sein  und  dem  Bischof  zu  dienen,  so 
dass  der  Bischof  sich  schrieb:  Erzbischof  zu  Köln  und  Herzog  zu 
Lothringen,  was  früher  nie  erhiirt  worden  war,  dass  ein  Bischof 
mit  dem  Schwerte  richtete,  denn  vor  der  Zeit  hatten  die  Bischöfe 
nicht  das  weltliche  Schwert,  sondern  allein  das  geistliche  Gericht. 
Vor  der  Zeit  hatte  die  Stadt  Köln  das  weltliche  Schwert  von  dem 
Reiche." 

Die  Chronik  irrt  hier  in  dem  wesentlichen  Punkte,  dasa  es  sich 
beim  üebergange  Lotluingeu's  an  Bruno  nicht  um  die  Niederwerfung 
des  Giselbrecht'scheu  Aufstandes  handelte,  der  weit  früher,  da  Bruno 
noch  im  Knabenalter  stand,  stattgefunden  hatte.  Ebenso  anrichtig 
ist  die  Angabe  am  Schlüsse  der  obigen  Stelle. 

Die   Auffassung,   welche  die   Chronik   über  die   Ansprache   des 


Dm  naoB  des  Herzog«  von  Brabant  eh  Köln. 


kölner  Erzstifts  auf  die  Herzogsviürde  von  Lothrioßen  ausspricht,  ist 
zwar  auch  von  manchen,  sowohl  der  älteren  wie  auch  der  neueren 
Geschichtschreiber  gethcilt  worden,  sehr  entschieden  wurde  sie  noch 
im  Jahre  1786  von  H.  B.  von  Blum  in  einer  zu  Bonn  erschienenen 
Schrift:  „Zufällige  Gedanken  über  das  mit  der  Kölnischen  Kirche  ver- 
banden gewesene  Erz-  und  Herzogthuui  Lotriugen"  verfochten.  Da- 
gegen bat  auch  schon  seit  lange  eine  wesentlich  andere  Anschauungs- 
weise dieses  Verhältnisses  ihre  Anhänger  gefunden,  die  es  verneint, 
dass  auch  nur  auf  einen  einzigen  von  Bruno'«  Nachfolgern  im  erzbi- 
8chöflJi:hen  Amte  von  Küln  die  HerzogswiJrde  von  liOthringen  über- 
gegangen sei,  wobei  man  mit  Nachdruck  darauf  hinweist,  dass  keiner 
von  ihnen  sich  diesen  Titel  je  selbst  beigelegt  habe.  Auch  Bruno,  des- 
sen erhabenes  Gemüth  nicht  an  weltlichem  Glänze  hing,  habe  seine 
Stellang  nicht  als  eine  sich  forterbende  aufgefasst.  Im  Gegentheil  er- 
weisen es  die  geschichtlichen  Thatsachen,  dass  er,  sobald  die  Ordnung 
in  dem  durch  Aufruhr  zerwühlten  Herzogthume  wieder  hergestellt  war, 
die  weltliche  Verwaltung  diiselbst  in  andere  Hände  übergehen  liess. 
Er  tbeilte  das  Land  in  zwei  Herzogthünier,  Ober-Lothringen  pder  das 
Mosciland  übergab  er  dem  Grafen  Friedrich,  Unter-Lothringen  oder 
Brabant  dein  Herzoge  Godefrid,  die  jedoch  beide,  so  lange  Bruno  lebte, 
nur  seine  Stellvertreter  waren.  Die  nähere  Umgebung  der  Stadt  Küln, 
dabei  die  Hauptstädte  Bonn  und  Neuss,  sehen  wir  hingegen  von  da 
an  sich  bleibend  als  ein  der  weltlichen  Herrschaft  der  Erzbisehöfe  un- 
terworfenes Territorium  gestalten. 

In  den  zunächst  folgenden  Jahrhunderten  triüt  man  die  Herzoge 
von  Brabant  häutig  au  dem  Hoflager  der  Erzbischöfe  von  Köln ;  manche 
von  diesen  letzteren  erlassene  Urkunde  ist  auf  uns  gckunimeB,  an 
welcher  sie  als  Zeugen  betheiligt  sind.  Namentlich  verdienen  hier 
zwei  Urkunden  des  Erzbischofs  Philipp  1,  von  Heinsberg  angezogen  zu 
werden.  Die  eine  betrifft  einen  Zwist,  der  zwischen  dem  erzbischöf- 
lichen Burggrafen  zu  Küln,  Heinrich  von  Arberch,  und  dem  Ritter 
Gerhard  von  Eppendnrp,  erzbischüflichem  Vogte  daselbst,  wegen  ihrer 
beiderseitigen  Gerichtsbarkeit  ausgebrochen  war.  Der  Erzbischof  ent- 
schied in  dieser  Angelegenheit,  indem  er  ein  altes  Weisthum  erneuerte 
und  bestätigte,  in  welchem  die  amtliche  Stellung  eines  jeden  der 
Streitenden  bezeichnet  ist;  unter  den  vielen  geistlichen  und  weltlichen 
Zeugen,  welche  Philipp  bei  dieser  Gelegenheit  in  seinen  Palast  zu 
Köhi  berufen  hatte,  nennt  die  Urkunde  auch  als  „fidelis  noster"  den 
Uerzog  Godefrid  von  Brabant,  «Inen  Nachkommen  des  Grafen  Godefrid 


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Daa  Haui  des  HerzogB  von  Brabant  zu  Köln. 


des  Bärtigen  von  Löwen.  Sie  trägt  am  Schlüsse  die  Datirung :  „Actum 
et  datum  in  palatio  nostro  Coloniensi.  per  manum  VIrici  capellarii 
nostri.  Auno  dominice  Incarnationis  M.  C.  LXIX.  mense  Maio. 
Kegiiante  serenissimo  Romauorum  imperatore  Friderico  i)/  Die  zweite 
Urkunde  ist  aus  demselben  Jahre.  In  ihr